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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 527 / 18.4.2008

Ständiger Anlauf auf ein neueres (wilderes) Leben

Ständiger Anlauf auf ein neueres (wilderes) Leben

Ein neues Buch fragt nach widerständigen Alltagspraxen

Endlich einmal ein Buch, das unsere Lieblingstheorien mit emanzipatorischem Potenzial zusammenführt und in den Kontext von Bewegungspolitiken stellt, dachten wir uns, als Heide Hammers Buch "Revolutionierung des Alltags. Auf der Spur kollektiver Widerstandspraktiken" erschien. Hammer unternimmt den Versuch einer Beschreibung von Praxen, die nicht vom Leid an den schlechten Verhältnissen, sondern vom Wunsch nach Veränderung und dem Erschaffen neuer, unterhaltsamer Entwürfe kollektiven Handelns bestimmt sind. Dem voran stellt sie ein Kaleidoskop von Möglichkeiten der theoretischen Beschäftigung mit Macht und Widerstand. Die Vervielfältigung des theoretischen Programms benennt Hammer als Aufgabe linksradikaler Theoriebildung.

Die ersten Tracks auf Hammers revolutionstheoretischer Kompilation handeln von Gilles Deleuze, Felix Guattari und Michel Foucault. Hammer zeigt in der Auseinandersetzung mit Foucault, dass eine Analyse der konkreten Wirkweisen von Macht brauchbarer ist als eine Verkürzung auf grundlegende Prinzipien wie beispielsweise den Fetischcharakter der Ware, auch weil sie "die Möglichkeit gezielter Gegenstrategien" (40) eröffnet.

Hammers Lektüre Louis Althussers verdeutlicht die Funktion von Ideologie hinsichtlich der freiwilligen Unterwerfung der Subjekte, kritisiert aber auch seine allzu enge Anlehnung an Marxsche Kategorien des Klassenkampfes. Während sich Althusser nicht auf die Ereignisse im Mai 1968 einlassen wollte, fände sich bei Antonio Negri "das Zutrauen in die Maßlosigkeit geteilter Begierden" (62). Die Trennung zwischen Multitude und dem ausschließlich repressiv gedachten Empire erinnere jedoch auch an die "massenmobilisierende Funktion marxistischer Teleologie" (92).

Gegen diese Art des binären Denkens stünden Judith Butler und Donna Haraway. Butler theoretisiere die performative Konstitution des geschlechtlichen und begehrenden Körpers, die mit gewaltvollen Ausschlusspraxen verbunden sei. Damit eröffne sich eine Politik der "Vervielfältigung, Verwirrung, Umdeutung, ein Ringen um die Macht" (98), die vorläufige, queere Identitäten entstehen lasse. Haraway betone das mannigfaltige Auflösen von Grenzen, das die Herausbildung von Koalitionen ermögliche, die sich nicht auf Grund von gemeinsamen Identitäten oder Feinden bildeten.

Wie kann ein anerkennendes Nebeneinander gelingen?

Ein Anliegen Hammers ist die Auseinandersetzung mit Kritischer Theorie, denn die "Versuche, kritische Theorie und Poststrukturalismus in einen ergänzenden Austausch zu bringen, führen in linksradikalen Gruppen zu Brüchen" (26). Es entsteht bei der Lektüre des Buches jedoch nicht der Eindruck, dass die Möglichkeiten eines anerkennenden Nebeneinanders erschöpfend untersucht worden sind. Hammer konzentriert sich auf die werttheoretische Schule und weist auf Leerstellen der Kritischen Theorie hin und hält es ansonsten mit Foucault: "Wo es Macht gibt, gibt es Widerstand."

Vor diesem theoretischen Hintergrund setzt sich Hammer mit kollektiven Widerstandspraktiken auseinander, die "ein lustvolles Erproben der Revolte vergegenwärtigen" (120) sollen. Vielfältige Beispiele zeigen, wie "Spielformen des ständigen Anlaufes auf ein neueres (wilderes) Leben" (ebd.) alltäglichen Widerstand jenseits eindeutig zu identifizierender Machtblöcke und Hauptwidersprüche möglich machen. Der Spaß am Widerstand und wiederholte, auch sprachliche Störungen und Durchkreuzungen stehen dabei im Vordergrund.

Wie dabei staatliche Gewalt lustvoll vorgeführt werden kann, zeigt Hammer u.a. am Beispiel der Kommune 1. Das von der Springer-Presse als Bombenanschlag gebrandmarkte Pudding-Attentat der Kommune 1 im April 1967 und das Auftreten von Rainer Langhans und Fritz Teufel in der Gerichtsverhandlung um ihr Kaufhaus-Flugblatt hätten die übliche Rollenverteilung gestört und staatliche Autoritäten lächerlich gemacht: "Ihre Bezüge auf dadaistische Spontaneität, ihre antiautoritären Proklamationen und exakten sprachlichen Interventionen entblößten das brutale Vorgehen des Staates" (122).

Ein besonderes Gewicht legt Hammer auf die Politiken der EZLN, denen sie "explizite Brüche mit bekannten Formen der Revolte" (145) bescheinigt. Das Konzept des "fragend vorwärts gehen" und die Partizipation heterogener AkteurInnen würden einen demokratischen Raum erschaffen, in dem nicht die Übernahme staatlicher Macht gefordert, sondern die kollektive Verweigerung des Bestehenden und seine Neukreation erprobt werden. Dabei stelle die EZLN keine kohärenten Konzepte zur Verfügung, sondern hebe die Pluralität von Kämpfen und Zielen hervor, ein Ansatz, der sich in der Diskurspolitik der EZLN zeige. Diese Mannigfaltigkeit stehe nach Hammer auch in der politischen Praxis der Zapatistas im Vordergrund.

Daneben berücksichtigt Hammer weitere Beispiele widerständiger Praxen, die auf die lustvolle Störung alltäglicher Situationen und hegemonialer Anordnungen aus sind. Indem sie Praktiken z.B. der neuen italienischen Linken und aus dem französischen Mai 1968 schildert, möchte sie in einer Situation der linken Defensive die Lust an der Verweigerung und einer Gegenkultur zu kapitalistischer Logik neu wecken - eine Gegenkultur, deren Herausforderung die Dekonstruktion herrschender Logiken und "das Wahrnehmen von Komplexität und Pluralität, das Finden von Alternativen zu vorgegebenen Alternativen" (162) ist.

Lust auf Gegenkultur - trotz defensiver Zeiten

Hammer leitet ihre LeserInnen vor allem in den Theoriekapiteln kaum durch ihren Gedankengang. Ihr Stil ist dicht und die unzähligen Passivkonstruktionen machen nicht immer deutlich, wer zitiert wird oder ob es Hammer ist, die spricht. Die Zusammenfassungen der Kapitel im Inhaltsverzeichnis sind mitunter hilfreich, um sich Hammers Gedankenschritte vor Augen zu führen. Dass Hammers sehr individueller Stil auch Stärken hat, zeigt sich, wenn sie neue, beschreibende Formulierungen findet. Insbesondere das Schlusskapitel versöhnt mit den Strapazen der Theorieteile und macht Lust, das Buch (nach dem ersten Schreck) ein weiteres Mal zu lesen. Für eine Auseinandersetzung mit alltäglichen Widerstandspraktiken ist es ein durchaus inspirierendes Buch.

Nina Mackert, Kathrin Ganz

Heide Hammer: Revolutionierung des Alltags. Auf der Spur kollektiver Widerstandspraktiken. Milena Verlag, Wien 2007. 176 Seiten, 17,90 EUR