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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 527 / 18.4.2008

Baustellen des Nation-Building

Eine Retrospektive des israelischen Kinos

Israelisches Kino ist in den letzten Jahren auf nahezu jedem Filmfestival vertreten. Viele der aktuellen Filme widmen sich einer Bestandsaufnahme vom Rand der gegenwärtigen israelischen Gesellschaft. Welche Themen das israelische Kino in den ersten 30 Jahren nach der Staatsgründung beschäftigten, kann man anlässlich des 60sten Jahrestags der Staatsgründung Israels in diesem Jahr in einer Filmreihe unter dem Titel "Im Aufbau. Israelisches Kino. Eine Retrospektive" entdecken, die Ende April im Berliner Zeughauskino startet und im Anschluss bundesweit zu sehen sein wird.

Das israelische Kino ist älter als der Staat Israel und entstand als eines der wenigen im Nahen Osten nicht unter kolonialen Bedingungen. Anders als etwa in Ägypten, war Kino im britischen Mandatsgebiet kein Machtinstrument kolonialer Herrschaft, sondern vor allem Mittel zur Selbstdarstellung der zionistischen Bewegung. Die Filme der Aufbauphase dienten dem Werben um Herzen und Köpfe von Jüdinnen und Juden in aller Welt. Nach der Staatsgründung Israels 1948 fiel dem Kino zunächst die Rolle zu, gemeinsame Bezugspunkte der jungen Gesellschaft im Film hervorzuheben. Die veränderten Bedingungen, die die vom deutschen Nationalsozialismus und den europäischen Faschismen ausgelösten Emigrationen mit sich gebracht hatten, brachten den zionistischen Konsens paradoxerweise ausgerechnet im Moment der Staatsgründung ins Wanken. Die unterschiedlichen Herkünfte der MigrantInnen machten ein Einschwören auf die gemeinsamen Grundgedanken nötig.

Vor allem Erzählungen meist männlichen Heldentums aus dem direkten Umfeld der Staatsgründung wurden Ausgangspunkt nationaler Mythen. Thorold Dickinsons patriotischer "Hill 24 Doesn't Answer" ist ein klassischer Vertreter solcher Filme und ihrer Versuche, aus der geteilten Erfahrung der Vergangenheit ein gemeinsames Interesse in der Zukunft abzuleiten. Vor der Rahmenhandlung der letzten Stunden des Unabhängigkeitskrieges erzählt Dickinson die individuelle Geschichte seiner Protagonisten. In seiner Verbindung der individuellen Vorgeschichten mit dem aktuellen Konflikt mit den arabischen Nachbarn verdeutlicht der Film die Alternativlosigkeit jüdischer Existenz in Israel. Zugleich verweist das Englisch der Dialoge darauf, dass die israelische Gesellschaft noch im Entstehen begriffen ist.

Anfangsjahre: Suche nach einer israelischen Identität

Bis in die frühen 1960er Jahre widmete sich das israelische Kino den Erzählungen vom Aufbau einer neuen Gesellschaft und dem Werben um Unterstützung für den neuen Staat. Mitte der 1960er Jahre beginnen Teile der israelischen FilmemacherInnen, sich dem Alltag zuzuwenden wie in Uri Zohars "Loch im Mond" oder Ephraim Kishons Satire "Blaumilchkanal". Gerade die Begleiterscheinungen des Aufbaus werden in diesen Filmen Ziel ironischer Attacken. So nimmt Kishons Film die bürokratischen Unübersichtlichkeit eines von Baustellen übersäten Landes zum Ausgangspunkt seines Films, während Zohar zwei emporstrebende Saftverkäufer zu seinen Protagonisten macht.

Mit dem Blick auf die Gegenwart gerieten allmählich auch die unterschiedlichen Vorgeschichten der orientalischen Sephardim und der europäischen Ashkenazim in den Blick. Erstaunlicherweise ist ausgerechnet das Regiedebüt des späteren Explosionschoreographen Menahem Golan "Eldorado" ein frühes Beispiel dieser Auseinandersetzung. Während Golans Film jedoch eher ein Dokument für die später zum Stereotyp erstarrende Darstellung der Sephardim ist, spürt Nissim Dayan in "Or Min HaHefker" (Licht aus dem Nichts) dem alltäglichen Leben in Tel Avivs Armenviertel nach.

1973, im selben Jahr wie "Or Min HaHefker", beginnt Assi Dayan, Sohn von Israels bis heute legendärstem Armeechef Moshe Dayan, Filme zu drehen. Er ist für den Film in Israel bis heute eine der wichtigsten Figuren geblieben. Dayans "Haflon Hill Doesn't Answer", der die ironische Anspielung auf "Hill 24 Doesn't Answer" schon im Titel klarmacht, ist Ausdruck eines gewandelten Selbstverständnisses des israelischen Kinos. Statt Objekt der Anbetung ist die Armee im Film zunehmend ein Teil israelischer Alltagskultur geworden, geeignet, den Hintergrund für leichte Komödien abzugeben. Dayans Zusammenarbeit mit der Comedy-Gruppe HaGashash Hahiver markiert zugleich die Wende hin zum Autorenfilm, den neben Dayan vor allem Amos Guttman in Filmen wie "Hessed Mufla" (Amazing Grace) und "Himmo Melech Yerushalaim" (Himmo, King of Jerusalem) mitprägte.

Am Beispiel des Armeefilms lässt sich die weitere Entwicklung des israelischen Kinos beispielhaft ablesen: während Nadav Levitans Film "Banot" (Mädchen), 1985 nach einem Drehbuch Dayans entstanden, eine eher harmlose Komödie um Frauen in der Armee ist, entwickelten Dalia Hager und Vardit Bilu in "Karov LaBayit" (Close to Home) aus dem gleichen Kontext eine komplexe Situationsbeschreibung, in der der Armeedienst vor allem Gelegenheit zur Emanzipation von der eigenen Familie bietet. Mit "HaHesde " (Time of Favor) und "Beaufort" kreisen auch zwei Filme Joseph Cedars um das Thema Armee. Vor allem Cedars letztem Film "Beaufort" gelingt es, auf ansprechende Weise Frust und Notwendigkeit des Armeedienstes zu illustrieren.

Neben dem Kino Chinas und Südkoreas dürfte Israel derzeit eine der lebendigsten Kinematografien aufweisen. Die ersten 30 Jahre israelisches Kino, die zugleich die Zeit vor der verhältnismäßig späten Einführung des Fernsehens in Israel darstellen, geben dem Blick auf die zeitgenössischen Filme eine Geschichte und bieten Gelegenheit, einigen Entwicklungslinien des israelischen Kinos nachzuspüren.

Fabian Tietke

Die von Ralf Dittrich kuratierte Reihe "Im Aufbau. Israelisches Kino. Eine Retrospektive" mit 12 Filmen startet am 29. April im Zeughauskino Berlin. Danach ist die Reihe im Juni in der Kinemathek Hamburg (Kino Metropolis) zu sehen, im August im Filmtheater Schauburg in Dresden, danach im Deutschen Filmmuseum (Frankfurt am Main) und im September im Filmmuseum München zu sehen sein, um im November ein letztes Mal in der Bonner Kinemathek zu laufen. Näheres zu der Reihe und den einzelnen Filmen unter: www.zeughauskino.de