Natur ist Mehr.Wert
Mit weitaus weniger Aufmerksamkeit bedacht als das Gipfelgroßereignis G8 im vergangenen Jahr, gibt es in Deutschland erneut eine international bedeutsame Konferenz. Drei Wochen, vom 12. bis zum 30. Mai, werden in Bonn Regierungen, Industrie, Forschungsinstitute und AktivistInnen sozialer Bewegungen und NGOs für die Konferenz der Mitgliedsstaaten des Cartagena-Protokolls über Biosicherheit (MOP 4) und die Konferenz der rund 190 Vertragsstaaten der UN-Konvention für biologische Vielfalt (COP 9) zusammen kommen. Auf der Tagesordnung stehen die Aussaat genetisch veränderter Organismen und die sogenannte Terminatortechnologie (= steriles Saatgut), die Ausweitungen von Naturschutzgebieten, der Erhalt der wilden biologischen Pflanzenvielfalt und der Agrarbiodiversität, Agrotreibstoffe und die Umsetzung der Konvention für biologische Vielfalt (CBD).
Euphemistisch "Naturschutzkonferenz" genannt, sind MOP 4 und COP 9 Austragungsort für den Streit um die Regulierung und Kommerzialisierung der biologischen Pflanzenvielfalt. Der Begriff "pflanzengenetische Ressourcen" zeugt von veränderten gesellschaftlichen Naturverhältnissen. Er verweist auf die Begehrlichkeiten von Saatgut-, Kosmetik- und Pharmakonzernen sowie Forschungseinrichtungen, die sich vom "Schürfen in der biologischen Artenvielfalt" der biodiversitätsreichen Länder des Südens Traumgewinne versprechen.
Dabei treffen AkteurInnen aufeinander, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Konzerne und Forschungsinstitute des Nordens sind auf ihrer Suche nach neuen Profitquellen auf das über Generationen frei weitergegebene Wissen über wildwachsende Pflanzen von indigenen und kleinbäuerlichen Gemeinschaften angewiesen. Der abgeschöpfte Wissensfundus bildet die Voraussetzung für die Kommerzialisierung und (via Patentbestimmungen) Privatisierung genetischen Pflanzenmaterials zur Herstellung neuer Produkte. Ein Vorgang, den kritische AktivistInnen und NGOs als "Biopiraterie" bezeichnen und gegen den sie seit Jahren mobilisieren.
Doch nicht nur indigene und kleinbäuerliche Gemeinschaften sind von diesen Vorgängen betroffen. Der dramatische Verlust der Agrarbiodiversität, ausgelöst durch die von der grünen und industriellen Revolution vorangetriebene Sortenmonotonie, verschärft sich, wenn Saatgutmärkte monopolisiert und genetisch manipulierte Sorten ausgebracht werden. Das bedroht die Ernährungssouveränität der gesamten Menschheit. Die aktuellen Proteste in Ländern des Südens gegen steigende Preise bei den Grundnahrungsmitteln, die z.T. auf die Ausweitung der Anbauflächen für Biokraftstoffe zurückgehen, geben einen ersten Eindruck von den Kämpfen und Revolten um Brot, die sich in den nächsten Jahren verschärfen werden.
Also auf nach Bonn zur Blockade der Konferenzen? Ganz so einfach verhält es sich nicht. Die CBD hat mit ihren Artikeln zur Anerkennung indigener und kleinbäuerlicher Rechte und Ansprüche auf Konsultation und Gewinnbeteiligung bei der Suche und Entwicklung neuer Produkte Hoffnungen bei den Betroffenen geweckt.
Zugleich verknüpft die CBD als erstes Naturschutzabkommen überhaupt den Aspekt des Schutzes von Natur mit dem ihrer kommerziellen Nutzung. Zudem ist die Tendenz unverkennbar, dass die mächtigen AkteurInnen der Biodiversitätspolitik die bisher relativ offene Verhandlungsarena der CBD für ihre KritikerInnen schließen wollen.
Also auf nach Bonn - für die Vernetzung, Teilnahme und Einmischung in die Konferenz und um die dort verhandelten Themen öffentlich zu machen. Und natürlich, um - im Konferenzsaal und auf der Straße - für die Unpatentierbarkeit von Biodiversität, den freien Wissenstransfer und alternative Entwicklungsmodelle zu streiten, die dem vorherrschenden Agrarexportmodell eine klare Absage erteilen.
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