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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 528 / 23.5.2008

Revolten sichtbar machen

Frühe revolutionäre Kämpfe beiderseits des Atlantik

Die Historiker Peter Linebaugh und Marcus Rediker haben die Verbindungslinien zwischen den antikapitalistischen Bewegungen der frühen Neuzeit nachgezeichnet - von Irland bis zur Karibik. Ihre Studie der "verborgenen Geschichte des revolutionären Atlantiks" zwischen 1600 und den 1830er Jahren, "Die vielköpfige Hydra", bereitet literarisch Freude und lädt zum Umdenken ein.

Einem Hinweis Marcel van der Lindens folgend, lässt sich die Entwicklung der Arbeitsgeschichte während der letzten fünfzig Jahre an zwei Einschnitten verdeutlichen. Die Veröffentlichung von E. P. Thompsons "Entstehung der englischen Arbeiterklasse" (1963) markiert den Übergang von einer an den Organisationen der Arbeiterbewegung orientierten Geschichtsschreibung zum Versuch, die sozialen und politischen Umwälzungen der Neuzeit aus der Alltagsgeschichte der Unterklassen heraus zu begreifen. Etwa 30 Jahre später gelingt der Ausbruch aus dem auch von Thompson nicht hinterfragten Rahmen des "methodologischen Nationalismus"; d. h. die Einsicht setzt sich durch, dass dem Untersuchungsgegenstand der Arbeitsgeschichte nur durch einen weltumspannenden Blick gerecht zu werden ist.

"Die vielköpfige Hydra" ist sowohl Geschichte von unten im Sinne Thompsons als auch der gelungene Versuch, die vielfältigen Verbindungslinien sichtbar zu machen, die etwa zwischen der englischen Revolution von 1640-1660, den Revolten der Plantagenarbeiter von Virginia 1663-1676, dem gescheiterten Aufstandsversuch der New Yorker Unterklassen 1741 und dem haitianischen Sklavenaufstand 1791-1804 verlaufen. Ausgehend von der gewaltsamen Auflösung der Allmende (dem Gemeineigentum an Weide und Wald; Anm. ak) im vorindustriellen England, beschreiben Linebaugh und Rediker die Ausbreitung des britischen Kapitalismus durch Überseehandel, Plantagenwirtschaft und Krieg, vor allem aber den vielfältigen Widerstand der enteigneten, versklavten, in Schuldknechtschaft zum Militär oder zur See gepressten Unterklassen auf beiden Seiten des Atlantiks. Den Vordenkern des Britischen Empire erschien dieses multiethnische Proletariat als eine "vielköpfige Hydra", der für jeden abgeschlagenen Kopf zwei neue nachwüchsen. Das Ungeheuer zu besiegen, bedürfe es der List und der übermenschlichen Kraft eines Herkules.

Exemplarisch für den transnationalen Charakter der von Linebaugh und Rediker beschriebenen Bewegungen sind Figuren wie der 1762 auf Jamaika geborene Robert Wedderburn. Er war Zeit seines Lebens auf beiden Seiten des Atlantiks aktiv. Selbst Sohn einer Sklavin, unterstützte er praktisch und publizistisch die Aufstände in der Karibik, aber auch die frühen Organisationsansätze der Londoner Arbeiterklasse. Als Mitglied der methodistischen Kirche gab er, wie viele vor und nach ihm, der christlichen Lehre eine sozialrevolutionäre Wendung. Damit verband er, über Jahrhunderte und Kontinente hinweg, die kommunistische Programmatik des frühen Christentums mit dem Widerstand der Sklaven und Schuldknechte in den zwei Amerikas, aber auch mit den frühsozialistischen Konzepten europäischer Handwerker und Fabrikarbeiter.

Linebaugh und Rediker ist angelastet worden, sie würden Teile des von ihnen beschriebenen transatlantischen Proletariats - etwa die Piraten des 18. Jahrhunderts, die sich teilweise am Sklavenhandel beteiligten - allzu wohlwollend darstellen. Einige wenige Abschnitte des Buches sind, nicht zuletzt aufgrund der schlechten Quellenlage, von recht spekulativem Charakter. Doch erstens sind Ausmaß und Virulenz des von den Autoren beschriebenen Widerstands kaum in Frage zu stellen. Zweitens sind insbesondere die zahlreichen Darstellungen von Einzelpersonen wie Wedderburn nicht nur liebevoll, sondern auch gründlich und überzeugend.

Um ihren Stil haben sich Linebaugh und Rediker sichtlich mehr Gedanken gemacht, als hierzulande in wissenschaftlichen Kreisen üblich. Die Sprache des Buches ist nicht allein verständlich, sondern auch schön. Die Lektüre bereitet nicht zuletzt literarisch Freude. Ihre Befunde einer breiten Leserschaft zugänglich zu machen, ist Linebaugh und Rediker ein politisches Anliegen. "Die vielköpfige Hydra" ist im Dialog mit AutorInnen entstanden, denen die politische Praxis nicht fremd ist - von dem französischen Ökonomen und Migrationsforscher Yann Moulier Boutang über das US-amerikanische Midnight Notes Collective bis zu Mumia Abu-Jamal. (An die "intensiven Diskussionen" mit ihm im Besuchsraum des SCI-Greene-Gefängnisses erinnert sich Rediker in der Danksagung des Buches.)

Die englische Ausgabe erschien bereits 2000 und wurde mit dem International Labor History Award ausgezeichnet. Die Diskussion um die Thesen von Linebaugh und Rediker ist in der englischsprachigen Welt nicht auf die Periodika der Arbeitsgeschichte beschränkt geblieben, sondern beispielsweise auch in den Spalten der Washington Post und der New York Review of Books ausgetragen worden. Bereits Anfang der 1980er Jahre, als Linebaugh das Forschungsprojekt in der Zeitschrift Labour/Le Travail vorstellte, kam es zu teils kontroversen Auseinandersetzungen um die Konsequenzen des in der "Hydra" verfolgten Ansatzes etwa für den Klassenbegriff. Mit der jetzt vorliegenden, von Sabine Bartel mit großer Sorgfalt besorgten deutschen Übersetzung hat der Verlag Assoziation A erneut sein Gespür für Titel bewiesen, die für ein angemessenes Verständnis der Geschichte und Aktualität antikapitalistischer Bewegungen unerlässlich sind.

Max Henninger

Peter Linebaugh und Marcus Rediker: Die vielköpfige Hydra. Die verborgene Geschichte des revolutionären Atlantiks. Aus dem Englischen von Sabine Bartel. Assoziation A, Berlin und Hamburg 2008, 432 Seiten, 28 EUR