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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 528 / 23.5.2008

Aufgeblättert

Der SDS und seine ErbInnen

Stand 1968 lange Zeit für Demokratisierung und gesellschaftlichen Fortschritt, lässt sich heute eine Diskursverschiebung beobachten, in der Gestalten wie Götz Aly meinen, eine Parallele zwischen 1933 und 1968 zu entdecken, und der 68er-Bewegung so jeden Impuls für gesellschaftliche Veränderungen absprechen. (vgl. ak 527) Der vom Studierendenverband LINKE.SDS (vgl. ak 518) Anfang Mai organisierte Kongress "40 Jahre 1968" (www.1968kongress.de) hatte zum Ziel, sich "diesem Geschichtsrevisionismus entgegen(zu)stellen" und zugleich darüber zu diskutieren, "welche Erfahrungen wir für unsere heutigen Auseinandersetzungen fruchtbar machen können". Im Vorfeld widmete die Monatszeitung Sozialismus ihr Supplement dem Kongress. Florian Butello, Philipp Kufferath und Jan Schalauske, alle drei Mitglieder des neuen Hochschulverbands LINKE.SDS, legen darin ihre Sicht auf den Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) dar. Des weiteren finden sich einige Nachdrucke alter Flugblätter, Beschlüsse und Stellungnahmen, die Debatten und Argumentationen der damaligen Zeit widerspiegeln. So kann man die Dutschke-Habermas-Debatte um Hochschule und Demokratie von 1967 noch einmal nachlesen, die Schlusserklärung der Internationalen Vietnam-Konferenz im Februar 1968 und Helke Sanders Rede für den "Aktionsrat zur Befreiung der Frau", in der sie die männliche Dominanz im SDS angriff. Zentral ist jedoch die Einschätzung der LINKE.SDS-Autoren. Sie stellen nicht nur den historischen Ablauf dar, sondern versuchen auch eine Einschätzung des SDS aus heutiger Sicht. Dabei betonen sie die antikapitalistische Ausrichtung des Verbandes seit Anfang der 1960er Jahre und die strategische Orientierung auf den "Aufbau von Gegenstrukturen", um die gesellschaftliche Mehrheit zu erlangen. Kritik wird nur verhalten geäußert. Die Analyse der aktuellen Bedingungen für eine linke studentische Organisation an den Hochschulen fällt auf den letzten zwei Seiten leider arg knapp aus.

Jonas Füllner

Florian Butello, Philipp Kufferath, Jan Schalauske: 40 Jahre 1968. Die Rolle des SDS. Supplement der Zeitschrift Sozialismus Nr. 3/2008. Einzelexemplare über www.vsa-verlag.de

Befreiung der Tiere

"Tiere" und erst recht "Natur" sind für viele Linke und Ex-Linke unheilvolle Reizwörter. Allerdings wurde es ihnen auch nicht gerade schwer gemacht, jegliche Kritik der Barbarei in den Schlachthäusern und des instrumentellen Umgangs mit der Natur zu diffamieren, die - richtig formuliert - eine politische Sprengkraft besitzt, wie sie einer kritischen Theorie der Gesellschaft innewohnt. Wer von dem Sammelband "Das steinerne Herz der Unendlichkeit erweichen - Beiträge zu einer kritischen Theorie für die Befreiung der Tiere" erwartet, dass die ollen Ethik-Kamellen wiedergekäut werden, täuscht sich. Die AutorInnen plädieren vielmehr dafür, das Verhältnis der Menschen zu Tieren und zur Natur aus dem inneren Zusammenhang von Natur-, Gesellschafts- und Denkformen heraus zu verstehen, dessen Darstellung mit der Kritik der politischen Ökonomie begonnen hat und von der Frankfurter Schule fortgesetzt wurde. Und auch wenn Natur und Tiere in Marx' Werk nur als verfügbares und verdinglichtes Material behandelt werden, liegt das nicht daran, dass man das gesellschaftliche Verhältnis zu ihnen nicht mit seiner Analyse erfassen könnte, sondern am Gegenstand seiner Untersuchung selbst. Dieser verleiht Tieren den Charakter von Waren und Werkzeugen - nicht Marx. Michael Sommer und Marco Maurizi weisen dies nach. Dass dieses gewaltförmige Verhältnis fortbesteht, hat seinen Grund in der Dialektik der Naturbeherrschung. Tiere werden z.B. zusammen mit menschlichen Bedürfnissen einem Fortschritt geopfert, der keiner ist. Das Eingedenken dieser für die Zivilisationsgeschichte konstitutiven Dialektik mache laut Marcus Hawel die Befreiung der Tiere zur Bedingung für die Befreiung der menschlichen Gesellschaft. So fragmentarisch die Beiträge zu einer kritischen Theorie für die Befreiung der Tiere noch sein mögen - der Band formuliert starke Argumente gegen die in der Linken vorherrschende Haltung, sich dem Thema zu verweigern.

Christian Stache

Susann Witt-Stahl (Hg.): Das steinerne Herz der Unendlichkeit erweichen - Beiträge zu einer kritischen Theorie für die Befreiung der Tiere. Alibri Verlag, Aschaffenburg 2007, 380 Seiten, 22 EUR

Guantanamo auf griechisch

"Wenige Zeilen, ein undeutliches Bild des Verhörzimmers im Krankenhaus, Erinnerungen, die ein blasses Licht werfen und vielleicht einige der dort erlebten außergewöhnlichen Geschehnisse einprägen, so wie die Wunden in meinen Körper geprägt sind." Mit diesen Worten beginnt Savvas Xiros seine Aufzeichnungen über sein Martyrium, das nur unzureichend durch die harten Fakten seiner Folterhaft umrissen werden kann: ein 65-tägiger Aufenthalt auf der Intensivstation eines Athener Krankenhauses, schwer verletzt und an Händen und Füssen gefesselt, unter dem Einfluss starker Psychopharmaka der intensiven Befragung griechischer Sicherheitskräfte ausgesetzt. Die griechische Polizei ließ nichts unversucht, um dem Militanten der griechischen Stadtguerilla Revolutionäre Organisation 17. November (17N) Informationen abzupressen. Beim Versuch, einen leer stehenden Verkaufskiosk einer Schifffahrtsgesellschaft in die Luft zu sprengen, war ihm am 29. Juni 2002 ein Sprengsatz in den Händen explodiert. Savvas Xiros verlor drei Finger der rechten Hand. Er ist fast blind und taub. Die durch die Explosion und durch die Behandlung der Untersuchungsbehörden erlittenen Schäden sind schwerster Art. Er leidet unter Atemproblemen, Gleichgewichtsstörungen, Schäden des Nervensystems und den Nachwirkungen innerer Verletzungen. Der zu fünf Mal lebenslänglich Verurteilte sitzt heute immer noch unter Isolationsbedingungen im Knast. "Extreme Erfahrungen", so fährt Savvas Xiros weiter, "die niemals durch das Lesen eines Buches begriffen werden können ..." Und in der Tat wird niemand das Ausmaß der Brutalität und Barbarei ermessen können, das in diesen 65 Tagen in einem Krankenhaus mitten in Athen herrschte. Es ist nicht zuletzt der einfühlsamen Übersetzung von Heike Schrader zu verdanken, dass dieses Buch einen Einblick in diese Hölle vermittelt. Dass Dienste und Staatsschutz illegale Mittel anwenden, wenn es ihnen angeraten scheint, ist hinlänglich bekannt. Was Savvas Xiros widerfahren ist, markiert allerdings eine Wende - und diesmal nicht im fernen Guantanamo, Abu Ghraib oder wo auch immer außerhalb der westlich-abendländisch geprägten Staatenwelt: die Abschaffung jeglichen gesetzlichen Schutzes vor staatlicher Willkür, Inhaftierung ohne gerichtliche Überprüfung und Folter. Oder kurzgefasst: Guantanamo auf griechisch.

mb.

Savvas Xiros: Guantanamo auf griechisch. Zeitgenössische Folter im Rechtsstaat. Pahl-Rugenstein-Verlag, Bonn 2007. 130 Seiten, 13,90 EUR