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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 528 / 23.5.2008

Instrument und Plattform zugleich

Einige Überlegungen zu Sinn und Zweck der Interventionistischen Linken

Nach der öffentlichen Auftaktveranstaltung am Freitagabend begann die 2. Offene Arbeitskonferenz der Interventionistischen Linken (IL) so richtig erst am Samstagvormittag. Auftakt war eine Plenumsveranstaltung, auf der das Projekt IL in all seiner Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit den Teilnehmenden der Konferenz etwas näher gebracht werden sollte. Wir dokumentieren hier den Input von Werner Rätz - der neben einer Genossin von Avanti und einem Genossen der Organisierten Autonomie Nürnberg zu der Frage Stellung nahm "Was will ich in und wohin will ich mit der IL?".

Ich finde es gut und angemessen, dass die eigentliche Eröffnung der Offenen Arbeitskonferenz der IL nicht mit einem Referat geschieht, in dem "die politische Lage und die Aufgabe der KommunistInnen" erklärt wird. Ein solcher Vortrag würde eine Sprechposition voraussetzen, die sich selbst im Besitz einer mehr oder weniger korrekten Einsicht wähnt. Eine solche kann ich mir gar nicht vorstellen, denn in meiner Sicht ist unhintergehbarer Ausgangspunkt jeglicher emanzipatorischer Politik heute, dass keine linke Strömung "Recht" hat.

Konnte man das vorher schon ahnen, so ist im Epochenbruch 1989/90 und den nachfolgenden Entwicklungen endgültig deutlich geworden, dass sich die drei großen historischen Wege zur Befreiung nicht bewährt hatten. Die revolutionäre Eroberung der Macht zu welchem Zweck auch immer, zur Übernahme des Staatsapparates, zu seiner Umgestaltung oder seiner mehr oder weniger schnellen Abschaffung war ebenso an ihr historisches Ende gekommen wie vorher schon die reformerische Einführung des Sozialismus in kleinen Schritten. Und in wenigen Jahren blamierten sich auch die letzten Hoffnungen auf Nationale Befreiung, wie sie von vielen bewaffneten Bewegungen des Südens getragen worden waren.

Wenn die Erfolglosigkeit jeder linken und linksradikalen Praxis - gemessen am revolutionären Ziel - so offensichtlich ist, dann hat man nicht nur Pech gehabt oder der Gegner war gerade mal stärker oder es ist sonst etwas nicht so ganz Grundlegendes passiert, sondern dann müssen die Akteure auch subjektiv etwas falsch gemacht haben. Und diese Fehler liegen nicht vorrangig darin, dass wir noch nicht gut genug hingeschaut, nicht genau genug analysiert, nicht lange genug nachgedacht und miteinander diskutiert haben - das alles haben wir tatsächlich zu wenig getan. Aber der zentrale Punkt ist, dass sich komplexe Verhältnisse systematisch gar nicht von einem einzigen Standpunkt aus völlig verstehen und erkennen lassen. Wir sind auf die Unterschiedlichkeit der Herangehensweisen und Standpunkte geradezu angewiesen, um uns der Vielschichtigkeit der Wirklichkeit nähern zu können.

Ich glaube, dass einer der zentralen Fehler linker politischer Praxis genau in der Vorstellung bestand, wenn man sich nur genügend anstrenge, die Regeln des historischen und dialektischen Materialismus oder was auch immer nur genau genug anwende, wenn man die Analysen beziehungsweise die Fehler der Vorgänger nur genau genug studiere, dann könne und werde man Recht haben. Damit begreifen wir uns als Vorhut, als Avantgarde, die heute schon so ist - oder doch, wenn sie ihre subjektiven Fehler ablegt, so sein könnte - wie die Anderen erst werden sollen. Wer so herangeht, muss auf sich selber schauen, seine Stärken entwickeln und seine Schwächen beseitigen, muss selbst immer besser analysieren, begreifen, aber auch sich besser darstellen und überzeugend präsentieren. Wir wissen alle, dass, wo das nicht klappt, dann auch schon mal ein wenig retouchiert und schöngeredet wird, und damit schon ist der ganze schöne Anspruch hohl.

Es geht nicht darum, zu zeigen, dass wir Recht haben

Ich finde es natürlich nicht falsch, die eigenen Stärken und Schwächen zu bearbeiten. Aber der Anspruch, alles richtig zu machen, kann nicht gelingen. Jede politische Strömung, jede Organisation kann höchstens an dem einen oder anderen Punkt der Einsicht anderer voraus sein. Ein umfassender Avantgardeanspruch ist nicht einlösbar. Statt ausschließlich oder auch nur vorrangig auf sich selbst zu schauen, halte ich es für richtig, den Blick auf die Risse im hegemonialen Block zu richten und zu überlegen, wie man diese vertiefen kann.

Ich will das an einem Beispiel aus meiner eigenen Praxis erläutern. Attac ist sicher keine revolutionäre Organisation und es war auch von Anfang an klar, dass sie das nicht sein und nicht werden würde. Am Ende der 1990er Jahr gab es zwar durchaus Zweifel daran, ob denn die herrschende politische Ordnung das Nonplusultra gesellschaftlicher Zustände darstelle, aber in der bürgerlich-liberalen Öffentlichkeit herrschte die allgemeine Überzeugung vor, es gebe dazu ja doch keine Alternative. Und die Linke , erst recht die radikale Linke, war völlig marginalisiert und unbeachtet. In dieser Situation schuf attac der Gegenseite ein Problem, weil es gelang, mit der Forderung nach der Tobinsteuer zu zeigen, dass man sehr wohl etwas anders machen könnte, wenn man denn wollte. Diese Forderung war beileibe keine revolutionäre, aber sie war geeignet, die TINA-Blockade zu lösen. Heute ist es weniger diese Forderung und auch meist nicht mehr attac, die im damit entstanden Raum Politik machen.

Der Zweck des politischen Agierens, der Intervention in die gesellschaftlichen Verhältnisse, besteht also nicht darin, zu zeigen, dass wir alles richtig begreifen und Recht haben, sondern darin, dass Andere ihre eigenen Widersprüche bemerken und ausdrücken können. Das kann in der Aktion geschehen, indem Handlungsmöglichkeiten sichtbar werden, um die Verhältnisse in Frage zu stellen oder anzugreifen. So ist das beispielhaft, ja eigentlich sogar vorbildlich mit dem Block-G8-Konzept gelungen, das es sehr vielen ermöglicht hat, mitzumachen und Formen zu finden, um die eigenen Anliegen und Absichten auszudrücken. Das kann aber auch durch das Setzen von Diskursen geschehen, wie es beispielsweise gerade mit der Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen der Fall ist. Das war mal ein linker Diskurs, er ist es aktuell nicht mehr, aber dennoch ist das ein zentraler Punkt, an dem die gesamte Funktionslogik des globalisierten Kapitalismus in Frage gestellt wird. Die besagt ja, dass aller Mehrwert in Kapital und neue (Finanz)Investitionen zu verwandeln sei. Wenn da immer mehr Menschen daherkommen und sagen, nein, ich will einen Anteil von diesem Reichtum haben, und zwar einen nicht ganz so kleinen, dann stört das die Abläufe. Ob es sie auch tatsächlich verändert, ist damit natürlich noch nicht gesagt und es ist nötig und richtig, dass die Linke - z. B. mit der Idee der globalen sozialen Rechte - sich in diese Debatte einmischt.

Die Interventionistische Linke ist dazu Instrument und Plattform gleichzeitig.

Plattform ist sie insoweit, als sie der Ort ist, an dem unterschiedliche Ansätze, Verständnisse, Erfahrungen, Organisationsformen systematisch zusammenkommen. Damit tragen wir dem Umstand Rechnung, dass niemand, kein Individuum und keine politische Organisation, alleine die Verhältnisse richtig verstehen und eine angemessene Praxis definieren kann. Dafür sind wir aufeinander angewiesen. Auch wenn viele von uns andere Positionen als die eigenen erst mal eher für falsch als nur für anders halten mögen, so ist doch sicher, dass auch in den eigenen Ansichten und Analysen Fehler stecken. Der regelmäßige und solidarische Austausch darüber scheint mir eine Form, in der wir uns einem halbwegs zutreffenden Verständnis der Wirklichkeit nähern können. In einer Welt, in der politische Phänomene mehrdeutig und vielfach gebrochen sind, wird es üblicherweise mehr als eine Sichtweise darauf und mehr als eine einzige mögliche Praxis geben.

Diese miteinander zu vermitteln und aufeinander abzustimmen kann und sollte in der IL geschehen. Dazu bedarf es dann mehr als einer Plattform. Jede konkrete Intervention braucht konkrete und zuverlässige Vereinbarungen. Und insoweit ist die IL ein Instrument dieser Interventionen. Es müssen nicht immer alle an allem beteiligt sein, aber alles, was geschieht, muss verbindlich verabredet und organisiert und in gemeinsamer Verantwortung der Beteiligten durchgeführt werden.

Die Vielfalt von Sichtweisen und Praxen anerkennen

Das verlangt von denen, die ein gemeinsames Projekt angehen, dass sie sich ehrlich und ohne Vorbehalt aufeinander einlassen. Solche Praxis ist mehr als ein Bündnis, aus dem man jederzeit wieder aussteigen kann. Es ist der Versuch, nicht nur Vertrauen untereinander aufzubauen, sondern auch gemeinsame Erfahrungen zu schaffen und unsere Weltsichten einander ein wenig anzunähern. Gleichzeitig verlangt es von denen, die nicht unmittelbar beteiligt sind, dass sie die Anderen etwas machen lassen, was sie selbst nicht tun würden - und zwar nicht deshalb nicht, weil sie gerade mal keine Zeit dazu haben, sondern weil sie einen durchaus anderen Ansatz verfolgen. Insofern ist es der Versuch, unsere verschiedenen politischen Verständnisse auch praktisch als berechtigt anzuerkennen.

Die wesentliche Verbindlichkeit des politischen Projekts Interventionistische Linke müsste also darin bestehen, dass wir uns alle zu dieser Offenheit bekennen. Wir wissen je von uns selbst, dass wir nicht alleine Recht haben, dass in unseren Analysen Richtiges und Fehler enthalten sind. Auf dieser Basis öffnet sich dann auch ein Raum, in dem es eine Chance dafür gibt, dass tatsächlich mehr und weitergehendere Verbindlichkeiten entstehen können.

Werner Rätz