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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 528 / 23.5.2008

Das schlaflose Glück der Produktivität

"SPEED" beleuchtet die unterschiedlichen Hintergründe der Droge

Amphetamine hatten im Laufe der Zeit viele prominente NutzerInnen. Sowohl Schriftsteller, Musiker als auch Diktatoren fanden im 20. Jahrhundert ihren Gefallen an der chemischen Droge. Und auch heute gibt es noch zahlreiche AnhängerInnen des Aufputschmittels. Seine vielseitige Geschichte wird nun in ausführlicher Weise mit zahlreichen Nahaufnahmen des Gebrauchs erzählt.

Mit einer detailreichen Beschreibung der Einnahme des weißen Pulvers und der allmählichen einsetzenden Wirkung beginnt das Buch. Und auch im weiteren Verlauf geht es in Hans Christian Dany's "SPEED. Eine Gesellschaft auf Droge" um den Konsum, die Verwertung und die Anwendungsgebiete des Amphetamins, das - wie sich beim Lesen herausstellt - auf die modernen Leistungserfordernisse des 20. Jahrhunderts passgenau zurecht geschnitten scheint. An kurzfristige Lese- und Konzentrationsphasen der Leserschaft angepasst ist auch die Machart des Textes: In lose aneinander gereihten, kurzen Abschnitten erzählt Hans-Christian Dany die verschiedenen Aspekte der Erfolgsgeschichte von Speed. Dabei erfährt man Details über die "Erfindung" der synthetischen Droge im ausgehenden 19. Jahrhundert, ihre ersten Einsatzgebiete durch die Pharmaindustrie, das Interesse der psychiatrischen Forschung an den bewusstseinserweiternden Effekten der Glücksdroge, ihre Eignung als Stimulans bei der deutschen Wehrmacht oder die gescheiterten Experimente des CIA, Speed als Wahrheitsdroge beim Verhör einzusetzen.

Eingewirkt in den größeren entwicklungsgeschichtlichen Rahmen widmet sich der Autor in teilweise überraschender Nahsicht verschiedenen Einzelschicksalen. Während die 16-jährige Judy Garland Amphetamine schluckte, weil es die Mädchenrolle in "The Wizzard of Oz" verlangte, die fraulichen Veränderungen ihres Körpers zu unterdrücken, konsumierten Sartre, Kerouac oder Philip Kindred Dick, um in den nötigen Schreibtakt zu geraten und dabei ihre Produktivkraft aufs höchste Level zu schrauben. Treffend formuliert die Lebensgefährtin des französischen Existenzialisten Simone de Beauvoir: "Er hat in Bezug auf sich selbst immer eine Vollbeschäftigungspolitik betrieben (...) mit seinem Gesundheitskapital Raubbau betrieben."

Speed als Antwort auf den Leistungsdruck

Erstaunlich sind die Verbindungen, die der Konsum des wach machenden, die Produktivität anregenden Rauschmittels zwischen Persönlichkeiten wie Adolf Hitler, Johnny Cash oder Andy Warhol zu ziehen erlaubt. Deren individuelle Arbeit lässt sich mit Hilfe der chemischen Formel Speed als Antwort auf den Leistungs- und Geschwindigkeitsdruck einer auf Output und Perfektion angelegten Gesellschaft verstehen. Und es ist das Nachgeben an jenen Erfolgsdruck, der Aussteigeridole wie Jack Kerouac mit der neurotischen Factory-Beauty Edie Sedgwick oder eine revolutionäre Seele wie Andreas Baader in Danys Anordnung auf die gleiche Stufe stellt.

So zurückhaltend sich der Autor auch sonst in der mit detailliertem Faktenreichtum ausgestatteten Darstellung zeigt, so scheint es genau diese Anpassungsleistung an die kapitalistischen Seinsforderungen, die sein Interesse leitete und den Stoff zum Stoff des Buches machte. Das jedenfalls scheint an Stellen auf, bei denen Dany die meist nüchterne Darstellungsebene verlässt wie in seiner Reflexion über die Beatnik-Kultur: "In ihrer Besessenheit vom Auto machten sie das größte Freiheitssymbol des Amerikanischen Traums für den Kalten Krieg mobil, indem sie dem Individualverkehr, Fords Konzept sozialer Kontrolle, ein Flair von Wildem Westen einhauchten und schneller fuhren als es die Polizei erlaubte, wobei sie ihre Geschwindigkeit damit verwechselten, sich der sozialen Dressur zu entziehen."

Ob Speed als Antidepressivum, Arbeitshilfe, Appetitblocker, Leistungssteigerer gebraucht wird, Dany gelingt es die potenzsteigernden und destruktiv zersetzenden Auswirkungen gleichermaßen plastisch zu beschreiben.

Dass er dabei manchmal etwas unvermittelt zwischen literarischer und rekonstruierender Schreibweise wechselt, mag manchmal irritieren, trägt aber auch zur Kurzweiligkeit der Lektüre bei. Der umfassende Rechercheaufwand, den Dany betrieb, hat zur Folge, dass man am Ende des Buches verwundert zur Kenntnis nehmen muss, wie weit der Einfluss des weißen Pulvers reicht. Wenn amerikanische Soldaten nicht schlafen wollen, Kinder mit ihrer Zappelei zu anstrengend werden oder ein neuer Auftrag zwei Nachtschichten nacheinander verlangt - Speed und seine zahlreichen von der Pharmaindustrie entwickelten Abwandlungen erweist sich als Lösung in fast allen Lebenslagen.

Das Buch legt eine originelle Perspektive auf die westliche Kulturgeschichte frei, indem es sich auf den Spuren eines geheimen Treibmittels unseres rasenden Stillstands begibt: Speed.

Rahel Puffert

Hans-Christian Dany: SPEED. Eine Gesellschaft auf Droge. Edition Nautilus, Hamburg 2008. 192 Seiten, 14,90 EUR, ISDN 978-3-89401-569-5