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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 528 / 23.5.2008

In Hamburg, da geht was

Erste Bilanz nach der erfolgreichen Blockade des Naziaufmarschs am 1. Mai

Hamburg 1. Mai 2008. Das seit Jahren breiteste und zahlenmäßig wie politisch stärkste antifaschistische Bündnis Hamburgs feiert seinen Erfolg: Über 10.000 Menschen demonstrieren gegen den geplanten Aufmarsch von Neonazis in der Hansestadt. Die Demonstrationsroute wird von tausenden AktivistInnen blockiert, andere versperren die Alternativrouten, so dass die Polizei die Strecke Abschnitt für Abschnitt mit Wasserwerfern räumen muss. Gleichzeitig greifen um die Nazidemonstration herum militante AntifaschistInnen die Polizeikräfte an, zerstören Busse und PKW der angereisten Nazis.

Aber auch die Nazis feiern. Das Bündnis von sogenannten Autonomen Nationalisten und NPD bewertet es als besonderen Erfolg, dass TeilnehmerInnen der Nazidemo mehrere organisierte Angriffe auf GegendemonstrantInnen und unliebige JournalistInnen durchführen und die Polizeiketten durchbrechen. Die Naziszene bejubelt diesen Bruch mit der in den letzten zehn Jahren erzwungenen Zurückhaltung bei Demonstrationen als Fanal. Nur die Polizeikräfte haben nichts zu feiern. Völlig überfordert sieht man sich zwischen den verschiedenen Fronten zerrieben.

Der Erfolg des Hamburger Bündnisses gegen Rechts, das zu der Großdemonstration durch Barmbek aufgerufen hatte, setzte sich aus vielen Einzelleistungen zusammen. Zwar war schon bald nach Bekanntwerden der Anmeldung der Nazidemonstration klar, dass die doppelte Provokation - einerseits die Demonstration zum 1. Mai, andererseits die Demonstrationsroute durch ein traditionelles Arbeiterviertel - in Hamburg zu breitem Widerstand führen würde. Allerdings sprach auch einiges gegen eine erfolgreiche, gemeinsame Mobilisierung.

So hatte der DGB die Anmeldung seiner traditionellen 1.-Mai-Demonstrationsroute nach Barmbek auf Eis gelegt und war stattdessen auf eine Route nach und eine Kundgebung auf St. Pauli ausgewichen. Begründet wurde dieser Schritt mit dem Argument, die Veranstaltung sollte auch für Familien offen stehen. Insbesondere die DGB-Jugend, aber auch viele Einzelmitglieder widersetzten sich diesem Kurs. Sie prangerten offen an, dass die einsam von oben getroffene Entscheidung ein falsches Signal setzte.

Bündnispolitik ebnete den Weg zum Erfolg

Die VertreterInnen dieser Position sahen sich erheblichem Druck ausgesetzt. Im Verlauf der Diskussion wurde allerdings klar, dass sich viele Gewerkschaftsmitglieder deutlich sichtbar an den antifaschistischen Aktivitäten beteiligen würden. Diese Diskussion über den Umgang mit antifaschistischen Bündnissen ist auch nach dem 1. Mai nicht beendet. Dabei wurde durch den Erfolg am 1. Mai die Position derjenigen, die sich für ein breites Bündnis mit Aktionen des zivilen Ungehorsams und gegen die Spaltungslinie der DGB-Führung eingesetzt hatten, deutlich gestärkt.

Das Agieren der DGB-Führung und die Anfeindungen aus der politischen Mitte waren sicherlich für die aktiven AntifaschistInnen aus den Gewerkschaften und dem bürgerlichen Spektrum ein Ansporn, die Aktionen des Hamburger Bündnisses gegen Rechts besonders zu unterstützen: als Reaktion auf den Spaltungsversuch, aus Angst vor einer Blamage des Bündnisses, aus der Erkenntnis, dass der Erfolg der Aktionen am Einsatz jedes Einzelnen hängt. Vielleicht war es auch dieser Lage zu verdanken, dass sich die linksradikal-autonome Szene Hamburgs dazu veranlasst sah, deutlich stärker als in den vergangenen Jahren Rücksicht auf die Interessen eines breiten Bündnisses zu nehmen.

Bei eigenen Demonstrationen im vergangenen Jahr, so z.B. bei der Demonstration gegen den ASEAN-Gipfel im Mai oder der Out-of-Control-Demonstration im Dezember 2007, hatte diese Szene noch besonderen Wert darauf gelegt, sich selbst und seine Inhalte und Aktionsformen ins Zentrum zu rücken. Bei beiden Gelegenheiten wurde - der Fehleinschätzung "Die Form prägt die Inhalte" - folgend ein möglichst starker schwarzer Block in den Mittelpunkt gestellt. Vielleicht war es gerade das Zusammenkommen all dieser Umstände, das zu relativ klaren Absprachen und damit zu einer funktionierenden Bündnispolitik führte, die den Weg zum gemeinsamen Erfolg in diesem Jahr ebnete.

Eröffnet wurden die antifaschistischen Aktionen am 29. April mit einem "LKW-Konzert" in Barmbek. Begleitet von Deichkind, Jan Delay, Samy Deluxe und anderen wurden am Nachmittag und Abend Kundgebungen durchgeführt, die von mehr als 3.500 Personen besucht wurden und deutlich mobilisierend wirkten.

Trotz allem waren alle Beteiligten überrascht, dass sich die Demonstration am 1. Mai dann mit über 10.000 Personen in Bewegung setzte. Erst am Vorabend war nach einer Entscheidung des Hamburger Oberverwaltungsgericht (OVG) die geplante Demonstrationsroute ohne besondere Auflagen freigegeben worden. Die Versammlungsbehörde hatte schikanöse Auflagen gemacht, die vom Verwaltungsgericht als rechtmäßig bestätigt worden waren: Die Route sollte weit weg von Barmbek durch unbewohnte Gegenden führen, selbst das Mitführen von Flaschen sollte verboten sein. Wie beinahe schon üblich, hatte die Behörde diese Auflagen erst so spät mitgeteilt, dass gerichtlicher Rechtsschutz aus Zeitgründen fast unmöglich war.

Das Hamburger Bündnis gegen Rechts hatte sich allerdings darauf vorbereitet. Noch am Nachmittag und Abend vor der Demonstration musste sich das OVG mit einem entsprechenden Eilantrag gegen die Auflagen der Versammlungsbehörde und die Entscheidung des Verwaltungsgerichts beschäftigen. Vor dem Hintergrund der breiten Mobilisierung gegen die Nazidemonstration, die von großen Teilen der Barmbeker Bevölkerung unterstützt und von bissigen Artikeln beispielsweise der Hamburger Morgenpost begleitet wurde ("Die braune Inge bringt den Hass nach Hamburg"), erklärte das OVG die Auflagen für rechtswidrig und erlaubte die antifaschistische Demonstration durch Barmbek.

Der Beschluss des OVG ist eine Ohrfeige für die Versammlungsbehörde. Es stellt nicht nur fest, dass die späte Zustellung eines Auflagenbescheides an sich bereits zu dessen Rechtswidrigkeit führen kann, wenn dies geschieht, um gerichtlichen Rechtsschutz zu erschweren. Es führt auch aus, dass ein solch breiter Protest prinzipiell nur wirken kann, wenn er am Ort des Geschehens stattfindet.

Der Demonstrationszug konnte also nach Barmbek ziehen und kam später auf der Hauptroute der geplanten Nazidemonstration zum Stehen. Aus der Demonstration löste sich in Barmbek ein großer Teil des autonom-antifaschistischen Blockes. Auf diese Weise gelangte er direkt auf die möglichen Ausweichstrecken für die Nazidemonstration, wo sogleich Blockaden und teilweise Barrikaden errichtet wurden. Mittlerweile waren die Nazis an ihrem Aufmarschort angekommen, was wegen der Blockaden auf den Schienen und der vielen tausend Menschen im Viertel nicht nur verzögert, sondern auch erschwert wurde. Nun war jedoch zunächst kein Vorankommen mehr.

Die besondere Rolle der Autonomen Nationalisten

Noch schwieriger wurde die Situation, als weitere hunderte antifaschistische AktivistInnen von der anderen Seite, vom Stadtpark her, auf die Nazidemonstration zu drängten. Die völlig überforderte Polizei, die alles wollte, nur keinen Abbruch der Nazidemonstration, sah sich nur noch in der Lage, die stundenlange Auftaktkundgebung der Nazis abzuschirmen. Dieser Situation fielen die Busse und einige PKW zum Opfer, mit denen die KameradInnen angereist waren.

Schließlich entschied sich die Polizeiführung dazu, den insgesamt etwa 750 Nazis eine Nebenstrecke zu der ursprünglich geplanten Route mit Wasserwerfern freizuschießen. Meter für Meter wurde die Straße freigespritzt, bis man einen S-Bahnhof erreichte, von dem die Abreise mit Sonderzügen organisiert wurde.

Die Naziszene feiert den eigentlich verhinderten Marsch in Barmbek trotzdem als Erfolg. Dies ist allerdings nicht nur Schönreden, sondern entspricht tatsächlich ihrer Wahrnehmung der Ereignisse. Ausgehend von der bundesweiten Verbotsstrategie gegenüber Nazidemonstrationen in den 1980er und 1990er Jahren, die mit Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung begründet wurde, startete ab 1997 eine regelrechte "Demonstrationskampagne" der Nazis. Die schematische Argumentation der jeweiligen Versammlungsbehörden, die unpolitisch auf drohende Auseinandersetzungen verwiesen, sowie die Enttabuisierung rechter Positionen nach der "Wiedervereinigung" führten dazu, dass das Bundesverfassungsgericht mehrfach Nazidemonstrationen erlaubte. In der Folge kam es zu einem Strategiewechsel bei Polizei und Versammlungsbehörden. Sie gehen mittlerweile ausschließlich von antifaschistischen GegendemonstrantInnen als "Störer" aus, gegen die in der Regel mit allen Mitteln vorgegangen wird.

Insbesondere angesichts des drohenden NPD-Verbots wurden die TeilnehmerInnen an Nazidemonstrationen in den letzten Jahren auf die absolute Einhaltung der Gesetze und Auflagen eingeschworen. Heute, nachdem ein Verbot der NPD endgültig zu den Akten gelegt ist und Nazidemonstrationen zum bundesdeutschen Alltag gehören, erscheint ein solches Verhalten nicht mehr notwendig. Unter der Selbstbezeichnung Autonome Nationalisten (AN) formiert sich eine Strömung, die versucht, sich die Symbol- und Erlebniswelt der autonomen antifaschistischen Bewegung anzueignen.

Nicht nur die Bekleidung, sondern auch der Stil von Transparenten, Plakaten und Flugblättern bis hin zu Parolen wird kopiert. Auf Demonstrationen werden schwarze Blöcke gebildet und man versucht sich vereinzelt in Auseinandersetzungen mit der Polizei. Der in den letzten zehn Jahren vollzogene Schritt von der Szene zur Bewegung soll auch durch das Auftreten bei Demonstrationen erlebbar werden: Man will Stärke nicht nur politisch vermittelt, sondern auch praktisch spüren. Die sich hieraus ergebenden Streitigkeiten mit der NPD, die offiziell immer noch einen legalistischen Kurs vertritt, insbesondere weil sie ihre bürgerliche Klientel nicht völlig verschrecken will, sollten dabei nicht überschätzt werden.

Die organisierten Angriffe aus der Nazidemonstration am 1. Mai richteten sich gegen JournalistInnen und antifaschistische GegendemonstrantInnen. Dabei wurden Auseinandersetzungen mit der Polizei bewusst in Kauf genommen. Solche Angriffe sind neu. Erstmals agierte der militante Block öffentlich. Die Demonstrationsleitung der Nazis versuchte, nicht einzuschreiten oder abzuwiegeln. Dieses neue, offen militante Auftreten einer Nazidemonstration wird nicht nur den Demonstrationsalltag verändern, sondern unter Umständen auch zu einem noch gewalttätigeren Auftreten eines Teils der Naziszene in ihrem Alltag führen. Die antifaschistische Bewegung wird sich hierauf einstellen müssen.

Die Ordnungsbehörde und Polizeiführung versuchte direkt nach der Demonstration, die Schuld an ihrem Desaster auf das OVG abzuwälzen. Bald war allerdings klar, dass diese Argumentation nicht einmal die Hamburger Boulevardpresse überzeugen konnte. Die Ausschreitungen waren ja z.B. nicht von der Demonstration ausgegangen, sondern direkt bei der Nazidemonstration bzw. auf der Route. Schnell wechselte man daher die Argumentation. Nun erklärte man, die Nazis hätten mit massiven Gewalttätigkeiten begonnen, die Polizei habe dann nur noch die Möglichkeit gehabt, die sich angreifenden Lager zu trennen, "um Tote zu verhindern". Zudem habe man die Nazidemonstration nicht abbrechen können, weil sie von antifaschistischen GegendemonstrantInnen umzingelt war. Durch diese Dramatisierung wollte man die eigenen Fehler vertuschen und gleichzeitig rechtfertigen, dass man die Demonstration gegen eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung durch Barmbek geprügelt hat. Auch die Tatsache, dass die Polizei die Anzahl der anwesenden Nazis praktisch verdoppelt hat, soll diese Legende unterstützen.

Der 1. Mai 2008 in Hamburg kann als Erfolg des antifaschistischen Bündnisses gewertet werden. Die verbindliche Einigung, die gemeinsame Demonstration ohne gewalttätige Angriffe durchzuführen, die gegenseitige Akzeptanz der Aktionsformen und insbesondere die Konzentration auf die lokale Mobilisierung haben einen Aufmarsch der Neonazis durch Barmbek verhindert. Für den Erfolg der Blockaden waren allerdings die durchaus pressewirksamen militanten Aktionen weit weniger bedeutsam, als dies sowohl von der Polizei asl auch der Presse und Teilen der antifaschistischen Publikationen propagiert wird. Dies sollte in der weiteren Diskussion über antifaschistische Aktionen berücksichtigt werden.

Axel Hoffmann