Verschärfte Destabilisierungsoffensive
Boliviens Opposition verschärft ihren separatistischen Spaltungskurs
Das am 4. Mai in der bolivianischen Provinz Santa Cruz abgehaltene Autonomie-"Referendum" der Opposition stellt einen vorläufigen Höhepunkt in den aus dem In- und Ausland angestrengten Bemühungen dar, Boliviens linke MAS-Regierung mit Präsident Evo Morales an der Spitze zu destabilisieren. Mit solchen Angriffen sieht sich nicht allein Bolivien konfrontiert. In den letzten Wochen und Monaten haben sich die militärischen und medialen Kampagnen gegen Venezuela und Ecuador verstärkt. Gleichzeitig sind die USA dabei, ihre militärische Präsenz in Lateinamerika auszubauen. Eine offensivere Phase scheint eingeleitet, um die progressiven Links-Regierungen Südamerikas in Bedrängnis zu bringen.
Das "Referendum" vom 4. Mai ist ein Mosaiksteinchen in diesen Bemühungen, in denen die USA und die jeweiligen nationalen wirtschaftlichen und politischen Oligarchien der Länder Lateinamerikas eifrig, wenn auch nicht immer und bewusst koordiniert, an einem Strang ziehen. Boliviens Oppositionspräfekten in den reichen Tieflandprovinzen Santa Cruz, Beni, Pando und Tarija, im Osten des Landes, im "Media Luna" (Halbmond), hatten seit Amtsantritt von Evo Morales im Januar 2006 keinen Zweifel daran gelassen, dass sie alles tun werden, um die Privilegien einer weißen Minderheit des Landes zu verteidigen. Allzu empfindlich treffen sie die Maßnahmen des sozialen Wandels, die die MAS-Regierung eingeleitet hat: Eine größere Kontrolle, Teilverstaatlichung und Gewinnabschöpfung bei den extraktiven Industrien (Erdöl und Erdgas), eine Landreform, die die Obergrenze für Großgrundbesitz bei 5.000 bzw. 10.000 Hektar festschreiben will und gegen Entschädigung Enteignungen brachliegender Flächen vorsieht, eine Stärkung der (Selbstverwaltungs-)Rechte der indigenen Bevölkerung und der Rolle des Staates in der Wirtschaftspolitik, eine Altersrente (Renta Dignidad) für bedürftige BolivianerInnen, für deren Finanzierung die Ergassteuer, die an Stadtverwaltungen und Präfekten fließt, gekürzt wurde.
Lateinamerika: Angriffe auf linke Regierungen
Um sich gegen eine Politik zur Wehr zu setzen, die angetreten ist, die extrem ungleiche Ressourcenverteilung Boliviens anzugehen und endlich einer Mehrheit der Bevölkerung eine gerechte Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum und an politischen Entscheidungsfindungen zu ermöglichen, spielt die Opposition seit geraumer Zeit die Karte eines rassistisch gefärbten Separatismus, um sich gegen den "Indio-Präsidenten" (so auch immer wieder gerne die deutsche Presse, z.B. Spiegel online) und die ganzen "Lamas", wie sie die indigene Mehrheitsbevölkerung (62 Prozent der BolivianerInnen verstehen sich als indigen) des Landes gerne bezeichnen, zur Wehr zu setzen. Neuester Schachzug war die im Media-Luna-Departement Santa Cruz angesetzte Abstimmung um ein zwischen Präfekt Rubén Costas und dem rechten Bürgerkomitee Pro Santa Cruz ausgekungeltes Autonomiestatut. Dem Bürgerkomitee sitzt der Großgrundbesitzer und Unternehmer Branko Marinkovic vor, es vereint ViehzüchterInnen, SojabäuerInnen und UnternehmerInnen aus der Ober- und Mittelschicht.
Costas, Marinkovic und Co. interessierte es wenig, dass neben der MAS-Regierung sowohl das Oberste Nationale Wahlgericht Boliviens (CNE), als auch die UNO, die Organisation Amerikanischer Staaten und die bolivianische Armee, deren höhere Hierarchieebenen um die Einheit des Landes fürchten, die am 4. Mai in Santa Cruz durchgeführte Abstimmung für "illegal" erklärten. So weigerte sich sowohl die internationale Gemeinschaft, internationale BeobachterInnen zu senden als auch das dafür zuständige CNE, die Abstimmung auszurichten, die schließlich ein privates Unternehmen aus den Reihen der Opposition ausrichtete.
Um blutige Auseinandersetzungen zu verhindern, hatte die MAS-Regierung darauf verzichtet, großflächig zur Blockade der Abstimmung zu mobilisieren. Trotzdem kam es an einigen Orten Santa Cruz zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen RegierungsunterstützerInnen und Opposition, in deren Verlauf 25 Personen verletzt wurden und eine Person ums Leben kam. Vor allem die ultrarechte Jugendunion Santa Cruz (Unión Juvenil Cruceñista) hatte ihre bewaffneten Schlägertrupps auf die Straßen geschickt, um einen reibungslosen Ablauf der Wahlfarce und -fälschung zu garantieren. So stießen AbstimmungsgegnerInnen bei ihrem Versuch, die Abstimmung zu verhindern, auf Wahlurnen, die schon vor der Abstimmung mit "Ja"-Zetteln angefüllt waren.
Die Gewalt, mit der die Opposition am Tag der Abstimmung gegen vermeintliche AbstimmungsgegnerInnen vorging (also allgemein gegen indigen aussehende Menschen), ist nichts Neues. Monatelang hatte die rechte Opposition die Sitzungen der Verfassunggebenden Versammlung, in denen die MAS durch Wahlen eine Mehrheit besaß, blockiert und MAS-Abgeordnete auf ihrem Weg zur Versammlung angegriffen. Schließlich sah sich die Regierung gezwungen, die Sitzungen in eine Militärakademie zu verlegen. Als am 9. Dezember 2007 der Vorschlag für eine neue Verfassung mit den Stimmen der MAS angenommen war (die Opposition war der Abstimmung fern geblieben, in deutschen Medien wie z.B. Tagesspiegel und der Süddeutschen Zeitung konnte man darüber lesen, Morales hätte die Opposition "aussperren" lassen), kündigte die Opposition umgehend an, ihre Departements ab sofort "autonom" regieren zu wollen. Mit der ersten Abstimmung über das Autonomiestatut von Santa Cruz, das dem Departement weitreichende Verfügungsgewalt in den Bereichen Steuern, Erziehung und Bildung und v.a. in der Kontrolle über Land, Bodenschätze und die Polizei zuspricht, versucht sie nun, ihrem separatistischen Kurs und ihren Bürgerkriegsdrohungen einen legalen Anstrich zu geben. Im Juni wollen die Departements Beni, Tarija und Pando ihre Abstimmung durchführen.
Die USA stützen die rechte Opposition
Die Deutung der Ergebnisse von Santa Cruz, 85 Prozent der Cruceños, die am 4. Mai zur Abstimmung gingen, sprachen sich für das Autonomiestatut aus, klaffen - wie es zu erwarten war - auseinander. Während für Evo Morales die Opposition eine klare Niederlage erlitten hat, schließlich hätten sich 50 Prozent der Bevölkerung gegen das Statut ausgesprochen (von rund einer Mio. Wahlberechtigter waren 400.000 der Abstimmung fern geblieben, 15 Prozent der WählerInnen stimmten gegen das Statut), verbuchte die Opposition die Abstimmung naturgemäß als Erfolg. Und preschte mit einem vermeintlich klugen Schachzug vor: Nur wenige Tage nach dem 4. Mai nahm der von der Opposition dominierte Senat plötzlich die von Morales im Dezember 2006 vorgebrachte Initiative auf, sich einem Abberufungsreferendum zu stellen. Nach kurzem Zögern willigten Morales und die MAS-Regierung ein. So wird die Bevölkerung Boliviens am 10. August über die Zukunft von Evo Morales und Vizepräsident lvaro García Linera abstimmen. Es ist zu vermuten, dass die Opposition mit dieser Initiative einem Vorstoß der MAS-Regierung zuvorkommen wollte, einen baldigen Termin für das Referendum über die Annahme des Verfassungsvorschlags zu finden und sich damit wieder in die Offensive zu bringen.
Allerdings scheint in der Opposition die Angst um sich zu greifen, sich zu weit aus dem Fenster gelehnt zu haben: Nur wenige Tage nach der Senatsentscheidung zeigt man sich zerstritten. Schließlich wird am 10. August von der Bevölkerung nicht nur über die Zukunft von Präsident und Vizepräsident abgestimmt. Zur Disposition stehen auch die Ämter der Präfekten. Und so wischt die Opposition ihr eben noch protegiertes Projekt eines Abberufungsreferendums schon wieder beiseite und fordert jetzt allgemeine Neuwahlen.
Egal ob, was zu erwarten ist, die Bevölkerung Evo Morales und seinem Kurs mehrheitlich den Rücken stärkt, die rechte Opposition Boliviens wird nicht davon ablassen, den Prozess des Wandels zu torpedieren. Ihr Glück ist, dass sie im Tiefland auf den nationalen Erdöl- und Erdgasreserven und den fruchtbaren Ländereien sitzt sowie einen Großteil der Lebensmittelproduktion (Brot, Fleisch, Speiseöl etc.) unter ihrer Kontrolle hat. Mit diesen Ressourcen in der Hinterhand ließ sich in den letzten Monaten vortrefflich auf das Mittel der künstlichen Lebensmittelverknappung bzw. auf Unternehmer-Streiks zurückgreifen. Ein Instrument, das schon 1973 in Chile maßgeblich zur Destabilisierung der Regierung Allende beitrug und seither immer wieder gerne von den ökonomischen Eliten der Länder Lateinamerikas benutzt worden ist, um sich gegen soziale Veränderungen zu stemmen. Glücklich kann sich schätzen, wer dabei nicht nur den Medienmarkt kontrolliert (in Santa Cruz z.B. stehen acht private TV-Sender der Opposition gegen einen staatlichen Kanal, dessen Reichweite begrenzt ist), sondern auch den großen Freund im Norden an seiner Seite weiß. Immer wieder hat die Regierung Morales das Agieren der US-Botschaft und der Entwicklungshilfeagentur USAID im Land als ungerechtfertigte "politische Einflussnahme" gebrandmarkt und entsprechende Beweise vorgelegt. Botschafter Philip Goldberg, von 1994 bis 1996 "spezieller Assistent" von US-Botschafter Richard Holbrooke in Jugoslawien, hat Erfahrungen gesammelt mit einer Destabilisierungsstrategie der Balkanisierung. Er ist immer wieder mit dabei, wenn die Oppositionspräfekten ihre Linie abstimmen. Gleichzeitig finanzierte USAID vor dem 4. Mai Reisen der Präfekten in die USA, wo sie um Unterstützung warben, und hat seit Amtsantritt von Morales Millionen US-Dollar an NGOs im Land verteilt.
Flankiert wird eine solche Einflussnahme der USA mit ihrer vermehrten militärischen Präsenz in der Region. Augenfälligstes Beispiel dafür waren die am 1. März erfolgten Angriffe des kolumbianischen Militärs auf ein Lager der kolumbianischen FARC-Guerilla auf ecuadorianischem Territorium, die wohl mit Unterstützung vom US-Luftwaffenstützpunkt Manta in Ecuador aus geschahen. Die im Camp aufgefundenen Computer von FARC-Kommandant Rául Reyes müssen derzeit für kaum haltbare Konstrukte einer Finanzierung der FARC durch Ecuador und Venezuela herhalten. (1)
Gleichzeitig wird, weniger unauffällig, die Ausweitung permanenter US-Militärpräsenz in Lateinamerika vorangetrieben. So soll wohl in El Salvador Ersatz geschaffen werden für den Militärstützpunkt in Manta, dessen Vertrag, der 2009 ausläuft, die Verfassunggebende Versammlung Ecuadors nicht verlängern will. In Peru, in dem seit rund einem Jahr vereinfachte Regelungen für die Anwesenheit ausländischer Militärkräfte bestehen, könnte bald ein Koordinationszentrum für den Anti-Drogenkampf eingerichtet werden.
Lateinamerika: Ausweitung von US-Militärpräsenz
Dazu gesellen sich laut der mexikanischen Ökonomin Ana Esther Ceceña von der Kampagne zur Demilitarisierung Amerikas CADA seit einiger Zeit die Bemühungen, den Plan Colombia nach Mexiko und Paraguay auszuweiten. Dort genießen US-Militärs seit 2007 Immunität und wird regelmäßig unter dem Dach des Südkommandos der US-Streitkräfte die "humanitäre Übung" MEDRETES (Medical Readiness Training Exercise) durchgeführt. Auch im argentinischen Chaco, nahe der bolivianischen Grenze und den erdgasreichen Regionen des Landes, laufen zur Zeit vom Militär ausgeführte "humanitäre Aufbauhilfeübungen" im Rahmen des Plan Nuevos Horizontes. Vom Wasser aus wird der südamerikanische Kontinent zudem bald wieder durch die 4. US-Flotte kontrolliert, deren Reaktivierung das US-Militär für den Kampf gegen den "Drogenhandel" und "Terrorismus" Ende April ankündigte.
Eva Völpel
Anmerkung:
1) Siehe dazu eine kritische Erklärung 25 WissenschaftlerInnen unter www.rnv.gov.ve/noticias/ index.php?act=ST&f=31&t=68141. Auch der Generalsekretärs der Organisation Amerikanischer Staaten, José Miguel Insulza, hat am 10. April festgestellt, dass es für eine solche Verbindung bislang keine Beweise gebe.