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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 529 / 20.6.2008

Zum Scheitern verurteilt

Linke Opposition in der untergehenden DDR

Das in Deutschland vorherrschende Geschichtsverständnis setzt die in der späten DDR agierende oppositionelle Bewegung mit Kirchengemeinden und Gruppen von Ausreisewilligen gleich und unterstellt ihr das Ziel einer schnellen "Wiedervereinigung". Als zeithistorisches Standardwerk gilt das 1997 erschienene Buch "Geschichte der DDR-Opposition 1949-1989" des ehemaligen Studentenpfarrers Ehrhart Neubert. Thomas Klein - gewesener politischer Häftling und Aktivist im politischen Untergrund der DDR - hat die zum Teil noch unveröffentlichten Materialien der unabhängigen Friedens- und Umweltbewegung in der DDR gesichtet. In seinem Buch über die im Berlin-Brandenburgischen Raum wirkenden Unabhängigen Friedensgruppen der DDR widerspricht er Neuberts Darstellung.

Das Buch hat kurz nach seinem Erscheinen konträre Stellungnahmen ausgelöst: In dem Magazin sehepunkte lobt Ilko-Sascha Kowalczuk (Mitarbeiter der Birthler-Behörde, somit hauptberuflicher Kommunistenfresser) die detailgetreue Darstellung, verweist jedoch gleichzeitig darauf, dass Klein versuche, "kommunistische Ideen in die Gegenwart zu retten", sich überdies nicht an der denunziatorischen Hetzjagd auf ehemalige MfS-Mitarbeiter beteiligte und ihnen in dem Buch weitgehend Anonymität gewährte. In der jungen Welt wurde das Buch ebenfalls verrissen - als nationalkonservatives Machwerk.

Klein schildert die in der DDR wirkenden Oppositionsgruppen als ein spätes Produkt des weltweiten Aufbruchs von 1968. Da nicht staatskonforme linke Strömungen in Osteuropa rigoros unterdrückt wurden, wirkten ihre VertreterInnen in illegalen Zirkeln im Untergrund. In den 1980er Jahren schafften sie es schließlich, entscheidenden Einfluss auf die sich unter dem Dach der evangelischen Kirche der DDR herausbildenden Friedens- und Umweltgruppen zu gewinnen - gegen den heftigen Widerstand der den Staatsorganen gegenüber weitgehend loyalen Kirchenhierarchie. Anhand von zeitgenössischen Texten belegt Klein, dass die übergroße Mehrzahl der Oppositionellen damals nicht die Absicht hatte, das in der Bundesrepublik herrschende politische und wirtschaftliche System in der DDR einzuführen. Ihre Vorstellungen gingen zumeist in die Richtung "Arbeiterselbstverwaltung" oder "Ökosozialismus"in einer eigenständigen DDR. Diskutiert wurden u.a. illegal kursierende Schriften von Ernest Mandel, Robert Havemann, Wolfgang Harich und Rudolf Bahro.

Kleins Untersuchung weist eindeutig nach, dass die Frontlinien der Auseinandersetzungen damals eben nicht nur zwischen West und Ost oder zwischen Demokratie und Sozialismus verliefen. Ihre politischen Unterstützer in Westeuropa fanden die DDR-Oppositionellen in trotzkistischen Gruppen, in den damals entstehenden grün-alternativen Parteien und in Teilen der autonomen Hausbesetzerszene. Kontakte zur etablierten Parteienlandschaft waren hingegen weder von den Oppositionsgruppen angestrebt noch vom politischen Establishment der alten Bundesrepublik gewollt. Ein 1987 vom Pfarrer Rainer Eppelmann organisierter Treff von CDU-PolitikerInnen mit Mitgliedern der Initiative für Frieden und Menschenrechte blieb ein Einzelfall und stieß im oppositionellen Spektrum der DDR auf scharfe Kritik.

Klein schildert detailliert die Formierung der einzelnen Oppositionsgruppen zu einer DDR-weiten Bewegung, aber auch ihre zunehmende Ausdifferenzierung, deren Beginn er auf den März 1986 ansetzt. Die Initiative für Frieden und Menschenrechte (IFM) gab das Ziel einer Alternative zur real existierenden DDR schrittweise auf und beschränkte sich auf die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen. Auf dem entgegengesetzten Ende des oppositionellen Spektrums verortet Klein die Umweltbibliothek, die Initiative Kirche von Unten sowie die Gruppe Gegenstimmen, der Klein selbst angehörte. Dieser linke Flügel der unabhängigen Friedens- und Umweltbewegung beteiligte sich z. B. trotz massiver Behinderungen durch die Sicherheitsorgane der DDR gemeinsam mit der linksalternativen Bewegung Westberlins an den Protesten anlässlich des IWF-Kongresses von 1988. Mitglieder der Gruppe Gegenstimmen gründeten im Herbst 1989 das Neue Forum und die Initiative für eine Vereinigte Linke (VL).

Die Auseinandersetzungen zwischen den Flügeln der Oppositionsbewegung eskalierten wegen der kritiklosen Solidarisierung der IFM mit Gruppen von Ausreiseantragstellern anlässlich der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration im Januar 1988. Klein dokumentiert Wolfgang Rüddenklaus Kritik an den Ausreisewilligen in den Umweltblättern: "Falls es ins Konzept passte, verrieten uns die Ausreisewilligen mit Begeisterung an die Behörden. Im Westen angekommen, gaben sie sich vor der Presse als Menschenrechtler oder Mitglieder von Friedens- und Umweltgruppen aus ..." Die IFM spielte nach den Ereignissen des Januars 1988 im oppositionellen Spektrum kaum noch eine Rolle und soll Ende 1989 zu 70% aus IM des Ministeriums für Staatssicherheit bestanden haben.

Kleins Schilderung der Geschichte der Berlin-Brandenburgischen Oppositionsgruppen endet mit dem im September 1989 einsetzenden Zusammenbruch der SED-Herrschaft. Der Autor thematisiert nur in Ansätzen den zeitgleich einsetzenden Zerfall der Oppositionsbewegung, der etwas später auch die von ihm mitgegründete VL zum Opfer fiel. Nicht wenige Akteure der Oppositionsgruppen vollzogen damals im Interesse einer weiteren Politikkarriere sehr schnell einen politischen Bruch mit der eigenen Vergangenheit.

Die in den 1980er Jahren von einigen hundert ostdeutschen PolitaktivistInnen angestrebte Umgestaltung des real existierenden Sozialismus in den Farben der DDR war vermutlich angesichts der Kräfteverhältnisse von vornherein zum Scheitern verurteilt. Dies dürfte aber kein Grund sein, die Verbreitung eines stark verkürzten Geschichtsbildes durch die "Sieger der Geschichte" widerstandslos hinzunehmen.

Zu Recht als "unverfroren" charakterisiert Klein die Behauptungen von Zeithistorikern und einigen politisch gewendeten AktivistInnen des Herbstes 1989, heute seien die damaligen Ziele der DDR-Opposition erreicht.

Gerd Bedszent

Thomas Klein: Frieden und Gerechtigkeit! Die Politisierung der Unabhängigen Friedensbewegung in Ost-Berlin während der 80er Jahre. Zeithistorische Studien Band 38, herausgegeben vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, Böhlau Verlag, Köln, Weimar, Wien 2007, 548 Seiten, 59,90 EUR