Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 529 / 20.6.2008

Aufgeblättert

Der Aufstand von Oaxaca

Im Sommer 2006 formierte sich im süd-mexikanischen Bundesstaat Oaxaca eine Protestbewegung, deren Größe und Durchhaltevermögen viele überraschte. Sie forderte den Rücktritt von Oaxacas repressiv regierendem Gouverneur Ulises Ruíz und eine grundlegend andere Politik für den von großer Armut geprägten Bundesstaat. Monatelang hielt die Bevölkerung Oaxacas, die sich in der APPO, der Versammlung der Völker Oaxacas organisierte, die Stadt besetzt und vertrieb die Regierung aus ihren Amtssitzen. Die Aneignung der Stadt war auch eine Aneignung der Medien. Im Zuge der Auseinandersetzungen wurden 14 kommerzielle Radiostationen und der lokale Fernsehkanal TV 9 besetzt. Zum ersten Mal waren die in den Medien präsent, die sonst nie gehört wurden: die arme Landbevölkerung Oaxacas, die indigenen Gruppen, die Frauen, die Tagelöhner, die streikenden Lehrer. Der Dokumentarfilm "Un poquito de tanta verdad" ("Ein kleines bisschen (von so viel) Wahrheit") fängt diese Monate der politischen Organisierung und des Widerstandes eindrucksvoll ein. Er vermittelt anhand von auf der Straße gedrehten Aufnahmen und Mitschnitten aus Sendungen die Entwicklung der Protestbewegung und die entscheidende Rolle, die die Kommunikationsmittel darin spielten. Über das Radio kamen nicht nur verschiedene Sektoren der Bevölkerung in Kontakt und diskutierten miteinander, es war auch entscheidend, um sich gegen Angriffe zu verteidigen: Als Todeskommandos nachts durch die Straßen fuhren und immer wieder auf die Leute schossen, diente es der Koordinierung von unzähligen Barrikaden, die Oaxaca-Stadt überzogen. Im Radio spiegelte sich letztlich auch Niedergang und Schwäche der Bewegung wider: Im Zeichen der zunehmenden Repression, die letztlich in eine Niederschlagung des Aufstandes mündete, blieb kaum noch Raum für strategische Diskussionen und gesellschaftliche Zukunftsentwürfe, es ging um die reine Verteidigung. Der Film dokumentiert eindrucksvoll den Aufstand und die verschiedenen Etappen des Kampfes, der bis heute andauert. Ergänzt werden die Bilder durch mehrere Interviews mit AktivistInnen, die kritisch Rückschau halten.

ev

"Ein kleines bisschen (von so viel) Wahrheit". Ein Film von Jill Freidberg, produziert von Corrugated Films in Zusammenarbeit mit Mal de Ojo TV. 2007. In Deutschland vertrieben durch Cine Rebelde, siehe www.cinerebelde.org. DVD, 83 Minuten,15 EUR

Die RAF und die Massenmedien

Fast zehn Jahre nach ihrer Auflösung geisterte die RAF im vergangenen Jahr erneut durch die Medienlandschaft: Chroniken und ZeitzeugInneninterviews in den Tageszeitungen und Dokumentationen und Spielfilme in Funk und Fernsehen ließen den "Deutschen Herbst" zum Dreißigjährigen Revue passieren, gepaart mit einer Debatte um die Haftentlassung Brigitte Mohnhaupts und Christian Klars "antikapitalistisches Grußwort" an die Rosa-Luxemburg-Konferenz. Die Ablehnung von Klars Gnadengesuch ist nur ein weiterer Beleg dafür, dass die Geschichte der RAF die ihrer Bekämpfung ist, wie die Historiker Gottfried Oy und Christoph Schneider bereits 2005 konstatierten. Dass die RAF "noch 30 Jahre nach dem Deutschen Herbst ein Politikum" ist, hat nun auch Andreas Elter erkannt. Elter ist Professor für Journalistik an der privaten Medienhochschule in Köln und Fernsehredakteur des RTL-Nachtjournals. In dem neuen Band "Propaganda der Tat" untersucht er die Geschichte der RAF im Zusammenspiel mit den Medien. Dabei versucht er sich einer klaren Wertung zu entziehen. Da er seinen Blick nicht moralisierend auf die mediale Wirkung der RAF richtet, ragt sein Buch angenehm aus der Vielzahl aktueller Publikationen zum Thema heraus. Was er leistet ist zum einen eine Begriffsklärung dessen, was Terrorismus ist, wodurch sich bewaffnet agierende Gruppen wie die RAF z.B. von transnationalen religiös-fundamentalistischen Gruppen wie Al Qaida unterscheiden; zum anderen liefert er eine Untersuchung der Kommunikationsstrategien der RAF. Das Ganze wird dann in den aktuellen RAF-Diskurs eingebetet. So benennt er einen Wandel in der Darstellung der RAF in Literatur, Film und zeitgenössischer Kunst: Wurden bis zum Ende der 1980er Jahre überwiegend gesellschaftskritische Filme und "Protestliteratur" veröffentlicht, lässt sich ab da an ein Wandel in der Verarbeitung und Historisierung der RAF beobachten: Weg von einer politischen Auseinandersetzung mit den Zielen der RAF, hin zu einer stärkeren Beschäftigung mit den Personen. "Propaganda der Tat" ist eine positive Überraschung auf dem RAF-Büchertisch, die auf die inzwischen üblich gewordene Pathologisierung der ProtagonistInnen weitgehend verzichtet.

Jonas Füllner

Andreas Elter: Propaganda der Tat. Die RAF und die Medien. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2008, 287 Seiten, 10 EUR

Linke, Juden, Antisemitismus

Es ist verdienstvoll, wenn linke WissenschaftlerInnen die Ergebnisse ihrer Forschung nicht nur in dickleibigen Büchern dokumentieren, sondern auch in handlichen Broschüren auf den Punkt bringen. Peter Ulrichs 50 Seiten umfassende Schrift "Begrenzter Universalismus" ist ein Beispiel kritischer Wissenschaft für ein breiteres Publikum, ihr Thema - das "historische Erbe der Linken im Hinblick auf Jüdinnen/Juden, Zionismus, Antisemitismus und Nahostkonflikt" - bleibt aktuell. Während Ulrich den frühsozialistischen Antisemitismus und Marx' zweideutigen Aufsatz "Zur Judenfrage" von 1843 nur streift, widmet er sich ausführlich der Diskriminierung und Verfolgung von vermeintlichen "Zionisten" in der frühen DDR und der einseitig pro-palästinensischen Nahostpolitik der SED. Auch der "radikale Antizionismus" der Neuen Linken wird vergleichsweise differenziert abgehandelt. Weniger überzeugend erscheint Ulrichs Annäherung an das Konstrukt des "strukturellen Antisemitismus" im "Leninschen Weltbild", in Anlehnung etwa an Thomas Haury. Nicht nur sprachlich misslungen ist seine Definition des Bolschewismus als "Stalin-Leninscher Kommunismus". Zu diskutieren wäre auch über die zentrale These vom "begrenzten Universalismus", mit der Ulrich seinen Text abschließt: "Ein Klassenkampfuniversalismus ohne zumindest eine Anreicherung um einen ernstgemeinten Menschenrechtsbegriff hat die notwendigen Voraussetzungen (für eine linke, auf die allgemeine Emanzipation gerichtete Politik; Anm. ak) offensichtlich nicht, vielmehr hat er sein Versagen auch bei jüdischem partikularem Leid unter Beweis gestellt." Die Broschüre bietet für diese Diskussion eine Grundlage - manchen Vereinfachungen und sprachlichen Schnitzern zum Trotz.

Js.

Peter Ulrich: Begrenzter Universalismus. Sozialismus, Kommunismus, Arbeiter(innen)bewegung und ihr schwieriges Verhältnis zu Judentum und Nahostkonflikt. AphorismA Verlagsbuchhandlung, Berlin 2007, Kleine Texte 26, 50 Seiten, 5 EUR