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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 529 / 20.6.2008

Linker Flügel des kapitalistisch Erlaubten

Die LINKE nach dem Parteitag in Cottbus

Linkspartei? Wer zwei Wochen nach dem Cottbusser Parteitag die überregionale Presse durchblätterte, suchte lange. Ein bisschen Gysi-Stasi hier und dort, das war's schon. Hatte nicht gerade noch eine Meldung von der "heimlichen Regierungspartei" die nächste gejagt? Das große Drama einer Aufsteigerpartei der Abstiegsbedrohten, Kabale und Hiebe, die ewige Geschichte vom Napoleon von der Saar, deren vorläufiges Ende sich über Nacht von einem "Triumph der roten Fürsten" in einen "Dämpfer für Lafontaine" verwandelte. War da was?

Man kann der Linkspartei die kurzweiligen Moden des Medienbetriebs kaum vorwerfen, ganz unschuldig sind die GenossInnen an ihrem Erscheinungsbild aber auch nicht. Die Aufregung kurz vor und nach dem Parteitag ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit, seine Währung sind Schlagzeilen, Zahlungsmittel für die Aufmerksamkeitsökonomie. Der Wechsel funktioniert aber nur bedingt: Parolen, Personen und Probleme gehen immer gut, Programmdebatten sind eher Ladenhüter.

Die diversen Etagen der Partei beherrschen das Spiel inzwischen ganz gut. Die Regierungslinke zum Beispiel, die die Frage, ob man "eine moderne, emanzipatorische linke Partei oder eine Ersatz-SPD mit den Rezepten aus den Siebzigerjahren werden will" (Ex-Vizechefin Katina Schubert) gern mit Lafontaine-Kritik verbindet, weil letzteres immer eine Nachricht garantiert. Gleiches gilt, wenn Leute aus den ostdeutschen Landtagsfraktionen als "rechte Sozialdemokraten" hingestellt werden. Nur den Erfolg darf der Streit nicht gefährden. Für die richtige Dosierung ist die Parteispitze zuständig, die notfalls dementiert, Geschlossenheit aufführt und allzu große Kühe vom medialen Eis holt. Und so ließ die Dramaturgie des Parteitags auch gar keinen Platz für große Debatten. Rede Bisky, Rede Lafontaine, ein bisschen Aussprache - und wer seinen GenossInnen mal eins mitgeben wollte, für den blieben ja noch die Vorstandswahlen.

Womit wir wieder beim "Dämpfer für Lafontaine" wären. Anders als auf dem gemeinschaftsseligen Fusionsparteitag vor einem Jahr entsprachen die Wahlen in Cottbus viel deutlicher der Strömungskonstellation. Fast alle Vorstände erzielten deutlich schlechtere Ergebnisse. Es sei eben eine sehr "strömungsgebundene Wahl bei ungefähr gleich starken Blöcken" gewesen, befand nach dem Delegiertentreffen Christine Buchholz, die bei ihrer Wiederwahl mehr als zehn Prozent gegenüber 2007 verlor.

Wenn man nach Ausreißern sucht, dann müsste eher das Ergebnis von Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch verwundern, der sein Ergebnis ebenso verbesserte wie Lothar Bisky. Wenn man jetzt noch berücksichtigt, dass Bisky gerade einmal 15 Stimmen mehr als Lafontaine bekam, braucht man sich über den "Dämpfer" schon gar keine großen Gedanken mehr machen. Eher schon um die Medien, die Wahlergebnisse unter 90 Prozent offenbar für einen demokratischen Betriebsunfall halten. Die SED-Ergebnisse gibt es bei der Konkurrenz: Die Ost-Frau Angela Merkel erhielt in der Westmänner-Partei CDU stolze 93 Prozent. Und Kurt Beck wurde sogar mit 95,1 Prozent zum SPD-Chef gewählt.

Programmdebatte, Personen, Posten und Parolen

Man kann die Lagerbildung bei der Linkspartei ganz gut an den Wahlen der vier StellvertreterInnen veranschaulichen. Katja Kipping, deren Emanzipatorische Linke allenfalls eine kleine Diskursplattform innerhalb der Partei ist, aber keine Strömung, büßte zwar ebenfalls zehn Prozent gegenüber dem Fusionsparteitag ein. Die einzige Kandidatin, die nicht einem der beiden großen Blöcke - Sozialistische Linke (Gewerkschafterflügel) und Forum Demokratischer Sozialismus (Regierungslinke) - zugeordnet werden konnte, erhielt aber mit Abstand das beste Ergebnis. Die StrömungsvertreterInnen dagegen kamen 15 Prozentpunkte hinter Kipping ins Ziel.

Man könnte also sagen: Je mehr ein/e KandidatIn als Exponent eines Lagers angesehen wurde, desto schlechter war das Ergebnis. Leute wie der sachsen-anhaltische Landeschef Matthias Höhn und der ver.di-Mann Michael Schlecht schafften es erst im zweiten Durchgang und mussten sich mit den Stimmen des eigenen Anhangs zufrieden geben. Für manche reichte es gar nicht, wobei vor allem GewerkschafterInnen betroffen waren. Entsprechend fielen auch die Reaktionen aus.

Während für die "Realos" der Berliner Fraktionsvize Stefan Liebich resümierte, Befürchtungen über einen "Durchmarsch der einen oder anderen Seite" hätten sich "erfreulicherweise nicht bestätigt", gab es bei der Sozialistischen Linken lange Gesichter: "Mit Befremden nehmen wir zur Kenntnis, dass die Vertreter des Zukunftsinvestitionsprogramms im Parteivorstand (...) regelrecht abgestraft wurden." Es habe sich gezeigt, dass die Trennung in Ost und West noch keinesfalls überwunden sei und dass es "auch in der neuen LINKEN große gewerkschaftsferne Kreise gibt". Parteivize Klaus Ernst entdeckte sogar, dass es in seiner Partei "alte Strukturen der PDS" gibt.

Realos versus Fundis, Ossis gegen Wessis, PDS kontra WASG - es gibt diese Frontverläufe natürlich, aber ganz so einfach ist es nicht. Zu den Fundis der LINKEN werden gern auch Leute gezählt, die nur graduell andere Auffassungen vom Mitregieren vertreten als die Realos. Auch die Ost-West-Geschichte ist viel komplizierter: Es gibt einen Apparat der alten PDS, in dem jahrelang eine ganze Menge Leute aus dem Westen saßen, der befürwortete ein Sozialismusverständnis, welches dem einer Mehrheit der Ost-Basis nicht schmeckte. Der "alte PDS-Ossi" war dann über die auf Opposition getrimmten Sprüche der neuen MitstreiterInnen aus der West-WASG ganz froh. Bei der Rente, um ein anderes Beispiel zu nennen, hat Parteivize Kipping (Ex-PDS) von fränkischen Delegierten Unterstützung für die Idee einer Grundrente erhalten, während sich regierungsfreundliche LinksparteipolitikerInnen aus dem Osten hinter die von West-GewerkschafterInnen geprägte Parteilinie stellten, die die Grundrente ablehnt.

Zurück zur LINKEN und ihren Flügeln. Die sind zwar, sagt Vorstandsmitglied Wolfgang Gehrcke, in der Partei selbst in der Minderheit. Auf Parteitagen aber "haben sie entscheidenden Einfluss auf die Mehrheitsbildung". Gehrcke sieht darin ein Problem, weil sich die Kultur der Hinterzimmer und der Kungelei negativ auf die "Gesamtinteressen der Partei" auswirken könnten. Wenn man letzteres mit "Erfolg" übersetzt und die Messlatte dafür Wahlergebnisse sind, ist der Schaden für die Partei derzeit nicht besonders groß. Wenn man als "Gesamtinteresse" einer Partei ein ausformuliertes Programm versteht, ein klares, einheitliches Profil und so weiter, dann kann die LINKE von Glück reden, dass es die Strömungen gibt.

Denn es könnte ja gerade diese aus dem Zwang zum Kompromiss resultierende Unschärfe sein, die den aktuellen Erfolg garantiert. Müsste sich die Linke entscheiden zwischen linker Volkspartei, trade-unionistischer Sozialstaatspartei und Protestpartei der Unterschichten, wäre sie auf den Schlag halbiert. Nur solange der Kleinbürger in Brandenburg mit Eigenheim und Straßenausbaugebühren-Problemen in der LINKEN ebenso eine Hoffnung hat wie die Dauererwerbslose aus Sachsen, die beim letzten Mal aus Frust NPD gewählt hat, und der IG-Metall-Bevollmächtigte aus Bayern mit seinen Erwartungen da auch noch hineinpasst, funktioniert diese Partei.

Und sie funktioniert gut. Es sei denn, man legt die falschen Maßstäbe an. Die Hoffnung, in der Fusion von PDS und WASG sei ein neuer Anlauf zum Sozialismus angelegt, irrt sich über die Voraussetzungen des Projekts. Wer sich dafür entscheidet, an der Willensbildung teilzunehmen, eine Partei gründet und bei Wahlen kandidiert, hat über kurz oder lang gar nichts anderes im Sinn, als zu regieren, oder wie es die LINKEN gern sagen: zu gestalten. Welche Spielräume dafür im real existierenden Kapitalismus herrschen, ist bekannt. Wer die programmatischen Linien der neuen Partei betrachtet, erkennt, dass deren Führung sich darüber nicht täuscht.

Auch wenn überall wiederholt wird, die LINKE habe doch gar kein Programm, besteht an realpolitischen Forderungen kein Mangel. Es gibt die "Eckpunkte" für die groben Linien, einen 100-Punkte-Katalog und seit Cottbus mit dem Leitantrag auch eine Art "Regierungserklärung einer Oppositionspartei" (Thies Gleiss). Die Inhalte kann man von links beklagen, kann den darin aufgezeichneten Weg nationaler sozialstaatlicher Integration auf der Basis einer keynesianischen Wirtschaftssteuerung für eine Sackgasse halten. Aber das ist eine andere Diskussion. Wenn die SPD behauptet, man könne mit der LINKEN schon allein deshalb nicht, weil man gar nicht wüsste, was diese anstrebe, ist das Unsinn. Kurt Beck und die seinen wollen nur davon ablenken, dass die Kopie immer besser ankommt als das sozialdemokratische Original.

Sozialdemokratie organisiert sich zur Zeit in zwei Parteien

Georg Fülberth hat das Entstehen der neuen Linkspartei mit der Unfähigkeit bzw. Unwilligkeit der SPD erklärt, beide Seiten sozialdemokratischer Politik zu bedienen. Gemeint ist der Versuch, "im Kapitalismus die Interessen der ausschließlich auf Einkommen aus lohn- und gehaltsabhängiger Arbeit oder öffentlicher Transferleistungen angewiesenen Menschen zu vertreten" und zugleich das System "durch Infrastruktur-, Sozial- und Nachfragepolitik sowie die Integration der Unterschichten zu stabilisieren und zu flexibilisieren". Das eine ist eher links- und das andere eher rechtssozialdemokratisch. Gelingt es der Sozialdemokratie nicht mehr, beide Funktionen gleichermaßen zu erfüllen, könne dies "dazu führen, dass die Sozialdemokratie sich nicht in einer einzigen Partei organisiert, sondern in zweien".

Ein Jahr nach ihrer Gründung hat die neue LINKE zur alten SPD aufgeschlossen. 15 Prozent für die eine, 20 Prozent für die andere, wollen die Forsa-Demoskopen ermittelt haben; bei den Männern ist schon Gleichstand erreicht. Das mag ein Ausreißer sein, den sich das Willy-Brandt-Haus noch dadurch zurechtlügt, dass man dem Forsa-Chef wieder vorwirft, die SPD durch manipulierte Umfragen in Verruf zu bringen. Vielleicht liegt aber auch Manfred Güllner richtig, der angesichts solcher Kritik schon im letzten Sommer fragte, "ob andere mit ihren Werten für die SPD nicht zu optimistisch waren". Seinerzeit hatte Forsa die Beck-Partei mit 24 Prozent taxiert und war dafür der absichtlichen Untertreibung gescholten worden. Auf den Wert von damals kommen heute auch andere Forschungsinstitute.

Die Forsa-Umfrage, die sogleich Grabesreden auf die SPD nach sich zog, wurde in der Woche nach dem Cottbusser Parteitag der LINKEN und der Inthronisierung Gesine Schwans als Präsidentenkandidatin erhoben. Die Linkspartei wächst weiter als Fleisch vom Fleische der SPD und alle Vorwürfe, die das ändern sollen - Demagogie! Populismus! Unbezahlbar! -, verpuffen wirkungslos. Der "Dämpfer für Lafontaine" wirkte sich ebenso wenig aus wie die neuerlichen Stasi-Vorwürfe gegenüber Gregor Gysi. Doch übersehen werden kann auch nicht, dass das "sozialdemokratische Lager" insgesamt schrumpft. Beck und Linkspartei erhalten heute zusammen gerade einmal so viel Zuspruch wie die SPD allein bei der letzten Bundestagswahl und liegen beide gemeinsam fünf Prozent unter dem SPD-Ergebnis von 1998.

Georg Fülberth meint, die fusionierte Partei werde "den linken Flügel des kapitalistisch Erlaubten bilden. Wer mehr oder Anderes will, ist nicht daran gehindert. Es wäre aber ungerecht, dies ausgerechnet von der Partei DIE LINKE zu erwarten." Das lässt die Frage offen, von wem sonst man "mehr oder Anderes" erwarten könnte. Das Angebot ist derzeit weder groß noch besonders attraktiv.

Tom Strohschneider

Literatur:

Georg Fülberth: Und wenn sich die Dinge ändern. DIE LINKE. PapyRossa Köln 2008. 169 Seiten, 12,90 EUR.

Wolfgang Hübner/Tom Strohschneider: Lafontaines Linke. Ein Rettungsboot für den Sozialismus? Dietz Berlin 2007, 287 Seiten, 14,90 EUR.