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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 530 / 15.8.2008

Aufgeblättert

Fausto Bertinotti

Zu einem nicht gerade günstigen Zeitpunkt - in der tiefsten Krise der italienischen Linken seit 1945 - erscheint die deutsche Übersetzung eines Buches, dessen italienisches Original 2007 herauskam: "Fausto Bertinotti. Gespräche mit dem italienischen Reformkommunisten". Von wem diese Wortschöpfung stammt, bleibt unklar. Man sollte sich aber dadurch ebenso wenig irritieren lassen wie von Lothar Biskys verzichtbarem Vorwort. Denn was Bertinotti (68), zwischen 1994 und 2006 Sekretär von Rifondazione Comunista, zu sagen hat, ist durchaus lehrreich. Bei den vier Texten handelt es sich um die bearbeitete Fassung von Interviews, die Sergio Venzina mit Bertinotti zwischen 2002 und 2005 für die Sendung "Die Stadt der Menschen" des italienischen Staatsfernsehens RAI3 führte. Sie zeigen vor allem Bertinottis herausragende Fähigkeit, teilweise komplizierte Sachverhalte klar und verständlich zu erläutern und seine eigenen Positionen zu begründen. Die muss man nicht alle teilen - siehe etwa sein teils illusorisch, teils gefährlich erscheinendes Konzept eines Europa, das sich entscheiden müsse, "ob es ein Ableger der USA werden will oder ob es mit den USA in Wettbewerb tritt, und zwar im Namen einer anderen Vision über die Beziehungen mit der Dritten Welt und vor allem im Namen eines internen Sozialmodells." Überzeugender klingen seine Ausführungen zur Globalisierung, der "restaurativen Revolution des Kapitalismus", oder seine - für TraditionskommunistInnen provozierenden - Gedanken zum Verhältnis von Partei und Bewegungen. Dieser Bertinotti, der spätestens seit Genua 2001 für die Öffnung von RC zu den sozialen Bewegungen stand, wird der italienischen Linken fehlen - seinen Rückzug in die zweite Reihe hatte er schon vor dem Wahldesaster im April angekündigt.

Js.

Fausto Bertinotti. Gespräche mit dem italienischen Reformkommunisten. Herausgegeben und übersetzt von Germana Alberti v. Hofe. Reihe Texte der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Band 45. Karl Dietz Verlag, Berlin 2008, 118 Seiten, 14,90 EUR

Frauen im Nationalsozialismus

In letzter Zeit mehren sich auch in Österreich Untersuchungen, die Frauen als Opfer, Mitläuferinnen und Täterinnen des Nationalsozialismus ins Visier nehmen. In dem Band "Frauen 1938" versammelt Evelyn Steinthaler Aufsätze, Interviews und literarische Arbeiten, die über widerständige Frauen im Alltag, das Leben von Jüdinnen im Exil und als Illegale sowie die Schuld von Frauen berichten. Wie wichtig die Arbeit von Frauen für den meist als männlich konnotierten Widerstand war, schildern Vida Obid und Lisa Rettl in ihrem Beitrag über den beeindruckenden Widerstand von Kärntner Partisaninnen. Frauen im Widerstand haben es verstanden, sich das traditionelle Rollenverständnis in der patriarchal-faschistischen Gesellschaft zunutze zu machen. Da man ihnen keine aktive politische Rolle zuerkannte, konnten sie die "weibliche Harmlosigkeit" nutzen und unauffälliger agieren, wie Ingrid Bauer in ihrem Beitrag zeigt. Auch durch kleine und phantasievolle Aktionen und Gesten konnten sie ihre Gegnerschaft ausdrücken. So verließen einige Frauen immer mit zwei Taschen bestückt das Haus, um ja nicht in die Verlegenheit zu geraten, den Hitlergruß entbieten zu müssen. Die Schülerin Maria W. aus Ebensee nuschelte immer "drei Liter" statt des obligatorischen "Heil Hitler". Auch wenn solche Handlungen nicht das Räderwerk von Ausgrenzung, Vernichtung und Krieg zum Stehen brachten, halfen sie den Akteurinnen dabei, eine kritische Identität zu entwickeln und das engste Umfeld zu beeinflussen. Von den 200.000 Juden und Jüdinnen in Österreich vor der NS-Herrschaft gelang 130.000 die Flucht ins Ausland. Dort erwiesen sich die Frauen oft als wesentlich überlebensfähiger als die Männer, die unter dem Verlust ihrer sozialen Dominanz litten, wie Helga Embacher schreibt. Elfriede Jelinek befasst sich in einem gewohnt dichten und brachialen Text mit der grausamen Vernichtung durch "Ausbeutung" und "Ausnutzung" des weiblichen Körpers in den KZ-Bordellen. Margit Reiter bleibt es am Ende des hochinteressanten Buches überlassen, das Kapitel der Frauen als Mitläuferinnen und Täterinnen aufzuschlagen. Da Frauen im NS-Machtapparat so gut wie keine Rolle spielten, lastete auf ihnen lange Zeit nicht der Makel der Schuld. Ausnahmen wie KZ-Ärztinnen etc. bestätigten eher die Regel - sie wurden als "Bestien" etikettiert und damit aus der Gesellschaft ausgeschlossen, was es dem Rest der Frauen leicht machte, sich nicht selbst mit der Frage von Schuld auseinanderzusetzen. Der Blick der Wissenschaft hat sich durch eine junge Generation von HistorikerInnen geschärft.

Matthias Reichelt

Evelyn Steinthaler (Hg.): Frauen 1938. Verfolgte - Widerständige - Mitläuferinnen. Milena Verlag, Wien 2008, 185 Seiten, 21,90 EUR

Internationalismus und Antirassismus 1964 bis 1983

Wer Nils Seiberts Buch über internationalistische und antirassistische Aktivitäten der Jahre 1964 bis 1983 durchgearbeitet hat, wird dessen Titel sehr passend finden: "Vergessene Proteste". Wem sagt die Cabora-Bassa-Kampagne heute noch etwas? Dabei hat die Mobilisierung gegen ein von der damaligen portugiesischen Kolonialmacht Ende der 1960er Jahre geplantes Staudammprojekt in Mosambik nicht nur die linke Öffentlichkeit beschäftigt. Diese Kampagne ist nur eines von elf in dem Buch dargestellten Beispielen von Protesten, die einmal die Öffentlichkeit bewegten. Nils Seibert reproduziert nicht die Lesart derjenigen Alt-68er, die mittlerweile im Staat angekommen sind. Am Anfang der von ihm dokumentierten Geschichte stand eben nicht der Schah-Besuch und der Tod von Benno Ohnesorg. Sie beginnt vielmehr mit dem von afrikanischen Studenten getragenen Protesten gegen den Besuch des kongolesischen Präsidenten Moishe Tschombé in Bonn und Westberlin. Tschombé war von den westlichen Staaten nach der Ermordung des antikolonialen kongolesischen Präsidenten Lumumba in sein Amt eingesetzt worden, herrschte mit Terror, aber zur Zufriedenheit der westlichen Welt. Die afrikanischen Demonstranten wurden damals nur von wenigen Studierenden um den damals noch kaum bekannten SDS unterstützt. Seibert liefert nicht nur zu allen dokumentierten Protesten eine kurze Einführung. Er spart auch interne Konflikte und Widersprüche nicht aus. Ein roter Faden in seinem Buch ist der Kampf gegen Rassismus und die Abschiebungen politischer AktivistInnen. So sorgten Ausweisungsdrohungen gegen iranische Oppositionelle 1969 für massive Proteste. Teilweise konnten die Abschiebungen in letzter Minute verhindert werden. Massenabschiebungen gab es auch nach den von einem palästinensischen Kommando verübten Anschlag auf israelische Sportler während der Olympischen Spiele 1972 in München. Danach standen - wie nach dem 11. September - grundsätzlich alle Menschen aus arabischen Staaten im Visier. Nils Seiberts Verdienst ist es, vergessene Proteste ausgegraben zu haben -auch um sie diskutierbar und kritisierbar zu machen.

Peter Nowak

Nils Seibert: Vergessene Proteste. Internationalismus und Antirassismus 1964-1983. Unrast-Verlag, Münster 2008, 224 Seiten, 13,80 EUR