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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 530 / 15.8.2008

Handreichungen zum Klassenkampf

Finanzmarktdomino

Die Finanzmärkte kriseln. Schuld an Bankenpleiten, Kursturbulenzen und hektischen Zentralbankaktivitäten rund um den Globus haben nach allgemeiner Lesart verarmte US-HäuslebauerInnen, die ihre Baukredite nicht mehr bedienen können und für den Zusammenbruch des US-Hypothekenmarktes gesorgt haben. Doch damit sich der Kollaps einer Hypothekenbank in Omaha, Nebraska, zum Crash der IKB-Bank in Düsseldorf, Germany, auswachsen konnte, waren ein paar wesentliche Zwischenschritte notwendig, vor allem die massive Deregulierung der internationalen Finanzmärkte.

Deregulierung der Finanzmärkte heißt vor allem, dass neue "Finanzinstrumente" entstanden sind, die kaum noch irgendeiner Banken- oder Börsenaufsicht, Bilanzierungsvorschriften und anderen Regeln unterliegen. Eine zentrale Rolle spielen dabei so genannte "strukturierte Finanzinstrumente", und die funktionieren so:

Früher vergab eine Bank einen Wohnungsbaukredit. Die Kreditsumme wurde als Forderung bis zum Ende der Kreditlaufzeit in der Bilanz geführt und musste laut Bilanzvorschriften durch Eigenkapital gedeckt sein. Heutzutage kann ein solcher Kredit "verbrieft" werden: Die Bank kann die Forderung zu einem handelbaren Wertpapier machen und ihrerseits verkaufen. Der neue Käufer erwirbt also eine Forderung gegenüber jemandem, den er weder kennt, noch dessen Bonität er selber geprüft hat. Im US-Hypothekengeschäft haben die Banken ganze Bündel von unterschiedlichen Kreditforderungen an - z.T. eigene - "Zweckgesellschaften" (Special Purpose Vehicle) verkauft und damit aus ihren Bilanzen verschwinden lassen. Die Risiken, die mit diesen Krediten verbunden waren, wurden so auf Strohmänner verschoben, denn die Zweckgesellschaften sind aus dem offiziellen Bankensystem ausgelagert und unterliegen nicht dessen Aufsichts- und Kontrollstrukturen. Insbesondere sind sie nicht verpflichtet, Risiken durch Eigenkapital abzusichern.

Die Zweckgesellschaften kaufen die Forderungen nicht mit eigenem Geld, sondern nehmen ihrerseits Kredite auf. Gleichzeitig verkaufen sie die Zahlungsansprüche aus ihrem Forderungspool (Zinsen, Tilgung) als langfristiges Wertpapier an Anleger. Gedeckt sind diese Papiere durch den Forderungsbestand selbst, z.B. Hypotheken (Asset Backed Securities, ABS). Dieses Prinzip lässt sich noch zuspitzen, denn der Anleger, der ABS von einer Zweckgesellschaft kauft (in der Regel auch wieder mit geliehenem Geld), kann selber eine Zweckgesellschaft sein. D.h. es gibt dann Gesellschaften, die in ihrem Pool nur noch verbriefte Forderungen von verbrieften Forderungen haben und daraus abgeleitete Zahlungsansprüche wiederum als Wertpapiere verkaufen (Collateralised Debt Obligations, CDO).

Auf diese Weise entsteht eine "Superstruktur" vielfältiger abgeleiteter Finanzinstrumente. Bei Pools mit mehreren tausend völlig unterschiedlichen Krediten, Verbriefungen und Verbriefungen von Verbriefungen sind die Risiken dieser Papiere zunehmend unkalkulierbar. Selbst renommierte Ratingagenturen geben auf oder bewerten nur noch Teile der Pools. In der Regel sind die Pools tranchiert, d.h. nach Risikoklassen eingeteilt. Ein Gesamtportfolio von 100 Mio. Dollar teilt sich auf in eine "hochgiftige", superriskante, aber extrem hoch verzinste Tranche von fünf Millionen Dollar, fünf mittlere Tranchen von zusammen 20 Mio. Dollar und einer hochwertigen Tranche von 75 Mio. Dollar. Wenn früher eine 100-Million-Dollar-Anleihe geplatzt war, hatte sich der Zahlungsausfall gleichmäßig auf alle Inhaber der Anleihe verteilt. Jetzt wird im Falle eines Zahlungsausfalls die "beste" Tranche aus den vorhandenen Erträgen zuerst bedient. Im Extremfall entpuppen sich die unteren Tranchen dann als kompletter Abschreibungsfall.

Während die verbrieften Forderungen in den Pools der Zweckgesellschaften Papiere mit langen Laufzeiten sind, sind die Kredite, die die Gesellschaften zur Refinanzierung aufnehmen, eher kurzfristige Schuldverschreibungen mit einer Laufzeit von 30 bis 90 Tagen. Als der Markt für strukturierte Finanzinstrumente 2007 zusammenbrach, blieben die Zweckgesellschaften auf den plötzlich unverkäuflichen Forderungen sitzen, mussten aber gleichwohl ihre eigenen kurzfristigen Schulden bedienen: Zudem war niemand mehr bereit, ihnen kurzfristiges Geld zu leihen. Mit einem Schlag wurden die Gesellschaften illiquide: Ihre hochriskanten Langfristforderungen galten nicht mehr als Sicherheit für kurzfristige Kredite und mussten um jeden Preis - und damit mit gigantischen Verlusten - verkauft werden.

Dort, wo Banken "ihren" Zweckgesellschaften Liquiditätsgarantien gegeben haben, wurden diese nun in Anspruch genommen: Die Banken haben entweder die vollkommen entwerteten langfristigen Forderungen zurückgekauft oder aber den Zweckgesellschaften kurzfristige Kredite gewährt. Doch damit kamen die schlechten Risiken wieder zu den Banken und in deren Bilanzen zurück. Gigantische Verluste durch Wertberichtigungen und Abschreibungen waren die Folge und mit einem Male standen selbst die großen Banken vor erheblichen Eigenkapitalproblemen, die nicht selten nur durch massive Staatseingriffe "geheilt" werden konnten.

Von der Hypothekenkrise über die Liquiditätskrise zur Bankenkrise - die neuen Finanzinstrumente haben die Finanzmarktgeschäfte nicht nur riskanter, sondern auch intransparenter gemacht. Die Entfernung zwischen den handelbaren Forderungen und der eigentlichen realwirtschaftlichen Sicherheit ist immer größer und unüberschaubarer geworden. Die ursprüngliche Forderung gegenüber dem Häuslebauer in Omaha ist mehrfach um den Globus gespült worden, bis sie hinter der Forderung der IKB-Bank gegenüber einem in Japan verwalteten Fonds überhaupt nicht mehr zu erkennen ist. Selbst große Finanzinstitute blicken inzwischen bei den neuen Wertpapierformen nicht mehr durch. Bis heute, ein Jahr nach Platzen der Immobilienblase in den USA, ist die Dimension der Krise immer noch unklar.

dk