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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 530 / 15.8.2008

Jenseits aller Naturromantik

Die G8 und die Ökonomie des Klimaschutzes

Die G8-Staaten haben bei ihrem Gipfel in Japan im Juli ihre neuen Fortschritte in Sachen Klimaschutz präsentiert. Die Presse reagierte gespalten: Das eine Lager kommentierte die mageren Ergebnisse mit dem Statement "Mehr war nicht zu erwarten". Andere zeigten sich "enttäuscht". Nur eines wurde mal wieder nicht geleistet: Eine Erklärung dessen, worum es beim "Ringen um den Klimaschutz" eigentlich geht.

Hatten die G8-Staaten (Japan, USA, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien, Kanada, Russland) 2007 in Heiligendamm noch beschlossen, eine Reduktion des CO2-Ausstoßes "ernsthaft in Erwägung zu ziehen", so ist man nun weiter: Die Halbierung der Emissionen bis zum Jahr 2050 nennen sie jetzt eine "gemeinsame Vision", die zu verfolgen sei.

Gerettet ist die Welt damit keineswegs. Denn kurz- bis mittelfristige Klimaschutzziele wurden nicht vereinbart. Und auch die Halbierung des CO2-Ausstoßes bis 2050 ist eine Vorgabe ohne Wert, wenn die G8 sich noch nicht einmal auf ein Basisjahr einigen kann; wenn sie also nicht sagt, im Verhältnis zu welchem Jahr der CO2-Ausstoß 2050 halbiert sein soll.

So fordert die Bundesregierung 1990 als Basisjahr, weil Deutschland seitdem seinen CO2-Ausstoß um rund 20 Prozent reduziert hat, vor allem wegen der Deindustrialisierung Ostdeutschlands. Japan hingegen bevorzugt als Basisjahr 2008, da das Land seit 1990 seinen CO2-Ausstoß um mehr als sechs Prozent gesteigert hat. "Raum für Scheitern der Verhandlungen gibt es also noch genug." (Spiegel online, 9.7.08)

Dass die G8-PolitikerInnen - und nicht nur sie - weiter um eine Lösung "ringen" und damit die Ruinierung des Globus riskieren, liegt nicht an einem Mangel an Weit- und Umsicht. Oder daran, dass sie den Klimawandel nicht ernst nähmen. Sondern daran, dass Klimaschutz für die beteiligten Regierungen kein absolutes Ziel ist. Vielmehr behandeln sie die Rettung der Welt als ein Ziel, dessen Erreichung sie mit vielen Nebenbedingungen versehen. Denn wenn StaatenlenkerInnen ans Klima denken, denken sie nicht an blühende Wiesen, glückliche Menschen und Kühe. Sondern an Geld und Macht.

Die Rettung der Welt ist nicht das Ziel

Das zeigt schon der Ausgangspunkt der Debatte. Denn dass der bereits seit langem beklagte Klimawandel auf einmal auf die politische Agenda gekommen ist, liegt am Report des Beraters der britischen Regierung, Nicholas Stern. Und der sprach weniger von der Natur als von Kosten: Bliebe man untätig, würden sich die Kosten des Klimawandels auf fünf bis 20 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung belaufen - bis Ende des 21. Jahrhunderts könne sich die Rechnung auf über 4.000 Mrd. US-Dollar summieren.

Ähnliches hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung zu vermelden (DIW Wochenbericht 11/2007): Wenn kein forcierter Klimaschutz betrieben wird und damit die globale Oberflächentemperatur bis zum Jahr 2100 um bis zu 4,5 Grad steigt, dann bedeutet das laut DIW zum Beispiel, dass Deutschland schneefrei wird. Als Opfer identifiziert das DIW aber nicht Skifahrer oder Schneemannbauer, sondern die Tourismus- und Wintersportindustrie mit Verlusten und Zusatzkosten von 30 Mrd. Euro bis zum Jahr 2050.

Auch angesichts der vermehrt auftretenden tropischen Krankheiten zeigt das DIW weniger ein Herz für die Kranken, vielmehr sorgt es sich darum, dass "steigende Temperaturen Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Menschen beeinträchtigen" und zu "hitzebedingten Sterbefällen" sowie einem "Leistungsabfall der Beschäftigten" führen. Zusätzliche Kosten für das deutsche Gesundheitssystem laut DIW: 61 Mrd. Euro bis 2050, dann steigend.

Ganz egal, ob das DIW hier richtig gerechnet hat oder nicht - derartige Berechnungen werden als "Revolution" in der Betrachtung der Ökofrage behandelt: "Jenseits aller Naturromantik" bricht "ein neues Zeitalter des Naturschutzes an: Wälder, Kräuter und Korallenriffe erhalten erstmals einen Wert und werden damit schützenswert". (Spiegel, 19.5.08) Man beachte das "damit" in dem Zitat. Berichte wie der Stern-Report oder die DIW-Studie reduzieren den Wert der natürlichen Umwelt auf geldwerte Leistungen bzw. auf die Kosten, die der Gesellschaft durch Umweltzerstörung entstehen. Das hat Folgen: Ideologisch gilt Naturzerstörung damit nicht länger als eine logische Folge des Kapitalismus, sondern als marktwirtschaftlich ineffizient. Unterstellt wird damit, Kapitalismus und Naturschutz vertrügen sich eigentlich prima.

Praktisch bedeutet diese Kapitalisierung der Umwelt: Natur und Mensch sind nur insofern schützenswert, als ihre Zerstörung dem "Wirtschaftswachstum" schadet. Für regierungsamtliche Klimaschützer folgen daraus drei Bedingungen, wann und wie das Klima überhaupt geschützt wird:

1. Tätig werden sie erst dann, wenn die Kosten der globalen Erwärmung die Kosten des Klimaschutzes übersteigen. Dieser Punkt soll nun erreicht sein. Laut Stern-Report würde der ungebremste Klimawandel bis Ende des 21. Jahrhunderts 4.400 Mrd. US-Dollar kosten, der Klimaschutz jedoch nur jährlich 65 Mrd. US-Dollar. Klimaschutz - ein Sparprogramm für Staat und Wirtschaft.

2. Grundsätzlich wird nur die Natur geschützt, die verwertbar ist. Aus diesem Grund bewertet die G8 einen Anstieg der globalen Temperatur um 2°C als irgendwie akzeptabel, obwohl dies laut Stern-Report allein in Afrika zu 40 bis 60 Millionen Opfern führen wird - Opfer mit minderem ökonomischem Wert.

3. Für jene, die die G8 als schützenswert anerkennt, bricht damit aber nicht das gute und gesunde Leben an. Denn geschätzt und geschützt werden Mensch und Umwelt nur als verwertbare Stücke belebter Natur. Ziel der G8 ist es lediglich, die Existenz von Mensch und Umwelt als nützliche Ressource zu sichern. Das übrigens meinen PolitikerInnen, wenn sie von "Nachhaltigkeit" sprechen.

Die Ökonomisierung der Natur ist also alles andere als eine Revolution in der Ökofrage, sondern die immergleiche Kalkulation: Maßstab für den Naturschutz ist die Kapitalakkumulation - und zwar nicht die globale, sondern die nationale Akkumulation: Jeder einzelne Staat versucht, die Kosten des Klimaschutzes auf die anderen abzuwälzen. Dieser Kampf um die Verteilung der Klima-Unkosten ist eine reine Machtfrage, geführt wird die Diskussion aber mit Gerechtigkeitsargumenten.

Die Kapitalisierung der Umwelt

So argumentierten Schwellenländer wie Indien oder China auf dem G8-Gipfel, dass die USA, Europa und Japan die Hauptlast des Klimaschutzes tragen müssten, da sie die Umwelt schon viel länger verpesteten. Speziell die US-Regierung wiederum wandte sich gegen Selbstverpflichtungen der Industriestaaten in Sachen CO2-Emissionsminderung, die großen Schwellenländer müssten "mit ins Boot geholt" werden, was angesichts der künftig wohl steigenden Meeresspiegel ein passendes Bild ist.

Die G8-Staaten haben daher in ihre Abschlusserklärung den Satz hineingeschrieben, dass "sie allein den Kampf gegen die Erderwärmung nicht gewinnen" können (obwohl sie für zwei Drittel des Ausstoßes von Klimakillern verantwortlich sind). Damit bekundet die G8 ihren Willen, auch China und Indien für den Klimaschutz zahlen zu lassen. Denn die G8 verdächtigt die neuen Konkurrenten aus Asien des "Umweltdumpings": Ihre Naturzerstörung wird als unfairer Wettbewerbsvorteil verurteilt.

So weit zur Kostenseite der Klimadiplomatie. Die andere Seite sind die Profite. Denn wenn der Klimaschutz die Welt Milliarden kostet, dann bedeutet das: Irgendjemand verbucht Milliardeneinnahmen. Vor allem die deutsche Bundesregierung verspricht sich von den weltweiten Klimaschutzbemühungen große Gewinne. Schließlich ist Deutschland Weltmarktführer im global boomenden Leitmarkt der erneuerbaren Energien. Laut Ifo-Institut werden 28% des Windstroms dieser Welt in Deutschland produziert, 48% des Solarstroms und 45% des Biodiesels.

Der "Umwelttechnologieatlas Deutschland 2007" des Bundesumweltministeriums erwartet allein für die Unternehmen der Ökoenergie-Branche ein Umsatzwachstum von 27% bis zum Jahr 2009. Branchen wie Energieerzeugung, Energieeffizienz, Rohstoff- und Materialeffizienz, Kreislaufwirtschaft, nachhaltige Wasserwirtschaft und Mobilität hatten laut Umwelttechnologie-Atlas im Jahr 2005 ein Weltmarktvolumen von etwa 1.000 Mrd. Euro.

Bis 2020 werde sich der Umsatz der Umweltindustrien voraussichtlich auf 2.200 Mrd. Euro mehr als verdoppeln. Deutsche Unternehmen dürften davon überproportional profitieren, da sie in allen Segmenten des Marktes stark vertreten sind. Das Geschäft mit dem Klimawandel lockt große Konzerne, vor allem die Energie-Riesen. So haben RWE (RWE Innogy) und Eon (Eon Climate & Renewables) eigene Töchter für dieses Geschäftsfeld gegründet und investieren hier jährlich Milliarden Euro.

"Wir stehen am Beginn der dritten industriellen Revolution, einer umweltgetriebenen Phase des Strukturwandels, in dessen Zentrum die Energie- und Ressourceneffizienz steht", schreibt die Research-Abteilung von Allianz Dresdner Bank. "Neue Werkstoffe, bessere Technologien, optimierte Produktionsverfahren und intelligente Produkte müssen dazu beitragen, globale Umweltprobleme zu lösen. Auch ohne das Klimaproblem wäre dieser Modernisierungsschub wirtschaftlich sinnvoll ... Unsere Untersuchung zeigt, dass die deutsche Wirtschaft im Allgemeinen und die Industrie insbesondere keine Angst vor einem verschärften Klimaschutz haben muss." (Wirtschaft und Märkte 11/2007)

Mit seiner Klimaschutzindustrie blickt Deutschland dabei auf die Märkte im Ausland. Denn "die sehr hohen Investitionen für neue Technologien rechtfertigen sich nur, wenn man davon ausgeht, dass sie auch woanders nachgefragt werden", so Kanzlerin Angela Merkel. Schon heute hat die deutsche Windkraftindustrie einen Exportanteil von 74 bis 83 Prozent. Wenn Merkel also auf international verbindliche Klimaschutzziele dringt, so betreibt sie damit Exportförderung für deutsche Ökotechnologie.

Die Förderung der erneuerbaren Energien lässt sich Deutschland einiges kosten: So hat die Photovoltaik bereits 26 Mrd. Euro an öffentlichen Zuschüssen gekostet, gezahlt von den StromverbraucherInnen. Das lohnt sich für die Unternehmen: Solarfirmen erzielen Millionengewinne. Und das lohnt sich für den Standort: Denn Deutschland macht sich unabhängiger von Energieimporten, die mit dem Ölpreis immer weiter steigen. Denn 97% des Erdöls kommen aus dem Ausland, 84% des Erdgases und 60% der Steinkohle. Energieträger sind der größte Posten in der deutschen Importrechnung - vom Verbrauch von Wind- oder Solarenergie profitieren dagegen vor allem deutsche Unternehmen.

Unabhängiger von Energieimporten bedeutet gleichzeitig: unabhängiger von ausländischen Staaten wie Russland oder den OPEC-Ländern. "Nicht zu vernachlässigen ist, dass sich große Teile der globalen Öl- und Gasreserven in politisch brisanten Regionen befinden. Auch hierin liegt ein nicht zu unterschätzender Risikofaktor", mahnt die Deutsche Bank. (Aktuelle Themen: Energie und Klimawandel, 4.6.07) Mit der weltweiten Verbreitung von erneuerbaren Energien mindert Deutschland also seine Abhängigkeit von ausländischen Regierungen und erhöht gleichzeitig deren Abhängigkeit von deutscher Technologie.

Da es der Bundesregierung beim Klimaschutz also weniger um die Natur geht, sondern eher um Kostensenkung und Profitsteigerung, um die Sicherheit des Standorts und außenpolitische Machtmittel ist es kein Wunder, dass die Atomkraft eine "Renaissance" erlebt. Denn die deutschen Kernkraftwerke sind bereits gebaut und abgeschrieben und werfen Milliardengewinne ab. Zwar muss auch Uran importiert werden, doch kommt es aus politisch unbedenklichen Staaten.

Klimaschutzbemühungen versprechen große Gewinne

Neidisch blickt man auf Frankreich, wo Atomreaktoren vier Fünftel der Energie erzeugen, wo die Atomindustrie jährlich Exporteinnahmen von 4,5 Mrd. Euro verzeichnet und wo man nur noch gut zur Hälfte von Energieimporten abhängig ist. Daher kritisiert die CDU nun offen den deutschen Atomausstieg bis zum Jahr 2022 - Risikotechnologie hin oder her. Und auch die SPD erwägt, einige Reaktoren nun länger laufen zu lassen und deren Gewinne teilweise abzuschöpfen. "Das wäre ein Energiekonsens, wie ein modernes Industrieland ihn braucht", so SPD-"Vordenker" Erhard Eppler. (Spiegel, 7.7.08)

Fazit: Wer die Klimapolitik der G8-Regierungen kritisiert, der sollte nicht an dem Punkt ansetzen, dass sie eigentlich gar keinen Klimaschutz wollen. Oder an dem Punkt, dass der Kapitalismus gar keine CO2-Reduktion schaffen kann. Kritikwürdig ist vielmehr, unter welchen Bedingungen überhaupt Klimaschutz erwogen wird und welchem Zweck er dient. Dass Natur und Mensch vor die Hunde gehen, reicht den Staatenlenkern allein nicht aus. Laut G8-Abschlusserklärung darf ein "langfristiges Klimaschutzziel nicht die Chancen auf Wachstum und Wohlstand beeinträchtigen". Das ist die kapitale Bedingung. Wird sie nicht erfüllt, dann haben wir alle eben Pech gehabt.

Anna Blume