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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 530 / 15.8.2008

Natur und Arbeit sind in falscher Hand

Für eine Verknüpfung der Analyse von kapitalistischer Produktionsweise und Naturbeherrschung

Ohne die Ökologiebewegungen der letzten knapp 40 Jahre und ihre politischen Errungenschaften und Rückschläge unter den Tisch kehren zu wollen: das, was heute als "Krise der gesellschaftlichen Naturverhältnisse" bezeichnet wird, ist weder eine Überraschung noch eine Neuigkeit des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Das Verdienst dieser Bewegungen ist es jedoch, dass sich ökologische Probleme als gesellschaftliche offenbart haben.

Was derzeit als Umweltpolitik betrieben wird, hat mit den einstigen Forderungen nahezu nichts gemeinsam. Der Klimawandel ist das momentan politisch relevanteste Thema, das von Politik und Wirtschaft in den Vordergrund gestellt wird - das nicht ohne Grund. Denn schon seit Beginn der zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen um den internationalen Umgang mit den Folgen gesellschaftlicher Naturzerstörung beinhalteten die "Lösungsstrategien" nie ein anderes Verhältnis von Gesellschaft und Natur. Konzepte wie "nachhaltige Entwicklung" fordern zwar Umweltschutzmaßnahmen, pressen diese aber in ein kapitalkonformes Gewand.

Die BRD, ihres Zeichens selbst ernannte Vorkämpferin gegen den Klimawandel, spielt dabei dank der grünen Integration eine nicht zu vernachlässigende Rolle: sie ist Vorreiterin im Bereich alternativer Energien und deutsche Konzerne sind Gewinner einer "klimafreundlichen" Politik, die den KlimasünderInnen aus der Dritten Welt auch gerne mal - in Person von Angela Merkel - in Erster-Welt-Manier die Umweltleviten liest.

Was wir in den unterschiedlichen Formen und nun auch in Bezug auf den Klimawandel als Naturzerstörung bezeichnen, ist konstitutiv für die kapitalistische Gesellschaftsformation. Naturzerstörung ist damit ein sich permanent reproduzierendes und in seiner Dimension wachsendes Grundproblem der gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse. Diese werden über das reale praktisch-tätige, gesellschaftliche Verhalten der Menschen zueinander und zur Natur bestimmt. Das Verhalten der Menschen ist abhängig von ihrem Verhalten zur Natur und umgekehrt. Die Vermittlungsinstanz zwischen Natur und Gesellschaft ist die gesellschaftliche Arbeit. Ihre historisch spezifische Form bestimmt die Form, die das Verhalten der Gesellschaft zur Natur annimmt.

Naturzerstörung und Kapitalismus

Die gesellschaftliche Arbeit ist bestimmt durch den dialektischen Widerspruch zwischen Gebrauchswert und Wert oder entwickelt ausgedrückt: zwischen Kapital und Arbeit. Die Beziehung der beiden Seiten zueinander erhält im Zuge der Reproduktion der kapitalistischen Produktionsweise eine besondere Form. Das gesellschaftliche Verhältnis der Menschen zueinander, das Produktionsverhältnis, ordnet sich das Verhältnis der Menschen zur Natur, die Produktivkräfte, unter, und formt sie nach ihren Bedingungen. Die Beziehung zwischen Gesellschaft und Natur wird also über die dialektische Beziehung zwischen Produktionsverhältnissen und Produktivkräften bestimmt. Erste dominieren letztere, das Kapital herrscht über die Arbeit - mit ernsthaften Konsequenzen für Menschen und Natur.

Der Arbeitsprozess vollzieht sich selbstverständlich in einer schier unendlichen Reihe konkret-nützlicher Formen, in denen in der Landwirtschaft, der Energiegewinnung, der Pharmaindustrie usw. die Menschen individuell auf vollkommen unterschiedliche Weise mit der Natur in Beziehungen treten. Ihre Handlungen sind jedoch alle vom Verwertungsinteresse geleitet, dominiert und erhalten eine Form, die der Zurichtung der Produktivkräfte auf eine maximale Ausbeutung der Natur als eine der beiden Quellen des Reichtums, neben der menschlichen Arbeitskraft, entspricht. Die kapitalistische Produktionsweise richtet den Umgang mit der Natur auf eine spezifische Verwendung zu. Natur wird auf den Status eines den Menschen vollkommen unterworfenes, taxonomisch erfasstes und verfügbares Objekt reduziert, das verkauft werden kann. Natur wird als Ware behandelt. Dieser Prozess erfasst seiner Tendenz nach die gesamte Natur und dringt immer weiter in neu verwertbare Bereiche vor, die in Wert gesetzt werden. Das kann man anhand der neueren Entwicklungen in den Biotechnologien sehen.

Der praktischen Seite des gesellschaftlichen Naturverhältnisses entsprechen besondere falsche und ideologische Reflexionsformen - falsches Bewusstsein -, die aus dem so genannten Fetischcharakter, wie Marx ihn schon an der Ware gezeigt hat, hervorgehen. Diese Reflexionsformen sind das Resultat einer Theorie, die nicht in der Lage ist, die dialektische Bewegung der Verhältnisse und deren Vermittlung durch die gesellschaftliche Arbeit nachzuvollziehen.

Die Folge sind verdinglichte Denkformen, welche die gesellschaftlichen Verhältnisse und damit das Verhalten zur Natur grob entweder als Fortsetzung von Naturgesetzen betrachten oder die Natur sogar als Produkt des (menschlichen) Geistes begreifen. Beide Varianten und ihre verschiedenen Verknüpfungen, z.B. Natur und Gesellschaft als untrennbares Gemenge zu betrachten, sind reduktionistisch. Sie dienen als ebenfalls zugerichtete, instrumentelle Vernunft zwar der Beherrschung der Natur. Einem richtigen Verständnis des gesellschaftlichen Naturverhältnisses stehen sie jedoch im Weg, weil sie einerseits falsche Praxis begründen, legitimieren und perpetuieren und andererseits die Erkenntnis der gesellschaftlichen Arbeit als Vermittlerin zwischen Gesellschaft und Natur verhindern. An diesen Theorien setzt Ideologiekritik an.

Die kapitalistische Produktionsweise und die ihr entspringenden Ideologien erlauben als negative Totalität kaum individuelle Alternativen im Umgang mit der Natur, aber erst recht keine gesellschaftliche Veränderung des Verhaltens zur Natur, es sei denn ihre Voraussetzungen, der Warentausch und das Privateigentum an Produktionsmitteln, werden aufgehoben. Dies muss das grundlegende Ziel jeder emanzipatorischen Politik sein. Der Klimawandel bietet eine Chance, auf den inneren Zusammenhang von Kapitalismus und Naturzerstörung hinzuweisen. Die Attac-Kampagne "Power to the People" (1) zur Enteignung von Vattenfall, EON, RWE und EnBW ist deshalb ernst zu nehmen.

Wir plädieren nicht gegen eine Praxis, weil die Vergesellschaftung der Produktionsmittel momentan politisch objektiv zum Scheitern verurteilt ist, sondern für eine politische Intervention in ökologische Konflikte und das bewusste Besetzen ökologischer Themen. Darin sollte man sich keinesfalls auf die Frage des Klimawandels beschränken lassen, dessen politische Hochkonjunktur jedoch auch nicht vernachlässigt werden kann. Und vor lauter Schwäche darf nicht der Fehler begangen werden, zutreffende Analysen und politische Forderungen unter den Teppich zu kehren.

Im Zuge der erst in jüngster Zeit aufgenommenen Debatte über den Klimawandel werden in der Linken immer wieder Argumente bzw. Lösungsansätze ins Spiel gebracht, die teilweise die Zurichtung auf den kapitalistischen Verwertungszwang und seine Bedeutung für die Produktivkraftentwicklung aus dem Blick verlieren bzw. durch Neukonzeptionen der Kritik versuchen, das aus dem Zentrum der Gesellschaftskritik zu verdrängen.

Politische Intervention in ökologische Konflikte

Eine ältere, aber gesellschaftlich wohl bedeutendere Position redet immer noch einer unermesslichen Produktivkraftsteigerung das Wort, die dann einen besseren Umgang mit Problemen wie dem Klimawandel erlauben soll. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass der Entwicklungsstand der Produktivkräfte schon seit Jahrzehnten kein reales Hemmnis mehr für eine befreite Gesellschaft ist. Vielmehr bilden die Produktionsverhältnisse die objektive Schranke, da sie über den Nutzen und die Verwendung der Produktivkräfte entscheiden. Unter den aktuellen Verhältnissen führt die Fortentwicklung der Produktivkräfte nur zu einer besseren Beherrschung und Ausbeutung der Natur und der Menschen und damit zur Reproduktion des Kapitals sowie der Produktionsverhältnisse.

Das Verhältnis der Gesellschaft zur Natur ist aber auch nicht vorrangig eines der politischen Diskursmacht oder eines der Darstellung in der Theorie. Die Verlagerung vor allen Dingen der wissenschaftlich arbeitenden Linken auf eine Position, die sich nahezu ausschließlich aus erkenntnistheoretischer Kritik speist, steht in Kontinuität zu den politischen Entwicklungen der bundesdeutschen Linken nach 1968. Klassenkämpfe - die Frage nach Produktionsverhältnissen und dem praktischen Verhalten der Gesellschaft - verloren ihren Stellenwert und sind schrittweise durch Kämpfe gegen die Ungleichheiten kultureller Differenz ersetzt worden. Naturrepräsentationen und symbolische Naturalisierungen treten an die Stelle der Untersuchung des praktischen Verhältnisses zur Natur, das als solches kaum mehr wahrgenommen wird.

Die Beziehung zwischen kultureller Repräsentation und praktisch-gesellschaftlichem Verhalten fällt dabei ebenso unter den Tisch wie die Einsicht, dass das Verhalten der Menschen zur Natur und anders herum keines der theoretischen Beliebigkeit ist, sondern sich nach der Bewegung der Gesellschaft und der Natur in der Wirklichkeit richtet. Die Menschen gehen jeden Tag in der Produktion dieses Verhältnis ein: "Sie wissen das nicht, aber sie tun es." (2)

Dazu passt, dass es bei der Emanzipation des gesellschaftlichen Verhaltens zur Natur nicht ausschließlich um menschliche Bedürfnisse geht. Dennoch wiederholen und rechtfertigen auch heute noch viele Linke immer wieder die herrschaftliche Subsumtion der Natur als bloße Ressource unter die instrumentellen Belange der Menschen mit der anthropozentrischen - und bibeltreuen - Unterstellung, Natur bestehe nur zu menschlichen Zwecken. Sie bleiben damit den Denkformen des Kapitals verhaftet und übergehen die Nichtidentität der Natur. Ein Prüfstein für die Akzeptanz dieser Nichtidentität ist z.B. die politische Haltung gegenüber dem gesellschaftlichen Umgang mit Tieren.

Die historisch-materialistische Bestimmung des gesellschaftlichen Naturverhältnisses als das hegemoniale, konkret-praktische Verhalten der menschlichen Gesellschaft zur Natur bildet außerdem die Grenze für die individuell vielfältig erscheinenden Einzelbeziehungen, die wir tagtäglich zur Natur eingehen. Es geht uns dementsprechend nicht vorrangig darum, die "vielen konkreten - mehr oder weniger radikalen - Konflikte um Naturaneignung" (3) zu betonen und den Kanon dessen, was alles bekämpft werden soll/muss, um einen zusätzlichen Aspekt zu erweitern.

Auch Linke übergehen die Nichtidentität der Natur

Das Problem der scheinbaren Vielfalt der gesellschaftlichen Naturverhältnisse liegt in der realen Einfalt und Zurichtung auf einen Zweck: die Kapitalverwertung. Ohnehin ist es auch mehr als fragwürdig, ob diese rein quantitative Bestimmung, dass es sich um gesellschaftliche Naturverhältnisse handelt, etwas über die qualitative Beschaffenheit des gesellschaftlichen Verhaltens zur Natur, über die Beziehungen der verschiedenen Verhältnisse untereinander oder gar einen etwaigen positiven politischen Bezug aussagt, der sich aus ihnen entwickeln lässt. Nur weil es andere, individuelle und/oder marginale Verhaltensweisen zur Natur gibt, sind sie nicht notwendig besser oder richtig.

Was die häufig sehr guten, neueren Arbeiten zur Frage der Vielfalt zu sagen haben, ist doch gerade, dass selbst diese Vielfalt Gewinn bringend genutzt und ideologisch abgesichert wird. Durch das alleinige Hervorheben der Pluralität der Konflikte geht also nicht nur der gesellschaftliche Zusammenhang verloren. Entsprechend der Betrachtung von monadenhaft erscheinenden Einzelkämpfen geraten auch gesellschaftliche Lösungen aus dem Blick.

Dialektisch betrachtet, beinhaltet die Umwälzung der bestehenden Produktionsweise auch eine Umwälzung des Verhältnisses der Gesellschaft zur Natur. Will man einen anderen Umgang mit der Natur, kommt man jedoch nicht umhin, das gesellschaftliche Verhältnis der Menschen zueinander, das Kapitalverhältnis, zu verändern. Beide Seiten sind nicht ohne einander zu haben.

Zwei Mitglieder der Tierrechtsaktion Nord (TAN)

Anmerkungen:

1) http://attac-typo.heinlein-support.de/intern/energiekonzerne/cms/

2) Marx, Karl: Das Kapital. Band 1. MEW 23. S. 88.

3) Siehe den ersten Debattenbeitrag in ak 529.