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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 531 / 19.9.2008

Stadt des Aufruhrs und der Rebellion

Ein Streifzug durch Barcelonas rebellische Geschichte

Als einen "Stadtführer durch das Barcelona der Rebellen, Hausbesetzer, Immigranten, Streikenden und Revolutionäre" bewirbt die Edition Nautilus ihr Buch "Rebellisches Barcelona", dessen spanisches Original im Jahre 2003 erschienen ist. In einem Streifzug durch die Geschichte werden Episoden aus der an Rebellionen und Aufruhr reichen Vergangenheit der Hauptstadt Kataloniens geschildert.

Das jetzt in deutscher Übersetzung vorliegende Buch ist auch für Nicht-SpanierInnen interessant. Es enthält zahlreiche Informationen, die sich in so konzentrierter Form in kaum einem historischen Nachschlagewerk finden - oft erzählt von Beteiligten oder zumindest ZeitgenossInnen revolutionärer Aktionen. Immer wieder hatte in den letzten 200 Jahren die Stadtarmut gegen unerträgliche soziale Zustände revoltiert, gestreikt, Barrikaden gebaut, Adelspaläste, Klöster und Fabriken abgefackelt, sich mit dem Militär blutige Straßenschlachten geliefert. Auf die Massenexekutionen nach Niederschlagung der Erhebungen antworteten die in Katalonien traditionell starken Anarchisten mit Gegengewalt, sprengten besonders verhasste Generäle, Minister und Fabrikanten in die Luft.

Einen großen Sieg errang die Bevölkerung Barcelonas am 19. Juli 1936. Auf die ersten Nachrichten von Francos Putsch hin waren sich AnarchistInnen, SozialistInnen, bürgerliche AutonomistInnen plötzlich einig. In erbitterten Straßenkämpfen bereitete die Bevölkerung dem Militär eine vernichtende Niederlage. Am Morgen des 20. Juli - 30 Stunden nach dem Putsch - ergaben sich die letzten Soldaten und Offiziere. Eine der Kasernen Barcelonas sollte für mehrere Jahre den Namen des Anarchisten Michail Bakunin tragen.

1936ff.: Sieg über das Militär, Doppelmacht, Diktatur

Im Mai 1937 kam es auf den Straßen Barcelonas zu blutigen Auseinandersetzungen innerhalb des republikanischen Lagers. Auslöser war ein Versuch von Polizeitruppen, linke Milizen zu entwaffnen und so die Periode der "Doppelmacht" im revolutionären Barcelona zu beenden. George Orwell - der an den Kämpfen beteiligt war und von dem deshalb ein Text nachgedruckt wird - schildert, dass die angegriffenen Milizionäre zunächst meinten, die Republik gegen einen rechten Putsch zu verteidigen. Kein unwahrscheinliches Szenario: Zwei Jahre später läutete eine Revolte des eigenen Militärs das Ende des republikanischen Rest-Territoriums ein. Als sich im Mai 1937 diese zunächst naheliegende Vermutung als Irrtum herausstellte, riefen die meisten anarchistischen Führer ihre AnhängerInnen dazu auf, die Kämpfe einzustellen und die Republik weiter gegen die faschistischen Putschisten zu unterstützen. In dem Buch wird jedoch deutlich, dass Gruppen militanter AnarchistInnen keinen Unterschied zwischen der Republik und der Franco-Herrschaft sahen und versuchten, von der Front Truppen abzuziehen und die republikanische Regierung zu stürzen.

Die Beiträge des Buches haben sehr unterschiedliche Qualität. Mehrere Autoren bejahen völlig unkritisch sämtliche Aktionen, die damals von vermeintlich radikalen Splittergruppen unternommen wurden. Die ungeschminkte Schilderung, dass die "Freunde Durrutis" - im Gegensatz zu ihrem Namenspatron - überhaupt nicht daran dachten, an der Front gegen die Franco-Truppen zu kämpfen, spricht dabei für sich: Ihre hirnrissigen Aktionen, die Barcelona zunehmend in ein Chaos stürzten, waren Wasser auf die Mühlen der Hardliner in der republikanischen Regierung, die "Ordnung schaffen" wollten - was dann auch geschah.

Aber auch die Kämpfe vom Mai 1937 und die nachfolgenden "bleiernen Jahre" der Franco-Diktatur vermochten den rebellischen Geist Barcelonas nicht zu brechen. Im Buch werden illegale Streiks geschildert, zusammengeschossene Demonstrationen, Hausbesetzungen, Entstehung und Wiederauflösung revolutionärer Zirkel. Im Jahre 2003 verkündete ein gewisser George W. Bush, Barcelona sei die Hauptstadt der weltweiten Proteste gegen den Krieg. Eine bessere Empfehlung für eine Stadt gibt es nicht.

Gerd Bedszent

Manuel Aisa, Paco Madrid, Dolors Marin, Abel Rebollo, Carles Sanz, Quim Sirera, Miquel Vallès (Hrsg.): Rebellisches Barcelona. Edition Nautilus, Hamburg 2007, 286 Seiten, 19,90 EUR