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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 531 / 19.9.2008

Unglaubliche Beliebigkeit der Ermittlungsansätze

Interview mit Rechtsanwalt Sven Lindemann zum mg-Prozess in Berlin

Am 25. September beginnt vor dem Kammergericht Berlin der Prozess gegen Axel H., Florian L. und Olli R. Die Drei wurden am 31. Juli bei Brandenburg an der Havel nach einem versuchten Brandanschlag auf Bundeswehrfahrzeuge festgenommen. (vgl. ak 530) Die BAW ordnet diesen Anschlag der militanten gruppe zu. Nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) die eher symbolischen Anschläge der mg im November 2007 nicht als Terrorismus einstufte, lautet die Anklage auf versuchte Brandstiftung und "Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung" nach §129 StGB. Über den bevorstehenden Prozess, die Anklage und die Ermittlungen in Sachen mg sprachen wir mit dem Verteidiger von Florian L., Sven Lindemann.

ak: Hast du mit dieser Anklage gerechnet?

Sven Lindemann: Die Anklage ist so, wie wir sie erwartet haben bzw. wie sie nach den Ermittlungen und speziell nach dem Beschluss des BGH nur aussehen konnte. Die Anklage selbst beinhaltet also keine Überraschung. Was sicherlich in dieser Form neu ist, ist der Umstand, dass die Bundesanwaltschaft (BAW) nun einen angeblichen Spitzel oder Zuträger - oder wie man das immer bezeichnen will - des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) einführt, der behauptet, die Mitgliedschaft unserer Mandanten in irgendeiner Weise belegen zu können.

Was ist davon zu halten, dass die BAW sich gemüßigt sieht, den Vorwurf der Mitgliedschaft durch einen VS-Spitzel zu untermauern?

Das werden wir sehen. In der Beweisaufnahme werden wir es nicht selbst mit dem Spitzel zu tun haben. Als Zeuge ist der Präsident des BfV benannt. Nach allen Erfahrungen wird Herr Fromm nur sehr allgemeine Aussagen darüber machen, was sein Zuträger - wie auch immer und von wem auch immer - gehört haben mag. Da wird nach meiner Einschätzung nichts Substanzielles herauskommen: Das kann sogar so weit gehen, dass der VS-Zuträger lediglich ein Kneipengespräch mitgehört hat, bei dem Klatsch und Tratsch kolportiert wurde nach dem Motto "Kannst du dir vorstellen, dass die Drei dazugehören?". Die Substanz dieser nachrichtendienstlichen Quelle halte ich für äußerst fragwürdig.

Welche Rolle spielt in der Anklage das Vereinigungsdelikt, also der §129? Ist er die Klammer, ohne die nichts geht?

Wir verhandeln vor einem Sondergericht, unter Sonderbedingungen, unter Sonderparagrafen, unter einer Sonderanklagebehörde; das geht alles nur im Hinblick auf das Vereinigungsdelikt. Der §129 ist also das zentrale Element der Anklage. Gäbe es diesen Anklagepunkt nicht, fände der Prozess vor dem Amtsgericht Brandenburg an der Havel statt, es ging lediglich um versuchte Brandstiftung, die Haftbefehle wären längst aufgehoben und der ganze Prozess würde in einer entspannteren Atmosphäre stattfinden.

... und sicherlich dürfte dann auch das Strafmaß anders ausfallen.

Ich gehe davon aus, dass dann im Falle eines Schuldspruchs Bewährungsstrafen verhängt werden würden.

Die Ermittlungsbehörden haben die Festnahmen am 31. Juli 2007 als großen Schlag gegen die mg ausgegeben. Am Ende sind von den sieben Beschuldigten von damals Axel, Florian und Olli übrig geblieben und es wird ihnen nur der versuchte Brandanschlag in Brandenburg zur Last gelegt. Das klingt nicht wie eine Erfolgsstory ...

Die Verfahren gegen die anderen vier Beschuldigten laufen weiter, sie sind lediglich abgetrennt. Man wird sehen, wie das weitergeht. Ich denke zwar nicht, dass es zur Anklage gegen sie reicht, aber das muss man abwarten. Mehr als diese eine versuchte Brandstiftung hätte m.E. die BAW auch nicht anklagen können. Es ist nicht der Hauch eines Beweises gegenüber unseren Mandanten vorhanden für eine wie auch immer geartete Beteiligung an weiteren Aktionen, die der mg zugeordnet werden könnten.

Immerhin war damals von "dem" großen Fahndungserfolg gegen die militante Gruppe die Rede. Hätte man da nicht erwarten können, dass nun alle mg-Anschläge zur Anklage kommen?

Ich kann mich nur wiederholen: Für eine direkte Beteiligung auch nur eines unserer Mandanten an weiteren der mg zugerechneten Anschlägen gab es nie ansatzweise irgendeinen Beweis. Selbst bei RAF-Prozessen - mit Ausnahme der Prozesse zu '77 - war jeweils eine angebliche direkte und unmittelbare Beteiligung an einem Kommando Ausgangspunkt der Anklage und nicht alle Anschläge der RAF, die während der Zeit unternommen wurden, in der die oder der Angeklagte in der RAF aktiv war. Unabhängig davon wird die BAW versuchen, alle Aktionen der mg in die Hauptverhandlung einführen. Dadurch soll die angebliche Gefährlichkeit dieser angeblichen Vereinigungen belegt werden, um ein erhöhtes Strafmaß zu erreichen. Auch wenn theoretisch mit dem §129 unsere Mandanten wegen aller mg-Anschläge angeklagt werden könnten, wäre es zumindest notwendig zu sagen, ab wann sie denn Mitglied dieser angeblichen Vereinigung gewesen sein sollen. Hierzu findet sich aber weder etwas in der Anklage noch in den Akten.

Kann man die Anklage so verstehen, dass bei den jahrelangen Ermittlungen in Sachen mg nichts Gerichtsfestes herausgekommen ist, die BAW also, um das Vereinigungsdelikt verurteilbar zu machen, auf die VS-Quellen angewiesen ist?

So wie ich die Anklage verstehe, ist die "nachrichtendienstliche Quelle" eine Ergänzung und nicht das einzige Beweismittel, das die BAW in die Hauptverhandlung einführen wird. Allerdings kann ich nur empfehlen, sich noch einmal die Beschlüsse des BGH vom Oktober und November 2007 genau durchzulesen. (1) Damals hob der BGH den vorher schon außer Vollzug gesetzten Haftbefehl gegen Andrej Holm mit der lapidaren Begründung auf, ein dringender Tatverdacht könne nicht allein auf Vermutungen basieren, und machte deutlich klar, dass angebliches konspiratives Verhalten eine mg-Mitgliedschaft nicht belegt.

In der Anklage ist von 25 mg-Anschlägen die Rede. BKA-Chef Jörg Ziercke sprach am 11. August gegenüber dem Berliner Tagesspiegel von 39. Wie erklärst du dir diesen Widerspruch?

Dieser scheinbare Widerspruch lässt sich schnell aufklären. Die unterschiedlichen Anschlagszahlen gehen auf ein Konstrukt zurück, das im Wesentlichen auf Auswertungen verschiedener Bekennerschreiben beruht: Demnach reicht die Geschichte der mg bis ins Jahr 1996 zurück. Alles habe angefangen mit dem Selbstporträt einer militanten Gruppe, die in den Augen von VS und BKA die Urzelle der mg gewesen sein soll. Diese Gruppe soll bis 2001 als sogenannte No-Name-Gruppe operiert haben. Ab 2001 dann seien die Aktionen als militante gruppe durchgeführt worden. Eine Rolle spielen noch Aktionen der Militanten Antiimperialistischen Gruppe - Aktionszelle Pierre Overney, bei der es laut BKA und BfV zumindest eine Teilpersonalidentität mit der mg gegeben habe. Die personelle Überschneidung zwischen den beiden Gruppen begründen der VS und das BKA damit, dass ähnliche Begriffe von beiden Gruppen benutzt wurden und man immer nur andere und nie sich gegenseitig kritisiert habe. Das BfV nennt das "Segeln unter falscher Flagge". Der mg wird dabei unterstellt, sie habe quasi durch Gründung einer zweiten Gruppe die Militanz-Debatte vorantreiben wollen. (2)

Auf die Frage, ob man die "Richtigen" gefasst habe, sagte Ziercke in demselben Interview nur scheinbar ausweichend, auffallend sei, "dass es danach keine neuen Selbstbezichtigungen zu Anschlägen mehr gegeben" habe. Der Mann scheint sich seiner Sachen sicher zu sein.

Wenn man die Akten kennt, weiß man, dass die Fakten von den Ermittlungsbehörden so zurechtgebogen werden, wie es ihnen passt. Statt einen Fächer von Möglichkeiten aufzumachen, stützen sie sich immer nur auf die Erklärung, die ihnen am besten in ihr Konstrukt passt. So heißt es selbst in den Akten, dass sich die mg immer zu ihren Aktionen bekannt habe. Zu der Aktion in Brandenburg gab es aber kein Bekennerschreiben. Jetzt aus der Nichtbekennung sicher abzuleiten, dass das eine mg-Aktion war, ist in meinen Augen hanebüchen. In der Vergangenheit haben viele militante Aktionen stattgefunden, zu denen sich niemand bekannt hat; nie hat das BKA behauptet, auch das seien mg-Aktionen.

Schon kurz nach der Festnahme behauptete die BAW, dass Tatzeitpunkt, Tatausführung und Tatziel dafür sprechen würden, dass es sich um eine mg-Aktion handelt. Taucht diese Argumentation jetzt auch wieder in der Anklage auf?

Das war schon damals Quatsch und es wird auch nicht besser, wenn man es ständig wiederholt. Es ist doch klar, dass solche Aktionen bei Nacht durchgeführt werden. Auf die Bundeswehr gab es von verschiedensten Gruppen Anschläge und auch die Tatausführung, also der Gebrauch eines speziellen Brandsatzes, lässt sich bei einer Vielzahl von vergleichbaren Aktionen nachweisen. Bislang ist niemand auf den entferntesten Gedanken gekommen, dass die mg mit allen Anschlägen irgendetwas zu tun haben könnte, die nachts gegen die Bundeswehr und unter Einsatz des sogenannten Nobelkarossentods durchgeführt wurden.

Anhand der Akten konntet ihr euch einen Überblick über die Ermittlungen verschaffen. Was fällt dabei am meisten auf?

Was auffällt, ist die unglaubliche Beliebigkeit der Ermittlungsansätze der BAW. Es reicht ganz offensichtlich ganz wenig aus, um ins Raster der Ermittlungsbehörden zu gelangen - etwa dass man sich in politischen Zusammenhängen bewegt, die öffentlich zu Themen arbeiten, in denen es auch militante Interventionen gibt, oder man benutzt Wörter, die auch in Bekennerschreiben auftauchen.

Die zweite Auffälligkeit sind die trüben VS-Quellen, aufgrund derer das Ermittlungsverfahren begonnen wurde. Der VS setzte - und das nicht nur in diesem Verfahren - das BKA auf die Spur, weil er meint, auf gewisse Leute gestoßen zu sein, die der mg zuzurechnen seien, und stellt dem BKA nur einen Teil seiner Ermittlungsergebnisse zur Verfügung. Und wenn dem BKA Zweifel kommen und es um weitere Erkenntnisse bittet, dann gibt der VS entweder nur scheibchenweise solche Informationen weiter, die das Ermittlungsverfahren in die gewünschte Richtung am Laufen halten, oder er fordert das BKA einfach auf, weiterzumachen, weil er ganz genau wüsste, dass man an den richtigen Leuten dran sei. Was der VS ermittelt hat und mit welchen Methoden, das weiß wohl selbst das BKA im Einzelnen nicht.

Bereits als das mg-Strukturverfahren durch eine Focus-Veröffentlichung im November 2003 bekannt wurde, hieß es aus dem Apparat, es könne durchaus sein, dass es sich dabei nur um die "ideologischen ,Schreibtischtäter`" handeln würde und "andere Komplizen die eigentlichen Brandsätze" zünden. Ähnlich wurde auch bei Andrej Holm argumentiert. Lässt sich dieser Ermittlungsansatz aus den Akten bestätigen?

Die These taucht u.a im Ermittlungsverfahren gegen die militante Kampagne zur Verhinderung des G8 auf. M.E. ist das ein Hilfskonstrukt, um die Ermittlungen weiterführen zu können. Denn das BKA musste eigentlich durch die Überwachung eine unmittelbare Beteiligung an Anschlägen ausschließen, was ergo dazu hätte führen müssen, dass man den Aktendeckel schließt, weil man offensichtlich an den Falschen dran ist.

Zum Schluss zu etwas anderem. Florian ist seit seiner Haftentlassung in psychiatrischer Behandlung und hält sich gegenwärtig in einer Klinik auf. Was ist los mit ihm?

Florian ist im Umland von Berlin aufgewachsen und hat dort noch teilweise in den 1990er Jahren gelebt. Offensichtlich hatte die dauerhafte Bedrohung durch Nazis bei ihm eine traumatische Erfahrung ausgelöst. Im Zusammenhang mit der brutalen Verhaftung am 31. Juli 2007 und der viermonatigen Einzelhaft - die man auch als Isolationshaft bezeichnen kann - kam es bei ihm zu einer Retraumatisierung. Bis jetzt ist unklar, ob Florian überhaupt am Prozess teilnehmen kann.

Das Kammergericht hat einen Gutachter bestellt, der seine Verhandlungsfähigkeit prüfen soll. Was erwartest du?

Das Gutachten wird gerade erstellt; das Ergebnis kennen wir noch nicht. Ganz allgemein kann ich nur sagen: Es gibt Gründe in einer solchen Situation an einem Prozess teilzunehmen, z.B. dass du nicht allein auf der Anklagebank sitzt und es in absehbarer Zeit hinter dir hast. Aber es gibt natürlich auch Gründe, die dagegen sprechen. Die Grenze ist erreicht, wenn man in einem Prozess nicht mehr Subjekt, sondern nur noch Objekt wäre. Wenn diese Grenze überschritten sein sollte, kann man an einem Prozess nicht teilnehmen.

Interview: mb.

Anmerkungen:

1) Beschl. v. 18.10.07, StB 34/07; Beschl. v. 26.11.07, StB 43/07; siehe: www.bundesgerichtshof.de

2) dokumentiert unter: https://mirror.so36.net/home.arcor.de/dokumentationX/texte/debatte.htm