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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 531 / 19.9.2008

Schafft zwei, drei, viele Klimacamps!

Die Linke braucht eine eigenständige Klimapolitik

Manche wollten noch kurz vor dem Klimacamp in Hamburg alles hinschmeißen: kein Elan, keine Bewegung, kein Feuer. Die "Klimabewegung", von der viele von uns im Orga-Prozess immer wieder sprachen, schien wenig mehr als eine Kopfgeburt: die Kreation einiger weniger begeisterter AktivistInnen, die sich von den tatsächlichen Entwicklungen in den linken Bewegungen und Spektren abgekoppelt hatten.

Während in England schon von einer Klimabewegung gesprochen wird, heißt es hier zu Lande noch: Fehlanzeige. Und trotzdem: auf dem Klimacamp in Hamburg war sie manchmal sichtbar, die Bewegung. Sichtbar, als wir es fast schafften, massenhaft die Baustelle des geplanten Kohlekraftwerks Moorburg zu besetzen, erst ganz kurz vor dem Bauzaun gestoppt werden konnten. Die Bewegung war da, in diesen kurzen Momenten, schemenhaft vielleicht, aber sie war da: Fluchtlinien wurden gezogen, die sich aus etablierten und bereits bekannten politischen Räumen heraus begaben, sich in neuen Räumen mit anderen Linien verbanden, um neue Möglichkeiten zu eröffnen, neue Politiken zu erschaffen. In diesen Momenten bewegten wir uns, bewegten Andere, Anderes. Ein erstes Gefühl kollektiver Stärke: hier geht was. Der Kampf hat erst begonnen.

Die Linke, der "dominante Diskurs" und die "Massen"

Klar ist aber auch: die Camps waren mitnichten ein voller Erfolg. So gut sie auch funktionierten - zum Beispiel lief die Kooperation mit dem antirassistischen Camp viel besser als von vielen erwartet - so gut die Aktionen auch waren, so sehr wir das politische Feld in der Hansestadt nachhaltig durcheinander wirbelten: wir waren viel zu wenige. Von den erwarteten 2.000 Leuten kamen am Ende maximal 1.200. Mit 500 Leuten mehr hätten wir Moorburg besetzen können. Stellt sich die Frage: warum waren wir so wenige? Warum schafften wir es nicht (einmal), die radikale Linke effektiv zu mobilisieren? Woher kommt die Skepsis gegenüber dem Klimacamp, der Klimabewegung, der Klimawandelfrage im Allgemeinen?

Einer der Hauptgründe für die in der radikalen Linken immer noch weit verbreitete Skepsis gegenüber dem Klimawandel als zentrales Thema einer emanzipatorischen Politik ist das nagende Gefühl, dieses Thema sei gar nicht "unseres", käme sozusagen nicht von "den Bewegungen", sondern von Staaten und Unternehmen. Diese, so wird argumentiert - auch in den Seiten der ak, in Beiträgen, denen wir ansonsten in vielen Punkten zustimmen (1) - stellen das Thema in den Vordergrund, um neue Regulationsmuster und Akkumulationsstrategien zu legitimieren. Auch diesem Punkt stimmen wir zu, glauben aber, dass hier etwas zentrales ausgelassen wird, und ein klassischer strategischer Fehler der Linken wiederholt wird.

Vor allem in Analysen, die an verschiedene Formen der kritischen Theorie und/oder des foucauldianischen Poststrukturalismus angelehnt sind, sind Diskurse, "Probleme", politische Fragestellungen, oft das Resultat dominanter oder gar hegemonischer Strategien, deren mehr oder minder passive Annahme durch die "Öffentlichkeit" dann vorausgesetzt wird. Dagegen stehen die Strategien der radikalen Linken, ob diese sich nun auf die allgemeine Krise der gesellschaftlichen Naturverhältnisse, oder die Frage der kapitalistischen Naturbeherrschung beziehen. Nicht, dass wir die Relevanz dieser Fragen verneinen. Aber wir wundern uns doch, wo eigentlich der Rest der Gesellschaft in diesen Diskussionen bleibt? Irgendwo zwischen Dominanz und Systemkritik muss es doch noch etwas geben, und wir glauben, dass es dieses "etwas" ist, das den Erfolg oder Misserfolg politischer Strategien bestimmt.

Anders ausgedrückt: wir glauben nicht, dass es möglich ist, die momentane Zentralität des Klimawandels in politischen Diskussionen ausschließlich oder auch nur primär auf "dominante" Strategien von Regierungen und Kapitalfraktionen zurück zu führen, wie das in linken Diskussionen gern getan wird. Die Genese des Themas ist eine komplexe, und verschiedene Strategien spielten dort herein: von sozialen Bewegungen, von WissenschaftlerInnen, von Kapitalfraktionen - aber auch relativ unstrategische "Alltagswahrnehmungen": ist es denn nicht wahr, dass sich in den, zumindest im globalen Norden, immer wiederkehrenden Unterhaltungen über den Klimawandel weniger auf den letzten IPCC-Report zum Thema bezogen wird, als auf die alltägliche Wahrnehmung, dass die Winter immer wärmer werden?

Mag ja sein, kommt dann die Antwort, aber ist das nicht eine Perspektive, die wir nur im globalen Norden finden? Sieht die Sache im Süden nicht ganz anders aus, artikuliert sich "der Klimawandel" nicht immer in einer Vielzahl lokaler Kämpfe um ganz andere Themen herum? Klingt stimmig, stimmt so aber auch nicht. La Via Campesina, eine der stärksten und von einer linken, systemkritischen Perspektive her interessantesten sozialen Bewegungen derzeit, hat vor kurzem ein Papier veröffentlicht, in dem der Kampf gegen und um den Klimawandel herum als eines der zentralen Schlachtfelder im Bezug auf die Kernfrage der Ernährungssouveränität beschrieben wird. (2)

Immer neue Berichte aus verschiedenen Teilen des globalen Südens zeigen, wie sehr diese anscheinend abstrakte Frage, dieser "Klimawandel" weithin als Problem wahrgenommen wird. Und zwar nicht, weil "dominante Strategien" das Thema so konstruieren - sondern weil der Regen ausbleibt. Weil Ackerland zur Wüste wird. Weil immer wieder neue Wirbelstürme Dörfer verwüsten.

Antagonismus als Triebfeder des Wachstums

So dubios das im Kontext der doch sehr diskurskritischen radikalen Linken hier zu Lande auch klingen mag: der "Klimawandel" existiert als "Problem" nicht primär auf Grund dominanter Strategien, sondern, weil er on the ground immer mehr als Problem wahrgenommen wird. Diese Wahrnehmung existiert in einem Alltagsverstand, der zwar natürlich nicht prä- oder unpolitisch ist, der aber, wie Gramsci zeigte, nie völlig von dominanten Strategien kolonisiert werden kann, sondern immer das komplexe Sediment von Jahrhunderten von Erfahrung, Praxis und Diskurs ist. Dieser common sense ist nie eine Tabula Rasa, ist nie einfach nur passives Auffangbecken politischer Strategien, weder "dominanter", noch "systemkritischer". Es ist dieser Alltagsverstand, der Antagonismen und Krisen als solche wahrnehmen muss, bevor sie dann politisch artikuliert werden können - ansonsten sind sie Kopfgeburten von TheoretikerInnen, mehr nicht.

Die Frage nach dem Antagonismus ist hier die zentrale. Denn: es geht ja hier, wie in allen bisherigen Diskussionsbeiträgen auch schon dargestellt, auch um die Modernisierung des immer mehr krachenden Gebälks des globalen Kapitalismus. Es geht um das (Er)Finden eines neuen Motors, der in einer Zeit, da sowohl die neoliberalen Einhegungen als auch die postfordistischen Produktivitätssteigerungen an politische und technologische Grenzen stoßen, die erweiterte Kapitalakkumulation antreiben kann. Und ein derartiger Motor kann eben nicht diskursiv aus dem Nichts erschaffen werden.

Wir sehen hier eine interessante Parallele zur "goldenen Periode" kapitalistischen Wachstums im Zeitalter des Fordismus: ebenso wie heute die ökologische Krise vor allem in Gestalt des Klimawandels anscheinend droht, aller Kapitalakkumulation ein Ende zu setzen, drohte Ende der 1920er Jahre der globale Klassenantagonismus die Weltwirtschaftskrise in systemgefährdende Bahnen zu lenken: für viele bürgerliche Intellektuelle, zum Beispiel John Maynard Keynes, drohte damals die globale Revolution. Anstatt diesen Antagonismus aber zu lösen - denn dies ist natürlich im Kapitalismus nicht möglich - wurde er produktiv internalisiert: der fordistische Klassenkompromiss beruhte ja eben gerade darauf, dass Klassenkampf in höhere Lohnforderungen kanalisiert wurde, die wiederum Druck auf das Kapital ausübten, immer produktiver zu werden, um Profitraten zu garantieren. Vom Antagonismus zur Triebkraft in zwei einfachen Schritten.

Etwas ähnliches passiert unserer Meinung nach gerade mit der Klimafrage: der Antagonismus zwischen den Bedürfnissen der erweiterten Kapitalakkumulation (ressourcenintensives Wachstum) einerseits und den Bedürfnissen unseres kollektiven Überlebens in relativ stabilen öko-sozialen Systemen andererseits soll in der offiziellen Klimapolitik nicht gelöst, sondern zur Triebfeder eines neuen, schönen, "grünen Kapitalismus" gemacht werden: grünes Wachstum, grüne Regulation, angetrieben von unserem kollektiven, kosmopolitischen Problembewusstsein. Sei es nun in der Mobilisierung politischen Willens und staatlicher Investitionen in die Umstrukturierung des globalen Energiesystems (des "fossilistischen Kapitalismus"); sei es in die Schaffung gigantischer neuer Märkte (bis 2020 könnte der Markt für Emissionsrechte um die 2.000 Milliarden Euro wert sein (3)); sei es zur immer tiefer greifenden Regulation unseres alltäglichen Lebens - die individuelle Kohlenstoffchipkarte ist hier nur eines der vielen Beispiele.

Eine linksradikale Klimapolitik?

Hieraus ergeben sich zwei Schlussfolgerungen, zwei Aufgaben für eine linksradikale Politik um die Klimafrage herum: erstens, dass wir die Klimafrage als solche nicht ignorieren können, um irgendwelche anderen Inhalte dort hinein zu projizieren. Wenn Brand et al vor einigen Monaten fragen, ob wir denn tatsächlich eine "eigenständige klimapolitische Position" brauchen, oder uns eher der weiteren Krise der gesellschaftlichen Naturverhältnisse widmen sollen, sagen wir ganz klar, dass wir eine klimapolitische Position brauchen. Denn: der politische Raum, in dem wir derzeit agieren und diskutieren öffnet sich gerade wegen der Klimafrage, gerade weil so viele Menschen da ein Problem sehen, und bietet uns die Chance, eine antikapitalistische Politik, angefangen mit einer Kritik der Notwendigkeit ökonomischen Wachstums, wieder gesellschafts-, wieder hegemoniefähig zu machen. Unsere Politik muss sich also, wie im Hamburger Klimacamp, auch direkt auf die VerursacherInnen von Treibhausgasen beziehen, auch wenn dies nur der Anfang sein darf. In dem Sinne: schafft zwei, drei, viele Klimacamps; Kohlekraft dichtmachen, Atomkraft verhindern; fossile Ressourcen im Boden lassen!

Zweitens müssen wir versuchen, die herrschaftsförmige Internalisierung des oben genannten Antagonismus zu verhindern. Ein zentraler politischer Prozess, der die Aufgabe erfüllt, neue Akkumulationsräume und Regulationsmöglichkeiten zu schaffen, sind die Kyoto-Verhandlungen. Wenn in Kopenhagen im Dezember 2009 die Regierungen dieser Welt zusammen kommen, um das Kyoto-Nachfolgeabkommen zu unterzeichnen, dann ergibt sich für globale soziale Bewegungen eine riesige Chance, in die Konstitution eines neuen, grünen Kapitalismus zu intervenieren - denn niemand von uns glaubt ja, dass ein derartiger Kapitalismus wirklich "nachhaltig grün" sein könnte - und politischen Raum für praktische, antikapitalistische Alternativen zu öffnen.

Wir können es schaffen, eine große, globale und entschlossene Mobilisierung auf die Beine zu stellen, die wirklich die Kapazität hat, den Gipfel dicht zu machen. Denn klar ist, dass die real existierende globale Klimapolitik nicht den Schutz des Klimas zum Ziel hat - Emissionshandelssysteme gibt es mittlerweile viele, effektiven Klimaschutz aber nicht - sondern vor allem den Schutz des kapitalistischen Wachstums. (4) Eine solche Mobilisierung würde auch den Raum schaffen, um radikale Forderungen wie Ernährungssouveränität, eine Kritik der industriellen Landwirtschaft, "Leave it in the ground" und ähnliches wirklich zu diskutieren. Und durch derartige Interventionen wird auch erst der Raum frei, um weitere Fragen gesellschaftlicher Naturverhältnisse und Naturbeherrschung auf die Agenda zu bringen. In diesem Sinne: Forget Kyoto, Shut Down Copenhagen!

Tadzio Müller

Anmerkungen:

1) Siehe die Debattenbeiträge von Brand, Köhler und Wissen in ak 529 und den Beitrag von Mitgliedern der Tierrechtsaktion Nord in ak 530.

2) www.viacampesina.org/main_en/

index.php?option=com_content&task=view&id457&Itemid=37

3) www.reuters.com/article/pressRelease/idUS187544+22-May-2008+BW20080522

4) Anna Blume: Jenseits aller Naturromantik: Die G8 und die Ökonomie des Klimaschutzes, ak 530.

Auch in dieser Ausgabe setzen wir die Debatte um Positionen der Linken zur sozial-ökologischen Frage, die in ak 529 begann, fort. Der Diskussionsbedarf darüber, ob und wie z.B. der Klimawandel ein Anknüpfungspunkt für radikale und emanzipatorische linke Politik sein kann, ist ungestillt, nicht zuletzt nach den Erfahrungen mit dem ersten Klimacamp. So ist ein Ende der Debatte im ak erfreulicherweise noch nicht in Sicht. Fortsetzung folgt.