Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 532 / 17.10.2008

Brüchige Allianzen

Das schwierige Verhältnis von Feminismus und Antirassismus in den USA

Anlässlich 160 Jahre Frauenbewegung in den USA entwickelt Alexandra Siebenhofer im Folgenden eine kurze Chronik über die historischen Verknüpfungen und Konflikte zwischen Frauenbewegung und Schwarzer Befreiungsbewegung. Zuletzt offenbarte das Duell Clinton gegen Obama im Zuge des US-Vorwahlkampfs, dass beide Traditionen gern gegeneinander ausgespielt werden. Solche Politik kann sich auf eine lange Tradition berufen, die nicht zuletzt aus den Bewegungen selbst erwuchs.

Gerade weil es ihnen um dasselbe geht, waren sich die Schwarze (1) Befreiungsbewegung und Frauenrechtsaktivistinnen in den USA bisweilen keine treuen Gefährtinnen. Dabei hätte es durchaus auch anders kommen können. Vom 19. bis 20. Juli 1848 fand in Seneca Falls im Bundesstaat New York die erste "Women's Rights Convention" statt. Sämtliche Organisatorinnen stammten aus der Antisklaverei-Bewegung, wo sie sich die zur Gründung einer Bewegung notwendigen Kenntnisse angeeignet hatten. Entschlossen, die innerhalb dieser Bewegung erfahrene sexistische Diskriminierung nicht länger hinzunehmen, hatten sie neben Kontrahenten dort auch ihre wichtigsten Verbündeten.

Am zweiten Tag der Versammlung stellte die 33-jährige Elizabeth Cady Stanton ihre "Declaration of Sentiments" vor - ein Plädoyer für die Gleichstellung von Frauen und Männern, formuliert nach der "Declaration of Independence". Damit begann die erste US-amerikanische Frauenbewegung, die im Laufe der Zeit vor allem mit einer Forderung ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rückte: Wahlrecht für Frauen.

Universales Frauenwahlrecht stärkt rassistische Parteien?

Dreißig Jahre später schien dieses Ziel ferner denn je, lag die Allianz zwischen AntirassistInnen und Frauenrechtlerinnen in Scherben. Durch den 1870 ratifizierten 15. Zusatzartikel zur Verfassung waren zwar alle Schwarzen Männer ermächtigt worden zu wählen, nicht aber Frauen, weder Schwarze noch Weiße.

Schuld daran war die nach dem Bürgerkrieg veränderte politische Ausgangslage. Oberste Priorität war es, der befreiten Schwarzen Bevölkerung zivile und politische Rechte zu sichern, um sie gegen die rassistische Willkür des Südens zu wappnen. Die progressive, als Plattform gegen Sklaverei gegründete Republikanische Partei befürchtete aber, dass ein universales Frauenwahlrecht vor allem im Süden die rassistische Demokratische Partei stärken könnte, und entschied sich daher gegen die Forderung eines allgemeinen Wahlrechts.

In ihrer Einschätzung der prophylaktischen Wirkung des Wahlrechts für Schwarze Männer waren die Republikaner dennoch zu optimistisch. Bald nach der Verabschiedung des 15. Zusatzartikels begann die Phase der "Jim Crow"-Gesetze - der Segregation und rassistischen Diskriminierung der Schwarzen Bevölkerung. Ihre grausigsten Ausmaße nahm diese Zeit in rassistisch motivierten Lynchmorden an, denen alleine von 1882 bis 1951 mindestens 4.730 Menschen zum Opfer fielen.

Angesichts ihrer Niederlage beim Versuch, das Frauenwahlrecht in den 15. Zusatzartikel zu integrieren, suchten Stanton und andere prominente Feministinnen Zuflucht bei rassistischen Argumenten oder der rassistischen Demokratischen Partei. Auch wenn diese Phase nur kurz andauerte und auch wenn derartige Auswüchse nie von der Mehrheit der Feministinnen getragen wurden, markierte diese Allianz doch die Erste einer Reihe von Hinwendungen zur Politik der "White Supremacy", die wiederholt Schwarze Feministinnen vor den Kopf stieß.

Als 1920 schließlich das allgemeine Frauenwahlrecht durchgesetzt wurde, gingen dem erneut Allianzen mit Weißen, oft rassistischen Südstaatlerinnen voraus. In den meisten Fällen ging das bewusst zu Lasten Schwarzer Aktivistinnen, denen die Einführung des nationalen Frauenwahlrechts im übrigen wenig brachte: Noch bis 1965 sollten in vielen Bundesstaaten Schwarze mittels abstruser Zulassungstests oder antiquierter Gesetzesklauseln an der Ausübung ihrer politischen Rechte gehindert werden.

Es war ein wegweisendes Statement, mit dem im April 1977 die Bostoner "Combahee River Collective" - benannt nach der einzigen Schlacht im Bürgerkrieg, die von einer (afroamerikanischen) Frau angeführt wurde - an die Öffentlichkeit trat: Es ginge darum, "eine integrative Analyse und Praxis zu entwickeln", war dort zu lesen, "die der Tatsache Rechnung trägt, dass die bedeutendsten Unterdrückungssysteme ineinander übergreifen". Unter anderem, so das Statement, sei es die Pflicht Weißer Feministinnen, sich mit ihren rassistischen Ressentiments auseinanderzusetzen.

Die Geschichte der Combahee River Collective zeigt deutlich, welche Vielzahl an Feminismen sich im Rahmen der zweiten Frauenbewegung in den USA formierte. Als Abspaltung der "National Black Feminist Organization" distanzierte sich die Combahee River Collective von den für sie zu pragmatisch agierenden liberalen Feministinnen - selbst wenn diese speziell angetreten waren, um die Position afroamerikanischer Frauen zu vertreten.

Politik der "White Supremacy" setzte sich durch

Sie distanzierte sich von der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung, die feministischer Kritik oft mit dem Vorwurf des Verrates an der Bewegung begegnete, und sie distanzierte sich von der mehrheitlich Weißen radikalen Frauenbewegung, die das Primat sexistischer Unterdrückung vor allen anderen Formen von Diskriminierung postulierte.

Mit dem Konzept der "Identitätspolitik" forderten die Mitglieder der Combahee River Collective eine differenzierte Sichtweise auf Diskriminierungsmechanismen ein, die ihre Alltagserfahrungen als Frauen, AfroamerikanerInnen, Angehörige einer anderen ethnischen Minderheit, Arbeiterinnen, Lesben oder Körperbehinderte widerspiegelte.

Auch wenn sich Identitätspolitik gegen die Idee einer "universalen" weiblichen Erfahrung wandte, gab es im Zuge der zweiten Frauenbewegung durchaus Allianzen zwischen Weißen und Schwarzen Frauen. Allerdings: diese waren oft fragil und brüchig, wie der Fall von Shirley Chisholm zeigt, die 1972 als erste afroamerikanische Frau bei den US-Vorwahlen kandidierte. Mit dem Anspruch angetreten, zwei Minderheiten in einer Person zu vereinen, war ihr Vorhaben zum Scheitern verurteilt, als ihr sowohl afroamerikanische InteressensvertreterInnen die Unterstützung versagten als auch prominente Feministinnen wie Bella Abzug und Gloria Steinem, die sich für einen ihrer Meinung nach aussichtsreicheren Kandidaten entschieden hatten.

Enger zusammen rückten Schwarze und Weiße Feministinnen dann im Zuge der Reagan-Legislatur, als es im harschen politischen Klima unabdingbar wurde, Koalitionen zu bilden. In diesem Zusammenhang begannen Weiße Feministinnen in den 1980er Jahren auch, sich intensiver mit den eigenen Rassismen zu beschäftigen; die Auseinandersetzung mit internen Differenzen wurde zu einer strategisch wichtigen Ressource im Kampf gegen Unterdrückungssysteme.

Letztendlich veränderte sich auch der Blick auf Identitätspolitik. Identität war keine feststehende Einheit mehr; der Protest gegen Zuschreibungen von außen rückte in den Mittelpunkt. Widerständige Praxis war in diesem Zusammenhang nicht mehr das Einfordern partikularer Identitäten, sondern das bewusste Spiel mit unterschiedlichen Identitätskonzepten.

Auch die diesjährigen US-Vorwahlen spiegeln diesen Trend wider: Während der Praxis, rassistische und sexistische Diskriminierung gegeneinander aufzuwiegen, nur eine untergeordnete Rolle zukam, war es vielmehr die Fähigkeit zum flexiblen und spielerischen Umgang mit Identitäten, die entscheidend für den Ausgang der Vorwahlen war.

Obama "tatkräftig" - Clinton "verdächtig"?

Ein Ergebnis jenes Dilemmas, das Joan Scott vom Institute for Advanced Studies in der New York Times so zusammenfasst: "The question is, how do you become a universal figure when you represent movements that have claimed the right of equality for you in your difference?" Während Barack Obamas Versuch zu universalisieren als "tatkräftig" interpretiert wurde, wirkten Hillary Clintons Bemühungen "verdächtig", so Nora Bredes vom Susan B. Anthony Center for Women's Leadership.

Das mag zum einen damit zu tun haben, dass Clinton eine Menge Altlasten in ihr Rennen um die Kandidatur mitbrachte. Ausschlaggebend für Bredes waren aber vielmehr normative Erwartungshaltungen, mit denen Frauen konfrontiert sind. Es ist Susan B. Anthony, die engste Freundin und Mitstreiterin Elizabeth Cady Stantons, die sie in diesem Zusammenhang zitiert. Echte Veränderung gebe es nur, wenn sich auch etwas an tradierten Haltungen ändern würde, meinte diese bereits Ende des vorletzten Jahrhunderts. Sie wusste aber auch damals schon: "The habits of the ages die hard."

Alexandra Siebenhofer

Anmerkung:

1) "Schwarz" und "Weiß" werden, wo sie sich auf Hautfarben beziehen, groß geschrieben, um zu markieren, dass es sich dabei um sozial konstruierte Zuschreibungen handelt.