Nicht ganz dicht
Trotz absaufender "Endlager" steht der nächste Castor kurz bevor
Wir erleben dieser Tage, wie energiepolitische Weichen gestellt werden. Nägel mit Köpfen werden gemacht, Sargnägel wie manche meinen. Nachdem die konventionellen Kraftwerke der boomenden 1950/60er Jahre ihre technische Lebenszeit überschritten haben, und auch die danach ans Netz genommenen AKW immer störanfälliger werden, entscheidet sich nun wie der Kraftwerkspark der kommenden Jahrzehnte aussehen wird. In Hamburg baut Vattenfall ein Kohlekraftwerk, das mit seinen 1.600 Megawatt sogar AKW wie Brokdorf und Krümmel in den Schatten stellt. Auch in Mannheim und Karlsruhe sind neue Kohlekraftwerke beschlossene Sache. In Brunsbüttel sollen zusätzlich zum maroden AKW drei Steinkohlekraftwerke errichtet werden, und die Liste ließe sich von Wilhelmshaven bis in die Lausitz fortsetzen.
Hinter dem klimapolitischen Getöse der Regierungsparteien zeichnet sich ab, dass die große Koalition alles andere als einen Umbau der Energieversorgung zu Gunsten klimaschonender Alternativen betreibt. Nach Klientel sortiert, setzt die CDU auf den endlosen Weiterbetrieb der Atomanlagen, die SPD plädiert hingegen - wie seit Jahrzehnten - für Kohlekraftwerke. Energiepolitisch jedoch sind Kohle und Atom Zwillinge wie Pest und Cholera, die für eine zentralisierte und an den Bedürfnissen energieintensiver Industrien orientierte Stromerzeugung stehen. Von wahltaktischer Bedeutung ist jedoch, dass die SPD sich gegen Atomanlagen positioniert hat, die CDU jedoch keineswegs Kohlekraftwerke in Frage stellt, wie der Fall Moorburg gerade nachdrücklich gezeigt hat.
Sigmar Gabriel hat es in den vergangenen drei Jahren mit großem Geschick geschafft, eine atomkritische Politik zum Alleinstellungsmerkmal der SPD zu machen. Damit ist es ihm gelungen, den Grünen ihren umweltpolitischen Rang abzulaufen und diese in der energiepolitischen Debatte zu marginalisieren, obwohl in seiner Amtszeit kein einziges AKW vom Netz gehen wird. Bei einer SPD, die sich in den Umfragewerten stärker den Grünen nähert als der CDU, könnte dies in Zukunft von einigem Wert sein. Die Frage nach den Perspektiven einer möglichen atomaren "Endlagerung" nutzt Gabriel geschickt, um die CDU atompolitisch vor sich her zu treiben. Dies ist um so bemerkenswerter, als gleich zwei Endlagerstandorte in seinem Wahlkreis liegen. Zum einen das "Endlager" Schacht Konrad, dessen Umbau aktuell unter der Begleitung seines Hauses stattfindet, zum anderen der Schacht Asse II. Letzteres fiel als "Versuchsendlager" kurioserweise bis August 2008 in den Zuständigkeitsbereich des Wissenschaftsministerium. Nachdem der Skandal um freigesetztes radioaktives Material in der Asse immer höhere Wellen schlug übernahm Gabriel als Umweltminister das "Versuchsendlager" medienwirksam von Forschungsministerin Schavan (CDU) und setzte sich dabei geschickt als Retter in der Not in Szene.
Dass der Sachverhalt seit Jahren bekannt ist, aber erst durch die Inszenierung Gabriels mediales Echo fand, ist fast ebenso erschreckend wie die Tatsache, dass der Schacht abzusaufen droht. Die Befürchtung, dass der Schacht Asse II absaufen werde, wurde von KritikerInnen bereits in den 1960er Jahren geäußert, und lag angesichts der bereits abgesoffenen Schächte Asse I und Asse III auf der Hand. Auch geologische Gutachten, die nachwiesen, dass sich in 300 Metern Tiefe ein Riss im Salzstock gebildet hatte, durch den Wasser eintrat, lagen bereits in den 1970er Jahren vor. Bis 1988 stieg die Menge des eintretenden Wassers auf rund 12.000 Liter täglich an. Brisant ist dabei, das sich die Zutrittsstelle immer weiter in die Tiefe verlagert, und sich damit den Kavernen nähert, in die bis Ende der 1970er Jahre rund 120.000 Fässer leicht- und 1.300 Fässer mittelradioaktiven Mülls eingelagert wurden. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass selbst hochradioaktiver Abfall aus Forschungsreaktoren dort eingelagert wurde.
Die Wahl zwischen Pest und Cholera: Atom oder Kohle
Immer wieder wurde durch lokale Initiativen auf die Gefahr eines Absaufens der Asse, und damit einer weiträumigen Verseuchung des Grundwassers hingewiesen. So widmete beispielsweise die anti-atom-aktuell im Oktober 2002 dem absaufenden Endlager ein Schwerpunktheft. Zu diesem Zeitpunkt waren Jürgen Trittin Bundesumweltminister und Sigmar Gabriel Ministerpräsident von Niedersachsen. Beiden sollte der lautstarke Protest der lokalen Initiativen nicht entgangen sein. Kein Wunder also, dass sich die niedersächsische SPD im vergangenen August gegen einen Untersuchungsausschuss zur Asse wehrte. Viel lieber möchte sich Gabriel heute als entschlossen Handelnder inszenieren statt einzugestehen, dass er die Entscheidung, den Atommüll aus dem Bergwerk evakuieren zu lassen, bereits vor fast zehn Jahren hätte fällen können. Trotz der katastrophalen Situation im "Endlager" Asse wird bislang nicht erwogen, ehemals Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen: weder jene Entscheidungsträger und Ingenieure, welche die Einlagerung in den 1970er Jahren betrieben haben, noch jene, die trotz jahrelangem Laugenzutritt untätig blieben, und auch nicht die VertreterInnen der Helmholtz-Gemeinschaft, die am Ende die Schachtanlage noch mit einer Salzlösung fluten wollten.
Für die CDU ist der Skandal um die Asse ein weit größerer GAU als für die ehemals Verantwortlichen. Für die von ihr angestrebte Renaissance der Atomenergie ist es von zentraler Bedeutung, die Glaubwürdigkeitslücke, die sich in der Endlagerfrage auftut, zu schließen. So ist man in der CDU am Ende dieser Legislaturperiode hektisch bemüht, ein Übergreifen des Skandals auf das Projekt Gorleben zu verhindern. Ohne Gorleben würde die seit dreißig Jahren genährte Illusion, es könne so etwas wie ein Endlager geben, endgültig zusammenbrechen. Von den vier deutschen Endlagerprojekten sind zwei bereits gescheitert. Sowohl Morsleben als auch Asse II, mussten in einem Notverfahren geschlossen werden. Morsleben weil es einstürzte, die Asse, weil sie droht abzusaufen. Es gibt gute Gründe zu der Annahme, dass sich die Dinge im dritten Salz-Endlager, Gorleben, nicht anders entwickeln werden.
Auch international steht Deutschland mit dem Plan einer "Endlagerung im Salz" alleine da, kein anderes Land verfolgt diesen Ansatz. Für die Initiativen in den Nachbargemeinden der Asse ist klar: Der Atommüll muss wieder raus aus dem Berg. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigen, dass es ein Endlager nicht geben kann, allenfalls ein mehr oder weniger gutes unterirdisches Zwischenlager. Der damit formulierte Anspruch auf die Rückholbarkeit von Atommüll aus einem "Zwischenlager" widerspricht jedoch der herrschenden Endlagerdoktrin aller bisherigen Bundesregierungen. Aus Furcht vor missbräuchlichen Zugriff auf den strahlenden Müll verfolgten sie bislang ein sich selbst verschließendes Endlager in Salz, das die angelegten Schächte nach wenigen Jahren unzugänglich macht, da Salz sich geologisch plastisch verhält. Es zeichnet sich ein klassisches Dilemma ab, eine Situation, die nicht positiv aufzulösen ist, da sich nur die Wahl stellt, Radioaktivität über kurz oder über lang frei zu setzen. Wie kurz in diesem Fall das "lang" sein kann machen Morsleben und Asse überdeutlich.
Der Castor bleibt dieses Jahr auf der Strecke
Für die Gruppen der Anti-Atom-Bewegung ist daher klar, dass verhindert werden muss, dass weiter Atommüll entsteht. Atomanlagen müssen daher sofort abgeschaltet werden. Anfang November rufen zahlreiche Initiativen und Gruppen zum Widerstand im Wendland auf, damit nicht weiter - wider besseren Wissens - Atommüll zum Zwischenlager Gorleben gebracht wird, der dann später im Salz "endgelagert" wird. Am Samstag, den 8.11., gibt es eine Demonstration gegen das Endlagerprojekt Gorleben. In einer "ergebnisoffenen Erkundung" soll das stark geschützte Bergwerk in Augenschein genommen werden. Bereits ab dem 6.11. werden die Camps bezogen, um zu verhindern, dass der für den Sonntag angesetzte Castor-Transport sein Ziel erreicht. X-tausendmal quer bittet dazu nach Gorleben, Teeküchen stehen in Quickborn, Gusborn, Langendorf und Dannenberg zur Verfügung. An der Schienenstrecke wird der Versuch unternommen, in einer großen gemeinsamen Aktion, wie sie schon in Heiligendamm Erfolg hatte, auf die Transportstrecke zu kommen und diese unpassierbar zu machen. Das Projekt erscheint ambitioniert, doch angesichts der katastrophalen Lage in der Asse und der angeheizten energiepolitischen Debatte sind viele AktivistInnen hochmotiviert, dafür zu sorgen, dass der Castor diesmal "auf der Strecke bleibt".
Anti-Atom-Büro Hamburg
Weitere Informationen unter: www.asse2.de www.bi-luechow-dannenberg.de