Öl oder Sanktionen?
Widersprüchliche Signale des Westens in der Kaukasus-Krise
Vertreter der deutschen Wirtschaft in Moskau sollen sich die Haare gerauft haben, als nach dem Aufkochen der lange "eingefrorenen" kaukasischen Konflikte auf dem EU-Krisengipfel Anfang September das Wort "Sanktionen" im Raum stand. Ihre Forderungen nach wirtschaftlicher Kooperation mit Russland, nach eurasischer Energiesicherheit, nach einer "gesamteuropäischen Sicherheitsarchitektur" stehen einer Medienkampagne gegenüber, die Russland nur noch mit Panzern, Imperialismus oder gar Faschismus assoziiert.
Während in den Führungsetagen der USA und des "atlantischen Bündnisses" nach dem russischen Eingreifen in Georgien laut über den Ausschluss Russlands aus dem Kreis der G8, der WTO und sogar der Vereinten Nationen nachgedacht wurde, in der NATO gar demonstrative "Strafmaßnahmen" praktiziert wurden, setzte der österreichische Öl- und Gasverbund OMV seine Verhandlungen mit Gazprom über die Beteiligung Österreichs an der "South Stream"-Pipeline fort, durch die Russland und die EU im Energieverbund näher aneinander heranrücken. Der Baubeginn von "North Stream", besser bekannt als Ostsee-Gas-Pipeline, steht ohnehin vor der Tür.
Im Ergebnis beließ die EU es seit ihrem Krisengipfel dabei, die "territoriale Integrität" Georgiens zu betonen. Die USA begrüßten die Beschlüsse des Gipfels, die NATO verspricht Hilfe zum Wiederaufbau Georgiens, Zusicherung für dessen zukünftige Mitgliedschaft im Bündnis jedoch gibt sie nicht. Verständlich werden all diese widersprüchlichen Signale nur, wenn man sich die langen Linien vor Augen führt, die sich seit dem Ende der Sowjetunion durch das Dickicht der globalen Neuordnung ziehen. Da sind zunächst die USA: Ihre Strategen glaubten als "einzige Weltmacht", aus dem "Kalten Krieg" hervorgegangen zu sein. Man lese dazu Sbigniew Brzezinskis immer noch höchst aktuelles Buch "Die einzige Weltmacht" aus dem Jahr 1997. Zur Wahrnehmung ihrer historischen Aufgabe, so Brzezinski, müssten die USA die Wiederentstehung anderer führender Kräfte, vor allem auf dem eurasischen Kontinent als dem territorialen Zentrum der Welt, im Keim unterbinden. Systematische politische Interventionen der USA auf dem eurasischen Kontinent waren und sind politischer Ausdruck dieser Strategie. Sie stützt sich auf die EU und auf Japan als "Brückenköpfe" im Westen und im Osten des eurasischen Raumes sowie vom Süden her auf die "Stabilisierung" des "eurasischen Balkans". Darunter versteht Brzezinski Zentralasien und den Kaukasus.
Heute müssen die US-Strategen jedoch feststellen, dass sie sich übernommen haben. Nach schnellen Anfangserfolgen über die Taliban und Saddam Hussein versanken die USA in lang dauernden Kriegen, während China, die EU und auch Russland an Kraft gewannen und sich auch außerhalb Eurasiens neue Kräfte bündeln. Zentraler Konfliktraum, in dem die neuen globalen Interessenlinien sich jetzt kreuzen, ist die von den Geo- und Energiepolitikern so getaufte "strategische Ellipse". Sie umfasst den "eurasischen Balkan", die Räume nördlich und südlich des Kaukasus. Für die USA ist der Kaukasus zur Zeit der einzige verbliebene südliche Zugang nach Eurasien.
80% der heute verfügbaren fossilen Ressourcen lagern im Bereich der "strategischen Ellipse". Gut die Hälfte davon liegt im südlichen Einzugsbereich - Arabien, Irak, Iran. Im Norden umfasst sie die Ölfelder Aserbeidschans, Russlands, Kasachstans und Turkmenistans, öffnet sich für die Zugänge zu sibirischem Gas und Öl. Nach dem Ende der Sowjetunion schien den Westmächten eine Neuaufteilung der Einflusssphären möglich, wenn es gelänge, das bis dahin bestehende Förder- und Transportmonopol Moskaus für Öl und Gas zu brechen.
Der Kaukasus - Südzugang der USA nach Eurasien
Seit 1990 forcierten die USA daher die Erschließung des Raumes entlang eines "Transportkorridores", über den Öl und Gas in neuen Pipelines unter Umgehung Russlands nach Westen geleitet werden sollte. In einem Zug sollten zugleich Iran und China außen vor gehalten und das Monopol der arabischen Staaten gebrochen werden. "Demokratisierung" der fossilen Weltressourcen lautete das politische Zauberwort, mit dem diese Strategie verkauft wurde.
Herausragendes Ergebnis war der Bau der Pipeline vom aserbeidschanischen Baku über das georgische Tiblissi nach Ceyhan an der türkischen Küste des Mittelmeeres, nach den Städtenamen kurz BTC-Linie getauft. Sie ist seit 2005 in Betrieb. Die Europäische Union folgte mit dem Plan der sog. Nabuco-Pipeline, die zentralasiatisches und kaukasisches Gas, ebenfalls unter Umgehung Russlands, durch die Türkei über Bulgarien, Ungarn mit Endpunkt in Österreich direkt nach Europa schaffen soll.
Seit Wladimir Putin 2004 mit der Zerschlagung von Yukos die Übernahme des russischen Ölmarktes durch US-Konzerne stoppte, hat sich der Wind gedreht. Mit "North Stream" entstand 2005 ein deutsch-russisches Projekt. Mit "South Stream" kommt seit Mitte 2007 das südliche Pendant dazu, mit dem Gazprom den Nabuco-Plänen unmittelbar Konkurrenz macht. Die EU-Mitglieder Bulgarien, Ungarn und Österreich schlossen seit 2007 Einzelverträge mit Gazprom als Betreiber der "South Stream" ab, statt in "atlantischer Solidarität" auf die Fertigstellung des Nabuco-Linie zu orientieren, die ebenfalls über ihre Territorien führen soll.
Während mit den Bauabschnitten zur "South Stream" schon begonnen wurde, befindet sich das Nabuco-Projekt noch in der Planung. Im Mai 2007 zwischen Gazprom und Turkmenistan abgeschlossene Verträge, turkmenisches Gas in Zukunft über bereits bestehende russische Leitungen an Gazprom zu verkaufen, statt auf die Inbetriebnahme einer im Zusammenhang mit Nabuco projektierten Unterwasser-Pipeline durch das Kaspische Meer zu warten, bilden den aktuellen Abschluss dieser Entwicklung.
Ohne turkmenisches Gas ist Nabuco jedoch nicht mehr gewinnbringend zu betreiben. Damit ist der Versuch der USA, die EU von russischer Energieversorgung unabhängig zu machen, um sie als westlichen "Brückenkopf" für die Beherrschung Eurasiens zu erhalten, vorerst gescheitert. Es entsteht ein eurasischer Energieverbund mit einem wieder erstarkten Russland als Zentrum für die Gas- und Ölversorgung, in dem umgekehrt die EU, speziell Deutschland, der wichtigste Handelspartner Russlands ist. Forderungen nach "Sanktionen" gegen Russland sind vor diesem Hintergrund bestenfalls Gesten, die den Zweck haben, den "atlantischen Partner" zu beruhigen, um ihn nicht ganz zu vergraulen, wenn sie nicht schlicht Ressentiments aus unbewältigter Geschichte sind. Dem gleichen Muster folgt die Propaganda, die Russland ökonomisch umwirbt, aber politisch und moralisch klein halten will. Die Frage ist allein, ob die USA sich mit solchen Gesten abspeisen lassen. Zur Zeit hält man sich an diplomatische Floskeln. Nach der Präsidentschaftswahl wird man klarer sehen.
Kai Ehlers
www.kai-ehlers.de