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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 533 / 21.11.2008

Kapitalismuskritik und Personalisierung

Manager sind (nicht nur) die "Personifikation ökonomischer Kategorien" (Marx)

Mit dem (Finanz-)Kapitalismus geraten auch dessen Akteure und Profiteure in die Kritik: Kapitalisten, Spekulanten, Manager, Reiche. Die Kritisierten wehren sich nach Kräften. Der "Wirtschaftsweise" und Präsident des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, verstieg sich gar dazu, die Manager von heute mit den Juden nach der Weltwirtschaftskrise 1929 zu vergleichen - als "Sündenböcke" verantwortlich gemacht für die Krise, die doch durch einen "Systemfehler" ausgelöst worden sei. Dass die Unmenschlichkeit des "Systems" nicht aus der Bosheit der Kapitalisten resultiert, dass das Kapital ein "gesellschaftliches Verhältnis" ist, dem auch die Kapitalisten unterworfen sind, wissen wir von Marx. Der schreckte aber zugleich auch nicht davor zurück, besonders "böse" Kapitalisten an den Pranger zu stellen.

Die Nerven liegen blank, nicht nur bei Hans-Werner Sinn. Kaum hatte der sich für seine "Beleidigung der Opfer" (Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland) entschuldigt, legte ein christdemokratischer Spitzenpolitiker nach: Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff fand es passend, in einer Talkshow von "Pogromstimmung" gegen Manager zu sprechen. Auch in diesem Fall folgte auf heftige Kritik und Rücktrittsforderungen eine öffentliche Entschuldigung.

Bonuszahlungen werden als Provokation empfunden

Anders in Hamburg. Hier war es die parteilose Kultursenatorin Karin von Welck, die zugunsten Hamburger Milliardäre und Multimillionäre intervenierte und damit einen mittelschweren Skandal herauf beschwor. Diskret, aber nicht diskret genug, versuchte sie, den Intendanten des Hamburger Schauspielhauses, Friedrich Schirmer, zu künstlerischer Zensur zu überreden - was dieser dankenswerterweise öffentlich machte. Stein des Anstoßes war ein "Armen-Chor" aus Hartz-IV-EmpfängerInnen, der am Ende von Peter Weiss' Marat-Stück (Inszenierung: Volker Lösch) die Namen der 28 reichsten Hamburger sowie die Höhe ihres Vermögens verliest. Wie undankbar! Schließlich fördern einige der Genannten - darunter Michael Otto und Jan Philipp Reemtsma - als Mäzene wohltätige Zwecke. Wer nicht spendet, zahlt immerhin Steuern - auch darauf meinte die Senatorin hinweisen zu müssen. Sie tat das in einem "als Bürgerin" verfassten, aber über die Pressestelle ihrer Behörde verbreiteten Brief, nachdem eine telefonische Intervention beim Intendanten ergebnislos geblieben war.

Dass in Zeiten der Massenarmut und des sozialen Abstiegs Spekulationsgewinne, Bonuszahlungen für Manager oder überhaupt Reichtum zunehmend als Provokation empfunden werden, ist ebenso unvermeidlich wie der Impuls, "Schuldige" namhaft zu machen und schadenfroh auf die Fälle zu reagieren, in denen die hoch dotierten "Leistungsträger" wegen allzu großer Gier und rechtlich anfechtbarer Machenschaften (Zumwinkel!) ihre Posten räumen müssen. Dies als "Sozialneid" zu denunzieren wäre verfehlt. Nicht hilfreich ist auch die bei manchen marxistisch geschulten Intellektuellen anzutreffende Neigung, über die Beschränktheit der tumben Massen die Nase zu rümpfen oder gar die personalisierte Kritik mit dem Hinweis abzufertigen, hier handele es sich um "strukturellen Antisemitismus". (Dass dies ein Konstrukt ohne Erkenntniswert ist, hat Gerhard Hanloser in ak 499 gezeigt.)

Kapitalismuskritik, die sich auf Marx beruft, sollte schon den ganzen Marx zur Kenntnis nehmen: Zum einen den Analytiker, der die Bewegungsgesetze des Kapitalismus erforscht hat: "Auch das Kapital ist ein gesellschaftliches Produktionsverhältnis. Es ist ein bürgerliches Produktionsverhältnis, ein Produktionsverhältnis der bürgerlichen Gesellschaft." (Lohnarbeit und Kapital, MEW Band 6, Seite 407) Im Vorwort zur ersten Auflage von "Das Kapital" (MEW Band 23) fügt er dem, "zur Vermeidung möglicher Missverständnisse", eine Klarstellung hinzu: "Die Gestalten von Kapitalist und Grundeigentümer zeichne ich keineswegs in rosigem Licht. Aber es handelt sich hier um die Personen nur, soweit sie die Personifikation ökonomischer Kategorien sind, Träger von bestimmten Klassenverhältnissen und Interessen. Weniger als jeder andere kann mein Standpunkt, der die Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation als einen naturgeschichtlichen Prozess auffasst, den einzelnen verantwortlich machen für Verhältnisse, deren Geschöpf er sozial bleibt, sosehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag." (Seite 16)

Isoliert genommen, könnte diese Aussage zu einem anderen Missverständnis verleiten: Dass Marx Kapitalisten, Manager, Spekulanten als "Geschöpfe" vorgegebener "Verhältnisse" von der Verantwortung für ihr Tun freisprechen würde. Nichts falscher als das. Denn Marx ist nicht nur kühler Analytiker, sondern auch Moralist und Polemiker. Gerade sein wissenschaftliches Hauptwerk, "Das Kapital", enthält dafür viele Beispiele, von denen hier nur zwei referiert werden sollen. In dem Abschnitt über die englische Fabrikgesetzgebung schildert Marx die Arbeitsbedingungen in den Fabriken, die immer wieder zu tödlichen Unfällen führen. Die Weigerung der Fabrikanten, für ein Mindestmaß an frischer Luft zu sorgen, kommentiert er sarkastisch: "Sie erklären so in der Tat Schwindsucht und andere Lungenkrankheiten der Arbeiter für eine Lebensbedingung des Kapitals." (Seite 505)

"Ausbeutung lohnt sich nicht - denk an die Folgen!"

In dem Abschnitt über die "Expropriation (Enteignung) des Landvolks von Grund und Boden" geißelt er exemplarisch, und ebenfalls mit bitterem Spott und tiefster Verachtung, die Machenschaften der Herzogin von Sutherland: "So eignete sich diese Madame 794.000 Acres Land an, das seit undenklichen Zeiten dem Clan gehörte. (...) Die Herzogin ging in ihrem Nobelgefühl so weit, den Acre zu 2 sh. 6 d. Rente zu verpachten an die Clanleute, die seit Jahrhunderten ihr Blut für die Familie vergossen hatten." (Seite 757)

Geschrieben wurde das 1867. Mitte der 1970er Jahre erschien als Beilage zu einer linksradikalen Hamburger Zeitung ein Plakat mit dem durch einen schwarzem Balken nicht wirklich unkenntlich gemachten Porträt des kapitalistischen Oberbosses jener Jahre; darunter die Aufschrift: "Der Kapitalist stiehlt nicht aus Not. Deshalb kein falsches Mitleid. Ausbeutung lohnt sich nicht - denk an die Folgen!" Aufmachung und Text waren einer damals laufenden Kampagne des Einzelhandels gegen Ladendiebstahl nachempfunden; im Original stand statt Kapitalist Ladendieb, statt Ausbeutung Ladendiebstahl.

Die verfremdete Fassung war vielleicht nur mäßig originell und ganz sicher Ausdruck "personalisierter" Kapitalismuskritik. Aber die betrieb, wie gesehen, auch Marx. Wahrscheinlich war er sich nicht so sicher, dass die von ihm vorausgesagte "Negation" des Kapitalismus, wenn "die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt" und die "Expropriateurs ... expropriiert" werden, tatsächlich "mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses" (Seite 791) eintreten werde - unabhängig vom "subjektiven Faktor", den in ihrem politischen Erkenntnisvermögen limitierten, aber zu starken Emotionen fähigen konkreten Menschen. Diese Emotionen sollte man nicht als "niedere Instinkte" abqualifizieren. Dass sie auch von rechts ausbeutbar ist, darf nicht übersehen werden. Es sollte aber kein Grund sein, sich ausschließlich auf die wissenschaftliche Kritik abstrakter "gesellschaftlicher Verhältnisse" zurückzuziehen.

Js.