Aufgeblättert
Vier Bücher zur Krise
Jede Finanz- und Wirtschaftskrise hat ihre Bücher, und mit jedem Buch verbindet sich die Hoffnung, für die Zukunft etwas lernen zu können. Angesichts der Tatsache, dass Spekulationskrisen seit der holländischen Tulpenkrise von 1634 immer den gleichen Verlauf genommen haben, erscheint diese Hoffnung gegenstandslos. Die gegenwärtige Finanzkrise hält seit über einem Jahr an. Die nach und nach veröffentlichten Bücher haben deshalb auch unterschiedliche Schwerpunkte. Vier dieser Publikationen werden im Folgenden in der Reihenfolge ihres Erscheinens vorgestellt.
Im Anfang war der Subprime-Kredit. Der für das Online-Magazin telepolis schreibende Rainer Sommer hat aus seinen regelmäßigen Berichten ein Buch gemacht. Im Zentrum steht die Frage, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Akteuren es überhaupt zu einer Blase am Immobilienmarkt kommen konnte und wie aus der Blase eine Banken- und Kreditkrise wurde. Sommer zeigt, wie Finanzmarktakteure eine scheinbare Atomisierung von Risiko betrieben. Aus Krediten wurde eine Pyramide von Wertpapieren, die das Risiko auf dem Markt streuen sollte. Die Streuung des Risikos bedeutete aber eine neue Verpackung der Kredite, eine Verpackung, die auch verstärkt Unklarheit über den Inhalt mit sich brachte. Gleichzeitig ermöglichten diese neuen Produkte den Banken, das mit den Krediten verbundene Risiko aus den Bilanzen abzuschieben. Ein Grund, warum verstärkt neue und nicht gerade solide Kreditkunden mit aggressiven bis illegalen Mitteln geworben wurden. Schließlich winkte Rendite ohne Risiko. Auch wenn Sommer viele wichtige Fakten zusammenträgt, hat er sein Material recht unübersichtlich organisiert. Oft verliert man sich in Details, und Infokästen stören den Lesefluss. Die Anekdote, die ein ganzes Kapitel einnimmt, wie ein Banker der Société Générale ca. 5 Mrd. Euro in den Sand setzt, hat mit dem eigentlichen Thema des Buches nichts zu tun. Wenn JournalistInnen statt kurzen Artikeln ein Buch schreiben, unterschätzen sie gern die Sorgfalt, die nötig ist, um den Stoff sinnvoll darzustellen.
Diese zusätzliche Arbeit merkt man hingegen dem wenige Wochen später erschienenen Buch von Wolfgang Köhler an. Ebenfalls als Wirtschaftsjournalist tätig, verliert er sich nicht in Anekdoten und Details, sondern bringt diese nur als Illustration oder Beweis seiner Argumentation. Ausgangsthese ist, dass die Gefahr der Krise durchaus früh gesehen wurde, dass aber politische und bornierte Fehlentscheidungen und Kurzsichtigkeit es unmöglich machten, Schlimmeres zu verhindern. Köhler zeigt, wie Untersuchungen über die in die Krise führenden Kreditpraktiken schon vor Jahren politisch blockiert wurden. Interessant sind Köhlers Ausführungen zur sozialen und politischen Dimension, die gegenwärtig kaum erwähnt wird. So ist zwar durchaus bekannt, dass KreditnehmerInnen aus dem sog. Subprime-Segment vor allem Schwarze und Hispanics sind. Weniger bekannt ist, dass die US-Regierung für eine besondere Gruppe das Problem der Kredite durchaus sehr ernst nahm: In einem Bericht von 2006 wurde die mangelnde Einsatzbereitschaft und Zuverlässigkeit der US-Streitkräfte auf Geldnöte zurückgeführt. Bereits 2005 wurden Militärs in Kreditfragen geschult und finanziell unterstützt. Das zeigt, dass eben erst die Kampfmoral und damit die Kriegsführungsfähigkeit der USA beschädigt sein muss, damit Menschen unter die Arme gegriffen wird. Bis heute fehlt eine ähnliche Politik für alle, die drei und mehr Jobs annehmen müssen, um ihre Kredite abbezahlen zu können und vielleicht trotzdem auf der Straße leben müssen. Trotzdem muss Köhlers Buch gegen den Strich gelesen werden. Zu sehr steht die Sorge um die deutsche Wirtschaft im Mittelpunkt und auch der Glaube, dass mit der richtigen Wirtschaftspolitik das alles so nicht passiert wäre. Das mag glauben wer will.
Von einer an Marx orientierten Analyse, derzufolge zum Kapitalismus notwendigerweise auch Krisen gehören, erwartet man doch eine andere Einschätzung der Lage. Joachim Bischoff, Vielschreiber bei Sozialismus und im VSA-Verlag, inzwischen Abgeordneter der Linken in Hamburg, hatte erst dieses Jahr ein Buch über den Finanzmarktkapitalismus veröffentlicht und nun eines zur Krise nachgelegt. Bischoff hat viel Material zusammengetragen, aber leider auch ohne zentrale These oder roten Faden dargestellt. Ein Weblog zur Krise für all diejenigen, die nicht täglich den Blätterwald durcharbeiten können, wäre sicherlich hilfreicher und aktueller gewesen. Denn das Buch kam auch zu früh. Wesentliche politische Entscheidungen konnten nicht mehr berücksichtigt werden, deren Diskussion aus Bischoffs Perspektive durchaus interessant gewesen wäre. Schließlich fehlt bisher die Formulierung eines linksreformistischen Projekts vor dem Hintergrund der gegenwärtigen politischen Konstellation. Die im Buch formulierten Punkte wurden auch schon lang vor der Krise vorgebracht, sie sind sehr staatsfixiert und versuchen sich in besserer Wirtschaftspolitik, die den Finanzmärkten endlich wieder die richtige Aufgabe zukommen lassen will - der scheinbar guten und soliden Produktion, die allen zugute kommt.
Der Mitbegründer der Financial Times Deutschland, Lucas Zeise, der bis heute mit seinen dort wöchentlich erscheinenden Kolumnen wie ein linker Fremdkörper erscheint, hat das aktuellste Buch vorgelegt. Nach der Charakterisierung der Krise als eine fundamentale Krise des Kapitalismus geht Zeise auf deren Ursache ein - die steigende Profitabilität und das Wachstum des Finanzsektors. Er zeigt, welcher Logik dies folgte, und vertritt auch nicht einfach die These der Entkoppelung. Er stellt die zunehmend auf Kredit basierenden Geschäfte dar und veranschaulicht schließlich sehr gut die neuen Finanzprodukte, die schließlich die Krise auslösten. In keinem bisher gelieferten Beitrag wird so gut gezeigt, warum die entwickelten Wertpapiere so problematisch waren und schließlich zum Kollaps der Finanzmärkte führten. Auch auf die Rolle der USA geht Zeise ausführlich ein. Zur Politik der Zentralbanken in den OECD-Staaten vertritt er eine eindeutige These: Viele seien zwar inzwischen politisch unabhängig, aber gegenüber den ökonomischen Zwängen eher hilflos. Diese Tatsache und ihre teilweise verheerende Politik im Verlauf der Krise mache es notwendig, die Notenbanken wieder politischer Verantwortung und Kontrolle zu unterwerfen. Gegen Ende des Buches diskutiert Zeise den bisherigen Umgang mit der Krise und berücksichtigt dabei auch das bereits verabschiedete US-Rettungspaket. Im Gegensatz zu Köhler macht Zeise nicht einzelne Fehlentscheidungen für das Desaster verantwortlich, sondern sowohl die grundlegende Funktionsweise der Notenbanken wie die politische Verfasstheit der Finanzmärkte insgesamt. Zeise sitzt auch nicht der Illusion auf, dass der Kapitalismus krisenfrei funktionieren könnte. Dennoch hofft er, dass mit einer besseren Regulierung starke Turbulenzen und soziale Verwerfungen verhindert werden können. Politisch bleibt Zeise jedoch schwach. Konsequent, dass er ein von attac verabschiedetes Papier einfach dokumentiert. Und dennoch: Das Buch zeigt deutlich, warum die gegenwärtige Krise eine des Kapitalismus und nicht nur des Neoliberalismus ist.
Ingo Stützle
Joachim Bischoff: Globale Finanzkrise. Über Vermögensblasen, Realökonomie und die "neue Fesselung" des Kapitals. VSA-Verlag, Hamburg 2008, 94 Seiten, 9,80 EUR
Wolfgang Köhler: Wall Street Panik. Banken außer Kontrolle. Wie Kredithaie die Weltkonjunktur ins Wanken bringen. Mankau Verlag, Murnau am Staffelsee 2008, 206 Seiten, 18,95 EUR
Rainer Sommer: Die Subprime-Krise. Wie einige faule US-Kredite das internationale Finanzsystem erschüttern. Heise Verlag, Hannover 2008, 188 Seiten, 19 EUR
Lucas Zeise: Ende der Party. Die Explosion im Finanzsektor und die Krise der Weltwirtschaft. PapyRossa Verlag, Köln 2008, 196 Seiten, 14,90 EUR