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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 533 / 21.11.2008

Von 16,4 Billionen Euro träumen

Finanzkrise, Finanzkapital und die privaten Rentensysteme

Die tiefe Krise, die ausgehend von den US-Immobilienmärkten den Finanzmarktkapitalismus befallen hat, hat nun auch die privaten Rentensysteme erreicht. Da sowohl in den USA als auch in Europa viele kapitalgedeckte Betriebsrentensysteme von Leistungs- auf Beitragsorientierung umgestellt worden sind und damit das Kursrisiko von den Unternehmen auf die abhängig Beschäftigten abgewälzt wurde, müssen jetzt viele ArbeitnehmerInnen Einkommensverluste im Alter hinnehmen oder länger arbeiten.

Im scharfen Wettbewerb stehende Pensionsfonds, Versicherungen und Investmentgesellschaften haben die privaten Rentengelder immer risikoträchtiger angelegt. Nun haben allein die US-Pensionsfonds aufgrund hoher Aktieninvestitionen etwa 2 Billionen US-Dollar verloren und auch die Pensionskassen deutscher Unternehmen korrigieren ihre Renditen nach unten. Im aktuellen herrschaftlichen Krisendiskurs spielt der Zusammenhang von Finanzkrise und Verlusten bei den Privatrenten jedoch keine Rolle. Die Krisenlösungen beschränken sich neben den milliardenschweren staatlichen Garantien und Beteiligungen auf eine intensivierte Regulierung in Form neuer Bilanzregeln, dem zeitweiligen Verbot bestimmter Transaktionen und einer effektiveren Finanzaufsicht.

Diese Lösung aber greift zu kurz. Eine strengere Regulierung ohne den Versuch, die Billionensummen, die auf den Finanzmärkten gehandelt werden, durch Besteuerung und Stärkung der öffentlichen Rentensysteme in andere Verwendungsformen umzuleiten, wird an den sozialen Konsequenzen des Finanzmarktkapitalismus nichts ändern.

Die Finanzmärkte sind seit den 1980er Jahren rapide gewachsen. Neben der Liberalisierung der Märkte und der Umverteilung zugunsten von KapitalbesitzerInnen im Rahmen neoliberaler Politik ist die (Teil-)-Privatisierung öffentlicher Rentensysteme hierbei ein wesentlicher Faktor. In den USA und Großbritannien (Staaten mit nur schwach ausgebauten staatlichen und umlagefinanzierten Rentensystemen) übersteigt das Vermögen institutioneller AnlegerInnen das BIP um das 1,5-2fache, während angesichts von Rentenkürzungen in Westeuropa die Allianz in einer Studie bereits von einer Verdoppelung des Marktvolumens für private Altersvorsorge zwischen 2005 und 2015 auf 16,4 Billionen Euro träumte.

Strengere Regulierung greift zu kurz

Die Kürzung des gesetzlichen Rentenniveaus zugunsten der privaten kapitalgedeckten Systeme wurde zum einen mit der wohl bekannten angebotspolitischen Sachzwanglogik legitimiert. Die Entlastung des Kapitals von Sozialkosten angesichts des globalen Standortwettbewerbs und die medial weit gestreuten Horrorszenarien über die Folgen des demografischen Wandels sollten diese Politik als alternativlos erscheinen lassen.

Zum anderen bildet das Prinzip, die soziale Sicherheit den Finanzmärkten auszuliefern, ein zentrales Element des Übergangs in den Finanzmarktkapitalismus. Neben Finanzmarktförderungsgesetzen, der Steuerbefreiung des Verkaufs von Kapitalbeteiligungen durch die Regierung Schröder/Fischer - wodurch Pensionsfonds, Hedge Fonds und Private Equity-Unternehmen vermehrt Unternehmensanteile erworben haben - oder dem EU-Aktionsplan für Finanzdienstleistungen sind es die Privatisierungsschritte bei den Renten, die den kontinentaleuropäischen Kapitalismus marktliberal transformiert haben.

In diesem Privatisierungsprozess ist die Rolle des Finanzkapitals nicht auf die eines passiven Profiteurs beschränkt, dem der Zugriff auf neues Kapital wie eine reife Frucht zufällt. Vielmehr agiert es auf unterschiedliche Weise als politischer Akteur, der die Privatisierung mit vorantreibt. Über die Zahlung von Parteispenden und die Gründung von Diskussionsforen zwischen PolitikerInnen und Finanzkonzernen werden Gesetzgebungsverfahren beeinflusst. Das European Parlament Pension Forum etwa, 2003 von Abgeordneten des Europäischen Parlaments und den europäischen Verbänden der Versicherungswirtschaft und Pensionsfonds gegründet, dient der gemeinsamen Entwicklung von Positionen gegenüber der EU-Kommission.

Darüber hinaus interveniert das Finanzkapital in den politischen und wissenschaftlichen Diskurs und versucht, die gesetzliche Rente als unrentabel zu diskreditieren. Unterstützt wird es dabei von WissenschaftlerInnen, die ihre Forschungsarbeit vom Finanzkapital finanzieren lassen oder als Aufsichtsräte von Finanzunternehmen tätig sind und gleichzeitig die Privatisierung der Rente propagieren.

Forschung von Finanzkapital finanziert

Ein prominentes Beispiel für diese dreiste Praxis ist Bernd Raffelhüschen, VWL-Professor an der Universität Freiburg. Raffelhüschen, Mitglied der Rürup-Kommission, die u.a. für die Rente mit 67 verantwortlich ist, ist Mitglied im Aufsichtsrat der ERGO-Versicherungsgruppe, Berater der Victoria Versicherung, Referent beim Finanzdienstleister MLP und Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Personelle und institutionelle Verflechtungen zeigen sich auch beim an der Universität Mannheim angesiedelten Forschungsinstitut Ökonomie und demografischer Wandel (MEA), das vom Land Baden-Württemberg und dem Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft getragen wird. Das MEA kooperiert ebenso wie das Finance Center der Uni Münster mit dem von der Deutschen Bank getragenen Deutschen Institut für Altersvorsorge. Der MEA-Leiter Axel Börsch-Supan war ebenfalls in der Rürup-Kommission.

Die finanzmarktorientierte Privatisierung der Rentensysteme folgt keinen Sachzwängen, sondern ist ein ebenso politischer Prozess wie alle anderen Maßnahmen, mit denen die Finanzmärkte in den letzten Jahren gefördert wurden. Eine Zeit, in der nur staatliche Hilfen das Finanzsystem stabilisieren, muss von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen genutzt werden, um für die Stärkung der öffentlichen Rentensysteme einzutreten. Damit kann dem Druck der Finanzmärkte, der als Renditeforderung des Finanzkapitals auf den Lohnabhängigen lastet, begegnet werden und gleichzeitig eine teure private Alterssicherung, die nicht vor Altersarmut schützt und nur im Interesse des Finanzkapitals ist, ersetzt werden.

Martin Beckmann