Streikfreudiges Griechenland
Bei den HellenInnen reden auch Konservative ungezwungen vom Klassenkampf
"Streik legt Flüge und Fähren lahm" titelte Focus online am 21. Oktober. Die Schlagzeile ist typisch für deutschsprachige Medien, wenn es um Arbeitskämpfe in Griechenland geht. Interessant ist nicht von wem, warum und mit welchem Erfolg gestreikt wird, sondern vorrangig, ob westeuropäische TouristInnen mit Behinderungen konfrontiert werden. Auch ein Generalstreik wie der vom 21. Oktober wird meist nur mit einem Einspalter abgehandelt. Wesentlich wichtigere Formen des Arbeitskampfes werden sogar weitgehend konsequent verschwiegen. Ein Blick auf die griechische Streiklandschaft.
Es ist natürlich müßig, darüber zu lamentieren, dass bürgerliche Medien Nachrichten über die zahlreichen Streiks in Griechenland nach Möglichkeit vermeiden. Schließlich sind Beispiele konsequenten und mitunter auch erfolgreichen Kampfes gegen Werkschließungen, Privatisierungen oder für Lohnerhöhungen in einer Höhe, die in Deutschland nicht einmal in den anfänglichen Forderungskatalog aufgenommen werden, nicht im Sinne der Klasse, denen eben jene Medien gehören. Für europäische Linke und ihre Publikationen dagegen sind soziale Auseinandersetzungen in Griechenland ein interessantes Feld.
Streik ist etwas selbstverständliches
Besonders seit nationale Wirtschaftspolitik nicht mehr in der eigenen Hauptstadt, sondern mehr und mehr in Brüssel gemacht wird, sind die Menschen in Griechenland der gleichen radikalen Umverteilungspolitik zu Gunsten des Kapitals ausgesetzt wie beispielsweise auch in Deutschland. Dabei verfügt Griechenland, das seit 1981 Mitglied der Europäischen Union ist, nicht einmal über ein so genanntes Sozialhilfesystem wie Hartz IV.
Angesichts der zunehmenden Verarmung in der Bevölkerung - derzeit müssen nach offiziellen Statistiken bereits 21 Prozent der Menschen mit weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens auskommen - ist man sich der aufstandsbekämpfenden Wirkung eines staatlichen Almosens zur mühevollen Befriedigung der elementarsten Bedürfnisse allerdings durchaus bewusst. Bei der im letzten Jahr gegen wochenlange Proteste durchgepeitschten Rentenreform wurde deswegen erstmalig eine Sozialkasse eingerichtet. Die dafür vorgesehenen 100 Mio. Euro dürften allerdings nicht einmal für die lang versprochene Zuzahlung zu den Heizkosten für Arme reichen.
Streiks gegen Kürzungen, Werkschließungen, gegen unzumutbare Arbeitsbedingungen, für Lohnerhöhungen und den Abschluss von Tarifverträgen sind in Griechenland wesentlich selbstverständlicher als in der BRD. Immerhin redet hier selbst die Gewerkschaftsfraktion DAKE der konservativen Regierungspartei Nea Dimokratia völlig ungezwungen vom Klassenkampf. Allerdings hängen die DAKE und ihr sozialdemokratisches Pendant PASKE der PASOK jedoch der auch in der BRD vorherrschenden Mär von der Sozialpartnerschaft der Tarifparteien an.
Sämtliche Gewerkschaftsverbände sind, wie fast alle organisatorischen Zusammenschlüsse in Griechenland, von Parteien dominiert. Dabei stellen in den meisten Gewerkschaften die Fraktionen DAKE und PASKE die Mehrheit. Auch in den beiden Gewerkschaftsdachverbänden, GSEE für die private Wirtschaft und ADEDY für den öffentlichen Dienst, haben sie das Sagen. Deswegen sind auch die von ihnen beschlossenen und im europäischen Vergleich sicher recht häufigen Generalstreiks mit Misstrauen zu betrachten.
Ritualisierte Generalstreiks und radikale Basiskämpfe
Die ausnahmslos eintägigen Generalstreiks werden Monate im Voraus beschlossen und angekündigt, ohne dass gleichzeitig andere Formen des Arbeitskampfes eingesetzt werden. So verpuffen sie als kurzes Feuerwerk, durchgeführt, um überhaupt was getan zu haben. Vorschläge der kommunistisch orientierten Gewerkschaftsfront PAME für einen sich zuspitzenden Arbeitskampf werden in den Dachverbandsspitzen regelmäßig abgeblockt.
Ohnehin ist der Begriff Generalstreik vielleicht irreführend. Gestreikt wird weitgehend nur im öffentlichen Dienst und bei den wenigen großen ehemaligen Staatsunternehmen. Die größtenteils in kleinen bis mittleren Betrieben organisierte private Produktion ist ebenso wie beispielsweise der Einzelhandel regelmäßig nicht betroffen.
Unter den linken Gewerkschaftsorganisationen ist die von der Kommunistischen Partei Griechenlands dominierte Gewerkschaftsfront PAME die einzige, die auch allein schlagkräftig genug ist, um erfolgreiche Arbeitskämpfe zu führen. So werden in den von ihr dominierten Branchen regelmäßig über der vom Dachverband ausgehandelten Mindestlohnsteigerung liegende Lohnerhöhungen abgeschlossen. Die Linksallianz Synaspismos dagegen ist mehr eine Intellektuellenpartei ohne relevante Mitgliederzahlen in der werktätigen Bevölkerung. Entsprechend gering ist ihre Repräsentanz in den Gewerkschaften.
Für am Arbeitskampf Interessierte sind sicherlich die in Griechenland ebenfalls zahlreichen Branchenstreiks oder langen Kämpfe gegen Werksschließungen interessanter als die Generalstreiks. Als sich beispielsweise vor zwei Jahren die Seeleute mit einer tagelangen Blockade der wichtigsten Häfen gegen Einbußen bei Arbeitssicherheit, Löhnen und Renten durch die Öffnung der griechischen Schifffahrt für ausländische InvestorInnen zur Wehr setzten, kam es zu zahlreichen Solidaritätsstreiks. Der Arbeitskampf konnte nur durch die diktatorische Zwangsverpflichtung der Seeleute durch einen Regierungsbeschluss niedergeschlagen werden.
Im gleichen Jahr gelang es einer breiten Koalition aus Gewerkschaften im Bildungswesen, SchülerInnen und Studierenden, mit wochenlangen Streiks und der Besetzung zahlreicher Schulen und Hochschulen, die bereits sicher geglaubte Verfassungsänderung zur Einführung privater Hochschulen zu blockieren.
Im nordgriechischen Naoussa wehren sich die überwiegend weiblichen ArbeiterInnen seit Jahren mit Werksbesetzungen gegen die drohende Verlegung der Webereien in die für UnternehmerInnen mit noch niedrigeren Löhnen gesegneten angrenzenden Balkanstaaten. Da bei so etwas aber keine Flüge ausfallen, wird man in Deutschland darüber nur in den wenigsten Zeitungen lesen können.
Heike Schrader, Athen