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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 533 / 21.11.2008

Kleine geile Firmen

Die Entwicklung der Alternativprojekte im Widerspruch zwischen Revolte und Anpassung

Flexibilität, Kreativität, Ausdauer und Leistungsbereitschaft sind Schlüsselqualifikationen, die heutzutage in Stellenanzeigen von Arbeitssuchenden gefordert werden. Des Weiteren wird selbstständiges Arbeiten erwartet, genauso wie die Bereitschaft, verantwortungsvolle Tätigkeiten zu übernehmen. Den Trug und Schein dieser "neuen Arbeit" hat die Gruppe Blauer Montag bereits in der letzten ak-Ausgabe offengelegt. Der Bedeutung alternativer linker Projekte für den Wandel von Arbeitsanforderungen und deren Geschichte geht Arndt Neumann in dem neu erschienenen Buch "Kleine geile Firmen" nach.

In dem kleinen Band aus der Reihe Flugschriften der Edition Nautilus analysiert Neumann die Entwicklung der Alternativprojekte in der Bundesrepublik von den 1970er Jahren bis heute. Deren Anfänge sieht Neumann in der Verweigerungshaltung der Beatniks und dem Entstehen der Hippie-Bewegung in den USA. In Deutschland dagegen hätte diese Entwicklung eigentlich erst in den 1970er Jahren eingesetzt, als die Krise des traditionellen Marxismus und die Frauenbewegung neue Spielräume eröffneten. Dem aufkommenden "Kampf gegen die Arbeit" wurden schon bald positive Gegenentwürfe entgegengestellt. In Alternativprojekten erkannten die Leute die Möglichkeit, bereits "im Hier und Jetzt die Arbeits- und Lebensformen einer sozialistischen Gesellschaft vorwegzunehmen". Neumann resümiert: "Die Bandbreite alternativer Projekte reichte von Teestuben, Kneipen, Naturkostläden, Theatergruppen und Kinos über Autowerkstätten, Schreinerbetriebe, Entrümpelungskollektive, freie Schulen, Jugendzentren und Beratungsstellen bis hin zu alternativen Mediengruppen und Technologieprojekten." Mitte der 1980er Jahre arbeiteten in Deutschland immerhin rund 24.000 Menschen in etwa 4.000 Alternativprojekten.

Alternative Lebensformen im Hier und Jetzt

Ins Zentrum seiner Untersuchung rückt Arndt Neumann die Frage nach der Veränderung der Form der Arbeit und Arbeitsorganisation, der Entstehung kollektiver Arbeitsformen bis hin zur New Economy, die, angetrieben vom Wunsch nach Autonomie, den "Unternehmer seiner Selbst" perfektionierte. Auch wenn der Crash 2001 ihren Aufstieg gebremst hat, haben sich neoliberale Managementkonzepte längst flächendeckend durchgesetzt. An ihrer Entwicklung war auch der Mitbegründer der alternativen Zeitschrift Pflasterstrand, Matthias Horx, beteiligt, der heute als Unternehmensberater und Trendforscher fungiert. An seiner Geschichte verdeutlicht Arndt Neumann, wie sich neue Steuerungselemente in Betrieben etabliert haben. Mit dem Ziel, die Produktivität zu steigern, räumen Unternehmen mittlerweile den ArbeiterInnen ungeahnte Freiräume ein. Doch Neumann verweist darauf, dass "diese Eigeninitiative nur innerhalb der von der Unternehmensführung festgelegten Rahmenbedingungen erwünscht" sei. Dieser Widerspruch bestehe jedoch nicht nur im kapitalistischen Betrieb, sondern ziehe sich auch durch alternative Entwürfe. Hier zeigt sich der Widerspruch zwischen dem Anspruch eines alternativen Entwurfs und den Zwängen der kapitalistischen Verwertung. Ein Widerspruch, der einem allzu bekannt vorkommt. Die Fragen, die Arndt Neumann mit seinem Buch aufwirft, sind sicherlich nicht neu. Aber zum einen vergegenwärtigt der Autor hervorragend die Geschichte alternativer Entwürfe, die Verwerfungen und Probleme der Projekte, zum anderen lässt er die LeserInnen nicht ohne Hoffnung stehen.

Eine weitere Stärken von "Kleine geile Firmen" ist die exemplarische Herangehensweise. Das Buch erwartet von den LeserInnen nicht zu viel theoretisches Vorwissen, und doch verliert es dadurch nicht an Präzision oder inhaltlicher Tiefe. Am Beispiel der Entwicklung der Berliner tageszeitung, dem Agieren der Netzwerk-Initiative und dem spektakulären Auftritt des Berliner Wissenschaftssenators Peter Glotz beim linksradikalen Tunix-Kongress 1978, der für Neumann einen Wandel in einer bis dato rein repressiven Politik bedeutet, zeichnet der Autor die Schwierigkeiten alternativen Wirtschaftens, den Wunsch nach Autonomie und den Wandel der Arbeit nach.

Wenn heutzutage von Prekarisierung die Rede ist, dann wird das Phänomen meist auf die ungesicherte Situation des Arbeitsverhältnisses reduziert. Doch diese Definition greift zu kurz. Denn die Verunsicherung betrifft inzwischen alle Lebensbereiche. Verändert hat sich in den vergangenen Jahren auch die Bedeutung mancher großer Begriffe: Gerechtigkeit und Autonomie, traditionelle linke Kampfbegriffe, gehören heute zum neoliberalen Slang. "In neoliberalen Managementkonzepten steht Autonomie längst für eine möglichst effektive Arbeitsorganisation, in der flache Hierarchien, Teamwork und Selbstkontrolle die Überwachung durch die Vorgesetzten abgelöst haben", schreibt Arndt Neumann. Doch er ist nicht bereit, den Begriff Autonomie einfach so aufzugeben. Schließlich ließe sich auch heute das Bedürfnis nach Autonomie nicht bruchlos in die bestehende Arbeitswelt integrieren.

Ein Blick in die linke Geschichte ohne Nostalgie

Arndt Neumann lässt in "Kleine geile Firmen" alte Debatten der 1970er Jahre noch einmal aufleben. Dabei profitiert er von der damals bestimmenden Politik "in erster Person". Denn auch die Sprache der damaligen Aktiven ist davon beeinflusst. Sein Quellenmaterial, Beiträge aus den linksalternativen Zeitungsprojekten Autonomie, Pflasterstrand und radikal der 1970er Jahre, bestechen durch einen subjektiven Schreibstil, der die eigentlich wissenschaftliche Arbeit angenehm auflockert. Anhand der Beiträge gewinnt man auch 30 Jahre später noch ein Verständnis für den Alltag in den Kollektiven. Ohne Nostalgie blickt Neumann auf die Versuche, sich von den Zwängen der Arbeit zu befreien, und deren Scheitern. Seine geschichtliche Analyse ist wahrlich kein staubiges Geschichtsbuch. "Kleine geile Firmen" bietet einen ungemein wichtigen Beitrag für die Analyse der gegenwärtigen kapitalistischen Produktionsweise und der Perspektiven zur Befreiung vom Kommando des Kapitals. Denn Arndt Neumann ist nicht bereit, den Leser bloß fragend und suchend zurückzulassen. Für ihn bietet vorerst ein bedingungsloses Grundeinkommen einen Ausweg aus dem Dilemma. Aber das wiederum ist eine weitere eigene spannende Diskussion.

Jonas Füllner

Arndt Neumann: Kleine geile Firmen. Edition Nautilus, Hamburg 2008, 94 Seiten, 10 EUR