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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 533 / 21.11.2008

Einen Unterschied machen

Herausforderungen für klimapolitische Interventionen von links

Seit nun einem guten Jahr diskutieren zahlreiche Zusammenhänge, wie eine linke Perspektive auf die Klimafrage aussehen könnte. So wichtig solche Kontroversen um eine angemessene theoretische Einordnung und Reaktion auf den Klimawandel sind: Die Auseinandersetzung mit der Klimafrage darf nicht bei der Analyse gesellschaftlicher Naturverhältnisse stehen bleiben, sondern muss konkrete politische Strategien entwickeln, wie die emanzipatorische Linke in die herrschende Bearbeitung des Klimaproblems eingreifen kann.

Begrüßenswert ist deshalb die Debatte, die unter anderem Müller (ak 531) und Bernau (ak 532) um diese Frage eröffnet haben. Auch wenn viele richtige Ansätze schon in den vorhergehenden Beiträgen zu dieser Reihe benannt wurden, sollen hier einige Herausforderungen formuliert werden, die mit Einschränkungen in der bisherigen Diskussion vernachlässigt wurden.

Das Klimacamp in Hamburg, neue lokale Klimabündnisse und die beginnende Mobilisierung zum Klimagipfel in Kopenhagen sind zwar vielversprechende Anfänge, zeigen jedoch alle charakteristische Schwierigkeiten. Die folgenden Punkte sind gemeint als offene Fragen an eine Klimabewegung, die erst noch eine solche werden muss. Sie sind nicht neu und stellen sich so oder ähnlich auch in anderen Kämpfen, aber gerade deswegen müssen Antworten darauf entwickelt werden.

Erstens zeigt sich auch in diesem Konfliktfeld das viel diskutierte Spannungsverhältnis zwischen Gipfelhopping und kontinuierlicher Arbeit vor Ort, zwischen Internationalismus und lokaler Verankerung. Ohne Frage könnte der Protest in Kopenhagen Ende 2009 zu einem wichtigen Kristallisationspunkt der sich international formierenden Klimabewegung werden. Und auch ein realer Eingriff in den fragwürdigen Verhandlungsmarathon um ein neues Klimaregime ist nicht auszuschließen. Aber nicht nur sind die Institutionen des Kyoto-Prozesses ein relativ zahnloser Tiger innerhalb der internationalisierten Staatsapparate, sondern vor allem werden wesentliche klimarelevante Entscheidungen immer noch auf der nationalen und subnationalen Ebene getroffen. Sei es von den Konzernen, der politischen Administration oder der mittelständischen KonsumentInnenklasse. Auch nicht zuletzt um die Menschen unvermittelt erreichen zu können, muss sich eine Klimabewegung neben den großen Protest-Events viel stärker lokal und regional engagieren.

Damit zusammenhängend fragt sich zweitens, wer denn das politische Subjekt der linken Klimakämpfe sein soll? Wer gegen Hartz IV oder rassistische Ausländerbehörden mobilisiert, weiß relativ genau, wen sie oder er für den gemeinsamen Widerstand gewinnen will. Abgesehen davon, dass jede und jeder ja irgendwie für das Klima ist, ist bisher weitgehend offen geblieben, wie mensch an den klimasensiblen "Alltagsverstand" anknüpfen und zumindest einen politisierbaren Teil vom "Rest der Gesellschaft" (vgl. Beitrag von Müller ak 531) für die eigene Sicht der Dinge gewinnen kann. Das konstatierte Mobilisierungsproblem des deutschen Klimacamps ist nicht nur auf die mangelnde Resonanz in der eigenen Szene zurückzuführen, sondern ist auch Ausdruck dieses strategischen Defizits. Bernau nennt Anhaltspunkte für mögliche Zielgruppen, die weiter auszubuchstabieren wären.

Drittens ist die Frage entscheidend, wie die klimapolitischen Interventionen tatsächlich einen Unterschied machen können. Nicht nur in dem Sinne, dass sie einen theoretischen und praktischen Bruch mit dem dominierenden Management der sozial-ökologischen Krise vollziehen müssen. Die politische Arbeit muss sich auch daran messen lassen, ob sie über die inzwischen mehrfach gescholtene Diskurskritik hinausgeht und nachhaltig - im besten Sinne des Wortes - gesellschaftliche Kräfteverhältnisse und damit die konkreten Formen des Umgangs mit dem Klima verändern kann. Dieser Anspruch ist zweifellos nicht ohne weiteres einzulösen, aber er sollte der Maßstab sein, mit dem politische Schritte in diese Richtung beurteilt werden.

So gut die Aktionen des Klimacamps auch vorbereitet waren und so viel (mediale) Aufmerksamkeit dieses Projekt auch erfahren hat: Die Feststellung eines Genossen aus dem Vorbereitungskreis, das Camp sei wie ein "UFO" in Hamburg gelandet und dann wieder abgeflogen, ist ernst zu nehmen. Eine Klimabewegung muss also Praxisformen entwickeln, mit denen sie einen größeren Kreis von Menschen außerhalb der Szene ansprechen und in eine kontinuierliche Arbeit einbeziehen kann. Sie muss thematische Zuspitzungen finden, die über die herrschende Klimapolitik hinausweisen und zugleich von vielen Menschen auch als Problem erlebt werden. Und sie muss BündnispartnerInnen gewinnen, um sich wirksam in lokale und perspektivisch auch internationale Konfliktsituationen einmischen zu können.

Außerdem muss viertens die Eigentumsfrage viel expliziter auch im Zusammenhang mit dem Klimaproblem aufgeworfen werden. Das bedeutet nicht, dass andere Aspekte wie etwa die Konsumformen oder das Nord-Süd-Verhältnis nachrangig sind. Doch wie schon die Tierrechtsaktion Nord betont (ak 530), ist die Verfügung über die gesellschaftlichen Produktivkräfte entscheidend für die Überwindung der kapitalistischen Naturbeherrschung. Denn erst wenn die Menschen gemeinsam über ihre kollektiven Naturverhältnisse reflektieren und entscheiden können, ergibt sich die Chance, diese ökologischer und egalitärer zu gestalten. Bemerkenswerterweise ist jedoch die Forderung nach Vergesellschaftung der Produktionsmittel gerade in vielen Teilen der radikalen Linken nur noch implizit präsent. Es müssen also Wege gefunden werden, wie solche weitgehenden Ziele mit handfesten politischen Praxen verbunden werden können.

Eine erste Antwort auf diese Fragen ist, dass es keine einfache gibt. Im Folgenden soll anhand der jüngeren Auseinandersetzungen um die Stromversorgung in Deutschland beispielhaft gezeigt werden, wie mögliche politische Ansätze aussehen können. Nicht um dieses klimarelevante Konfliktfeld gegenüber anderen zu privilegieren, sondern um gemachte Erfahrungen zu vermitteln und für kommende Kämpfe - auch in anderen Teilbereichen - zu lernen.

Der deutsche Strommarkt wird von den vier Konzernen EON, RWE, ENBW und Vattenfall kontrolliert. Die großen Vier verfügen über einen Großteil der Stromnetze, besitzen mehr als 80 Prozent der Kraftwerkskapazitäten und geben in einem bedeutenden Teil der kommunalen Stadtwerke den Ton an. Ihre Marktmacht sichern sie sich durch enge Verbindungen zu den Staatsapparaten, insbesondere dem Wirtschaftsministerium. Unterstützt werden sie ferner von einer EU-Politik, deren Ziel es ist, den gegenwärtigen Konzentrationsprozess so weit zu forcieren, dass nur eine Handvoll Energiemultis übrig bleibt, die Europas Energieinteressen global zur Durchsetzung verhelfen sollen. Die Stromkonzerne sind es, die über 20 neue Kohlekraftwerke bauen, weiterhin mit ihren Schrottreaktoren den Atommüll für Gorleben produzieren und zugleich die Strompreise in die Höhe treiben.

Kämpfe um die deutsche Stromversorgung

Andererseits wird die neue Kapitalfraktion der Erneuerbaren-Energie-Unternehmen von einigen Staatsapparaten stark gepusht. In den letzten Jahren legten sie beachtliche Wachstumsraten vor und können bei einer ökologischen Modernisierung des Kapitalismus auf gigantische Zukunftsmärkte hoffen. Ob nun die fossilistisch geprägten Stromkonzerne ihre Vormachtstellung verteidigen können, ob sich in Zukunft die aufstrebenden Öko-Unternehmen durchsetzen oder ob sogar die großen Konzerne den Erneuerbaren-Markt übernehmen - mit einer wirklichen Lösung der Klimakrise ist in keinem der Fälle zu rechnen, weil sie nicht mit der Zurichtung der Natur für die Kapitalverwertung brechen.

Aber es gibt durchaus ein heterogenes Spektrum von Organisationen, Netzwerken und Initiativen, das sich für eine andere Klimapolitik einsetzt: An allen geplanten Standort für neue Kohlekraftwerke gibt es Bürgerinitiativen, die die direkt betroffenen AnwohnerInnen ansprechen und bei günstigen politischen und juristischen Konstellationen schon zum Teil die Projekte kippen konnten, wie etwa in Ensdorf oder Bremen. Angesichts rapide steigender Strompreise gewinnt die Diskussion um soziale Tarifgestaltung und kostenlose Grundversorgung im Spektrum der Sozialproteste an Bedeutung und auch im herrschenden Diskurs ist das Thema inzwischen angekommen. In mehreren Städten kämpfen Initiativen gegen die Privatisierung von Stadtwerken oder für eine Rekommunalisierung der lokalen Stromnetze. In Leipzig konnte ein breites Bündnis Anfang 2008 den Verkauf der dortigen Stadtwerke verhindern, der in einem Bürgerentscheid von 87 Prozent der BürgerInnen abgelehnt wurde. Oft setzen sich diese Bündnisse aus lokalen Umweltverbänden, GewerkschafterInnen und Initiativen zusammen.

Hier gelingt es also zumindest partiell, auf lokaler Ebene Menschen auf Grund greifbarer Betroffenheiten zu erreichen und auch materielle Erfolge zu erzielen. Ohne Zweifel sind die Politikformen und Inhalte der benannten Akteure in ihrer Reichweite begrenzt. Sie müssen nicht zum Vorbild für die radikale Linke werden. Aber die in einigen deutschen Städten im Rahmen des Klimacampprozesses entstandenen linksradikal geprägten Klimabündnisse müssen ihre Praxis mit den oben herausgearbeiteten Maßstäben konfrontieren.

Der Vorzug der letztgenannten Netzwerke ist, dass sie die Verbindung von gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen und sozial-ökologischen Problemlagen zum Ausgangspunkt ihrer Kritik machen. Eine Enteignung der Stromkonzerne wird von einigen Gruppen der Interventionistischen Linken und von der attac-Kampagne "Power to the People" stark gemacht. Diese Forderung zielt selbstverständlich nicht auf eine klassische Verstaatlichung, sondern auf eine Dezentralisierung und radikale Demokratisierung der gesamten Energieversorgung.

Zwischen Grundgesetz und Massenmobilisierung

Während reformorientierte Akteure wie attac stärker die Spielräume betonen, die das Grundgesetz für eine Enteignung offen hält, weisen linksradikale Gruppen auf die Notwendigkeit hin, dass auch eine massenhafte Mobilisierung nötig werden kann, um solch grundlegende Transformationen gegen strukturelle Widerstände durchzusetzen. Zugespitzt formuliert steht die Idee eines gesetzeskonformen Verfahrens hier gegen die Vorstellung eines konflikthaften Prozesses. In der praktischen Zusammenarbeit betonen die betreffenden AktivistInnen jedoch die Zusammengehörigkeit beider Aspekte. Im Sinne eines radikalen Reformismus können sich Bewegungen auf die rechtlichen Möglichkeiten beziehen, ohne den emanzipatorischen Überschuss einer solchen Richtungsforderung aufgeben zu müssen. In einem Transformationsprozess könnten legale Enteignungen mit Formen von Aneignung kombiniert werden, die vor einigen Jahren in der radikalen Linken stark diskutiert und praktiziert wurden. Die spektrenübergreifende Kampagne Gegenstrom war ein treffendes Beispiel für eine derartige Herangehensweise, weil sie versuchte, die Besetzung der Kraftwerksbaustelle in Moorburg mit der Parole "Energiekonzerne enteignen" zu verbinden.

Die Aufgabe bestünde also darin, die radikale Kritik an der herrschenden Klimapolitik in Aktionsformen umzusetzen, die real in unmittelbare Kräfteverhältnisse einhaken können.

Das das gar nicht so abwegig ist, zeigt eine aktuelle Forsa-Umfrage, laut der angesichts der gegenwärtigen Wirtschaftskrise immerhin 77 Prozent der Befragten für eine Verstaatlichung der Energiekonzerne plädieren. Zwar ist diese hohe Zahl auch vor dem Hintergrund drohender Übernahmen durch ausländische Investoren zu sehen und klassische Staatskonzerne sind um keinen Deut besser als die privaten. Dennoch gibt es einen Bruch im hegemonialen Diskurs, den es zu nutzen gilt.

Hendrik Sander