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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 533 / 21.11.2008

Antimuslimischer Rassismus von oben und von unten

Über die Kulturalisierung sozialer Gegensätze im Neoliberalismus

Die erfolgreiche Verhinderung des "Anti-Islamisierungskongresses" (vgl. ak 532) in Köln im September war das Ergebnis einer der größten antifaschistischen und antirassistischen Mobilisierungen der letzten Jahre. Der fehlgeschlagene Kongress kann als Versuch der europäischen Rechten gesehen werden, sich an dem Thema "Islamisierung Europas" zu konsolidieren und eine Europäische Partei voran zu bringen. Die Gegen-Mobilisierung hat auch Fragen nach antirassistischen Positionen und Strategien gegen einen zunehmenden anti-muslimischen Rassismus in Europa aufgeworfen und in eine breitere Öffentlichkeit getragen.

Breite Bündnisse - wie in Köln - sind wichtig und ein notwendiger Bestandteil eines Kampfes um die Hegemonie. Genauso wichtig ist es, eine antirassistische Kritik in die Auseinandersetzungen einzubringen, die sich nicht auf Toleranz, kulturelle Differenz oder das Recht auf Religion bezieht. Denn diese "Werte" brechen nicht mit der Logik der Kulturalisierung, sondern bestärken sie von "links". Es gilt Strategien zu entwickeln, wie (lokal und im Alltag stattfindende) rassistische Mobilisierungen gegen MigrantInnen als "Muslime" zurückgedrängt werden können, ohne in die Falle der Kulturalisierung zu tappen. Dabei stellen sich für uns vor allem zwei Fragen:

Wettbewerbsstaat und Sicherheitspolitik

1. Warum wird das Feindbild "Islam" für so viele Menschen attraktiv? Rechte Mobilisierungsfähigkeit muss in einen Zusammenhang mit den Umbrüchen des Kapitalismus und neoliberalen wie autoritären Strategien des herrschenden Blocks gestellt werden. 2. Inwiefern kann tatsächlich von einem anti-muslimischen Rassismus (kurz: AMR) gesprochen werden, ohne damit in die Falle zu tappen, rechte Politiken in islamischen Bewegungen naiv zu übersehen? Reaktionäre politisch-religiöse Bewegungen im Islam müssen im Zusammenhang mit ihren gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen kritisiert werden, indem der Rassismus der Mehrheitsgesellschaft und ökonomische, kulturelle und politische Widersprüche im globalisierten Kapitalismus in den Blick genommen werden.

Unsere These lautet: AMR ist Teil von Prozessen der Kulturalisierung der sozialen Frage. In diesen Auseinandersetzungen (mindestens seit den 1980ern) wird die Frage der kulturellen Identität und Differenz zentral, die kapitalistischen Bedingungen für Rassismus und hierarchische Unterwerfung von MigrantInnen rücken in den Hintergrund. Der neoliberale Block an der Macht kann durch die Mobilisierung eines Feindbilds "Islam" Zustimmung für Sicherheitspolitiken organisieren, während soziale Sicherheit zurückgefahren wird: eine autoritäre Bearbeitung sozialer Widersprüche, die auf der Organisierung rassistischer Kompromisse beruht. Eine Herausforderung antirassistischer Kritik besteht darin, zu verstehen, wie wachsende (1) Teile der Bevölkerung darin eingebunden sind, um Gegenstrategien zu entwickeln.

Die Auseinandersetzungen um den gesellschaftlichen Platz muslimischer Religionsausübungen sind zu einem zentralen gesellschaftlichen Auseinandersetzungsfeld geworden. Rechtsextreme und rechtskonservative Kräfte (bis zu Teilen der CDU) setzen auf eine Mobilisierung gesellschaftlicher Bündnisse gegen MigrantInnen als "die Muslime" oder Träger "des Islam". Dabei können sie große Zustimmung und einen rassistischen Konsens über die "Fremden", die mit "ihrer Kultur" keinen Platz in der Gemeinde haben sollen, organisieren.

Diesen Mobilisierungen ist gemeinsam, dass sie "den Islam" als eine homogene, feststehende Kultur der Anderen (d.h. kulturell Nicht-Deutschen/Europäischen) beschreiben und MigrantInnen auf eine wesenhafte kulturelle Identität als Muslime festlegen. Diese Kultur sei nicht mit der Mehrheitsgesellschaft vereinbar, führe zu gesellschaftlichen Problemen (Islam als vermeintliche Ursache für fehlende Integrationsfähigkeit/-willigkeit) und stelle letztlich eine Gefahr für "die Gesellschaft" dar. Je nach ideologischer Position wird die deutsche Gesellschaft als christlich-abendländisch geprägt, über die deutsche Sprache zusammengehalten oder als westlich-säkular verstanden. In beiden Strömungen wird "der Islam" als anti-moderne, rückschrittliche Kultur angesehen.

Analysiert werden muss AMR daher in dem Spannungsfeld von kulturalistischen und orientalistischen Konstruktionen und ihrer Veränderung und "Aktualisierung" in Auseinandersetzungen "über die Gesellschaft, in der wir leben", die in gesellschaftlichen (ökonomischen, politischen, ideologisch-kulturellen) Kräfteverhältnisse stattfinden.

In den Bildern über MigrantInnen in der BRD spielte Religion oder Kultur zunächst keine bestimmende Rolle. MigrantInnen wurden als "Gastarbeiter" betrachtet, ihre (strukturell) rassistische Unterordnung im fordistischen Wirtschaftswunderland machte sich an ihrem sozio-ökonomischen Status, der Position als untere ArbeiterInnen sowie entlang von Nationalität fest. In den 1980er Jahren tauchen kulturell-religiöse Momente in der Konstruktion "der Anderen" auf, die sich auf MigrantInnen aus der Türkei richten. Mit dem zweiten Golfkrieg wurde diese Religion, "der Islam", als politisierte Religion thematisiert, seit 9/11 dann als kriegerische Religion mit der Konnotation des "arabischen Terrorismus".

Bearbeitung sozialer Widersprüche von "unten"

Insofern sprechen wir von einem Wandel im Diskurs über "die Anderen": Er konstruiert MigrantInnen religiös-kulturell als Muslime und "den Islam" als politisch-kriegerisch-terroristisch. Dieser Diskurs ist rassistisch, weil er Machtverhältnisse zementiert, die auf den Ausschluss oder die Unterordnung von "MigrantInnen" als "kulturell Anderen" zielen. Dabei werden soziale "Probleme" und Gegensätze in der kapitalistischen Gesellschaft an einer "identifizierbaren" Gruppe festgemacht - eine "Ethnisierung der sozialen Frage". Dies verweist auf eine tief greifende Verschiebung in den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen - im politischen Diskurs, im Staat und in der Zivilgesellschaft.

Die Ethnisierung der sozialen Frage vollzog sich in den 1980ern im Kontext von Kohls "geistig-moralischer Wende". Diese Verschiebung wurde zwar von konservativer Seite initiiert, dann aber unter umgekehrten Vorzeichen von links akzeptiert und verstärkt, die Linke ließ sich in das Kultur-Diskursfeld hineinziehen. Die Orientierung auf Toleranz gegenüber anderen Kulturen, weil sie "anders" sind, der Multikulturalismus als Ideologie des liberal-bürgerlichen Spektrums. Er klammerte die "soziale Frage" aus und festigte das Bild von anderen Kulturen.

Jetzt wird vielerorts von früheren VertreterInnen das Scheitern des Multikulturalismus ausgerufen und kulturelle Integration als Anforderung an "die MigrantInnen" formuliert. Rot-grün machte zwar einen Anlauf, wenigstens das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht zu reformieren und so politische Gleichstellung zu fördern, setzte aber die Ethnisierung der sozialen Frage fort. Die Klassengegensätze und gesellschaftliche Machtverhältnisse verschwanden in dem Projekt der "Neuen Mitte", während sich durch die neoliberale Sozial- und Wirtschaftspolitik die sozialen Gegensätze verschärften. Von Prekarisierung sind MigrantInnen in besonders hohem Maße betroffen, gleichzeitig wird ihre gesellschaftliche Situation verstärkt zu einem Problem von (scheiternder) Integration erklärt, für die der Umgang mit kultureller Differenz verantwortlich sein soll. Soziale Widersprüche werden an einer ethnisierten Unterschicht von (zumeist jugendlichen) MigrantInnen festgemacht, deren Lebensweise daran schuld sei, dass sie keine Chancen auf dem Arbeits- und Bildungsmarkt hätten.

Spätestens in der großen Koalition rückt das Thema Islam als "Sicherheitsproblem" in vielen Bereichen in den Vordergrund. Dies wird durch neue Beziehungen zwischen staatlicher Integrationspolitik und zivilgesellschaftlichen Initiativen und Verbänden durchgesetzt: Muslimische Verbände werden zu "Integrationsgipfeln" als Repräsentanten der "MigrantInneninteressen" eingeladen. Sie vertreten tatsächlich konservative und teilweise kritikwürdige Positionen zu Grundrechten - aber eben nur etwa 20% der Muslime in Deutschland.

Die Mobilisierungsfähigkeit der Anti-Moschee-Bewegungen ist ein Teil dieser weiterreichenden Verschiebungen im kulturell-ideologischen Feld. Die Konjunktur von antimuslimischen, rassistischen Diskursen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen und Gruppen steht aber auch in engem Zusammenhang mit den sozialen Umbrüchen des Kapitalismus und der Hegemonie neoliberaler Politiken auf nationalstaatlicher wie europäischer Ebene. Im Wettbewerbsstaat wird soziale Sicherheit ausgehöhlt; zugleich werden die Sicherheitsapparate hochgefahren und Sicherheitspolitiken verschärft. Die Außen- und Sicherheitspolitik der EU-Staaten richtet sich gegen neue Gegner: Den politischen Islam und den Terrorismus.

Bündnisse für transnationale soziale Sicherheit

Anti-islamische Diskurse wirken doppelt: Zum einen mobilisieren sie Zustimmung zum Ausbau von Sicherheitspolitik und zur Verteidigung "westlicher", europäischer Interessen u.a. mit militärischen Mitteln. Zum anderen können die darin enthaltenen Deutungsmuster - soziale Konflikte und Widersprüche kapitalistischer Globalisierung werden zu Konflikten zwischen Religionen, Kulturen und zu "Sicherheitsproblemen" - von unten aufgegriffen werden, um Verteilungskämpfe und Kämpfe um soziale Sicherheit ausschließend zu führen und Bündnisse auf der Grundlage rassistischer Kulturkonstruktionen oder nationaler Identitäten zu schließen.

Wo im Fordismus die Einbindung der Subalternen noch über materielle Zugeständnisse, Sozialstaat und das Versprechen einer berechenbaren/wünschbaren Zukunft verlief, hat der aktuelle, neoliberale Kapitalismus nichts zu bieten außer Angst, Kontrolle und Sicherheit. Auffällig ist, dass die Kampagnen "von oben" von unten aufgegriffen, ausgearbeitet und beantwortet werden. Über den Sicherheitsdiskurs und darin enthaltene kulturalistische und anti-muslimische Konstruktionen gewinnen neoliberale Strategien von unten an Akzeptanz und finden Resonanz in Unsicherheitserfahrungen von prekarisierten oder von Unsicherheit und sozialem Abstieg bedrohten Gruppen. Sicherheitsdiskurs, Rassismus und die Ausbreitung von Unsicherheit greifen (widersprüchlich) ineinander.

Ein Teil der alltäglich stattfindenden Verteilungs- und Konkurrenzkämpfe wird rassistisch gedeutet. Diejenigen, die noch relativ abgesichert lohnarbeiten und affirmativ zum neoliberalen Umbau stehen, nehmen die sich verschärfenden Arbeitsbedingungen als Herausforderung an. Je mehr der Druck steigt und je mehr sie sich abrackern, ihm standzuhalten, desto vehementer verlangen sie das auch von allen anderen. Wer nicht mithalten kann oder will, wird als ausgrenzbar qualifiziert. So wird die neoliberale Antwort auf die zunehmende Prekarisierung der Mittelschichten, der Ausbau autoritärer und disziplinarischer Politik gegenüber der so genannten Unterschicht, angenommen und gelebt.

Eine Kritik von AMR, die mit der Logik der Kulturalisierung sozialer Widersprüche bricht, ist aber nur möglich, wenn islamische religiöse und kulturelle Bewegungen als Teil dieser Auseinandersetzungen ernst genommen werden. Die unterschiedlichen (!) Bewegungen im religiösen und politischen Islam müssen kritisiert werden, ohne ihre Verankerung in hierarchischen und rassistischen Verhältnissen auszublenden. Eine eingreifende antirassistische Politik müsste gesellschaftliche Bündnisse für solidarische soziale Sicherheit schaffen und darin kulturalistischen Deutungen sozialer Widersprüche entgegentreten.

Wie können Perspektiven entwickelt werden, in denen sich die Interessen vieler Gruppen auf solidarische Weise verbinden können? Kultur-übergreifende, gegenhegemoniale Orientierungen und Identitäten können langfristig nur in gemeinsamen Auseinandersetzungen entstehen, die die Grenzen sozialer Gruppen überschreiten, ohne ihre Differenzen in kapitalistischen und rassistischen Machtverhältnissen auszublenden. Ansätze dafür könnten Bemühungen um transnationale Vernetzung für ein "soziales Europa" und globale Gerechtigkeit von "unten" (wie globale soziale Rechte) sein, die Erweiterung von antirassistischen Gegen-Mobilisierungen zu (langfristigen) gesellschaftliche Bündnissen gegen anti-muslimischen Rassismus und Prekarisierung, Sicherheitspolitik und Standortnationalismus.

Gruppe Soziale Kämpfe
www.gruppe-soziale-kaempfe.org

Anmerkung:

1) Die volle Zustimmung zu der Aussage "Wir sollten die in Deutschland lebenden Ausländer so leben lassen, wie sie es gewohnt sind" ist von 22,7% (2003) auf 8,2% (2006) gefallen. Vertraten 2003 noch 65% der Bevölkerung einen Standpunkt zum Kulturerhalt und zur Partizipation von "Ausländern", die man als Integration fassen könnte, waren es 2006 nur noch 43%. (vgl. Heimeyer et al., Deutsch Zustände Folge 5, 155)