Die guten Deutschen
In Berlin wurde die Gedenkstätte "Stille Helden" eröffnet
Der Hof der Rosenthaler Straße 39 wirkt wie ein kleiner, vergessener Seitenweg der Geschichte. In der renovierten Mitte Berlins blättern hier wellige Plakate von bunt bemalten Wänden. Graffitis erinnern an vergangene Kämpfe um Häuser und Freiräume. Erst auf den zweiten Blick entdeckt man im farbenfrohen Chaos auch Spuren des dunkelsten Kapitels der deutschen Geschichte. An den Nationalsozialismus und die Shoah erinnern hier das Anne-Frank-Zentrum, die Blindenwerkstatt Otto Weidt und seit Ende Oktober nun auch die Gedenkstätte "Stille Helden".
In der Gedenkstätte soll an die wenigen Deutschen erinnert werden, die im Nationalsozialismus Menschen halfen, die als Juden und Jüdinnen verfolgt wurden. HistorikerInnen schätzen, dass es sich um eine Gruppe von einigen 10.000 Personen handelt, dokumentiert sind bislang etwa 3000 Fälle.
Da die sogenannten HelferInnen im NS im Verborgenen handelten und auch in der Nachkriegszeit keine breite öffentliche Würdigung erfahren haben, werden sie von den Ausstellungsmacherinnen als "stille" Helden bezeichnet. Zwar erschien bereits 1957 eine erste Biografiensammlung von HelferInnen. Doch fanden ihre Erinnerungen unter den Bedingungen des Kalten Krieges keinen Platz in der offiziellen Erinnerung. Weiterhin wurde der NS als totalitäres System definiert, das allein von sadistischen Tätern in repressiven Apparaten am Laufen gehalten worden sei. Handlungsspielräume und Entscheidungsmöglichkeiten habe es unter dem Druck des Terrors nicht gegeben. Diese Deutung ermöglichte es den deutschen Nachkriegsgesellschaften, die Verbrechen aus der eigenen Vergangenheit auszugrenzen und das Verhalten der Bevölkerungsmehrheit einer kritischen Aufarbeitung zu entziehen.
Erst in den 1990er Jahren begann die historische Forschung die Rolle der "ganz normalen Deutschen" zu untersuchen. Doch auch hier lenkte die sogenannte neue Täterforschung den Blick zunächst auf die Angehörigen von SS, Wehrmacht oder Polizeieinheiten. Kontextstudien, die den Alltag und die Wahrnehmungen der zivilen Bevölkerung im Nationalsozialismus erforschen, sind dagegen noch immer selten.
Die Bedeutung, die der Ausstellung in der Veränderung der Gedenkpolitik zukommt, ist daher unbedingt zu würdigen. Sie verdeutlicht durch die biografischen Erzählungen von HelferInnen, dass es Handlungsspielräume und Entscheidungsmöglichkeiten im NS-Alltag gab. Erst durch den Kontrast mit diesen Geschichten von Solidarität und Hilfe wird deutlich, was historisch möglich war. So erfährt man in der Ausstellung beispielsweise von Fluchthilfenetzwerken, von Passfälscherei und Verstecken in Gartenlauben. Das Spektrum der Helfenden war groß. Kommunistische Familien beteiligten sich ebenso wie Pfarrhäuser der Bekennenden Kirche oder vereinzelte SS-Angehörige.
Auch im NS-Alltag gab es Handlungsspielräume
An der Konzeption der Ausstellung überzeugt neben dem Einsatz interaktiver Medien vor allem die Verbindung von Hilfe- und Verfolgungsgeschichten. So wird etwa an der Biografie des Passfälschers Cioma Schönhaus deutlich, dass Hilfe auch von jüdischer Seite aktiv organisiert wurde. Umgekehrt hatten einige HelferInnen wiederum eigene Verfolgungserfahrungen und brachten sich durch ihr Verhalten potenziell in Gefahr. Dass die Beziehungen zwischen Verfolgten und HelferInnen dabei nicht immer konfliktfrei verliefen, wurde von den Ausstellungsmacherinnen leider in den Hintergrund gestellt. Nur wer genau sucht, wird beispielsweise folgendes Zitat der Verfolgten Ilse Stillmanns finden: "Ich hatte ja meine Erfahrungen gemacht: Frauen wollten billige Dienstmädchen und Männer wollten mit einem schlafen."
Das vordergründige Ziel der Ausstellung bleibt die Erinnerung und Würdigung des widerständigen Handelns einzelner, bislang weitgehend unbekannter Menschen. Dies mag auch der Grund dafür sein, dass die Ausstellung als "Gedenkstätte" und die gewürdigten Personen etwas pathetisch als "Helden" bezeichnet werden. Im Unterschied zu den großen Figuren des militärischen Widerstands soll hier den kleinen, unauffälligen Menschen Aufmerksamkeit zu Teil werden. Durch ihre vorgebliche Bescheidenheit und Selbstlosigkeit erfahren sie implizit eine nochmalige Aufwertung. Das so konstruierte Bild altruistischer Hilfe freilich leugnet die Widersprüchlichkeit des Handelns und verstellt überdies die Einsicht in die Notwendigkeit des öffentlichen politischen Widerstandes. Denn es besagt, dass wer "gut" ist, unter allen Lebensumständen moralisch integer bleiben kann. Das pädagogische Fazit liefe auf eine Moralerziehung, nicht aber auf die Schaffung politischer Strukturen zur Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse hinaus.
Um einer solchen Rezeption der "Stillen Helden" vorzubeugen, ist es wichtig, ein pädagogisches Programm zu entwerfen, das die Dilemmata des Helfens und die Perspektive der Verfolgten in den Vordergrund stellt. Hierdurch wird klar, dass auch eine Rettungsgeschichte im Kontext des NS eine Geschichte großen Leids bleibt. Von den etwa 10.000 bis 12.000 Versteckten überlebten nur etwa 5.000 Personen. Jene, die nicht ermordet wurden, hatten eine unsagbare Verletzung der eigenen Persönlichkeitsrechte erfahren. Nach dem Krieg hatten die meisten von ihnen alle Angehörigen verloren und zweifelten, ob ein Weiterleben überhaupt wünschenswert sei. Von hier sollte die pädagogische Arbeit mit der Generation der Enkel ausgehen, die ohnehin lieber glauben, dass ihre Opas keine Nazis waren.
Susanne Beer