Wir zahlen - nicht!
Neuer afrikanischer Widerstand gegen das globale Finanzsystem
Derzeit ist eine strategische Debatte darüber im Gange, wie auf die weltweite Finanzkrise reagiert werden kann und wie die Probleme der nördlichen Hemisphäre in eine breiter angelegte Kapitalismuskritik eingebunden werden können. Der weltweite Finanzkollaps des Jahres 2008 hat seine Wurzeln im neoliberalen Exportmodell. Dieses Modell ist in Afrika seit dem Beginn der Strukturanpassungen in den frühen 1980er Jahren das vorherrschende wirtschaftliche Leitbild. Die Wurzeln des Kollaps liegen jedoch noch viel tiefer und reichen bis in die vergangenen 35 Jahre zurück, in denen das weltweite kapitalistische System von Stagnation und Unbeständigkeit geprägt war.
Afrika hat schon immer unter einem unverhältnismäßig starken Druck der Weltwirtschaft gelitten. Dies gilt vor allem für die Schulden und den Abfluss von Finanzmitteln. Diejenigen afrikanischen Länder jedoch, die sich im neoliberalen Zeitalter übermäßig stark den weltweiten Finanzbewegungen ausgesetzt haben, haben nun auch auf besonders schwerwiegende Weise unter dem Finanzkollaps gelitten. In Südafrika, der größten Volkswirtschaft des afrikanischen Kontinents, hat Finanzminister Trevor Manuel die Devisenkontrollen stetig abgebaut. Außerdem ist in seiner Amtszeit das Leistungsbilanzdefizit stark angestiegen: Es ist mittlerweile das zweitgrößte der Welt. Dies liegt vor allem am stetigen Abfluss von Gewinnen und Dividenden von Unternehmen, die seit den 1990er Jahren nicht mehr in Johannesburg notiert waren, sondern an Börsen in den USA, Großbritannien oder Australien.
In der ersten Oktoberwoche brach der Aktienmarkt Südafrikas um zehn Prozent ein. Die Währung büßte neun Prozent ein. In der zweiten und dritten Woche folgte ein weiterer Rückgang um jeweils zehn Prozent. Der spekulative Immobilienmarkt Südafrikas hatte zuvor bereits einen Einbruch erlebt, der in Zukunft ähnlich stark wie in den anderen schwer getroffenen Immobilienmärkten, beispielsweise in den USA, Dänemark oder Irland, ausfallen könnte. Der Grund dafür lag darin, dass die Hauspreise um die Jahrtausendwende in Südafrika sogar stärker als in den genannten, sich casinoartig gebärdenden Märkten in die Höhe geschnellt waren. So stiegen die Preise zwischen 1997-2004 um 200 Prozent, verglichen mit 60 Prozent in den USA.
Südafrika: Preisanstieg um 200 Prozent
Dieser Marktzusammenbruch führte zu einer Delegitimierung der von den Regierungen Nelson Mandela und Thabo Mbeki (unter der Ägide von Finanzminister Manuel) zwischen 1994 und 2008 durchgeführten Philosophie der wirtschaftlichen Liberalisierung. Der dramatische Abschied Mbekis im September ist teilweise darauf zurückzuführen, dass seit 1994 Ungleichheit und Arbeitslosigkeit erheblich zugenommen haben, was wiederum zu massiven sozialen Protesten geführt hat. Manuel trat am vorletzten Tag der Regierung Mbeki zurück und verfasste aus diesem Anlass ein Solidaritätsschreiben. Als dieses Schreiben von Mbeki am 23. September veröffentlicht wurde, brachen die Aktien- und Devisenmärkte innerhalb von einer Stunde um sechs Milliarden US-Dollar ein. Auf Grund des Absturzes der Kurse musste Übergangspräsident Kgalema Motlanthe sofort nach seinem Amtsantritt Finanzminister Manuel mit großen Fanfaren wiederernennen.
In den USA und Europa folgte bald darauf der Finanzkollaps. Dabei zeigten sich immer stärker die Vorteile der verbliebenen Reste der südafrikanischen Kapitalverkehrskontrolle, die eine ausreichend hohe Liquidität im Finanzsystem einschließt. Ein weiterer rettender Faktor bestand darin, dass viele der "exotischen" Finanzprodukte verboten worden waren.
Im restlichen Afrika bieten sich nun ähnliche Chancen, die Orthodoxie des Finanzsystems in Frage zu stellen. Derzeit ist es für die VertreterInnen des Internationalen Währungsfonds (IWF), welcher den stärksten äußeren Einfluss auf die afrikanische Wirtschaftspolitik ausübt, praktisch unmöglich, die Eliten mit einer gewissen Glaubwürdigkeit zu beraten. Schließlich behauptete der "Global Financial Stability Report" des IWF noch im September 2006, dass das weltweite Finanzsystem "ungewöhnlich geringe Marktschwankungen" aufweise. Weiter hieß es dort, dass das weltweite Wirtschaftswachstum "zunehmend ausgeglichen vonstatten gehe und es somit eine solide Grundlage für die Finanzmärkte bilde". Was den wachsenden Markt für Kreditderivate zum Handel mit Ausfallrisiken betraf (ein Kartenhaus im Wert von 56 Billionen US-Dollar, das den Zusammenbruch einer ganzen Reihe von Banken auslöste), so gab sich der IWF gänzlich unbesorgt, weil "der Anstieg der Aufschläge auf Kreditderivate zum Handel mit Ausfallrisiken in den entwickelten Märkten nur allmählich vonstatten geht und gering ausfällt."
Der IWF verkündet seitdem immer wieder die Vorteile von Liberalisierung und wachsenden finanziellen Zuflüssen nach Afrika. Das betrifft vor allem die Wertpapierfinanzierung, das heißt kurzfristiges, "heißes" Geld in Form von durch Unternehmen und Regierungen in lokalen Währungen ausgestellten Aktien und Wertpapieren, die jedoch leicht in andere Währungen konvertierbar sind. Dieses "heiße Geld" - letztlich spekulative Finanzmittel privatwirtschaftlicher Investoren - floss vor allem in die südafrikanische Aktienbörse, in geringerem Maße aber auch in die Aktienmärkte von Ghana, Kenia, Gabun, Togo und den Seychellen.
Der Abfluss finanzieller Mittel hält allerdings in hohem Tempo unvermindert an. Ein von Leonce Ndikumana von der Economic Commission for Africa und James Boyce von der Universität von Massachusetts verfasster Bericht über Kapitalflucht zeigt, dass auf Grund von Korruption und Aufhebung der Devisenkontrollen in den meisten afrikanischen Ländern die geschätzte Kapitalflucht aus 40 afrikanischen Ländern südlich der Sahara zwischen 1970 und 2004 mindestens 420 Milliarden US-Dollar betrug. Im Vergleich dazu hatten im Jahre 2004 die selben Länder Auslandsschulden in Höhe von 227 Milliarden US-Dollar.
Aber was bedeutet dies für afrikanische SchuldnerInnen im Jahre 2008? Nach Meinung des IWF haben sich die "Aussichten für eine Tragbarkeit der Verschuldung" der ärmeren afrikanischen Länder "deutlich verbessert; 21 von 34 Länder wurden Ende 2007 (...) als Länder mit einem niedrigen oder moderaten Risiko für einen Zahlungsverzug bewertet." Das Londoner Forschungsinstitut "Jubilee Research" kommt zu anderen Ergebnissen. Selbst auf der Basis der derzeit existierenden Konzepte für den Schuldenerlass benötigten noch 47 Länder einen zusätzlichen 100-prozentigen Schuldenerlass, und weitere 34 bis 58 Länder einen teilweisen Erlass, damit sich der Schuldendienst nicht mehr gravierend auf die grundlegenden Menschenrechte auswirkt.
Einige afrikanische Länder sehen die Lösung in einer alternativen Finanzierung mit harter Währung. China beispielsweise gewährt einigen der autoritärsten Regierungen Afrikas Kredite ohne jede Bedingung. Etwas hoffnungsvoller ist die Überlegung Venezuelas, einen Vorschlag zur Ersetzung und Ablösung des IWF zu unterbreiten, ähnlich wie dies 2006 in Argentinien geschehen ist. In diesem Fall erschiene es sogar möglich, dem Währungsfonds die Kredite frühzeitig zurückzuzahlen oder sogar die Zahlungen ganz einzustellen.
Der IWF hat ein eklatantes Glaubwürdigkeitsproblem
In anderen afrikanischen Ländern haben sich progressive soziale Bewegungen für eine Verweigerung der Schuldenzahlung ausgesprochen. Für die Einführung einer linken alternativen afrikanischen Finanzierungsstrategie ist der von der Basis ausgeübte Druck von wesentlicher Bedeutung. Dazu müssen zwei Arten von Zivilgesellschaft gestärkt und koordiniert werden, und sie müssen zunehmend militant auftreten: Einerseits geht es um die "gemäßigten" Kräfte, die sich mit dem Thema Schuldenerlass beschäftigen und ihre Basis in international vernetzten NGOs haben. Diese Kräfte haben in der Vergangenheit selten oder nie eine auf Störungen oder Blockaden ausgerichtete Taktik benutzt. Auf der anderen Seite geht es um die Kräfte, die mit kurzfristig durchgeführten "Anti-IWF-Riots" auf das System reagieren.
Die Anti-IWF-Riots, die in den 1980-90ern mehrere afrikanische Länder erschütterten, speisten sich häufig aus einem Ausbruch aufgestauter Wut und hatten den Effekt, dass einige Regierungen nicht mehr so fest im Sattel saßen. Der Sturz von Präsident Kenneth Kaunda in Sambia wurde beispielsweise durch solche Proteste ausgelöst. Sein 1991 an die Macht gekommener Nachfolger, der ehemalige Gewerkschafter Frederick Chiluba, setzte jedoch noch härtere IWF-Maßnahmen durch. Die meisten dieser gegen den IWF gerichteten Proteste konnten nicht durchgehalten werden. Die am Thema Schuldenerlass orientierten Organisationen sind jedoch mittlerweile immer stärker vernetzt. Dies ist vor allem ein Ergebnis der 2005 durchgeführten Kampagne "Global Call to Action against Poverty" ("Deine Stimme gegen Armut"), die durch Appelle an die nationalen afrikanischen Eliten und einen naiven Appell an das G8-Treffen im schottischen Gleneagles (letztlich gescheiterte) Strategien zur Förderung der Millenniums-Entwicklungsziele entwickelte.
Seitdem haben sich die AktivistInnen immer enger vernetzt und an Substanz gewonnen. Dazu trugen vor allem zwei Ereignisse in Nairobi bei: das Weltsozialforum im Januar 2007 und die Gründung afrikanischer Sektionen des Netzwerks Jubilee South im August 2008.Möglicherweise werden diese Netzwerke zur erfolglosen Strategie der "reformistischen Reformen" im Stile der Kampagne "Deine Stimme gegen Armut" zurückkehren und in dem Moment an Einfluss verlieren, in dem sie kleine und unwesentliche Veränderungen erreichten. Andererseits könnten die Netzwerke sich der Herausforderung von "nicht reformistischen Reformen" stellen, indem sie Orte ausfindig machen, an denen die Logik des Finanzsystems auf den Kopf gestellt werden kann. Das eindrucksvollste Beispiel dafür ist wohl die südafrikanische Kampagne zum Boykott von Schuldverschreibungen in den frühen 1990er Jahren, bei der sich AktivistInnen aus Dutzenden von Townships solidarisch unterstützten. Die einzig vernünftige Reaktion bestand damals darin, sich kollektiv zu weigern, die hypothekarisch gesicherten Schuldverschreibungen zurückzuzahlen.
Dieses Vorgehen war bereits ein Vorgeschmack auf die zwischen 1995 und 1996 von über einer Million MexikanerInnen verfolgte Strategie der Kampagne "El Barzon" (spanisch für "Joch"). Die Leute waren damals in eine Art Schuldknechtschaft geraten, als die Zinssätze Anfang des Jahres 1995 innerhalb von wenigen Tagen von 14 auf 120 Prozent stiegen. Sie sagten schlicht: "Ich kann nicht zahlen, und ich werde nicht zahlen." Dieser Slogan war Anfang 2002 auch in Argentinien zu hören, nachdem durch weit verbreitete Proteste in einer einzigen Woche vier Präsidenten aus dem Amt gejagt worden waren. Der anhaltende Druck von der Straße zwang die Regierung, Zahlungen auf 140 Milliarden US-Dollar Auslandsschulden einzustellen, um die Auszahlung von Sozialausgaben zumindest teilweise aufrechtzuerhalten. Dies war die größte Insolvenz eines Staates aller Zeiten.
Stattdessen möchten die globalen Eliten im November in New York und Washington die Finanzarchitektur der Welt neu gestalten. Eine Idee besteht darin, ein paar Vermittler-Regimes, China, Indien, Brasilien und Südafrika, aus Legitimitätsgründen (und wegen des Zugangs zu umfangreichen Dollarreserven) den G8-Staaten hinzuzufügen. AktivistInnen sollten sich überlegen, ob sie diese Veranstaltung nicht in ein "Seattle" verwandeln. Schließlich waren afrikanische soziale Bewegungen und ein paar patriotische afrikanische Handelsminister vor neun Jahren beim Gipfel der Welthandelsorganisation in Seattle nicht nur anwesend, sondern sie trugen maßgeblich zum Scheitern des Gipfels bei.
Eine große Gefahr für die Zivilgesellschaft bestünde in der Akzeptanz einer von der UN gesponserten Veranstaltung zur Durchführung reformistischer Reformen. Die 2002 in Monterrey in Mexiko durchgeführte UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung hat den Finanzen der südlichen Halbkugel erheblichen Schaden zugefügt. Wesentliche Berater dieser Konferenz waren damals Michel Camdessus (der ehemalige geschäftsführende IWF-Direktor) und Trevor Manuel. Manuel ist derzeit für einen hohen IWF-Posten im Gespräch.
New York zu Seattle machen: Weltfinanzgipfel im November
Auch im eigenen Land kann gegen das globale Finanzsystem vorgegangen werden. Der Ansporn dazu kann von weitsichtigen zivilgesellschaftlichen AktivistInnen kommen, beispielsweise denjenigen, die vom Norden Entschädigungszahlungen für Apartheid, Kolonialismus, Sklaverei und "ökologische Schulden" fordern. Afrika muss erneut nationale Devisen- und Einfuhrkontrollen verhängen, wie dies in den vergangenen Jahren erfolgreich von Malaysia, Chile und Venezuela durchgeführt wurde.
Derzeit purzeln die Rohstoffpreise von ihren spekulationsbedingten Höhen der finanziellen Blase der Jahre 2002 bis 2007, und die Handelsabkommen mit dem Norden werden als eindeutig nachteilig enthüllt. Das Handelsfinanzsystem gerät zunehmend in Schwierigkeiten, weil die Banken sich aus Misstrauen gegenseitig kein Geld mehr leihen. Der Zufluss von "heißem Geld" versiegt immer mehr; außerdem tun sich neue Quellen für harte Währungen auf. In dieser Situation werden die Argumente für eine Strategie der "Abkoppelung", wie es der größte afrikanische politische Ökonom, Samir Amin, formuliert hat, immer zwingender.
Dieser Prozess hat bereits begonnen, und ein großer Teil des Danks dafür gebührt der Zivilgesellschaft für ihr Engagement.
Patrick Bond
Übersetzung: Edward Viesel
Der Artikel erschien im MRZine, dem Online-Magazin der Monthly Review unter www.monthlyreview.org/mrzine/ bond251008.html und wurde von Edward Viesel übersetzt und redaktionell gekürzt.