Nicht nur eine Frage des Stils
Die Autonomen Nationalisten und die Ästhetisierung von Gewalt
Das Antifaschistische Infoblatt (AIB) geht in seiner aktuellen Ausgabe (vgl. S. 35) dem Thema "Männlichkeit und Gewalt" nach. Für Kontroversen sorgte ein Beitrag, der sich angesichts des neuen Phänomens der Autonomen Nationalisten kritisch mit politischen Ausdrucksformen der Linken beschäftigt und die Frage nach dem Verhältnis von (politischem) Inhalt und Form aufwirft. Diese neue Naziströmung versucht, die Ästhetik der autonomen Linken zu kopieren - und ist insofern "eine kommunikative und politische Herausforderung für die (post)autonome Linke". Für ak hat die AIB-Redaktion diesen Beitrag überarbeitet und ergänzt.
Das Medienecho war gewaltig. Über Tage taten die Mainstreammedien ihre Verwunderung darüber kund, dass "autonome Neonazis" am Rande der diesjährigen rechtsextremen 1.-Mai-Demonstration in Hamburg unverhohlen gewalttätig auftraten. Bereits im Sommer 2007 hatte der Verfassungsschutz (1) die Autonome Nationalisten (AN) entdeckt und die Einschätzung abgegeben, die neue Entwicklung werde die Links-rechts-Auseinandersetzungen verschärfen.
Die Statik ihrer organisationssoziologischen Begriffe verstellt den VS-AutorInnen bei ihrer Analyse den Blick auf die Reichweite des von ihnen zu Recht als Randphänomen beschriebenen Auftretens der AN. In der antifaschistischen Linken hat die Debatte gerade erst begonnen. Eine Broschüre (2) aus Nordrhein-Westfalen begnügt sich mit dem Versuch, die antikapitalistische Phraseologie der AN anzuprangern. Ansonsten kleidet man seine Ratlosigkeit in die schlichte Formel, man selbst halte das Copyright für die Autonomen. Eine kritische Reflexion des eigenen kulturellen Habitus lässt der Text vermissen.
Ästhetisierung von Gewalt vs. Ausdruck von Radikalität
Die Debatte darüber, ob der kulturelle Code der Autonomen den Gewalthabitus des Männerbundes ästhetisiere oder ein legitimer Ausdruck von Radikalität sei, findet sich bereits in den feministischen Kritiken des "Schwarzen Blocks", wobei es für eine Kritik der politisierten Ästhetik des "Schwarzen Blocks" als Aktionsform unerheblich ist, wie hoch der Anteil von Frauen und MigrantInnen tatsächlich ist. Geändert hat sich seitdem nicht viel. Das Erscheinungsbild nahezu jeder größeren antifaschistischen Demonstration wird von schwarz gekleideten, geschlechtslosen Wesen dominiert, deren Sozialraumverhalten Aggressivität ausstreut.
Von Interesse für die Kommunikation von Inhalten ist hier nur, was die Form des "Black Block" nach außen kommuniziert und ästhetisiert: Kampfgemeinschaft, Maskulinität und Gewalt. Dahinter tritt die intendierte politische Botschaft, nämlich die Negation gesellschaftlicher Zustände und die Antizipation anderer Zustände, zurück. Betrachtet man den "Schwarzen Block" zunächst also nicht als soziale Bewegungsform politischer Subjektivität, sondern als Konzept der Kommunikation politischer Inhalte, gewinnt die Debatte um die AN in der Linken eine neue Brisanz.
Im vergangenen Jahrzehnt übernahmen einige jugendkulturell geprägte neonazistische Gruppen sukzessive jene ikonografischen Formen, die bisher den Autonomen vorbehalten schienen. (vgl. AIB 63 und 69) Die AN versuchen nun, sämtliche popkulturellen Formen politischer Selbstdarstellung zu integrieren. Das Layout und die Textstilistik von Homepages, Flyern und Transparenten kopieren den Stil der Antifa bis ins Detail. Diese rechtsextreme Aneignung von Textbausteinen wie "Kapitalismus zerschlagen" makuliert den Typus linker Agitationssprache zur Phrase, weil die Linke es nur schwer vermag, die Dialektik der eigenen Inhalte schlagwortartig zu transportieren.
In der Debatte um das Phänomen der AN beruhigt man sich in der antifaschistischen Linken mit dem Argument, hinter diesen Enteignungen linker Codes stünde keine den linken Autonomen vergleichbare politische Praxis. Vielmehr handle es sich bei den AN um "verkleidete Neonazis". Dieses trifft zwar zweifelsohne zu, löst das Problem medial vermittelter gesellschaftlicher Stereotypen aber nicht auf, wonach linke und rechtsextreme "Black Blocks" gleichermaßen als "gewalttätig" und "nihilistisch" wahrgenommen werden. Angesichts der Enteignungen durch eine Fraktion der extremen Rechten nur auf dem Copyright dessen zu beharren, was unter "autonom" zu verstehen sei, artikuliert in erster Linie die eigene politische Hilflosigkeit.
Der Kritik - vor allem feministischer Gruppen - an der Inszenierung des "Black Block" als symbolische Kampfgemeinschaft von AktivistInnen, deren politisches Selbstbewusstsein sich wesentlich über den militanten Aktionismus am Rande von Demonstrationen realisiert, ist immer noch aktuell. Da vielen Autonomen die kollektive militante Aktion als Kern des Politischen gilt, kommt es entgegen der propagierten Absicht zur Abkopplung des Vollzugs der Tat vom zu vermittelnden Inhalt. Wo jedoch die Aktion, sprich die Form des Politischen Vorrang vor deren inhaltlicher Kontextualisierung genießt, nimmt es nicht Wunder, dass der Deutungskontext der "Propaganda der Tat" entweder diffus oder politisch umcodierbar, also enteignenbar wird.
Das Kennzeichen faschistischer Ideologie von George Sorel bis Armin Mohler (3) besteht gerade darin, dass die Tat, die Aktion und die Form ihres Vollzugs das Zentrum bilden, in dem reaktionäre Vergemeinschaftung an die Stelle kollektiver und individueller Emanzipation tritt. Wer diesen Mechanismus der Verselbständigung, der Aktion um der Aktion willen blockieren will, muss mit den geschlossenen Formen der Selbstinszenierung brechen und an deren Stelle Formen aktiver Teilhabe aller als Ausdrucksform von Radikalität ermöglichen.
"Entwendungen aus der Kommune"
Die Enteignung von Symbolen, Ritualen und Formen ist keineswegs auf den subkulturellen Habitus der Autonomen beschränkt. Die sukzessive Enteignung jugendkultureller Stile durch die extreme Rechte zum Ende der 1990er Jahre verlief analog zu den jetzt zu beobachtenden Prozessen der Differenzierung der rechten Szene. Zunächst erweiterte eine kleine Gruppe rechtsextremer AktivistInnen gegen interne Widerstände das Spektrum der jugendkulturellen Codes. Danach erkannten rechtsextreme Kader die Vorteile einer erweiterten jugendkulturellen Integrationsfähigkeit der Szene. Die Formenteignungen der heutigen extremen Rechten haben ihr Vorbild in der Bewegungs- und Aufstiegsphase des Nationalsozialismus in Deutschland und der anderen europäischen Faschismen.
Ernst Bloch brachte seine Beobachtungen der Enteignung der sozialen Interaktions- und Kommunikationsformen der alten Arbeiterbewegung durch den Nationalsozialismus auf den Begriff der "Entwendungen aus der Kommune". In dem Aufsatzband "Erbschaft dieser Zeit" analysiert Bloch, wie die Formübernahme (Lieder, Aufmärsche, Agitationsveranstaltungen, Sprache der Propaganda und soziale Praxis im Stadtteil) durch den Nationalsozialismus nach und nach einer Mehrheit der ArbeiterInnen eine Annäherung an die faschistische Utopie der Volksgemeinschaft ermöglichte, ohne ihren kulturellen Code ändern zu müssen.
Dabei hebt Bloch die Enteignung der sozialen Praxen der Arbeiterbewegung durch den Faschismus in erster Linie im vorpolitischen Raum hervor. Die Melodien jener linken Gesänge, die einen Marschrhythmus aufwiesen, wurden in das Gesangbuch der SA übernommen, da ihr Rhythmus als bekannt vorausgesetzt werden konnte und zudem eingängig war. Allerdings erfuhren die Texte eine fundamentale inhaltliche Änderung. An die Stelle der antizipierten Befreiung der ArbeiterInnen trat nun die eschatologische Naherwartung einer nationalen Revolution.
Der eine Bewegung prägende Charakter der Militarisierung der alltäglichen politischen Auseinandersetzung mit dem aufstrebenden Nationalsozialismus wurde in der Linken der Weimarer Republik von nur wenigen infrage gestellt. Die Kampfbünde der Arbeiterbewegung, Roter Front Kämpfer Bund (RFB) und Reichsbanner, waren gemäß ihres Selbstverständnisses als Abwehrinstrumente gegen den Nationalsozialismus konzipiert. In der Praxis wiesen sie einen Doppelcharakter auf, da sie mit den reaktionären Wehrverbänden um eine Klientel warben: gewaltaffin sozialisierte und politisierte Weltkriegskämpfer.
Gewiss bestand zur militanten Abwehr nazistischer Gewalt am Vorabend des Faschismus keine Alternative. Es ergab sich aus der sozialen Praxis der Militarisierung politischer Konflikte aber das Problem, mit den Nationalsozialisten mit der Form nach vergleichbaren Identitätsangeboten in Konkurrenz zu treten. Dabei gelang es der Arbeiterbewegung nicht, die Wirkungsmacht der Form dieses paramilitärischen Abwehrkampfes als Ultima Ratio auf seine Notwendigkeit zu beschränken. Vielmehr entwickelte der Straßenkampf eine Eigendynamik, in der Mechanismen wie Revierkämpfe und die Inszenierung von Militanz zum Selbstzweck der Vergemeinschaftung unter dem Primat des Militärischen wurden, wie Sven Reichardt in seiner Studie beschreibt. (4)
Bekanntlich unterlag die Linke im Überbietungswettbewerb um militante Vergemeinschaftungsangebote. Nicht wenige Exilschriften der nach 1933 emigrierten KommunistInnen und SozialistInnen kreisten um die Frage, warum die Identitäts- und Vergemeinschaftungsangebote des Nationalsozialismus auch in der Arbeiterbewegung auf fruchtbaren Boden gefallen waren. Aus der Erfahrung der Niederlage zogen so unterschiedliche Autoren wie Bert Brecht, Karl Korsch oder auch Phillip Scheidemann den Schluss, die Politikangebote der Linken dürften nicht mit reaktionären Sozialisationsangeboten konkurrieren.
In der extremen Rechten gibt es jedoch auch Stimmen, die den AN ein inhaltsloses Copy&Paste vorwerfen. Die schwarze Maskerade verberge nur mühsam die inhaltliche Dürftigkeit der AN, so das Urteil der rechten Zeitschrift Hier&Jetzt. "Ein politischer Ansatz fehlt ... augenfällig oder wird bestenfalls nur verkürzt wiedergegeben, worüber auch vorgebliche Prädikate wie ,nationalrevolutionär` und ,sozialistisch` nicht hinwegtäuschen." (Hier&Jetzt 11/08) Autor Johannes Nagel argumentiert, eine Formübernahme mache nur Sinn, wenn sie der Rechten einen neuen politischen Handlungsspielraum eröffne, was hier aber nicht der Fall sei. Ihrer eigenen völligen Verwirrung der Begriffe erliegen die AN dort, wo sie imaginieren, sie seien gar keine Nazis, sondern AntifaschistInnen innerhalb ihres politischen Koordinatensystems.
Linkes Dilemma: Emanzipation vs. Uniformität
Mit den AN hat sich die extreme Rechte ein weiteres jugendkulturelles Identitätsangebot geschaffen, das - wenn auch seine ideologische Binnenplausibilität fragil und diffus ist - unter Umständen Jugendliche in die rechte Szene sozialisiert und darüber hinaus zentrale Formen der ästhetischen und politischen Kommunikation der Linken zu enteignen sucht. Dies stellt eine kommunikative und politische Herausforderung für die (post)autonome Linke dar.
Die Suche nach einer adäquaten Bilder- und Formensprache, die einerseits Ausdruck der kollektiven Suche nach Emanzipation ist, andererseits jedoch den Ballast reaktionärer Vergemeinschaftungsangebote hinter sich lässt, ist eine Herausforderung für einen linken Kulturbegriff. Es gilt eine Formensprache zu finden, die von ihrem Inhalt nicht abkoppelbar und somit auch nicht von rechts zu enteignen ist. Die Linke steht vor dem Dilemma einerseits Räume individueller und kollektiver Selbstermächtigung zu öffnen, andererseits jedoch Formen zu schaffen, die über kulturelle Ausstrahlung verfügen und im besten Falle hegemoniefähig sind.
Entwickelt das Verhältnis einer emanzipatorische Linken zu Militanz und Uniformität eine selbstlegitimierende Eigendynamik, ist ihr instrumenteller Charakter in sein Gegenteil verkehrt, wird also Gewalt oder ihre Ästhetisierung zum Selbstzweck. Die Auftritte der AN bieten Anlass, die eigene politische Praxis zu hinterfragen und selbstbewusst jene Formen politischer Kommunikation zu bannen, die nur mehr leere Form und hohle Phrase sind. Ein erster Schritt dazu wäre es, die begrenzte Reichweite der eigenen politischen Kommunikation anzuerkennen - und daraus Konsequenzen zu ziehen.
Redaktion AIB
Anmerkungen:
1) Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.): Autonome Nationalisten - eine militante Randerscheinung. Köln 2007
2) Antifaschistische Koordination Köln (Hrsg.): Faschismus ist nicht trendy. "Autonome Nationalisten stoppen! Download unter http://kampagne.servmax.de
3) vgl. Armin Mohler: Der faschistische Stil. Essen 1990
4) vgl. Sven Reichardt: Faschistische Kampfbünde. Weimar 2006; siehe auch ak 522.