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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 534 / 19.12.2008

Sind wir nicht alle ein bisschen neoliberal?

Anmerkungen zu Ken Loachs neuem Film "It's a free world"

Auch mit seinen jüngsten Film bleibt Ken Loach seinem Thema treu. Mit "It's a free world" liefert der britische Marxist eine Sozialstudie auf der Höhe der Zeit. Beschrieben wird das Treiben von Angie, die genau vorexerziert, wie nicht nur Kapitalisten sich die moderne Prekäre vorstellen. Die neoliberale Ideologie ist bei ihr im Kopf fest verankert. Das finden auch manche linken RezensentInnen ganz in Ordnung und fast schon sympathisch.

Die Devise "Jeder ist seines Glückes Schmied" ist Angies Handlungsmaxime - das ideale ideologische Rüstzeug, um sich selbständig zu machen. Angie versucht es nicht etwa mit einer kleinen Ich-AG. Sie steigt ins Zeitarbeitsgeschäft ein, und da sie weiß, wo das meiste Geld zu verdienen ist, vermittelt sie ArbeiterInnen aus Osteuropa. Schließlich sind diejenigen am profitabelsten auszubeuten, die kaum Möglichkeiten der Gegenwehr haben.

Es sind wie immer bei Ken Loach lebensechte Bilder, die in dem Film gezeigt werden. Die Wirklichkeit aber ist bekanntlich widersprüchlich. So zeigt Loach, wie ein junger Arbeiter voller Dankbarkeit seiner vermeintlichen Retterin Angie ein selbst gebasteltes Geschenk überreicht, das sie abschätzig zur Seite legt. Auf die leicht kitschige Szene, die den Arbeiter als dankbares Opfer zeigt, folgen schon bald Sequenzen, wo osteuropäische Familienväter sich mit Eigeninitiative ihren ausstehenden Lohn holen.

Nun war die Abbildung der widersprüchlichen Wirklichkeit schon immer die besondere Stärke von Ken Loachs Filmen. Der Mythos des voranschreitenden Proletariats bleibt dem Publikum jedenfalls erspart. So gibt es in "Bread and roses" Streit innerhalb der Familie der Protagonistin. Ihr Freund verabschiedet sich zugunsten seines Studiums aus der Auseinandereinsetzung. Die Schwester verpfeift sogar AktivistInnen beim Chef, was zu deren Entlassung führt. Und auch als alle wieder eingestellt werden, gibt es für die Protagonistin kein Happy-End, weil sie wegen eines Diebstahls abgeschoben wird. In "The navigators" gelingt es den KollegInnen nicht, die Privatisierung der britischen Bahn zu verhindern. Sie machen immer mehr Zugeständnisse und helfen am Ende sogar einen Unfall zu vertuschen, bei dem ein Arbeiter ums Leben kommt.

ArbeiterInnen aus Osteuropa bezahlen Angies Karriere

Dass manche RezensentInnen dennoch behaupten, bei "It's a free world" habe Loach erstmals die Arbeiterklasse in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit gezeigt, muss dann doch erstaunen. Da werden wohl eher Vorurteile über einen linken Filmemacher zu Papier gebracht. In kaum einer Besprechung von "It's a free world" fehlt der Hinweis, dass man sich mit der Protagonistin Angie eigentlich fast identifizieren könne. Da sind sich sogar die Rezenten von junge Welt und Jungle World einig. Am prägnantesten bringt Jürgen Kiontke in der Jungle World (27.11.08) seine Sympathie für Angie auf den Punkt: "Zunächst baut er (Ken Loach) Angie zur Sympathieträgerin auf - die toughe Frau, klar, will die Karriere machen, sie schlägt sich erfolgreich in der Männerdomäne durch ... (...) ist es nicht ihre einzige Chance, ein bisschen rücksichtslos zu sein, ein wenig neoliberale Unternehmerin zu werden, ganz so, wie es alle ein wenig tun müssen?"

Sitzen wir also alle in einem Boot und betrügen osteuropäische ArbeiterInnen um ihren Lohn? Ist das der viel zitierte Neoliberalismus in den Köpfen? Oder ist das einfach das Eingeständnis, dass Beschäftige im prekären Job des Journalismus sämtliche Vorstellungen von einem anderen Leben über Bord geworfen haben? Für Solidarität und gemeinsam erkämpfte Veränderungen bleibt da wenig Raum. In dem Film steht dafür Angies Vater, ein alter Gewerkschafter. Er ist etwas altmodisch, wahrscheinlich mit den Feinheiten des Internets ebenso wenig vertraut wie mit der politisch korrekten Bezeichnung der osteuropäischen Arbeitskräfte. Aber für ihn ist klar, dass sie zu Tariflöhnen bezahlt werden müssen, wenn sie in England arbeiten. Auf seine etwas verstaubte Art vertritt der alte Mann einen Standpunkt, der bei der alten ArbeiterInnenbewegung einmal Konsens war. Heute, wo die "modernen Kreativen" in dieser ArbeiterInnenbewegung fast schon den Hort der Reaktion und der Dummheit sehen wollen und sie für alles, was in der Vergangenheit schief gelaufen ist, verantwortlich machen, zeigt sich, welche politische und soziale Regression mit der Zurückdrängung dieser Bewegung verbunden ist. Die kurzen Filmszenen mit Angies Vater machen das sehr deutlich. Dass die Rolle des Vaters in vielen Rezensionen übergangen wird, hängt vermutlich damit zusammen, dass seine Botschaft heute vielen unangenehm ist.

Die unangenehme Botschaft des alten Gewerkschafters

Während viele Linke mit Recht auf die Barrikaden gegangen sind, als Oskar Lafontaine 2003 von "Fremdarbeitern" sprach, scheint die reale Ausbeutung zugewanderter ArbeiterInnen weit weniger zu stören. Solange die Zeitarbeitsfirmen und ihre ProtagonistInnen nur darauf achten, dass sie ihr "Arbeitsmaterial" korrekt bezeichnen, wenn sie es ausbeuten, ist wenig Widerstand zu erwarten. Es ist Ken Loach in seinem Film gelungen, diese Zusammenhänge deutlich zu machen und dabei auch noch gute Unterhaltung zu liefern.

Peter Nowak

"It's a free world" Regie: Ken Loach, DarstellerInnen: Kiersten Wareing, Juliet Ellis, Leslaw Zurek u.a., 95 Minuten