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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 534 / 19.12.2008

Kämpfen im Herzen der Stadt

Die Stadtentwicklung im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg nimmt Fahrt auf - und Widerstand regt sich

Unverblümt erklärte Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust, warum sich der Senat den Stadtteil Wilhelmsburg als Pflaster für die innerstädtische Entwicklung ausgesucht hat. "Gerade Viertel, die als Problemviertel definiert werden, sind viel eher bereit, neue Herausforderungen anzunehmen. Manchmal ist es einfacher, in solchen Vierteln die Begeisterung für Neues und für Veränderung zu wecken. Und manchmal ist es sogar einfacher, hier eine höhere Qualität an Architektur und Stadtplanung zu entwickeln, als etwa in einem Viertel wie Blankenese. Kämen wir auf die Idee zu sagen: ,Wir machen Blankenese völlig neu', würde das sicherlich ein bisschen schwieriger werden." Im Klartext: Wo Armut herrscht, muss nicht mit Gegenwehr gerechnet werden, weil die Menschen nach jedem Strohhalm greifen.

Es ist ein alter Hut. Die Köpfe ändern sich, aber der Plan bleibt derselbe - und die Verlierer auch. Wie dem Koalitionsvertrag der Hamburger Landesverbände von CDU und Bündnis 90/Die Grünen (GAL) vom April 2008 zu entnehmen ist, tut sich nicht viel an der einmal beschlossenen Stadtentwicklungspolitik des Hamburger Senats - nur noch effektiver soll sie werden, damit auch das "kreative" Potenzial der BürgerInnen genutzt werden könne. Die Hamburger Stadtentwicklung richtet sich seit November 2002 offiziell nach dem Leitbild "Metropole Hamburg - Wachsende Stadt", das damals noch von der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive von Ronald Schill beschlossen worden ist und anschließend auch vom Nachfolgesenat von 2004 bis 2008 getragen wurde, den die CDU auf Grund ihrer absoluten Mehrheit in der Bürgerschaft allein stellte.

Für die Umsetzung des Leitbild federführend ist die mittlerweile von der GAL-Senatorin Anja Hajduk geleitete Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU). Ihre Aufgabe ist es, die Metropolregion Hamburg, zu der sowohl der städtische Kernbereich Hamburgs als auch die umliegenden ländlichen Gebiete zählen, städtebaulich zu erschließen und attraktiv für die Ansiedlung von Betrieben und Arbeitskräften zu machen. Grundsätzlich hat sich der Fokus der städtebaulichen Entwicklungspolitik seit Beginn des neuen Jahrtausends verschoben. Während seit den 1920er Jahren gemäß des vom damaligen Hamburger Oberbaudirektor Fritz Schumacher entworfenen "Federplans" vorrangig das Hamburger Umland erschlossen wurde, konzentrieren sich die Vorhaben des Senats derzeit auf die Umstrukturierung innerstädtischer Gebiete. Fünf so genannte "Leitprojekte" sollen den Bereich südlich der Hamburger Innenstadt aufwerten. Das größte Projekt ist der Neu- und Umbau der Hafencity. Diverse Bauvorhaben in der Innenstadt, die internationale gartenschau (igs), die Internationale Bauausstellung (IBA) und der "Sprung über die Elbe" sind die weiteren Leitprojekte der Hamburger Stadtentwicklung.

Zweifelhaftes Leitbild - zweifelhafte Leitprojekte

Der Ende 2003 beschlossene so genannte "Sprung über die Elbe" bezeichnet die Verbindung der Hamburger Innenstadt über die Hafencity und die Stadtteile Veddel und Wilhelmsburg bis zum Harburger Binnenhafen. Um die Umstrukturierungen im Herzen der Stadt besser planen zu können, sind die beiden Stadtteile Veddel und Wilhelmsburg seit März 2008 verwaltungstechnisch dem Bezirk Hamburg-Mitte (zuvor Harburg) zugeschlagen worden und bilden zusammen mit dem renommierten Tourismusviertel St. Pauli und anderen Stadtteilen nun einen eigenen, zentralen Bezirk innerhalb der Stadt.

Neben den üblichen Instrumenten zur Stadtplanung sind die IBA und die igs die wesentlichen Instrumente zur Aufwertung des einst als "Hamburger Bronx" stigmatisierten Stadtteils Wilhelmsburg. Beide Projekte sind mit enormen finanziellen Ressourcen ausgestattet. Ursprünglich war für die igs und IBA ein Budget von 148 Millionen Euro vorgesehen. Mittlerweile hat der Senat dafür allein für die Jahre 2009 - 2012 zusätzliche 120 Millionen Euro des Haushalts veranschlagt. Hinzu kommen weitere 22 Millionen für den Ausbau der Harburger Schlossinsel.

Während die igs im Wesentlichen die Errichtung eines neuen Volksparks verfolgt, gilt die IBA als Motor des gesamten Prozesses. Von 2007 bis 2013 soll die IBA laut eigener Aussage als "besonderes Instrument der Stadt- und Regionalplanung mit befristeten Sonderkonditionen" eingesetzt werden, um drängende Probleme anzugehen. Ziel sei es, einen "Modellstadtteil" zu schaffen. Mittels gut in Szene gesetzter städtebaulicher Einzelprojekte rührt die IBA die Werbetrommel für Umstrukturierungen und die damit verbundenen Konsequenzen wie Mietpreissteigerungen und Verdrängung der momentan im Stadtteil lebenden Bevölkerung. Zudem bietet sie mit viel Geld und einigen Vorzeigeprojekten einen Rahmen für den Umbau des Stadtteils, den zahlreiche Unternehmen als Ticket für ihre eigenen Profitinteressen benutzen.

Der Senat will mit dem "Sprung über die Elbe" vor allem bestimmte Standortfaktoren verbessern. Durch eine Verbindung von hochwertigen Wohn-, Lebens- und Arbeitsmöglichkeiten sollen junge, hoch qualifizierte und gut bezahlte Arbeitskräfte samt ihrer Familien nach Hamburg gelockt werden. Ein breites Kulturangebot, in Stand gesetzte, große Wohnungen, geringe Entfernung zum Arbeitsplatz, vielfältiges, interkulturelles Zusammenleben, klimagerechtes Wohnen, ökologisch verträgliche, aber dennoch gute Verkehrsanbindungen sowie abwechslungsreiche Erholungsmöglichkeiten sollen entstehen. Alle diese ehemals von alternativen Bewegungen vorgetragenen Vorstellungen bedient die IBA. Die Leitmotive "Kosmopolis", "Metrozonen" und "Stadt im Klimawandel", anhand derer die IBA ihre Projekte entwickelt, sind das propagandistisch gewendete Gewand für die Ziele der "Wachsenden Stadt".

Denn die mit den Aussichten auf einen aufgewerteten Stadtteil geköderten Familien haben ganz andere gesellschaftliche Funktionen. Sie sollen erstens den Bevölkerungsrückgang in Hamburg stoppen und dem Landeshaushalt Steuermehreinnahmen bescheren. Zweitens sind diese Arbeitskräfte wiederum ein gutes Argument in Verhandlungen mit Unternehmen, die sich in Hamburg ansiedeln wollen. Auf diese Weise können die so genannten "Clustereffekte" verstärkt werden. Drittens verdienen die EigentümerInnen von Mietwohnungen durch die durchgeführten Sanierungsmaßnahmen an höheren Mietpreisen bzw. an Mieten für zuvor leer stehenden Wohnraum. Die ImmobilienbesitzerInnen freuen sich unterdessen über den gestiegenen Wert ihres Eigentums. Bereits zwischen 2005 und 2007 stiegen die Immobilienpreise um knapp 200 Euro pro Quadratmeter. Und viertens lässt sich sowohl das ramponierte Image des Stadtteils mit Hilfe der IBA und igs erheblich aufpolieren und der Standort Hamburg national und international besser bewerben. Kein Wunder also, dass die Argumente des Hamburger Senats auf der einen und die in einem gemeinsamen Strategiepapier zur Stadtentwicklung vorgetragenen Positionen der Handelskammer sowie des Wirtschaftsvereins für den Hamburger Süden e.V. auf der anderen Seite für eine Aufwertung der Elbinsel fast identisch sind.

IBA: Flaggschiff für Mietpreissteigerung

Dass die erwünschte Bevölkerungsstruktur derzeit in Wilhelmsburg nicht gegeben ist, ist offensichtlich. Weder die verhältnismäßig hohe Zahl an Hartz-IV-EmpfängerInnen noch die Menschen ohne bzw. mit schlechtem Schulabschluss oder die zahlreichen Menschen mit Migrationshintergrund werden in den Genuss dieser Verbesserungen kommen. In Prenzlauer Berg, so der Stadtsoziologe Andrej Holm bei einer in Wilhelmsburg durchgeführten Veranstaltung, hätten nach den Umstrukturierungsprozessen lediglich 20% der zuvor ansässigen Bevölkerung überhaupt noch im Stadtteil gewohnt. Die Vertreibung - euphemistisch wird auch von "Bevölkerungsaustausch" oder "Mischung" gesprochen - bei der dann ein Großteil der dort lebenden Menschen auf der Strecke bleibt, ist dementsprechend ein erklärtes Ziel.

Eines der ersten Projekte der IBA war das so genannte "Weltquartier" - ein Straßenzug im Kern der Elbinsel. Laut IBA handelt es sich dabei um "das Modellprojekt für interkulturelles Wohnen". Während die IBA unter den BewohnerInnen aus 30 Staaten der Welt medienwirksame Befragungen über deren Wünsche und Bedürfnisse veranstaltete, saniert die Wohnungsbaugesellschaft der Stadt SAGA/GWG unter dem Dach der IBA ihre 820 Wohnungen - mit schwerwiegenden Folgen für die Betroffenen. Laut Schätzungen werden 130 Wohnungen verschwinden, weil aus kleineren Wohnungen durch Zusammenlegungen größere gemacht werden. Obwohl die SAGA das Gegenteil beteuert, ist bereits jetzt absehbar, dass zahlreiche VormieterInnen sich kaum die vergrößerten Wohnungen werden leisten können. Und ob die nun in Ausweichwohnungen lebenden BewohnerInnen in ihr gewohntes Wohnumfeld zurückkehren können, steht ebenfalls noch zur Debatte. Auch die weiteren Umstände der Umstrukturierungen sind skandalös, wie sich bei einem Vorläuferprojekt andeutet. Während bei diesem viele BewohnerInnen genötigt werden, in einem Container vor ihrem Haus zu duschen und zur Toilette zu gehen, kalkuliert die Wohnungsbaugesellschaft die mangelnden Kenntnisse ihrer MieterInnen ein. Diese werden weder über ihre Mieterrechte informiert, noch werden diese respektiert. Nur diejenigen BewohnerInnen werden ordnungsgemäß behandelt, die offensiv Gegenwehr leisten.

Diese Entwicklungen gehen auch an der Bevölkerung nicht spurlos vorüber. Viele der ansässigen Menschen spüren, dass in "ihrem" Stadtteil Veränderungen stattfinden, die häufig nicht zu ihrem Vorteil geschehen. Eine Anwohnerin berichtete z.B.: "Wilhelmsburg bekommt eine Gartenausstellung und gleichzeitig werden ein Kleingartenverein und die umliegende Natur zerstört, um die Prestigeprojekte voranzutreiben." Da hilft es auch nicht, dass die IBA mit besonderen Partizipationsmöglichkeiten wirbt, die de facto keine sind, weil sie nicht über die entsprechende Entscheidungsgewalt verfügen. Im Gegenteil. Bürgerbeteiligung entpuppt sich hier zunehmend als Integrationsangebot für politisch Aktive. Schon heute rühmt sich die IBA offen für die von ihr geleistete "Aktivierung eines breiten bürgerschaftlichen Engagements", das sie zu ihrer eigenen politischen Legitimation benötigt. Klar ist: Niemand in Wilhelmsburg hat grundsätzlich etwas gegen Verbesserungen im eigenen Stadtteil, wer sollte schon eine sanierte Wohnung, neue Fahrradwege oder Grünflächen ablehnen? Diese lange vernachlässigten Bedürfnisse der EinwohnerInnen verkehren sich jedoch in ihr Gegenteil, wenn sie zum Aufhänger für Stadtentwicklungsmaßnahmen gemacht werden, die gar nicht denselben Menschen zugute kommen und einem anderen Zweck dienen.

Gemischte Reaktionen im Stadtteil

Dennoch sind die Reaktionen sehr unterschiedlich. In Wilhelmsburg, so konnte man auf einer Veranstaltung zum Thema "Alte Aktive erzählen, wie alles kam. Die Bewegungsgeschichte der Insel" hören, gebe es eine lange und kämpferische Tradition der Bürgerbewegung.. Der Verein Zukunft Elbinsel z.B. ist hervorgegangen aus Einzelpersonen der Wilhelmsburger Zukunftskonferenz, die 2001/2002 auf Antrag der GAL und SPD unter Beteiligung aller Bürgerschaftsfraktionen stattfand und auf deren Grundlage der "Sprung über die Elbe" entwickelt worden ist. Der Verein ist Sammelbecken für StadtteilbewohnerInnen, die sich politisch engagieren. Sie begleiten die Umstrukturierungen allerdings zum Teil auffallend wohlwollend. Seine Mitglieder wollen beispielsweise ein "qualitätsvolles Wachstum" Wilhelmsburgs und stellten bereits 2005 dem Senat ihre Zusammenarbeit in Aussicht, wenn er sich nur endlich des Stadtteils annehme. IBA und der "Sprung über die Elbe" könnten, so die Einschätzung, die auf der Zukunftskonferenz eingeleitete "Trendwende" vertiefen.

Neben den etablierten Vereinen, Initiativen und Einzelpersonen hat der vergleichsweise relativ junge Arbeitskreis Umstrukturierungen in den vergangenen Monaten auf sich aufmerksam gemacht. (Vgl. http://wilhelmsburg.blog.de) Der AK beschäftigt sich einerseits mit dem Stadtteilentwicklungskonzept im Rahmen der IBA und igs und dessen Folgen. Andererseits bot er in mehreren Veranstaltungen zu Gentrifizierung sowie anderen stadtteilrelevanten Themen Raum für öffentliche Diskussionen über Probleme und mögliche politische Interventionen. Auffällig ist, dass diese Gruppierungen noch nicht in der Lage sind, die Mehrheit der EinwohnerInnen mit Migrationshintergrund und geringeren Einkommen zu erreichen und einzubinden.

Andere Initiativen, die sich z.B. gegen die hohe Lärmbelästigung oder etwa die Schließung von Kleingärten aussprechen, sind bislang noch recht klein. Auch gelingt es bislang niemandem, über die jeweiligen Milieus hinaus Gehör und Anklang zu finden oder präsent zu sein. Die Planungen des Hamburger Senats hingegen erfordern eine breite Reaktion. Es ist sicher, dass linke Interventionen in Hamburg-Wilhelmsburg nur jenseits der falschen Alternativen von autonomer Subkultur á la Sternschanze und bürgerlicher Mitwirkung wirklich Erfolg haben können.

Mary Anne Walkley