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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 534 / 19.12.2008

Aufgeblättert

Fülberth über DIE LINKE

Anders als die PDS hat sich DIE LINKE auch in Westdeutschland als fünfte Partei etabliert. Georg Fülberth verfügt wie kaum ein Zweiter über breites Wissen zur Geschichte von SPD, Gewerkschaften, sozialistischen Gruppen, KPD, DKP, PDS und nunmehr DIE LINKE. Er schreibt detailliert, nennt die handelnden Personen, bringt in Kurzporträts von Wolfgang Abendroth und Fritz Lamm zwei führende Linkssozialisten der 1960er und 1970er Jahre in Erinnerung. Nur unzureichend behandelt er die Entwicklung der WASG, die als "Türöffner" für die Etablierung von DIE LINKE so wichtige Gruppe, die maßgeblich von mittleren Gewerkschaftsfunktionären mit SPD-Parteibuch geprägt wurde. Fülberth schreibt gut lesbar, plastisch, ja durchaus spannend. Allein schon der politische Lebensweg eines fiktiven (linken) sozialdemokratischen Unterbezirkssekretärs macht das Buch lesenswert. Erschreckend schwach sind die beiden letzten Abschnitte, die im wesentlichen auf zwei schon in der jungen Welt abgedruckten Beiträgen basieren. Da wird mit Begriffen jongliert, die nicht klar abgegrenzt werden. Mittelschicht, Mittelstand, Schicht, Klasse - immer munter gemischt, wie es gerade passt. Die Grünen werden, mir nichts, dir nichts, zur Partei einer "Intelligenz als Massenschicht" erklärt. DIE LINKE deklariert Fülberth kurzerhand zur zweiten sozialdemokratischen Partei. Auch das ist Ausdruck von Verlegenheit und nicht von stimmiger Erklärung. Nachts sind alle Katzen grau und vor den Wahlen fast alle Parteien ein bisschen sozial und demokratisch, nach den Wahlen und auf lange Sicht alle ins System integriert. Für solche Weisheiten braucht es kein Buch. In dem Kapitel "Klassenverhältnisse" arbeitet Fülberth nicht mit fundierter Analyse, sondern mit Augenschein. Die Erklärung von politischen Parteien aus Sozialstrukturen, für einen Marxisten mithin aus Klassenstrukturen, wird gefordert, der Anspruch aber nur in episodischen Ansätzen eingelöst. Prekariat muss als modischer Begriff auch noch abgehandelt werden. Konsistent definiert und weiterverwendet wird er nicht. Mit Prekariat ist keine Partei zu machen, auch nicht DIE LINKE. Ja, und? Ein Blick auf die vielen CDU/CSU-WählerInnen unter den Lohnabhängigen zeigt, dass gleiche soziale Lage gänzlich unterschiedliche politische Orientierungen nach sich ziehen kann. Politische Orientierung ist nur grob mit Klassenlage in Verbindung zu bringen - Fülberth führt dafür selbst genug Belege an. Nichts von dem, was Fülberth in diesem Zusammenhang ausbreitet, ist ganz falsch, aber nichts ist zu Ende gedacht. Denkanstöße vermittelt das Buch dennoch - auch in seinen von seltsam zirkulärer Beliebigkeit beherrschten Abschnitten.

Dietrich Marquardt

Georg Fülberth: DIE LINKE. "Und wenn sich die Dinge ändern". PapyRossa Verlag, Köln 2008, 169 Seiten, 12,90 EUR

Raum und Gesellschaft

Die Wahrnehmung von Räumen hat sich seit dem Ende des Kalten Krieges verändert: Staaten zerfielen, Grenzen wurden neu gezogen, Städte aus ideologischen Motiven umbenannt und umgestaltet. Es wurden klassische Territorialkriege geführt, vielerorts waren neue Migrationsbewegungen zu beobachten. Der verschärfte globale Wettbewerb brachte nicht nur massive Gentrifizierungsprozesse innerhalb vieler Städte mit sich, sondern auch das Phänomen eines Stadt- und Regionalmarketings, das Orten und Regionen bestimmte Images verleiht. Räume erscheinen so nicht mehr als selbstverständlich "gegeben", sondern als "konstruiert". Auch im akademischen Bereich beschäftigt man sich jüngst verstärkt mit dem Raum. Es ist die Rede von einem spatial turn in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Unter dieser Überschrift haben die Medienwissenschaftler Jörg Döring und Tristan Thielmann nun auf 450 Seiten Beiträge vornehmlich deutscher Kultur- und SozialwissenschaftlerInnen versammelt. Ihre Einleitung bietet einen guten theoretischen Überblick, der Band selbst ist in einen kultur- und sozialwissenschaftlichen und einen humangeographischen Teil gegliedert. Raumkonzepte deutscher Historiker, Medienwissenschaftler und Soziologen werden so dem Raumdiskurs deutscher und angelsächsischer Humangeographen gegenübergestellt. Dabei tritt ein interessanter Gegensatz zutage: Während die RezipientInnen des spatial turn in den deutschen Kulturwissenschaften dazu tendieren, gesellschaftliche Erkenntnisse von einem "gegebenen Raum" abzuleiten, geht es den HumangeographInnen genau um das Gegenteil: Sie plädieren dafür, Räume in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung stets als ideologisches Konstrukt zu begreifen und ihnen dabei jede "ursprüngliche" Bedeutung abzusprechen. Eindringlich warnen sie Kultur- und SozialwissenschaftlerInnen daher vor einer "Raumfalle", in der soziale Phänomene zumindest implizit zu "natürlichen" Bedingungen erklärt werden.

Cornelia Siebeck

Jörg Döring/Tristan Thielmann (Hg.): Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften. transcript Verlag, Bielefeld 2008, 29,80 EUR

Antifaschistische Debatte und Praxis

Schon im Oktober hat das Antifaschistische Infoblatt (AIB) sein 20-jähriges Bestehen gefeiert. Ein leicht verspätetes "Geburtstagsgeschenk" ging allerdings nicht an das AIB, sondern an ak - analyse & kritik: Der Artikel über "Die ,autonomen Nationalisten` und die Ästhetisierung von Gewalt" aus AIB Nr. 80, der Jubiläums-Ausgabe, findet sich, bearbeitet und ergänzt, auch in dieser ak-Ausgabe. Im AIB ist er Teil der Schwerpunktseiten über "Männlichkeit und Gewalt, Kernelemente rechter Identität" und ein überzeugendes Beispiel antifaschistischen "Qualitätsjournalismus", selbstkritische Reflexion über das eigene Agieren ausdrücklich eingeschlossen. Auch die übrigen Artikel zu "Männlichkeit und Gewalt" sind lesenswert: ein Bericht über Gewalt von Neonazis gegen JournalistInnen, die von Neonazi-Demos berichten; ein historischer Rückblick auf die Gewalt der SA; eine Analyse der Folgen rechter Gewalt für die Opfer; eine Auseinandersetzung mit den Männlichkeitsbildern der extremen Rechten: "Nichts ist unmöglich, wenn Männer wollen" - dieser Slogan der Truppe "Märkischer Heimatschutz" bringt auf den Punkt, mit welchem ideologischen Angebot Neonazis "normale Männer" zu rekrutieren versuchen, vorzugsweise dort, wo Männer (weitgehend) unter sich sind, etwa in Fußballvereinen, Fan-Clubs oder - allgemeiner formuliert - dort, wo "das körperliche Ideal noch vollends ausgelebt werden kann". Neben dem Titel-Thema enthält das Heft die üblichen Rubriken wie NS-Szene, Geschichte, Braunzone oder Internationales. In der Rubrik Diskussion wird die Debatte über die strategische Orientierung antifaschistischer Politik fortgesetzt. "Antifa heißt radikale Gesellschaftskritik" ist der Beitrag der Leipziger Antifa Gruppe (LeA) überschrieben. Er wendet sich gegen "minimalpolitische Konzepte" und Debattenbeiträge, die sich wie "routinierte Rechenschaftsberichte" lesen würden. Worüber zu diskutieren wäre - genau dafür bietet das AIB ein wichtiges Forum. Herzlichen Glückwunsch zu 80 Ausgaben in 20 Jahren!

Js.

Antifaschistisches Infoblatt (AIB) Nr. 80, Herbst 2008, 60 Seiten, 3,10 EUR
mail@antifainfoblatt.de
www.antifainfoblatt.de