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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 534 / 19.12.2008

Klimapolitik in der Krise

Antikapitalistische Positionen zur Debatte um einen Green New Deal

Sollte die These stimmen, dass die Debatten um Klimawandel ein kurzfristiger medialer Hype waren, dann müsste spätestens die aktuelle Wirtschaftskrise das Thema zurück in die Öko-Ecke gedrängt haben. Stattdessen ist von der künftigen US-Regierung Obama bis zur FAZ von einem neuen Wachstums- und Innovationsschub die Rede, der von der Wende zu einem grünen Kapitalismus bzw. einem Green New Deal ausgehen soll. In einem "Poznan Communiqué on Climate Change" treten Spitzenmanager transnationaler Konzerne wie Shell, e.on oder Vodafone für ehrgeizige Emissionsziele - inklusive Emissionshandel, versteht sich - ein.

Obwohl einige Autokonzerne angesichts der für sie existenzbedrohenden Krise nicht ganz erfolglos neue Aufweichungen der EU-Emissionsstandards eingefordert haben, scheint die Krise den Übergang zu einer grüneren Wachstumsstrategie eher zu beschleunigen als zu vertagen.

Schließlich verspricht ein Green New Deal nicht nur neue Märkte im Bereich der erneuerbaren Energien, neue Absatzchancen auf gesättigten Märkten durch den vorgezogenen Austausch von Altgeräten und die Inwertsetzung der Atmosphäre durch die flexiblen Mechanismen des Kyoto-Protokolls (Emissionshandel, Clean Development Mechanism, Joint Implementation). (1) Er wäre anders als die abgewirtschaftete und diskreditierte neoliberale Ideologie in der Lage, erneut Konsens zu stiften, die aktive und passive Zustimmung weiter Teile der Subalternen zum neuen Akkumulationsregime zu gewinnen.

Angesichts der beginnenden Rezession, die bisher prekär Beschäftigte trifft, aber schon jetzt die verhältnismäßig abgesicherten Stammbelegschaften der Automobilindustrie bedroht, dürfte diese konsensstiftende Funktion in den nächsten Jahren massiv an Bedeutung gewinnen, um drohende soziale Auseinandersetzungen einzuhegen.

Übergang zu grüner Wachstumsstrategie?

Sicherlich wird ein grüner Kapitalismus die Weltwirtschaft nicht ohne weiteres aus der Rezession führen oder diese gar abwenden können. Die Regierungen der Welt könnten bei der COP 15 (Conference of the Parties) der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember 2009 feierlich einen Green New Deal verkünden, doch bis dieser sich als zentrales Akkumulationsmodell der globalen Wirtschaft durchsetzt, würden noch Jahre heftiger Überlebenskämpfe von Kapitalfraktionen, die der Umstellung nicht gewachsen sind, vergehen.

Doch zugleich zeigt sich der Neoliberalismus weder ideologisch noch ökonomisch in der Lage, einen neuen Wachstumszyklus nach der Krise zu tragen: In vielen Ländern sind wesentliche Teile des ehemals öffentlichen Sektors bereits dem Markt übertragen worden und werden von den Folgen der Krise voll erfasst. Der Glaube an die segensreiche Wirkung des Privaten bröckelt schon seit Jahren immer mehr ab. Beispielhaft seien hier die massiven Verluste in allen Formen der kapitalgedeckten Altersvorsorge oder der umstrittene und immer wieder verschobene Börsengang der Bahn genannt.

Die Entspannung im Energiesektor, die der fallende Ölpreis jetzt produziert, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Preis für den Treibstoff des fossilistischen Kapitalismus in einem neuen Wachstumszyklus schnell auf das Niveau des letzten Jahres und darüber hinaus steigen dürfte.

Auch die Entwicklung bei den zentralen AkteurInnen des Neoliberalismus deutet auf einen grünen Kapitalismus hin: Während der IWF fast zur Bedeutungslosigkeit verkommen war, erst in der Krise wieder zum Player wird und eine neue Rolle noch finden muss, ist die Weltbank schon seit Jahren fest im Klimabusiness verankert und hat damit kaum Sorgen, überflüssig zu werden.

Was bedeutet dies nun für die im letzten Jahr intensiv diskutierte linke Klimapolitik? Unter denen, die sich schon mit dem UN-Klimagipfel (UNFCCC) 2009 in Kopenhagen beschäftigen, dominiert bislang die Debatte um das Verhältnis zum Gipfel selbst: Ist er rundheraus abzulehnen und als Veranstaltung der Herrschenden zu delegitimieren? Sollte die Linke deshalb versuchen, ihn mit Blockaden zu stören und aktiv an seinem Scheitern mitzuwirken - oder würde sie damit nur den Konzernen zuspielen, die lieber bis zu ihrem Untergang Profite mit fossilen Energieträgern und spritfressenden Autos machen wollen?

Bevor diese Fragen beantwortet werden können, sollten wir nicht nur eine Position zum grünen Kapitalismus als solchem, sondern vor allem Strategien zur klimapolitischen Intervention in die aktuelle Krisensituation und Politiken, die aus ihr herausführen wollen, entwickeln. Sicher ist grüner Kapitalismus kapitalistisch und daher abzulehnen. Nur: Daraus allein erwächst noch kein mobilisierungs-, geschweige denn anknüpfungsfähiges Projekt, das einem kapitalistischen Green New Deal auf seinem Weg zum neuen hegemonialen Projekt etwas Ernsthaftes entgegenzusetzen hätte.

Überakkumuliertes Kapital "unschädlich" machen?

Der grüne Kapitalismus sucht einen Weg aus der Überakkumulationskrise, indem er neue Sektoren schafft und erschließt, in denen Kapital wieder profitabel investiert werden kann. Eine linke Antwort auf die Krise könnte dagegen sein, das überakkumulierte Kapital "unschädlich" zu machen, indem wesentliche Sektoren der Reproduktion wie Gesundheit, soziale Sicherheit, Bildung oder Energie, aber auch das Klima bzw. die Atmosphäre der Kapitalverwertung entzogen und in eine gemeinschaftliche, demokratische Kontrolle gebracht werden.

Anders als die Teilverstaatlichungen einiger Regierungen müsste es solchen Projekten nicht nur um den (vorübergehenden?) Wechsel der formalen Eigentumstitel gehen, sondern darum, heute oder in einem künftigen grünen Kapitalismus in Wert gesetzte Waren zu öffentlichen Gütern zu machen, die weder den Steuerungsmechanismen noch den Krisen des Marktes unterliegen. Wo in diesen Bereichen Ressourcen eingesetzt werden, muss entsprechend von den Beschäftigten und NutzerInnen dieser Güter über sie beschlossen werden. So, wie es auf lokaler Ebene von einzelnen rekommunalisierten Wasserwerken (z.B. in Cochabamba, Bolivien) oder Stadtwerken bereits erprobt wurde.

Bezogen auf die globalen Klimaverhandlungen bedeutet dies vor allem, die "flexiblen Mechanismen" des Kyoto-Protokolls zu bekämpfen, die mit der Inwertsetzung der Verschmutzungsrechte erst die direkte Verwertung der Atmosphäre ermöglichen. Während es bisher oft schwer erschien, in der Argumentation gegen die flexiblen Mechanismen über die moralische Verurteilung des "Ablasshandels" hinauszukommen, gibt es neben der empirischen Erfahrung, dass das Kyoto-Protokoll dem Klimaschutz ungefähr gar nichts gebracht hat, mit der Wirtschaftskrise ein neues Argument: Wenn wir gerade erst erlebt haben, welche katastrophalen Fehler die "unsichtbare Hand" des Marktes begeht - wie können wir dann so verrückt sein, ihr die Lösung eines zentralen gesellschaftlichen Problems wie des menschlich verursachten Klimawandels zu überlassen?

Das Vertrauen in die Allmacht des Marktes ist schon durch die Folgen der neoliberalen Privatisierungsorgie, aber spätestens mit der aktuellen Krise zutiefst erschüttert. Eine Kampagne, die darauf abzielt, ihm die dringend notwendige Reduktion der Treibhausgasemissionen um 80 bis 90 Prozent in den Industrieländern nicht zu überlassen, könnte daran anknüpfen.

Auch die Prognose, dass ein solcher neuer kapitalistischer Wachstumszyklus auf kurz oder lang in die nächste kapitalistische Krise führt, scheint im aktuellen politischen Umfeld auch über die Grenzen der radikalen Linken hinaus diskutabel.

Die Forderung, die flexiblen Mechanismen in der internationalen Klimapolitik abzuschaffen, ist keineswegs nebensächlich: Folgt man der These, dass es im Kyoto- und Kyoto-Nachfolgeprozess gar nicht darum geht, das Klima zu schützen, sondern die Folgen des Klimawandels im wahrsten Sinne des Wortes beherrschbar zu machen, trifft sie geradewegs eines der wesentlichen Ergebnisse des Prozesses, nämlich die Schaffung eines Marktes, dem weltweit ein Wachstum auf bis zu zwei Billionen Euro im Jahr 2020 prognostiziert wird (zum Vergleich: Das Bruttoinlandsprodukt der BRD beträgt etwa 2,4 Billionen Euro).

Gegen die "flexiblen Mechanismen" von Kyoto

Zugleich ist die Ablehnung der flexiblen Mechanismen eine anschlussfähige Forderung, die mit den konkreten ökologischen und sozialen Auswirkungen etwa der als "CO2-Senken" angelegten Baumplantagen unterlegt werden kann. So wird eine antikapitalistische Position, die sich klar gegen marktbasierte Lösungen einsetzt, für diejenigen zugänglich, die sich mit der Breitseite "Forget Kyoto - Shut down Copenhagen" (Tadzio Müller in ak 531) nicht anfreunden können, weil sie noch Hoffnungen hegen, dass bei aller herrschaftsförmiger Bearbeitung des Klimawandels in Kopenhagen doch eine substanzielle Reduktion der Emissionen in den Industriestaaten abfallen bzw. erkämpft werden könnte.

Auch die weltweit, insbesondere im globalen Süden stark verankerte Kleinbauernorganisation Via Campesina fordert von der UNFCCC, statt des Emissionshandels substanzielle Lösungen zu diskutieren. (2)

Eine weitere Forderung könnte darauf abzielen, klimarelevante Technologien vom Patentschutz zu befreien, mit öffentlichen Mitteln weiter zu erforschen und weltweit kostenlos zur Verfügung zu stellen. Noch einfacher als beim Emissionshandel, der bei oberflächlicher Betrachtung und unterstelltem Restglauben an die Segen der Marktwirtschaft als Instrument des Klimaschutzes durchgehen könnte, zeigt sich hier der Widerspruch zwischen Verwertungsinteressen und Emissionsreduktionen: Westliche und insbesondere deutsche Konzerne halten im Bereich der erneuerbaren Energien ebenso wie bei effizienter Energienutzung zahlreiche zentrale Patente, die ihnen einen profitablen Anteil zusichern, wo immer auf dem Globus in entsprechende Projekte investiert werden soll. Das treibt gerade für Länder des Südens die Kosten erneuerbarer Energien in die Höhe.

Zugleich wäre erneut ein Schulterschluss mit entsprechenden Forderungen aus dem globalen Süden möglich, wie sie Evo Morales in seinem offenen Brief "Retten wir den Planeten vom Kapitalismus" (3) artikuliert.

Wenn wir im kommenden Winter in Kopenhagen nicht nur qua konfrontativer Aktion den Antagonismus zur herrschenden Klimapolitik markieren, sondern dem Projekt eines neuen Wachstumszyklus im begrünten Kapitalismus politisch etwas entgegensetzen wollen, müssen wir nicht nur genügend AktivistInnen mitbringen, sondern schon in den Monaten zuvor in Deutschland in öffentliche Debatten zum Klimawandel eingreifen oder diese initiieren. Dabei sollten wir genügend Selbstvertrauen mitbringen, auch mit den "traditionellen" AkteurInnen der Umweltbewegung zu diskutieren, die für Kopenhagen ein Kyoto plus X fordern, so lange das die Sichtbarkeit radikaler Positionen verbessert und nicht verschlechtert.

Für eine solche radikalisierende Klimapolitik sind die oben diskutierten Forderungen im Sinne einer revolutionären Realpolitik nur ein Element, das - hier ist Olaf Bernau (ak 532) und Hendrik Sander (ak 533) nur zuzustimmen - einer vielfältigen und konfrontativen Praxis lokaler Klimakämpfe bedarf, um nicht im entkoppelten Gipfelhopping zu enden.

Felix Pithan

Anmerkungen:

1) Beim Emissionshandel können Emissionsrechte von anderen gekauft werden, statt selbst Reduktionsmaßnahmen durchzuführen. Der Clean Development Mechanism ermöglicht es Industrieländern, in Klimaschutzprojekte in "Entwicklungsländern" zu investieren und sich den positiven CO2-Effekt anrechnen zu lassen. Joint Implementation bezeichnet einen ähnlichen Mechanismus für Transaktionen zwischen Industrieländern.

2) La Via Campesina: UNFCCC: Don't trade off climate! www.viacampesina.org/main_en/index2.php?option=com_content&do_pdf=1&id651

3) Offener Brief des bolivianischen Präsidenten Evo Morales: Salvemos al planeta del capitalismo. www.alternativabolivariana.org/modules.php?name=News&file=article&sid=749