Co-Management statt Klassenkampf
Bedingungen gewerkschaftlicher Betriebspolitik angesichts der Krise
Die Finanzkrise ist inzwischen eine Weltwirtschaftskrise, die nicht nur die großen Automobilkonzerne erfasst hat. Viele Lohnabhängige fürchten um ihren Arbeitsplatz. Künftige Arbeitskämpfe werden angesichts der Krise und des Diskurses von der nationalen Notgemeinschaft kaum offensiv geführt werden können. Über die Gründe und mögliche Perspektiven linker Politik sprach Ingo Stützle mit Stefanie Hürtgen. (1)
ak: Nach deiner Untersuchung sieht es für die betrieblichen Auseinandersetzungen und Klassenkämpfe, die in Folge der Finanzkrise sicherlich verstärkt entstehen, nicht besonders rosig aus. Deinen Erkenntnissen nach hat sich ein "transnationales Co-Management" bei der betrieblichen Gewerkschaftspolitik herausgebildet - selbst bei den klassenkämpferischen Strömungen. Weshalb ist das so? Ist das allein eine Einstellungssache?
Stefanie Hürtgen: Nein, natürlich ist das keine einfache Einstellungssache. Dann müsste man von linker Seite einfach nur ein bisschen besser agitieren, überzeugen, aufklären. Die Interviews zeigen aber, dass relativ unabhängig vom eigenen Selbstverständnis auch als KlassenkämpferIn de facto eine Logik der Betriebsverteidigung gefahren wird - und in gewissem Sinne gefahren werden "muss", solange eine praktische Alternative zur Lohnarbeit gesamtgesellschaftlich und individuell fehlt bzw. zunehmend verunmöglicht wird.
Linke, kämpferische Positionen haben in und außerhalb von Betrieben immer wieder vertreten, dass Verlagerungen usw. eigentlich nur ideologisch motivierte Angriffe ohne betriebswirtschaftliche Grundlage sind. Wie wenig hilfreich diese Position war, sehen wir heute. Sie war ironischerweise ein besonders starker Motor für Co-Management. Denn wenn die Behauptung, Stellenabbau sei nur politischer Angriff und keine unternehmerische Notwendigkeit, irgendeine praktische Relevanz für die betroffenen Belegschaften haben soll, dann muss man dies gegenüber dem Management in Anschlag bringen. Dann muss man nicht nur mobilisieren, Druck entfalten usw., sondern selbst nachweisen, dass der Betrieb ohne Verlagerung usw. mindestens ebenso gut läuft.
Man mischt sich also in die Managementstrategien ein, schaut sich selbst die Konkurrenz- und Marktverhältnisse an, prüft die Zahlen, holt Experten heran, macht Lobby-Politik. Man wird - ganz im Interesse der abzusichernden Belegschaft - zum Co-Manager. Co-Management ist in diesem Verständnis der Versuch, "gute Managementstrategien" durchzusetzen, nämlich solche, die die Belegschaften absichern, Arbeitsbedingungen erträglich machen usw. So formulierten es auch die InterviewpartnerInnen.
... mit dem Effekt, dass verstärkt Kompromisse zwischen Kapital und Arbeit formuliert werden.
Dass in solchen Verhandlungen und Auseinandersetzungen um Managementstrategien am Ende fast immer Kompromisse herauskommen (weniger Entlassungen statt keine usw.), liegt aber eben nicht allein an der mangelnden Stärke und Mobilisierung der Belegschaften. Vielmehr liegt es - ich würde sagen: hauptsächlich - daran, dass die globalisierten Marktverhältnisse, die über die Politik der letzten Jahre ungeheuer dereguliert wurden, den Spielraum für Unternehmensmanagement tatsächlich enorm einengen. Die Finanzkrise und die Bettelgängen z.B. der Autoriesen führen dies derzeit gut vor.
Aber das ist nur eine Zuspitzung eines zunehmend instabilen Produktionsmodells, in dem Unternehmensexistenzsicherung unmittelbar von erfolgreicher Verdrängung der KonkurrentInnen abhängt und Fusionen, Pleitegänge oder völlige Umorientierungen von Unternehmen Alltag sind. Gegenmacht und Druck von unten sind da schön und gut, und die InterviewpartnerInnen nutzen das natürlich auch - und keineswegs nur die explizit klassenkämpferischen.
Dass die breite Mobilisierung und der große Durchbruch dennoch nicht erzielt wurden, ist weniger ein Problem mangelnder Kampfesstärke und "falschen Bewusstseins" - die Unzufriedenheit in den Betrieben ist sehr groß -, als ein praktisches: Wofür mobilisiere ich, wenn ich auch als noch so kämpferischer InteressenvertreterIn feststellen muss, dass mein Betrieb aus betriebswirtschaftlich-unternehmerischer Sicht sehr prekär ist?
Anders formuliert: Die Arbeitsteilung, auf der Lohnarbeit beruht, steht zur Disposition. Ich kann als ArbeiterIn gut Gegenmacht-Mobilisierungen machen, wenn der Gegner weiter im Feld bleibt. Das ist heutzutage aber - funktional gesehen - nicht der Fall. Die Unternehmen können derzeit nicht sicherstellen, dass ihre unternehmerische Tätigkeit den Betrieb und die Belegschaft absichern - und also können die Belegschaften sich auch nicht darauf zurückziehen, angewandte ArbeiterInnen zu sein. Hängen sie ihre Existenz an den Betrieb, "müssen" sie sich mit dessen ökonomischer Absicherung befassen. Im Zuge einer "permanenten Restrukturierung" der mittlerweile oft globalen Produktionszusammenhänge ist ein solches "Managementversagen" heute aber systematisch gegeben. Die Belegschaften können sich nicht mehr darauf verlassen, dass das Management "seinen Job" macht, wie sie sagen, und also können sie sich auch nicht auf die Rolle als ArbeiterInnen zurückziehen.
Muss" das wirklich so sein?
Es bleibt natürlich die Frage: Warum tun sich die Leute das an? Warum hängen sie denn ihre Existenz an den Betrieb, wo Leistungsdruck und Unsicherheit gleichermaßen wachsen? Und nun wird es sehr grundlegend. Für die Arbeitenden wie auch für den Rest der Gesellschaft inklusive vieler linker KritikerInnen gilt: Lohnarbeit ist Existenzgrundlage dafür, gestaltendes Mitglied der Gesellschaft zu sein.
Das ist natürlich in kapitalistischen Verhältnissen nicht sehr verwunderlich. Trotzdem fand ich es bemerkenswert, in welchem Ausmaß alle InterviewpartnerInnen Lohnabhängigkeit als die soziale Existenzform beschrieben, während Arbeitslosigkeit vollkommen jenseits von Gesellschaftlichkeit verortet wurde. Lohnarbeit steht dabei nicht allein nur für soziale Integration, Anerkennung durch KollegInnen usw. Sie steht auch für Leistung, die man der Gesellschaft erbringt.
Wie ist eine "Befreiung" aus dieser Logik denkbar, die ja dazu beitragen wird, dass in den kommenden Monaten weitere Zugeständnisse an das Kapital gemacht werden? Können Betriebsräte überhaupt noch anders agieren oder muss dafür erst die Basisbelegschaft rebellieren?
Bevor man über "Befreiung" aus aktuellen Denkansätzen spricht, muss man diejenigen, die da sind, überhaupt erst einmal würdigen und verstehen. Nicht nur, weil man sonst an den Leuten vorbeiredet, sondern natürlich auch, weil sich ja Neues aus Altem entwickeln soll. Und da reicht es nicht aus, die Leistungslogik als bürgerlich usw. zu denunzieren.
Man muss auch sehen, dass zumindest diejenigen, die sich als "kämpferisch" verstehen (egal, ob sie das klassenkämpferisch oder sozialpartnerschaftskämpferisch meinen, denn das verschwimmt in der Praxis eh), mit der Leistung, die für die Gesellschaft erbracht wird, einen Anspruch auf Gestaltung dieser Gesellschaft verbinden: Wir arbeiten, produzieren, ohne uns gäbe es all den Reichtum nicht - also wollen wir auch mitreden! Die Lohnarbeit, die eigene gute Arbeit ist die Grundlage dafür, ein Anspruchsdenken zu entwickeln!
"Ich leiste etwas für die Gesellschaft, also ist sie auch meine, ich kann sie (mit)gestalten", diese Denkweise ist ja ganz allgemein ein völlig richtiger Zusammenhang. Schwierig ist, wie sehr dabei kapitalistische Konkurrenz ausgeblendet bleibt. Trotz gegenteiliger Erfahrung erscheint es als falsch, als Zerstörung eines ureigenen Zusammenhangs, wenn der Betrieb trotz aller Anstrengungen der Belegschaft und trotz technologischer Modernisierungen schließen soll. Es erscheint als Managementfehler, wenn die betriebliche Leistung sich außerbetrieblich nicht durchsetzen kann.
Einen prinzipiellen Unterschied zwischen Basis und Vertretung gibt es dabei übrigens nicht. Der Tendenz nach sind Belegschaften vielleicht etwas kämpferischer, weil ihnen in der täglichen Praxis die betriebliche Arbeit vor Augen steht: die Anstrengungen, die sie unternehmen, die Zusammenarbeit, die sie bewerkstelligen usw. Da "kann es doch nicht sein", dass trotzdem geschlossen werden soll! BelegschaftsvertreterInnen, die sich stärker mit dem Management austauschen, sind der Tendenz nach ein Stück näher an Markt und Konzernzentrale. Aber das Verhältnis kann sich auch umdrehen.
Was bedeutet das für politische Strategien?
Die große Herausforderung scheint mir zu sein, in den Auseinandersetzungen in eine Logik der Reproduktion einzusteigen, ohne die Frage, wie denn der gesellschaftliche Zusammenhang von Arbeit und Leistung organisiert sein soll, der anderen Seite zu überlassen. Vor dieser Herausforderung stehen wir alle.
Logik der Reproduktion hieße: Forderungen stellen zu können, ohne nachweisen zu müssen, dass man ein für die Gesellschaft "ordentlich" etwas Leistender ist. Das wäre also zunächst ein Ausstieg aus der Leistungslogik. Beispiele wären hier ein hohes Existenzgeld oder auch Streikparolen, die auf das eigene gute Leben abzielen. Die Notwendigkeit der eigenen guten Reproduktion stünde hier gegen die "Sachzwänge" und Unwägbarkeiten der Produktion.
Allerdings wird es ein solcher Ansatz schwer haben, werden sich die Beschäftigten weiter an Lohnarbeit als Ur-Basis von Gesellschaftlichkeit klammern - und das legt den Finger in die Wunde all der Ansätze von einem "Recht auf ein gutes Leben". Sie beantworten bislang nämlich nicht, wie denn der gesellschaftliche Zusammenhang all der einzelnen Existenzen und Tätigkeiten organisiert werden soll und kann, wenn nicht lohnarbeitsförmig.
Bist du der Meinung, dass sich mit der gegenwärtigen Krise der Handlungsspielraum und der Denkhorizont eher einengt oder eher erweitert? Ein Bruch mit der Leistungsvorstellung ist doch eher in einer tiefen Krise diskussionsfähig. Ebenso wie jetzt endlich eine politische Auseinandersetzung mit und innerhalb der Belegschaft der großen Automobilfirmen stattfinden müsste, inwieweit die Produktion von Autos vor dem Hintergrund der ökologischen Frage überhaupt gewollt werden kann.
Noch einmal: Es geht nicht nur um "Bruch". Der Begriff Leistung und das Leistungsdenken der Beschäftigten verweisen darauf, dass es die Notwendigkeit gesellschaftlicher Zusammenarbeit gibt. Lebt und arbeitet man mit anderen zusammen, dann muss man, spießig formuliert, "seinen Beitrag leisten". Die große Frage wäre hier, worin solche Beiträge bestehen könnten, was also gesellschaftlich schön, sinnvoll, erstrebenswert ist.
Und hier gibt es bislang in der Tat eine fatale Kreisbewegung, denn die enorme Verbetrieblichung der BelegschaftsvertreterInnen konnte ja erst entstehen, weil sie ihre betrieblichen Auseinandersetzungen nicht mehr in übergreifende gesellschaftliche Transformationsprojekte einbetten konnten. Die kämpferischen InterviewpartnerInnen bringen zum Ausdruck, dass sie mit ihrem politischen Ansinnen, Gesellschaft zu verändern, weitestgehend gescheitert sind; dass sie sich auf den Betrieb zurückgeworfen sehen, hier ständig Abwehrkämpfe führen und nicht mehr Teil einer übergreifenden Auseinandersetzung um Verbesserung der Gesellschaft sind.
Es braucht also unbedingt eine politische, allgemeine Debatte über Möglichkeiten sozialen Widerstands und Umbaus der Gesellschaft. Die ökologische Frage ist zentral, aber sie ist nicht losgelöst von sozialen Fragen der Mobilität, öffentlicher Infrastruktur, Gesundheit usw. zu bearbeiten. Ob ich optimistisch oder pessimistisch bin? Die Finanzkrise hat Erschütterungen gebracht, die Wut vergrößert - zugleich aber auch die Angst. Für Optimismus reicht das nicht. Aber man sollte die Augen offen halten.
Anmerkung:
1) Stefanie Hürtgen hat gerade beim Verlag Westfälisches Dampfboot ihre Untersuchung "Transnationales Co-Management. Betriebliche Politik in der globalen Konkurrenz" (313 S., 29,90 Euro) veröffentlicht, die auf mehreren Interviews mit GewerkschafterInnen aus Polen, Frankreich und Deutschland beruht.