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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 535 / 16.1.2009

Charmeoffensive ins Leere

Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik unter neuer Leitung

Wie jedes Jahr findet Anfang Februar die Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik (SiKo) statt, vormals genannt Wehrkundetagung. Seit Anfang der 1960er Jahre treffen sich in der Isarmetropole internationale SicherheitspolitikerInnen, Militärs und Rüstungsindustrielle - und stoßen dabei zunehmend auf Protest. Daran wird auch nichts die Neuausrichtung der SiKo ändern, die seit diesem Jahr unter Leitung des Ex-Diplomaten Wolfgang Ischinger steht.

"So schafft die Krise auch Gutes", da ist sich Ischinger ganz sicher. Zumindest, wenn es die Europäische Union schaffe, gestärkt aus der aktuellen Finanzkrise als Stabilitätsraum "weltweit respektiert herauszuwachsen". Und vorausgesetzt, der Westen könne seinen "Führungsanspruch" mit einem System von "global governance" behaupten, "das auch dann noch Geltung beanspruchen kann, wenn das relative Gewicht des Westens in der Welt, sowohl hinsichtlich Bevölkerungszahl wie hinsichtlich Wirtschaftskraft, angesichts der neuen Wachstumsmächte abnehmen wird". Für Ischinger ist dabei eines ganz klar: "Die Uhr tickt und dem Westen bietet sich in der Krise eine große aktuelle Gestaltungschance."

Vom 6. bis 8. Februar 2009 wird der erfahrene deutsche Spitzendiplomat zum ersten Mal die 45. Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik (SiKo) im Luxushotel Bayrischer Hof leiten. Ischinger versteht sein Geschäft. Er war Staatssekretär im Auswärtigen Amt sowie deutscher Botschafter in Washington und London. Und trotzdem ist seine diplomatische Charmeoffensive bereits kurz nach der ersten Pressekonferenz am 1. Dezember 2008 - militärisch gesprochen - als Rohrkrepierer geendet.

In einem Gastkommentar unter dem Titel "Das Gute an der Krise" in der Süddeutschen Zeitung vom 15. Dezember 2008 fabulierte Ischinger zunächst locker drauf los: "In der Medizin führt die ,Krisis` zum Abflauen des Fiebers, bezeichnet also den Wendepunkt hin zur Besserung." Doch bereits diese Aussage ist medizinisch betrachtet einfach falsch: Nach einer "Krisis" kann es zum Abflauen des Fiebers kommen, muss es aber nicht. In vielen Fällen endet eine "Krisis" vielmehr tödlich. In keinster Weise ist eine "Krisis" also per definitionem der "Wendepunkt hin zur Besserung", wie Ischinger behauptet. Denn eine Krise ist vom Ausgang her völlig offen.

Falsche Bilder und hohle Phrasen

Diese medizinische Fehldiagnose war jedoch vergleichsweise harmlos zu seiner weiteren Argumentation: "Auch in der Politik sind viele Errungenschaften ohne vorangegangene Krise kaum denkbar: Die Europäische Union von heute wäre ohne die große Krise Europas, die zwei Weltkriege hervorgerufen hatte, nie zustande gekommen", setzte Ischinger seine historische Analyse fort, bevor er zur oben zitierten Gestaltungschance zur erneuten Absicherung des westlichen Führungsanspruchs in der aktuellen Krise überging. (vgl. www.securityconference.de)

Bundesweite Medienresonanz erzielte nur wenige Tage nach Ischingers SZ-Gastkomentar eine Stellungnahme des KZ-Überlebenden Martin Löwenberg. Er forderte Ischinger darin zum Rücktritt von allen seinen Ämtern und zu einer Entschuldigung auf: Ischingers Text sei "menschenverachtend, geschmacklos, zynisch und bedeutet eine unerträgliche Verhöhnung der Millionen Verfolgten und Ermordeten des Nationalsozialismus" sowie eine Verdrehung historischer Tatsachen und eine "geschichtsrevisionistische Verschleierung der Verantwortung Deutschlands", schrieb Löwenberg. "Der 2. Weltkrieg wurde nicht ,hervorgerufen`. Das nationalsozialistische Deutschland und die Deutsche Wehrmacht haben nach einer staatlich geplanten Phase gezielter Hochrüstung zum Profit der deutschen Industrie einen verbrecherischen Angriffs- und Vernichtungskrieg geführt. Ohne diesen Krieg und ohne die Wehrmacht wäre auch die Shoa nicht möglich gewesen."

Bisher hat sich Ischinger, der noch auf seiner Pressekonferenz am 1. Dezember mehr "Transparenz und Dialog" angekündigt hatte, dazu nicht mehr geäußert. Seine diplomatische Schönwetteroffensive und seine Bemühungen, die Kritik in der Öffentlichkeit durch die jährlichen Massenproteste gegen die Münchner Kriegskonferenz zu entkräften, dürfte mit seinem Gastkommentar vorerst gescheitert sein. Für den 7. Februar kündigt das Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz bereits zum achten Mal eine antimilitaristische Großdemonstration an. In diesem Jahr sind die Münchner Proteste bundesweit zugleich Auftakt zur internationalen Mobilisierung gegen den NATO-Gipfel zum 60. Geburtstag des westlichen Militärbündnisses in Strasbourg und Baden Baden. Denn die Münchner Kriegskonferenz wird in der globalen "Krisenprävention" und im "Krisenmanagement", wie es Ischinger nennt, weiter an Einfluss gewinnen.

Mit der Entscheidung für den deutschen Spitzenbeamten wurden alle Gerüchte über einen Umzug der SiKo nach Berlin und eine ungewisse Zukunft der Tagung endgültig beendet. Mit der Wahl des neuen Konferenzleiters hat die Bundesregierung zugleich eine langfristige strategische Festlegung vollzogen: Mit Ischinger soll die Münchner Militärkonferenz - frei von protokollarischen Zwängen offizieller Gipfel - als Bühne für die außenpolitischen Interessen der deutschen Bundesregierung sogar noch ausgebaut werden. Dafür wird auch die zivil-militärische Zusammenarbeit zwischen Politik, Wirtschaft und Militär intensiviert.

Ischinger kündigte in diesem Jahr erstmals eine Kooperation mit der Körber-Stiftung an, deren Stiftungskapital auch aus der Rüstungsproduktion der gleichnamigen Industriellenfamilie stammt: Mit der Gründung des "Munich Young Leaders Round Table on Security Policy" solle der "außenpolitische Führungsnachwuchs" gezielt gefördert werden, heißt es in einer gemeinsamen Pressemitteilung von Stiftung und SiKo.

Die neue Elite deutscher Außenpolitik, die auf gleicher Augenhöhe als "zukünftige Entscheidungsträger" an der Konferenz teilnehmen wird, rekrutiert sich aus einer Gruppe jüngerer MitarbeiterInnen der Bundesregierung, des Bundestages sowie verschiedener Think Tanks und Unternehmen. Auch in diesem Punkt nimmt es Ischinger mit den Fakten nicht besonders genau: Auf seiner Pressekonferenz wollte er zunächst deutlich machen, "dass dies keine Jahresversammlung der Rüstungsindustrie" sei, sondern es lediglich "um Krisenprävention und -management" gehe. Nur wenige Minuten später kündigte Ischinger jedoch an, dass es unter seiner Leitung erstmals auch ein offizielles Mittagessen von Konzernchefs mit hochrangigen VertreterInnen der Konferenz geben werde.

Eine Jahresversammlung der Rüstungsindustrie

Deutschland ist mittlerweile zum drittgrößten Rüstungsexporteur der Welt aufgestiegen. Nach dem Bericht der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE), der Anfang Dezember 2008 vorgestellt wurde, sind die deutschen Rüstungsexporte allein im letzten Jahr gegenüber 2006 um 13 Prozent gestiegen. Deutschland ist auch durch seine Rüstungsexporte zum Exportweltmeister geworden. Letztes Jahr sind nach dem jährlich vorgelegten Rüstungsexportbericht der GKKE Waffen im Wert von 8,7 Mrd. Euro an 126 Staaten verkauft worden - davon liegen viele in Krisengebieten und/oder werden von Militärdiktaturen oder Regimen regiert, die für Folter und Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind.

Deutschland ist nach Angaben des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) für den Zeitraum 2003 bis 2007 mit einem Anteil von zehn Prozent der weltweit drittgrößte Rüstungsexporteur nach den USA (36 Prozent) und Russland (25 Prozent), noch vor Frankreich und Großbritannien. Insgesamt haben die USA, Russland, Deutschland, Frankreich und Großbritannien einen Anteil von 80 Prozent an den weltweiten Rüstungstransfers. Laut Berechnungen von SIPRI verdoppelte die Bundesrepublik Deutschland ihren Export konventioneller Waffen innerhalb eines Jahres von 1,5 Mrd. US-Dollar (2005) auf 3,8 Mrd. (2006). Nach den USA und Russland avancierte Deutschland damit zum drittgrößten Waffenexporteur.

Das "Konfliktmanagement" von Ischinger und der Münchner "Sicherheitskonferenz" kostet also seit Jahrzehnten Millionen Menschen weltweit das Leben: Seit Jahren nehmen an der Münchner Kriegskonferenz auch die führenden deutschen Rüstungskonzerne teil. Häufig liefern deutsche Firmen in Krisengebieten an alle beteiligten Konfliktparteien - das war zum Beispiel im Krieg zwischen dem Iran und dem Irak der Fall, der dadurch viele Jahre dauerte und Hunderttausende Opfer gekostet hat. Ob in der Türkei, Pakistan, Indien, China, Georgien oder Ägypten, Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten - mit deutschen Waffen wird weltweit geschossen und gemordet. Auf der Gästeliste der Kriegskonferenz stehen unter anderem Europas größter Kriegswaffenproduzent EADS, die Siemens AG, der Münchner Panzerbauer Kraus-Maffei-Wegmann, Diehl & Co, Rohde & Schwarz, Rheinmetall bis hin zum weltweit größten Luft- und Raumfahrtkonzern Boeing.

Politik, Militär und Wirtschaft Hand in Hand

Auch die Finanzierung der Konferenz unterstreicht die zivil-militärische Zusammenarbeit von Politik, Militär und Wirtschaft: Im Jahr 2007 wurde die Konferenz mit 323.000 Euro vom Bundespresseamt und mit rund 520.000 Euro aus dem Etat des Verteidigungsministeriums finanziert. Dabei kommt es auch seit Jahren zu einem bislang noch verfassungswidrigen Einsatz der Bundeswehr im Inneren: Allein 90 Soldaten übernehmen am SiKo-Wochenende das Hausrecht im Bayerischen Hof, weitere 310 Bundeswehrkräfte sichern das Umfeld des Tagungsortes, den Flughafen und die Hotels der Konferenzteilnehmer. Für weitere Kosten der Kriegskonferenz kommen Sponsoren aus der Rüstungsindustrie auf.

Seit 1962 werden auf der "Münchner Sicherheitskonferenz" die politischen und strategischen Koordinaten der nächsten Kriege ausgehandelt, geplant und vorbereitet. Auf der früheren "Wehrkundetagung" wurde in den Jahren des "Kalten Krieges" die Neutronenbombe propagandistisch durchgesetzt genauso wie die NATO-Nachrüstung 1983, der atomare Erstschlag und die aktuellen militärstrategischen Sicherheitskonzepte, die Präventivschläge wie weltweite Einsätze als dauerhafte militärische Krisenkontrolle vorsehen. Allein in den letzten Jahren wurden in München der zweite Golfkrieg (1991), der völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999, der "Krieg gegen den Terror" in Afghanistan seit 2001 und im Irak seit 2003 ausgehandelt. In diesem Jahr dürfte kurz vor dem NATO-Gipfel insbesondere eine neue Aufgabenverteilung in Afghanistan auf der Tagesordnung stehen: Die neue Rolle, die Ischinger für Deutschland dabei vorschwebt, wird zu einer weiteren Ausweitung des Kriegseinsatzes am Hindukusch und in anderen Regionen der Welt führen.

Der Skandal um die Verstrickung der deutschen Bundesregierung und des aktuellen Außenministers in das weltweite System der Folterflüge zeigt: Die DemonstrantInnen haben bei den Protesten gegen die "Sicherheitskonferenz" in München völlig zu Recht den früheren US-Verteidigungsminister als "Massenmörder" und "Folterer" bezeichnet - dafür wurden Dutzende von der Polizei geschlagen und verhaftet. Heute muss sogar der US-Senat eingestehen, dass Donald Rumsfeld für die systematische Folter in den weltweiten Gefängnissen der USA und der NATO von Afghanistan bis Guantanamo verantwortlich gewesen ist.

Die staatlichen Behörden und die Münchner Polizei hatten für die besseren Argumente immer nur Verbote, Schlagstöcke, Pfefferspray und Massenfestnahmen als Antwort. Das konnte den notwendigen Widerstand gegen die globale Kriegspolitik aber nicht verhindern. So haben die Proteste gegen die SiKo seit 2001 kontinuierlich zu einem Verständnis der Zusammenhänge beigetragen: Die kapitalistische Globalisierung führt zu einer zunehmenden Militarisierung der Gesellschaften nach innen und außen und zur globalen Kriegspolitik der NATO-Staaten. Oder wie es der letzte SiKo-Leiter Horst Teltschik formulierte: "Was das Weltwirtschaftsforum in Davos für die Spitzenvertreter der internationalen Wirtschaft ist, ist die Sicherheitskonferenz in München für die Repräsentanten der strategischen Gemeinschaft."

kp

Infos zu den Protesten in München: www.sicherheitskonferenz.de und www.no-nato.de