Atta Mills wird Ghanas Ölscheich
Machtwechsel an der Goldküste kurz vor dem Beginn der Förderung des schwarzen Goldes
Es waren die engsten Wahlen Ghanas aller Zeiten: Im zweiten Wahlgang am 28. Dezember 2008 überrundete John Evans Atta Mills vom sozialdemokratischen Nationalen Demokratischen Kongress (NDC) den in der ersten Runde führenden Nana Akufo-Addo von der seit 2001 regierenden wirtschaftsliberalen Neuen Patriotischen Partei (NPP) um 0,46 Prozent. Erst die Nachwahl in Tain - im letzten der 230 Wahlkreise - am 2. Januar machte den Machtwechsel endgültig komplett. Zusätzlich aufgewertet wurden die Präsidentschaftswahlen dieses Jahr, weil in die nächste Amtszeit der Beginn der Ölförderung fällt - voraussichtlich Ende 2010.
Atta Mills steht vor der schwierigen Aufgabe, dafür zu sorgen, dass aus dem erhofften Ölsegen kein Fluch wird - wie es nicht wenige afrikanische Länder vorexerzierten. "Erzählen sie den Leuten in ihrem Land die Wahrheit über Ghana." Eine ältere Frau mischt sich freundlich, aber bestimmt in ein Gespräch über die Situation im Lande angesichts der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen ein. "Ghana ist das ressourcenreichste Land Westafrikas - Gold, Kakao, Edelhölzer, Fisch", zählt sie auf, "und die Bevölkerung ist dennoch bitterarm". Strom- und Wasserversorgung sowie das Bildungssystem seien absolut mangelhaft, schimpft sie. In Afrika würden unter Protektion des Westens afrikanische Eliten AfrikanerInnen ausbeuten. Das sei die bittere, wahre Geschichte.
Ghana ist tatsächlich ressourcenreich, zu allem Überfluss wurden 2007 auch noch reichhaltige Ölvorkommen vor der Küste entdeckt. Andererseits sind Stromausfälle vielerorts nahezu an der Tagesordnung, vor allem in der immer weiter expandierenden Hauptstadt Accra. Fließend Wasser ist für viele EinwohnerInnen ein Wunschtraum. Und die trotz Schulpflicht und Gebührenfreiheit unzähligen Straßenkinder, die sich Schuluniform und Büchergeld nicht leisten können, unterstreichen Ghanas Status als Entwicklungsland. Allein in der Hauptstadt Accra schätzt das UNO-Kinderhilfswerk UNICEF die Zahl der Straßenkinder auf 30.000.
Hoffen auf den Segen der Ölmilliarden
Seit Mitte 2007 vor der Küste Ghanas das größte Ölfeld Westafrikas entdeckt wurde, schießen die Fantasien ins Kraut, was mit den ab Ende 2010 zu erwartenden Öleinnahmen alles Segensreiches geschaffen werden könnte. Die Bandbreite der Schätzungen reicht von 200 Mio. bis zu fünf Milliarden US-Dollar jährlich, die durch die Ölförderung direkt und indirekt in die ghanaische Volkswirtschaft gepumpt werden könnten.
Allein die extremen Schwankungen des Ölpreises im Jahr 2008 - von 40 bis zu 147 US-Dollar pro Barrel - zeigen, dass jede Rechnung mit Öl eine mit vielen Unbekannten ist. Eins ist aber klar: Der Run auf den Zugriff auf die Petrodollars hat spätestens mit dem heiß umkämpften Wahlkampf 2008 begonnen.
Am weitesten wagte sich Nana Akufo-Addo von der NPP vor. Er rechnet mit 15 Milliarden US-Dollar Zusatzeinnahmen in den kommenden fünf Jahren und gab im Wahlkampf die waghalsige Prognose ab, dass Ghana innerhalb einer Generation das Niveau der ersten Welt erreichen könne. Das fängt statistisch bei einem Pro-Kopf-Jahreseinkommen von mehr als 10.000 US-Dollar an - Ghana dümpelt derzeit bei rund 600 Dollar. "Einige Menschen sehen Dinge, wie sie sind, und fragen sich, warum? Ich sehe Dinge, wie sie sein könnten, und frage, warum nicht?", nahm er im Wahlkampf eine Anleihe beim 1968 ermordeten US-Politiker Robert Kennedy und warf dem NDC Kulturpessimismus vor, mit dem das Land über die Steinzeit nicht hinausgekommen wäre.
Zu mehr als einem Wahlsieg in der ersten Runde am 7. Dezember reichte es für Akufo-Addo mit seinem Optimismus freilich nicht. Mit 49,13 Prozent scheiterte der 64-jährige Rechtsanwalt knapp an der 50-Prozent-Hürde. Dennoch war klar, dass die zweite Runde kein Selbstläufer für Akufo-Addo werden würde. Zum einen hatte sein Konkurrent John Evans Atta Mills 47,92 Prozent der Stimmen erhalten, zum anderen gaben die Parlamentswahlen einen Fingerzeig in Richtung Machtwechsel. Das beflügelte Atta Mills sichtlich: "Wir haben in sieben der zehn Regionen die Parlamentswahlen gewonnen und brauchen nur noch einen Sieg in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen, um den Machtwechsel komplett zu machen", lautete seine Argumentation vor der Stichwahl. In der Tat hatte die NPP 21 Parlamentssitze verloren, der NDC 20 gewonnen. Damit wird der NDC zum ersten Mal seit 2000 wieder die meisten Sitze im 230 Sitze umfassenden Parlament innehaben, doch die 114 Sitze reichen ebenso wenig wie die 107 der NPP für eine eigene Mehrheit.
Dennoch zeigten sich nach der ersten Runde viele GhanaerInnen überzeugt, dass eine Mehrheit sich nun für den NDC entscheiden würde, um zu vermeiden, dass der künftige Präsident gegen das Parlament regieren müsse. Dafür sprach auch die generelle Harmoniebedürftigkeit und Friedfertigkeit der GhanaerInnen. Nicht wenige äußerten vor dem ersten Wahlgang, das Wichtigste sei, dass es bei einer friedlichen Runde bliebe - Hauptsache kein zweiter Wahlgang mit harten Bandagen und auf keinen Fall Unruhen wie im Frühjahr in Kenia, wo weit über 1.000 Menschen nach umstrittenen Wahlen ihr Leben verloren.
Eine Tendenz zum Wandel war in der Hauptstadt Accra und auch in Cape Coast - der Hauptstadt während des Sklavenhandels - auszumachen: "Wir brauchen einen Wechsel." Das kam einem mal mit und mal ohne Bezug auf die USA und Obama häufig zu Gehör. Gewalt gab es jenseits von Einschüchterungen rund um manche Wahllokale nicht, womit das Land seine Rolle als demokratischer Musterknabe des Kontinents unterstrich.
Verbal wurde indes kräftig ausgeteilt: Die NPP warf dem NDC vor, Killer aus dem Ausland eingeflogen zu haben, die Jagd auf prominente NPP-AnhängerInnen machen sollen. Dabei ging es weniger um einen realen Hintergrund als vielmehr um die Diskreditierung des NDC, dessen Vorläufer PNDC von 1981 bis 1992 unter Jerry John Rawlings als Militärregierung dem Land vorstand. Atta Mills war von 1997 bis 2000 nach der zweiten demokratischen Wahl von Rawlings dessen Stellvertreter und gilt manchen als dessen verlängerter Arm. Rawlings ist nach wie vor ein politischer Faktor, äußert sich oft öffentlich, macht Wahlkampf und polarisiert die Gesellschaft. Es gibt GhanaerInnen, die NPP wählen, weil sie auf keinen Fall mehr Rawlings in Machtnähe haben wollen. Dort ist er dennoch wieder angekommen.
Zwar gab es einen Wahlkampf mit Haken und Ösen, dennoch wurden beide Wahlgänge von allen unabhängigen Wahlbeobachtergruppen als frei und fair eingestuft - prinzipiell zurecht. Doch wunderte sich auch der Präsidentschaftskandidat einer Splitterpartei, dass er in seinem eigenen Wahllokal, in dem er nebst Familie und Freunden seine Stimme abgab, im offiziellen Ergebnis bei null Stimmen landete. Auch Berichte über Registrierungen von Minderjährigen hörte man immer wieder. Laut Zensus rechnete die Wahlkommission mit 600.000 Neuregistrierungen von GhanaerInnen, die seit 2004 volljährig geworden sind - neu registriert wurden mit 1,8 Millionen schließlich drei Mal so viele. Ein fehlendes, verlässliches Personenregister mit gesicherten Angaben über Geburtsdatum und Nationalität gibt reichlich Spielraum für Manipulationen, über deren Ausmaß letztlich aber nur spekuliert werden kann.
Wahlkampf mit Haken und Ösen
Im Zweifel dürften sich die NPP und der NDC auch beim "Foul Play" nicht viel geschenkt haben. Und die Regierungspartei dürfte aus ihrer Machtposition heraus mehr Möglichkeiten zum Wahlbetrug als die Opposition gehabt haben, so dass sich die NPP und vor allem Akufo-Addo als schlechte Verlierer zeigten, als sie angesichts der sich abzeichnenden Niederlage gar zum Wahlboykott bei der Nachwahl in Tain aufriefen und nicht gewillt waren, die Niederlage einzugestehen.
Erst nachdem die Wahlkommission unter ihrem Vorsitzenden Kwado Afari-Gyan am 3. Januar verkündete, dass unter Berücksichtigung der Wahlbetrugsvorwürfe beider Seiten "kein ausreichender Beleg für eine Ungültigkeit des Ergebnisses" gefunden worden wäre, konzedierte Akufo-Addo seine Niederlage und gratulierte Atta Mills.
Der Frust ist freilich groß, denn gerade mal 40.000 Stimmen Unterschied bei neun Millionen gültigen Stimmen zeigen, wie eng das Rennen war. Doch auch die anhängigen Untersuchungen zu eventuellen Wahlbetrugsfällen, auf die die NPP besteht, werden nichts mehr daran ändern, dass der 64-jährige Jurist John Evans Atta Mills in die Fußstapfen von John Agyekum Kufuor tritt, der die letzten acht Jahre regiert hat.
Auf den ersten Blick mit großem Erfolg: Seit die NPP 2001 das Ruder übernahm, gab es beträchtliche Wachstumsraten von zuletzt regelmäßig über sechs Prozent. Das wachsende Autoheer in den verstopften Städten zeigt, dass der Wohlstand Teile der oberen Mittelschicht erreicht hat. Mehr aber auch nicht. Die permanent steigenden Lebenshaltungskosten, die durch die globalen Nahrungs- und Ölhöchstpreise in der ersten Jahreshälfte weiter befeuert wurden haben - wie auch die Stromausfälle - den Verdruss in weiten Teilen der Bevölkerung steigen lassen. So lautete die Parole des bekennenden Sozialdemokraten Atta Mills ganz gezielt "Wohlstand für alle, nicht nur für wenige".
Die Gegenwart besteht für die Mehrheit der 24 Mio. GhanaerInnen im täglichen Kampf um eine echte Mahlzeit. "Ich stehe jeden Morgen um drei Uhr auf, bade das Baby, kümmere mich um das Kleinkind und den Haushalt, so dass ich um sechs Uhr meinen Laden öffnen kann. Oft bis abends um neun bin ich dort beschäftigt. Trotzdem komme ich auf keinen grünen Zweig", schildert Monica ihren Alltag. Ihr Laden ist ein kleiner Container. Monicas Hauptgeschäft ist es, Mobiltelefone aufzuladen. Der Kunde nennt die gewünschte Aufladungssumme und seine Mobilnummer, Monica leitet die Daten per SMS weiter und kassiert das Geld, der Kunde hat wieder ein Guthaben auf dem Konto. Außerdem bietet Monica Kleinigkeiten zum Essen und Trinken an. "So viel ich auch arbeite, es fehlt immer an Geld, es reicht gerade mal für eine richtige Mahlzeit am Tag", erzählt Monica. Dabei gehört sie mit ihrem kleinen Shop sicher nicht zu den Ärmsten der Armen.
Atta Mills hat sich die Armutsbekämpfung offensiv auf die Fahnen geschrieben, während die NPP immer auf den Trickle-down-Effekt gesetzt hat, der postuliert, dass wirtschaftliches Wachstum über kurz oder lang nach unten durchsickert. Die Ölmilliarden geben Atta Mills sicher zusätzlichen Spielraum, viel mehr aber nicht. Nach bisherigen Testergebnissen umfasst das Feld 1,8 Milliarden Barrel (ein Barrel = 159 Liter). Zum Vergleich: Nigerias Vorkommen werden auf bis zu 35 Milliarden Barrel geschätzt. Das Land hat mit 140 Mio. rund sechs Mal so viele EinwohnerInnen wie Ghana und gilt wie Angola als Paradebeispiel für das Ressourcenparadoxon. Das beschreibt schlicht, dass ausgerechnet die Länder mit großen Vorkommen an Rohstoffen in der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung häufig besonders schlecht abschneiden.
Der tägliche Kampf um eine Mahlzeit
Ghana will diesem Ressourcenfluch entgehen. Die ghanaische Ölgesellschaft GNPC geht davon aus, dass das internationale Ölkonsortium bald nach Aufnahme der Förderung mit täglichen Einnahmen von drei Mio. US-Dollar rechnen kann. Die GNPC selbst ist gerade mal mit zehn Prozent am Gewinn beteiligt, die amtierende Regierung rechnet künftig mit einer Milliarde US-Dollar pro Jahr - das ist weniger, als das Musterland Ghana zuletzt an Entwicklungshilfe erhalten hat. Sie hat sich in den vergangenen vier Jahren auf rund 1,3 Milliarden US-Dollar per annum mehr als verdoppelt. Ohne diese externen Kapitalspritzen wäre das Wachstum auf Pump angesichts eklatanter Löcher im Haushalt und der Handels- und Leistungsbilanz in den letzten Jahren undenkbar gewesen.
Eine nachhaltige gesamtwirtschaftliche Strategie ist das sicher nicht. Immerhin hat die amtierende Regierung von John Agyekum Kufuor einen Masterplan in Auftrag gegeben, der die Verwendung der Einnahmen und die Kontrolle des Sektors vorsieht. Zur Seite stand Kufuor mit Farouk Al Kasim ein Experte für Öl-Management der norwegischen Regierung. Norwegen gilt mit seinem Erdöl-Zukunftsfonds als leuchtendes Beispiel, wie Rohstofferlöse sinnvoll für eine Gesellschaft genutzt werden können. Ghana muss diesen Beweis erst noch antreten - nun mit Atta Mills als Ölscheich an der Spitze. Ghanas relativ stabile Demokratie, eine rege Zivilgesellschaft und freie Medien, die Missbrauch nicht stillschweigend dulden werden, geben Anlass für zurückhaltenden Optimismus.
Martin Ling