Blau machen
Ein Zwischenresümee zu Klassenpolitik und Sozialstaatskritik
Die Gruppe Blauer Montag aus Hamburg hat wie kaum ein anderer politischer Zusammenhang die Debatte um Möglichkeiten radikaler sozialpolitischer Intervention geprägt - seit über 15 Jahren auf hohem Niveau. Seit Anfang der 1990er hat sie eine Perspektive stark gemacht, die sie als Klassenpolitik bezeichnet. In einem Sammelband zieht sie nun Zwischenbilanz. Der Band ist weit mehr als ein paar gesammelte Aufsätze, nämlich eine politische Herausforderung, weiter die richtigen Fragen zu stellen und Antworten dort offen zu lassen, wo nach wie vor Ratlosigkeit herrscht.
Der Band "Risse im Putz" ist vor allem eines: ehrlich. Nicht nur, dass das Kollektiv zugibt, vom Verlag etwas gedrängt worden zu sein, ein vorläufiges schriftliches Fazit in Form eines Buches zu ziehen. Benannt wird auch, dass die Gruppe oft weit weniger stringent und kollektiv agiert und diskutiert, als es den Anschein hat. Aber vor allem wird die eigene Ratlosigkeit nach jahrelangen Diskussionen, Gehversuchen und Interventionen benannt.
Aber dabei bleibt der Blaue Montag nicht stehen, vielmehr werden eigene Erfahrungen geschildert und das Stochern im Nebel diskussionsfähig gemacht. Vor diesem Hintergrund formuliert die Gruppe auch eines der zentralen Anliegen ihres Buches, das sie verstanden wissen wollen als "Angebot wie Aufforderung zur gemeinsamen Diskussion mit den unterschiedlichsten Szenen und kulturellen Milieus der radikalen Linken".
Elf bereits in der einen oder anderen Form veröffentlichte Texte wurden Einleitungen vorangestellt, die sie in die jeweilige Zeit und Debatten einordnen. Ein abschließender und für das Buch neu geschriebener Text kommt nochmals auf eines der Themen zurück, die dem Blauen Montag immer wichtig war: den Zusammenhang der sich verändernden Bedingungen von Lohnarbeit innerhalb der Fabrik und prekärer Beschäftigung im Rahmen scheinbar selbstständiger Arbeit zu denken. Die Schwierigkeit besteht ja gerade darin, nicht trotz, sondern wegen der unterschiedlichen Erfahrungen ein politisches Projekt und eine emanzipatorische Perspektive zu entwickeln. Hier bewegen sie sich ganz in der Tradition von E. P. Thompson.
Ein ehrliches Buch mit Gebrauchswert
Der Band sammelt Texte zu zwei Themensträngen: zum einen Analysen und Einschätzungen zur Frage, wie in den letzten Jahren die Unterwerfung der Arbeit unter das Kapital konkret organisiert wird. Dieser Strang gruppiert sich um den Begriff der Prekarisierung und Prekarität. Dass selbst ältere Texte nach wie vor hoch aktuell und lesenswert sind, zeigt deutlich, wie früh die Gruppe zentrale Fragen aufgeworfen und Entwicklungen benannt hat. Ausbeutung und Herrschaft sind für den Blauen Montag ohne sozialstaatliche Regulierung nicht denkbar.
Die daran anschließende Staatskritik bildet den zweiten thematischen Strang des Buches. Es sei die Art und Weise zu kritisieren, "wie die kapitalistische Ausbeutung durch sozialstaatliche Mechanismen reguliert wird, wie Menschen nach ihrer Verwertbarkeit sortiert werden, wie die Unterwerfung unter die Arbeit immer wieder erzwungen und die Existenzsicherung ohne Arbeit systematisch bekämpft wird". Im Gegensatz zu keynesianistisch-etatistischen Regulierungssehnsüchten vieler Linker unterstreicht die Gruppe somit die Notwendigkeit der Staatskritik. Ein gutes Gegengift in Zeiten, in denen die politische Fantasie meist zu nicht mehr als dem Wunsch nach mehr Staat reicht.
Die kritische Analyse des Blauen Montags hat nicht selten die Ansichten und Praxis der radikalen Linken selbst zum Gegenstand (Existenzgeld, Euromayday, Umsonst-Kampagnen etc.). Aber immer in solidarischer Absicht. Ganz im Gegenteil zur kommentierenden Linken weiß die Gruppe um die Schwierigkeiten, die im Handgemenge entstehen, und um die Widersprüche, die manchmal auszuhalten und auszutragen sind. Das gilt besonders dann, wenn eben nichts los ist. Das unterscheidet den Blauen Montag erfrischend von operaistischen Gruppen, die immer auf die irgendwo kämpfenden Massen verweisen, anstatt die eigentliche Frage zu beantworten: Was bedeutet es für eine radikale Linke, wenn sich nichts bewegt?
Die Auswahl und das Arrangement der Texte sind ohne Abstriche sehr gut. Leider reicht die Einbettung der Texte in Form der Einleitungen nicht an das Niveau der Texte heran. So wird zwar deutlich, vor welchen stadt- und lokalpolitischen Auseinandersetzungen bestimmte Texte entstanden sind, allgemeinere Ausführungen kommen aber etwas kurz. So werden die Einleitungen dem nicht-sektiererischen Anspruch nicht unbedingt gerecht. Das Buch ist für eine radikale Linke geschrieben, die seit über zehn Jahren die Debatte verfolgt. Viele Ereignisse, politische Gruppen etc. hätten kurz erläutert werden sollen.
(Leider keine) Geschichte linksradikaler Klassenpolitik
Auch die Verallgemeinerungen bestimmter Erfahrungen sind fraglich und hätten reflektiert werden müssen - so etwa die in Hamburg einmalige Relevanz der Jobberbewegung, die bis weit in die 1990er Jahre Auswirkungen auf die Bedingungen radikaler Opposition im Feld der Sozialpolitik hatte. Das mag an einzelnen Individuen gelegen haben, an kollektiven Erfahrungen, an Strukturen und dem verschobenen Kampfterrain, das bereits Zugeständnisse beinhaltete. Ein paar Zeilen, die die Texte in ihrem Geltungsanspruch einschränken, wären sicherlich erhellend gewesen.
Mit ein paar Ausführungen mehr wäre das Buch nicht nur eine Sammlung sehr guter und politisch nach wie vor anregender Texte, sondern für viele junge Linke auch eine sehr lesenswerte kurze Geschichte linksradikaler Klassenpolitik. Dass diese Aspekte nicht ausreichend in die Reflexionen eingeflossen sind, ist zwar bedauerlich, mag aber auch daran liegen, dass der Blaue Montag das Buch mit einem beschränkten zeitlichen Aufwand erstellen konnte und wollte. Aber auch das ist in der Einleitung zu lesen. Insoweit: Ein ehrliches Buch, das sich in jedem Fall zu diskutieren lohnt.
Ingo Stützle
Gruppe Blauer Montag: Risse im Putz. Autonomie, Prekarisierung und autoritärer Sozialstaat. Assoziation A, Berlin/Hamburg 2008. 192 Seiten, 14 Euro