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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 535 / 16.1.2009

Den offiziellen Prozess delegitimieren!

Thesen zum Klimagipfel in Kopenhagen

Der "Klimawandel", von uns verstanden nicht nur als die im Zuge der Erhöhung der Atmosphärentemperatur ablaufenden geophysikalischen und biologischen Prozesse, sondern auch als die Gesamtheit der Anpassungsstrategien, die von den politischen Eliten angedacht und ins Werk gesetzt werden, ist im vollen Gange. Mit folgenden Thesen möchten wir einen Beitrag zu Positionsbestimmungen, auch im Hinblick auf den Klimagipfel Ende 2009 in Kopenhagen, leisten. Der Text basiert auf Diskussionen, die am Klimacamp beteiligte Gruppen auf dem letzten bundesweiten Vorbereitungstreffen für die Kopenhagenmobilisierung geführt haben.

Der Klimawandel ist menschengemacht, sein Ort ist nicht der schmelzende Gletscher, sondern die kapitalistische Warenproduktion. Er zieht bereits heute gravierende Veränderungen der globalen Ökosysteme und damit fundamentale Umwälzungen der menschlichen Lebensbedingungen nach sich. Eine Folge davon ist, dass es zu einer erheblichen Zuspitzung bestehender sozialer Verhältnisse und Gegensätze kommt bzw. noch kommen wird. Der Prozess des "Klimawandels" setzt neue materielle und immaterielle Rahmenbedingungen für soziale Kämpfe. Diese Rahmenbedingungen könnten sich in vielen Regionen so drastisch verschlechtern, dass bestimmte Überlebensstrategien hinfällig werden bzw. neue Konfrontationen erzeugt werden.

Die Kluft zwischen Rhetorik und Handlung

Der "Klimawandel" verstärkt bestehende Ungleichheiten des globalen Kapitalismus, er potenziert die negativen Folgen bestehender Ausbeutungsgefälle, kriegerischer Auseinandersetzungen, von Ressourcenplünderungen und des (Neo-)Kolonialismus. Die Konsequenzen des "Klimawandels" überschneiden sich mit der Absenkung sozialer Standards, Wasserknappheit und der Verteuerung von Nahrungsmitteln weltweit. Oder anders gesagt: Wer arm ist, hat wenig bis keine Chancen, dem Zangenangriff aus globalisiertem Lohndumping, ungleichen Handelsbeziehungen, Ressourcenplünderung, subventionierter industrieller Landwirtschaft und "Klimawandel" zu begegnen.

Auch wenn über die Genauigkeit von Prognosen zu den Auswirkungen der erhöhten Atmosphärentemperatur noch Unsicherheiten bestehen, ist bereits heute klar, dass die Folgen ohne eine schnelle Reduktion von Treibhausgasen unbeherrschbar sein werden. Dabei zeigt die Erfahrung, dass wissenschaftliche Prognosen bisher eher zu optimistisch waren, der reale Prozess auf Grund diverser Rückkopplungen wesentlich dynamischer abläuft als vorausgesagt. Soll nicht der Kollaps des Planeten riskiert werden, führt an einer drastischen Senkung der Treibhausgasemissionen kein Weg vorbei.

Neben der Bekämpfung der globalen Armut gibt es wohl kaum ein Politikfeld, in dem Rhetorik und Handlung so weit auseinander liegen, wie im Bereich des Klimaschutzes. Deutlich wird dies daran, dass das Kyoto-Protokoll im Hinblick auf eine Senkung der Treibhausgasemissionen bislang nichts gebracht hat. Einige Hauptverursacher wie die USA haben es nicht ratifiziert. Andere haben dies zwar getan, halten sich aber nicht an die eingegangenen Verpflichtungen. In wieder anderen Staaten, darunter auch Deutschland, sind Emissionsminderungen weniger einer effektiven Minderungspolitik als dem Zusammenbruch bestimmter Industriezweige zuzuschreiben. Hierbei zeigt sich somit, dass Vereinbarungen alleine nicht deren Umsetzung garantieren.

Auch die Zukunft lässt nichts Gutes erwarten. In Deutschland, selbst ernannter Klimameister der EU, werden Vorgaben der EU-Kommission zur Emissionsminderung mittlerweile mehr oder minder offen bekämpft oder hintertrieben. Die Bundesregierung will, dass Großemittenten wie Chemiefabriken, Stahl- und Zementwerke weiterhin kostenlos Emissionszertifikate erhalten. Stromintensive Industrien, die nach Meinung der Regierung im internationalen Wettbewerb stehen, sollen von Mehrkosten durch höhere Strompreise entlastet werden. Oder wie es der deutsche Umweltminister formuliert: "Wir sind uns längst einig, dass die Industrie, die energieintensiv wirtschaftet, von zusätzlichen Belastungen befreit bleibt." (SZ, 22.11.08)

Gleichzeitig gibt es weiterhin mächtige Lobby- und Interessengruppen, die selbst kleinste Schritte auf dem Weg zu einer Emissionsminderung ablehnen. Als Begründungen dienen der Erhalt der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, die Gefährdung von Arbeitsplätzen und neuerdings die Finanzkrise.

Es ist somit keineswegs ausgemacht, dass der bislang wirkungslose Kyoto-Prozess zu einer Absenkung der Treibhausgasemissionen führt. Es gibt zudem nicht wenige Protagonisten des fossilen Kapitalismus, denen ein Scheitern gerade Recht käme.

Die im Hinblick auf eine Emissionsreduzierung "progressiven" Eliten der Industriestaaten propagieren Lösungs- und Anpassungsstrategien, die letztlich nur High-Tech-Betriebe unter Einbindung der einigermaßen finanzkräftigen Bevölkerungsteile einbeziehen. Es geht um eine kapitalistische Modernisierung, darum, einen "grünen Kapitalismus" zu etablieren, der Exportweltmeisterschaft, technologischen Vorsprung und knallharten Wettbewerb nicht überwindet, sondern zementiert und erneuert. Der "Klimawandel" erscheint in dieser Lesart als Chance für einen neuen kapitalistischen Zyklus, der den Vorsprung klassischer Industriestaaten über die restriktive Nutzung bestimmter Innovationen absichern soll. (1)

Als Wunderwaffen gepriesen, haben die Kyoto-Mechanismen (Emissionshandel, Clean Development Mechanism - CDM, Joint Implementation) im Hinblick auf eine Emissionsreduzierung bislang keine Wirkung entfaltet. Sie bringen nichts, da keinerlei Bereitschaft besteht, die hochindustriellen Gesellschaften im Hinblick auf eine Emissionsminderung zu transformieren: auch die glänzendsten Küchengeräte füllen nicht den Magen. Das Münchhausen Prinzip des Kapitalismus, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen, funktioniert nicht.

Den Vorsprung klassischer Industriestaaten absichern

Im Hinblick auf die Profitmaximierung von Großemittenten war der Emissionshandel dagegen sehr erfolgreich, wenn z.B. große Energieversorgungsunternehmen mit kostenlos zugeteilten Zertifikaten einen Extra-Gewinn in Milliardenhöhe einstreichen konnten. Die Erwartung, dass der Markt für Emissionsrechte bis zum Jahr 2020 auf bis zu 2.000 Milliarden US-Dollar wachsen könnte, macht klar, worum es in Zukunft geht, nämlich einen neuen Investitionsraum für die Finanzbranche zu schaffen.

Das Instrument des CDM wiederum basiert darauf, dass die Reduktion von Treibhausgasemissionen außerhalb der Industriestaaten kostengünstiger zu haben ist als innerhalb. Voraussetzung ist somit die Existenz eines Technologie- und Wohlstandsgefälles, das ein billiges Erkaufen des eigenen "Weiter so" ermöglicht. Umgekehrt: eine Aufhebung dieses Gefälles würde dem CDM die Grundlage entziehen. Der CDM ist somit ebenso wie die von verschiedenen NGOs offerierten Ablasszahlungen für Flugreisen nichts anderes als Ausdruck der Strategie hochindustrieller Staaten, die bestehenden Ungleichheiten zu zementieren. Kurzum: Die Kyoto-Mechanismen sind Werkzeuge des (Finanz-)Kapitalismus und Neokolonialismus, nicht des Klimaschutzes.

Global kommt es zu einer gravierenden Umwälzung der Lebensverhältnisse, völlig unabhängig davon, wie schnell irgendwelche Maßnahmen zur Reduzierung von Treibhausgasen greifen. Der bereits bestehende Zusammenhang von Armut, ungünstigen Umweltbedingungen und Anfälligkeit für klimatische Extreme wie Überschwemmungen, Erdrutsche, Dürren oder Stürme, wird sich zukünftig noch weiter vertiefen. Insofern stellen Aussagen, wonach alle "irgendwie" vom "Klimawandel" betroffen sein werden, bestenfalls die halbe Wahrheit dar. Denn die Fähigkeit, die negativen Auswirkungen der Erderwärmung durch entsprechende Maßnahmen zu kompensieren, wird entscheidend von den finanziellen Möglichkeiten der jeweiligen Regionen und Menschen abhängen.

Fragen danach, was mit den Menschen geschehen soll, die nicht in der Lage sind, Anpassungsstrategien an die Veränderung ihrer Lebensbedingungen zu finanzieren, sind kein Thema in den hoch industrialisierten Gesellschaften. Gleichzeitig formulieren Geostrategen aus diversen Think-Tanks und transnationalen Organisationen ganz offen, dass weltweite Migrationsbewegungen zunehmend durch die vom Klimawandel verstärkten sozialen Verwerfungen beeinflusst werden. Sie entwerfen sicherheitspolitische Antworten und planen eine weitere Institutionalisierung humanitärer Elendsverwaltung.

Über die Grenzen der Legitimität des UNFCCC (United Nations Framework Convention on Climate Change, der institutionelle Rahmen, in welchem der Kopenhagener Gipfel stattfindet) lässt sich lange diskutieren, klar ist jedoch: Die Unterhändler der Industrieländer und die auf sie einwirkenden industriellen Lobbygruppen werden im Rahmen des Kyoto-Prozesses Rahmenbedingungen festzuschreiben versuchen, die Instrumente eines "grünen Kapitalismus" vorgeben. Insofern besteht die Möglichkeit, dass die UNFCCC letztlich zu nichts anderem wird, als zu einem globalen Ressourcenmanagement zur Verwaltung der Zerstörung, eine zentrale Regulationsinstanz für einen "Green New Deal".

Neuer Investitionsraum der Finanzbranche

Unabhängig von der jeweiligen Position zur Legitimität des UNFCCC im Gesamten gilt: Der Versuch der kapitalkräftigen industriellen Eliten sowie der Rohstoffkonzerne, den Prozess als Forum zur Durchsetzung ihrer Interessen zu nutzen, muss Gegenstand einer Delegitimierungsstrategie sein. Der Gipfel wird im Hinblick auf die Ziele einer Emissionsminderung, den Abbau von Ausbeutungsgefällen etc. nicht an den Verhinderungsaktionen von DemonstrantInnen und AktivistInnen scheitern, sondern er wird gescheitert sein, wenn sich die Eliten mit ihren Vorstellungen durchsetzen.

Aus (west-)europäischer Sicht ist festzustellen, dass die mediale Diskussion über Klimapolitik und Klimaschutz auf gesellschaftlicher Ebene nahezu keine Entsprechung findet. Eine engagierte und breite Diskussion darüber, wie gesellschaftliche Veränderungen aussehen müssen, um auf die Erwärmung der Erdatmosphäre und ihre Ursachen angemessen zu reagieren, ist nicht existent. Sofern als Thema überhaupt relevant, ist es tatsächlich so, dass die Hoffnungen auf technischen Innovationen ruhen in der Erwartung, dass ansonsten alles bleibt wie es ist. Eine schlagkräftige "linke" Klimabewegung mit Einfluss auf gesellschaftliche Diskussionen und Weichenstellungen jenseits kapitalistischer Modernisierung gibt es bislang nicht. Überlegungen, den Metadiskurs über "Klimawandel" auf lokaler Ebene kontinuierlich und aktionsmäßig zu verankern, stecken in den Kinderschuhen. "Klimawandel" ist in weiten Teilen der Linken kein Thema von praktischer Relevanz.

Die Mobilisierung nach Kopenhagen und die dortigen Aktionen müssen aus unserer Sicht Teil einer Strategie sein, diesen Zustand aufzubrechen. Ausgehend von unseren Positionen, wonach a) der "Klimawandel" nicht nur eine ökologisch-technologische sondern auch und vor allem eine Frage der Konfrontation mit den Grundlagen und Folgen des industriell-kapitalistischen Systems ist, b) eine Transformation der hochindustriellen Gesellschaften und schnell wirksame sowie drastische Maßnahmen zur Emissionsreduzierung unverzichtbar sind, c) der Ausbeutungs- und Wachstumszwang des Kapitalismus keine angemessene und wirksame Antwort zulässt, der "Klimawandel" somit nicht zum Ausgangspunkt für eine kapitalistische Modernisierungsstrategie werden darf, d) die Kyoto-Mechanismen Werkzeuge des (Finanz-)Kapitalismus und Neokolonialismus, aber nicht des Klimaschutzes sind, e) sicherheitspolitische Antworten auf klimabeeinflusste Migration und eine weitere Institutionalisierung der globalen Industrie der Elendsverwaltung verhindert werden müssen und in diesem Zusammenhang f) das Recht auf uneingeschränkte Bewegungsfreiheit auch Teil der politischen Agenda einer sich neu konstituierenden Klimabewegung sein muss, liegt eine wesentliche Bedeutung der Gipfelaktionen darin, die bestehende Aufmerksamkeit für eine möglichst wirkungsvolle Entfaltung und Darstellung der eigenen Positionen zu nutzen.

Anstatt sich in Debatten über die Legitimität des UNFCCC zu verzetteln und aus den jeweiligen Positionen den dann "einzig richtigen" Ansatz abzuleiten - wie z.B. die totale Blockade des Gipfels vs. Einschließung zur Erzwingung eines "positiven" Ergebnisses - erscheint es uns sinnvoller, zu überlegen, an welchen Stellen 1. die von uns unstrittig abgelehnten Teile des UNFCCC wirkungsvoll delegitimiert werden können, 2. die Konfrontation mit den ProtagonistInnen des "Weiter so" und der wirtschaftlichen Dominanz aussehen kann und wie 3. eine Einheit der AktivistInnen aus verschiedenen Ländern und Kontinenten hergestellt werden kann, so dass wir hinsichtlich unserer Vorstellungen und Ziele an einem Strang ziehen.

Vom Scheinprozess der Herrschenden emanzipieren

Hierbei müssen wir uns die Frage stellen, wie in Kopenhagen überhaupt etwas erreicht werden kann in unserem Sinne. Fraglich ist insbesondere, wie es uns angesichts der Ausmaße der Konferenz und des riesigen Begleitprogramms sowie der Einbindung diverser NGOs gelingen kann, die richtigen Fragen ins Rampenlicht zu stellen und andere Leute dafür zu interessieren. Delegitimation des offiziellen Prozesses hieße in diesem Zusammenhang auf jeden Fall internationale Bündnisse von Initiativen und Netzwerken etc. aufzubauen, die auf lokaler Ebene anfangen, die klimaschädlichen und profitträchtigen Mechanismus und Strukturen politisch anzugreifen und sich in diesem Kampf für "(Klima)Gerechtigkeit" vom Scheinprozess der Herrschenden emanzipieren. Denn letztlich erinnert die Hoffnung auf ein "positives Ergebnis" in Kopenhagen an das Kaninchen im Angesicht der Schlange. Im übrigen gilt (siehe Kyoto): ein "positives Ergebnis" garantiert noch längst nicht dessen Umsetzung - eben weil die mit nennenswerten Emissionsreduzierungen verbundenen Umwälzungen so immens wären.

Der o.g. Punkt der Einheit und Zusammenarbeit ist besonders wichtig, zeichnet sich doch auf der Ebene der Eliten und staatlichen Repräsentanten eine Frontstellung ab zwischen den VertreterInnen der Industriestaaten und der der Schwellenländer. Klar ist, dass es massive Versuche gibt, diese Frontstellung in die Gesellschaften hinein zu verankern, hier zu Lande nach dem Motto "Wenn China nicht mitmacht, brauchen wir auch nichts zu unternehmen".

Gleichzeitig werden diejenigen, die aus kapitalistischer Sicht nichts oder wenig in die Waagschale zu werfen haben, an die Wand gedrängt und marginalisiert. Dies gilt sowohl für die UNFCCC als auch auf nationaler und lokaler Ebene, wo die Interessen der GlobalisierungsverliererInnen, die gleichzeitig auch die Hauptbetroffenen des "Klimawandels" sind, nicht Gegenstand der politischen Strategien der jeweiligen Eliten sind.

Diese Fronstellungen darf der Protest gegen den Klimagipfel in Kopenhagen keinesfalls reproduzieren. Es muss darum gehen, im Vorfeld des Gipfels transnational und transkontinental gemeinsame Positionen zu den Erfordernissen einer Klimapolitik "von unten" zu entwickeln.

Antirassismusbüro Bremen (ARAB)

Anmerkung:

1) Wenn z.B. der Autokonzern VW bis zum Jahr 2018 zum weltweit ökonomisch und ökologisch führenden Autounternehmen werden will ("VW wächst grün", SZ, 22.11.08), geht es darum, ökologische Probleme nicht zu "lösen", sondern von ihnen zu profitieren. Dass sparsamere Autos keine Probleme lösen, liegt schon allein darin begründet, dass eine noch so deutliche Absenkung des Spritverbrauchs des einzelnen Kraftfahrzeugs durch den kapitalistischen Zwang, immer mehr Autos zu verkaufen, konterkariert wirkt. Die kapitalistische Wachstumslogik frisst den Effekt einzelner Maßnahmen zwangsläufig auf.