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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 535 / 16.1.2009

Das Aus­maß war auch für uns eine Über­ra­schung

Inter­view mit dem Netz­werk für Po­li­ti­sche und So­zia­le Rech­te

"Der fins­te­re Mord an Ale­xis führ­te zu der größ­ten Er­he­bung seit dem En­de der Jun­ta-Zeit 1974 ... In ihr kom­men der Druck, die Wut und der Hass ei­ner gan­zen Be­völ­ke­rungs­grup­pe (die ,Pre­kä­ren` nen­nen sie sie) zum Aus­druck". Die­se Stel­lung­nah­me stammt vom Netz­werk für Po­li­ti­sche und So­zia­le Rech­te un­mit­tel­bar nach Aus­bruch der Re­vol­te in Grie­chen­land. (1) Über die Hin­ter­grün­de und Fol­gen des Auf­stands in Grie­chen­land spra­chen wir mit Yan­nis Al­ba­nis, ei­nem Ak­ti­vis­ten des Netz­werks.

ak: Welche Rol­le hat das Netz­werk in den letz­ten Wo­chen ge­spielt?

Yan­nis Al­ba­nis: Das Netz­werk für Po­li­ti­sche und So­zia­le Rech­te ist eine Or­ga­ni­sa­tion der ra­di­ka­len Lin­ken mit star­ker li­ber­tä­rer und inter­na­tio­na­lis­ti­scher Aus­rich­tung. Seit 1988 wa­ren wir an fast al­len so­zia­len Pro­tes­ten be­tei­ligt, vor al­lem in den Be­rei­chen Anti­re­pres­sion, Anti­glo­ba­li­sie­rung, Anti­ras­sis­mus und inter­na­tio­na­le So­li­da­ri­tät. Das Netz­werk hat von Be­ginn an am Auf­stand teil­ge­nom­men. Es hat eine ent­schei­den­de Rol­le bei der Or­ga­ni­sie­rung der ers­ten Re­ak­tio­nen auf die Er­mor­dung von Ale­xis Gri­go­ro­pou­los ge­spielt und war eine der we­ni­gen Or­ga­ni­sa­tio­nen, die öf­fent­lich al­le mi­li­tan­ten Ak­tio­nen der Demons­tran­tIn­nen unter­stützt ha­ben. Aber ich muss be­to­nen, dass wir eine klei­ne Grup­pe sind und der Auf­stand so groß war, viel grö­ßer als unse­re Ka­pa­zi­tä­ten, viel grö­ßer als die Lin­ke ins­ge­samt, viel grö­ßer als ir­gend­et­was in unse­rer Vor­stel­lung. Des­we­gen war in Wirk­lich­keit je­de Grup­pe nur ein klei­ner Teil des gro­ßen Gan­zen.

Ob­wohl der Lin­ken in Grie­chen­land ein äu­ßerst mi­li­tan­ter Ruf vo­raus­eilt - vie­len Ak­ti­vis­tIn­nen aus Eu­ro­pa ist die unter­schied­li­che po­li­ti­sche Kul­tur noch vom Europäischen Sozialforum (ESF) in Athen be­kannt - er­staunt das Aus­maß der Mi­li­tanz nach dem Mord an Alex­an­dr­os Gri­go­ro­pou­los. Was kam da zu­sam­men?

Das Aus­maß des Auf­stands war auch für uns eine Über­ra­schung. Wir wa­ren uns na­tür­lich der so­zia­len Kri­se be­wusst, aber wir hat­ten nicht ver­stan­den, wie tief die Ver­zweif­lung und der Hass in­ner­halb der Ju­gend und in Tei­len der Ge­sell­schaft wa­ren. Kurz ge­sagt führ­ten fol­gen­de Fak­to­ren zum Auf­stand: 1) Die Wut über die kon­ti­nu­ier­li­che Po­li­zei­bru­ta­li­tät und den au­to­ri­tä­ren Po­li­zei­staat, der mo­men­tan in Grie­chen­land auf­ge­baut wird. 2) Die tie­fen so­zia­len Un­ge­rech­tig­kei­ten und die gro­ße Ar­mut, vor al­lem der Ju­gend. 3) Das Feh­len jeg­li­cher Hoff­nung und Per­spek­ti­ve nach 20 Jah­ren fal­scher neo­li­be­ra­ler Ver­spre­chun­gen. 4) Die kom­plet­te De­le­gi­ti­mie­rung der kor­rup­ten, un­fä­hi­gen und sehr kon­ser­va­ti­ven Re­gie­rung. 5) Der Ein­fluss von seit fast ei­nem Jahr­zehnt be­stehen­den ra­di­ka­len so­zia­len Be­we­gun­gen, die eine star­ke Ra­di­ka­li­sie­rung be­wirkt ha­ben.

Wer war eigent­lich auf der Stra­ße? Nach all­dem, was man hier er­fah­ren hat, wa­ren das nicht nur "An­ar­chis­ten" und "Ran­da­lie­rer".

Es war ein wirk­li­cher Auf­stand, nicht nur Kra­wal­le. Die An­ar­chis­tIn­nen wa­ren die Pro­ta­go­nis­tIn­nen der Kra­wal­le. Aber was die Kra­wal­le in ei­nen wirk­li­chen Auf­stand ver­wan­del­te, war die ak­ti­ve Be­tei­li­gung von Schü­le­rIn­nen und der Ju­gend in ganz Grie­chen­land. Wir hat­ten Dut­zen­de von Schü­ler­demons­tra­tio­nen zu Po­li­zei­sta­tio­nen, die in der Zer­stö­rung von Po­li­zei­wa­gen und dem Stein­ewer­fen auf Po­li­zis­tIn­nen en­de­te. Es war nicht nur eine po­li­ti­sche Avant­gar­de, son­dern ein be­deu­ten­der Teil der Ge­sell­schaft, der be­tei­ligt war.

In hie­si­gen Zei­tun­gen war zu le­sen, im Unter­schied z.B. zu Frank­reich seien die Ju­gend­li­chen aus der Mit­tel­schicht, die sich in gro­ßem Ma­ße am Auf­stand be­tei­ligt ha­ben, noch nicht von Ju­gend­arbeits­lo­sig­keit bzw. Per­spek­tiv­lo­sig­keit be­trof­fen. Stimmt das und wenn ja: Wie er­klärst du de­ren Be­tei­li­gung an der Re­vol­te?

Die Zei­tun­gen lie­gen falsch. Ei­nes der Mo­ti­ve des Auf­stan­des ist ge­nau das Feh­len von Hoff­nung und Per­spek­ti­ve für die Ju­gend. Es ist die gro­ße Pre­ka­ri­sie­rung und Arbeits­lo­sig­keit, die Ver­zweif­lung her­vor­ruft. Es ist der Um­stand, nach jah­re­lan­gem Stu­dium ei­nen Scheiß­job zu ha­ben. Unser Land wur­de frü­her die Klein­bür­ger­de­mo­kra­tie ge­nannt. Jetzt ist der Klein­bür­ger­traum auf­grund des Neo­li­be­ra­lis­mus und der Kri­se zu­sam­men­ge­bro­chen.

Wie ha­ben sich die ver­schie­de­nen Lin­ken zur Re­vol­te po­si­tio­niert, und wie ge­stal­tet sich aus dei­ner Sicht ihr Ver­hält­nis unter­ei­nan­der?

Die Si­tu­a­tion ist kom­pli­zier­ter als in Deutsch­land. Zu­nächst ein­mal glau­ben die An­ar­chis­tIn­nen (ein po­li­ti­scher Zu­sam­men­hang, der in Deutsch­land mehr mit den Auto­no­men zu ver­glei­chen ist) nicht, dass sie der Lin­ken an­ge­hö­ren. Neben­bei be­merkt, sind die Gren­zen zwi­schen au­ßer­par­la­men­ta­ri­scher Lin­ken und der Lin­ken, die auch auf par­la­men­ta­ri­scher Ebe­ne inter­ve­nie­ren will, nicht so ein­deu­tig, weil es mit der Ko­ali­tion der Ra­di­ka­len Lin­ken SY­RI­ZA einen Wahl­zu­sam­men­schluss ver­schie­de­ner links­ra­di­ka­ler Grup­pen und der Syn­aspis­mos (Eu­ro­päi­sche Links­par­tei) gibt. Aber was ein ein­schnei­den­des Er­eig­nis war, war der Bruch der Be­we­gung mit der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei KKE, der größ­ten lin­ken Par­tei, und den Ge­werk­schaf­ten. Die KKE hat eine in­di­rek­te Ad-hoc-Ko­ali­tion mit der rech­ten Re­gie­rung ge­bil­det und den Auf­stand ver­ur­teilt ("Die­je­ni­gen, die ran­da­lie­ren sind Pro­vo­ka­teu­re"). Sie hat au­ßer­dem SY­RI­ZA ver­ur­teilt, die die An­ar­chis­tIn­nen und den Auf­stand unter­stützt. Die Ge­werk­schaf­ten ha­ben nichts ge­tan, um den Auf­stand zu unter­stüt­zen, und eine der be­deu­tends­ten Ak­tio­nen der Auf­stän­di­schen war die fünf­tä­gi­ge Be­set­zung der Zen­tra­le des grie­chi­schen Ge­werk­schafts­bun­des GSEE.

Nach den Aus­ei­nan­der­set­zun­gen im De­zem­ber ist es ru­hi­ger ge­wor­den. Hat das mit den Feier­ta­gen zu tun, oder hat sich die Be­we­gung tot­ge­lau­fen?

Es gab nor­ma­le Er­mü­dungs­er­schei­nun­gen (wir hat­ten ei­nen gan­zen Mo­nat lang kon­stant Ak­tio­nen), aber die Be­we­gung ist im­mer noch da. Am 9. Ja­nu­ar hat­ten wir die ers­ten Stu­den­tIn­nen- und Schü­le­rIn­nen­demons­tra­tio­nen, die sehr groß wa­ren trotz des Kli­mas des Ter­rors, wel­ches Re­gie­rung und Mas­sen­me­dien nach der Er­schie­ßung ei­nes Po­li­zis­ten zu er­zeu­gen ver­such­ten.

Wird es der Be­we­gung ge­lin­gen, po­li­tisch aus den Er­eig­nis­sen im De­zem­ber Ka­pi­tal zu schla­gen?

Ich den­ke die neue Ra­di­ka­li­sie­rung hat tie­fe so­zia­le Wur­zeln, die mit der öko­no­mi­schen Kri­se und der so­zia­len Ver­zweif­lung ver­bun­den sind. Des­we­gen wird es in­te­res­sant sein zu se­hen, was die Zu­kunft bringt.

Über­set­zung aus dem Eng­li­schen: Phi­lipp Do­res­tal

An­mer­kung:

Die Er­klä­rung ist u.a. auf der Web­site von Li­ber­tad! zu fin­den: www.li­ber­tad.de