Aufgeblättert
Wiedergutmachung
Auf wenig sind die RepräsentantInnen der deutschen Nachkriegsdemokratie so stolz wie auf die Politik der "Wiedergutmachung" nationalsozialistischen Unrechts. Von Adenauer gegen mancherlei Widerstände durchgesetzt, habe sie der Bundesrepublik den Weg in die "Staatengemeinschaft" geebnet - teuer, aber effektiv. Dass die BRD nicht nur politisch profitierte, sondern im wahrsten Sinne des Wortes mehr als billig davon gekommen ist, zeigt der israelische Journalist Raul Teitelbaum, geboren 1931, der die Schoah im KZ Bergen-Belsen überlebte. In seinem akribisch recherchierten Buch "Die biologische Lösung. Wie die Schoah ,wiedergutgemacht` wurde" kommt er zu dem bestürzenden Ergebnis, dass etwa zwei Drittel der Schoah-Überlebenden "nie in irgendeiner Form entschädigt" wurden. Das übrige Drittel wurde mit symbolischen Beträgen abgespeist - nach dem Entschädigungsgesetz von 1953 erhielten sie 5 DM pro Tag im KZ. Die Entschädigungszahlungen machten 1954 etwa 0,3% des Bruttoinlandsprodukts der BRD aus; ab 1980 fielen sie auf 0,1% und weniger. Im Mittelpunkt von Teitelbaums historischer Reportage stehen drei Akteure: die BRD, Israel und die Jewish Claims Conference. Auch an letzterer übt Teitelbaum deutlich Kritik. So habe der charismatische Vorsitzende der Claims Conference und Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Nachum Goldmann, das "unsittliche Angebot" von 5 DM akzeptiert - "sehr zur Zufriedenheit Adenauers und seines Finanzministers". Auch die bürokratischen Hindernisse bei der Umsetzung der Entschädigungsgesetze, die immer wieder zu einem regelrechten "Kleinkrieg gegen die Überlebenden" führte, schildert der Autor - nicht ohne Polemik. Dass viele Überlebende auch in Israel als "Stiefkinder" behandelt wurden, verschweigt Teitelbaum ebenfalls nicht.
Js.
Raul Teitelbaum: Die biologische Lösung. Wie die Schoah "wiedergutgemacht" wurde. Zu Klampen Verlag, Springe 2008, 367 Seiten, 24,80 EUR
Deutsche Karrieren
Der Historiker Siegfried Grundmann zeigt in seinem Buch "Der Geheimapparat der KPD im Visier der Gestapo" Kontinuitäten bei der Verfolgung von Linken in Deutschland. Der von ihm erforschte Geheimapparat der KPD sollte die Partei vor Agenten schützen, er sammelte Informationen über Rüstungsprogramme und andere Maßnahmen, die sich gegen die Sowjetunion richten konnten. Dafür nutzte man Kontakte mit Menschen, die nicht als KommunistInnen bekannt waren. Grundmann sieht für die Zerschlagung dieser Struktur durch die Gestapo vielfältige Gründe. Nicht zuletzt sei eine falsche Politik der KPD und Verletzung der Konspirationsregeln dafür verantwortlich. Dass er den Widerstand, einschließlich der Tätigkeiten, die gern als Spionage ausgegrenzt werden, für absolut legitim hält, macht Grundmann im Nachwort deutlich: "Es gab in Deutschland, und zwar nicht erst fünf Minuten vor dem Ende sondern schon in der Blütezeit des Dritten Reiches, nicht zu viele sondern zu wenig Hochverräter." Einige ihrer Verfolger, deren Biographie Grundmann genau untersucht, die Beamten des "Kommunismusdezernats", hatten schon in den Freikorps gegen die ArbeiterInnenaufstände der Jahre 1918/19 und gegen die Bayerische und die Bremer Räterepublik gekämpft. Damals übten die Freikorps schon jenen Terror gegen tatsächliche oder vermeintliche Aufständische aus, der dann nach 1933 zum Alltag gehörte. In der Weimarer Zeit arbeitete ein großer Teil dieser Männer als Teil der politischen Polizei bei der Verfolgung von Linken. Obwohl die wenigsten damals Mitglieder oder offene Sympathisanten der NSDAP waren, wurden sie nach 1933 übernommen - und "bewährten" sich. Die meisten setzten ihre Karriere auch nach 1945 fort. Nur wenige wurden angeklagt. Der Verteidiger von Wilhelm Berg, einem berüchtigten Linkenjäger, argumentierte zur Entlastung seines Mandanten, der auch selber bei der Folter mit Hand angelegt hat: "Nicht als Vergehen, sondern als Verdienst des Angeklagten wird bewertet, dass dieser seit 1921 bis 1945 immer in der Bekämpfung der kommunistisch-bolschewistischen Spionageorganisationen tätig gewesen ist". Berg sagte aus, dass er von britischen Dienststellen nach dem Krieg in vier deutschen Großstädten eingesetzt wurde, um kommunistische Spionageorganisationen aufzuspüren. Wie Grundmann zeigt, war er nicht der einzige, dessen Dienste auch nach 1945 gefragt waren.
Peter Nowak
Siegfried Grundmann: Der Geheimapparat der KPD im Visier der Gestapo. Das BB-Ressort. Funktionäre, Beamte, Spitzel & Spione. Dietz-Verlag, Berlin 2008, 496 Seiten, 29,90 EUR
Das Leben eines Konterrevolutionärs
Waldemar Pabst, der Organisator des Mordes an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, ist laut der neu erschienenen Biographie von Klaus Gietinger "Der Konterrevolutionär Waldemar Pabst - eine deutsche Karriere" der Prototyp des reaktionären Gegenrevolutionärs. 1880 geboren, Berufsoffizier im Kaiserreich, ging für den überzeugten Militaristen und Monarchisten mit der deutschen Kriegsniederlage eine Welt zugrunde. Nach der Novemberrevolution war die Verhinderung des Bolschewismus sein oberstes Ziel; dafür war er zu allem bereit. Es war für Pabst keine Frage, dass die politisch verhassten Führungspersönlichkeiten der Spartakisten, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, ausgeschaltet werden mussten. Als Generalstabsoffizier der Garde-Kavallerie-Schützen-Division hatte er die richtigen Männer unter sich, um den Mord auszuführen. Und er hatte auch in der Führungsriege der SPD die richtigen Männer hinter sich, die seine Taten billigten und deckten, allen voran Noske und Ebert. Ein späterer Prozess wurde zur Farce; die Bundesregierung bezeichnete den Mord 1962 als "standesrechtliche Erschießung". Pabst hatte seinerzeit gute Beziehungen zum Bundespresseamt, so wie er zu vielen einflussreichen Stellen in Regierungen, Parteien und nicht zuletzt in Wirtschaftskreisen stets beste Beziehungen unterhielt. Gietinger charakterisiert ihn als erfolgreichen "Netzwerker". Dabei erlebte Pabst auch Rückschläge, etwa nach der Röhm-Krise 1934, als er verhaftet wurde, aber nach nur sechs Wochen Haft aufgrund der Intervention seines Freundes Hermann Göring frei kam. In der Folge wandte er sich dem Waffenexport zu und arbeitete auch für das Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt, durch Protektion wurde er Direktor bei Rheinmetall. Seine Tätigkeiten führten ihn in die Schweiz, wo er auch nach dem Ende des NS-Staates zunächst blieb. 1955 kehrte er in die BRD zurück. 1970 starb er, fast 90 Jahre alt, ohne sich je ernsthaft für seine Taten verantworten zu müssen. Gietinger gewährt nicht nur einen umfassenden Einblick in das Leben von Waldemar Pabst, sondern auch in Strukturen des europäischen Faschismus.
Raphaela Kula
Klaus Gietinger: Der Konterrevolutionär. Waldemar Pabst - eine deutsche Karriere. Edition Nautilus, Hamburg 2009, 544 Seiten, 39,80 EUR