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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 536 / 20.2.2009

Die neue Aktualität des "Ökosozialismus"

Einige Klarstellungen

Die "Sozialistischen Konferenzen" 1980 und 1981 oder die Gründung der Modernen Zeiten im Jahr 1981, standen im Zeichen der Debatte um Ökologie und Sozialismus. Weitere wichtige Impulse für die ökosozialistische Debatte kamen später u.a. aus dem angelsächsischen Raum, nun ist auf dem Weltsozialforum in Belém, Brasilien, eine ökosozialistische Erklärung vorgestellt worden. Überlegungen und Hinweise zu einer Debatte.

Ein wichtiger Ausgangspunkt der ökosozialistischen Debatte in Deutschland war Rudolf Bahros Versuch, sich vom "Realsozialismus" als historische Alternative zu verabschieden und "die Alternative" neu zu bestimmen. (1) Es ging um die Herausarbeitung der inhaltlichen Bestimmungen, durch die sich nach der Überwindung des "Kapitalismus" die neue Produktionsweise von ihrer alten Gestalt "unter der Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise" unterscheiden würde. Damit ging es um die konkrete Bestimmung der Differenz zum "Realsozialismus".

Diese wurde im Unterschied zu Konzeptionen des "demokratischen Sozialismus" nicht mehr allein in der politischen Form gesehen und im Unterschied zur Kritik am "Staatssozialismus" nicht mehr bloß in der spezifischen, primär politisch und nicht gesellschaftlich bestimmten Gestalt der Vergesellschaftung der Produktionsweise gefunden.

Es wurde auch nicht länger versucht, das Scheitern der revolutionären Transformation zirkulär dadurch zu begründen, dass die Bolschewiki sich mit der leninschen "Neuen Ökonomischen Politik" bzw. der stalinschen Wendung zum "Aufbau des Sozialismus in einem Land" sich in den Fallstricken des "Staatskapitalismus" verfangen oder eben darauf verzichtet hätten, "den Kommunismus" aufzubauen.

Insofern stellte die ökosozialistische Debatte der 1990er Jahre einen wichtigen Schritt nach vorne dar, innerhalb Deutschlands und international. (2) Ende der 1980er Jahre kam es aufgrund von Begegnungen zwischen französischen KP-DissidentInnen und europäischen linken Grünen zur Formulierung eines ersten, international konzipierten "Ökosozialistischen Manifests", das 1989 auf Französisch erschien, dessen Publikation in anderen Sprachen aber vom historischen Zusammenbruch des Realsozialismus überschattet wurde - der all diese Alternativen gleichsam beiseite wischte.

Es gilt, die Amnesie abzuwehren

Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts hat sich zunächst im angelsächsischen Raum eine neue "ökosozialistische" Debatte entwickelt. Auf Initiative von Joel Kovel als Chefredakteur der 1989 von Jim O'Connor gegründeten Zeitschrift Capitalism, Nature, Socialism und Michael Loewy, der als Angehöriger der IV. Internationale seit den 1980er Jahren ökologische Themen bearbeitet, erschien 2001 ein "Eco-socialist manifesto" (www.iefd.org/manifestos/ecosocialist_manifesto.php). Dem folgte 2008 ein zweites, im Zusammenhang eines im November 2007 in Paris gegründeten "Ökosozialistischen Netzwerks (www.ecosocialistnetwork.org) kollektiv ausgearbeitetes Manifest (www.ecosocialistnetwork.org/Docs/Mfsto2/2nd-Ecosocialist-Manifesto-DRAFT-en.pdf) .

Zum Weltsozialforum in Belém im Januar 2009 ist eine programmatische "Belem Ecosocialist Declaration" vorgelegt worden (www.ecosocialistnetwork.org), die als Grundlage einer weiteren globalen Konsolidierung dieses Netzwerkes dienen soll.

Damit hat sich das Projekt einer ökosozialistischen Alternative in eben dem historischen Moment "zurückgemeldet", in dem die kapitalistisch bestimmte "Krise der Menschheit" die dringliche Notwendigkeit einer Alternative zur Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise wieder auf die Tagesordnung gesetzt hat.

Als einer der ProtagonistInnen der "alten" ökosozialistischen Debatte, möchte ich der "neuen" zwei Hinweise geben, die ihr hoffentlich einige Umwege ersparen. Der erste bezieht sich auf das Problem der partiellen Amnesie, offenbar unvermeidlich bei derartigen Neuansätzen. Der zweite auf die Notwendigkeit, außer der ökologischen Dimension auch noch andere inhaltliche Dimensionen der erforderlichen Erneuerung der Produktionsweise nicht weniger ernsthaft einzubeziehen - vor allem die feministische und die antirassistische/antikoloniale Dimension.

Es geht ganz konkret darum, zentrale Problemfelder zu erneuern, die in der marxistischen Tradition einigermaßen vernachlässigt und heruntergekommen waren: Vor allem die Debatte darum, was es eigentlich bedeutet, die "klassenlose Gesellschaft" zu erringen - eine von Ausbeutung befreite Gesellschaft, eine Gesellschaft unter dem Prinzip der "gleichen Freiheit", eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" oder aber eine "Gemeinschaft der Gleichen", ein "homogenes Kollektiv" ohne Differenzen?

Es geht aber auch um die Debatte über das "Absterben des Staates", den "Abbau des Staates" bzw. um die politischen Formen der erforderlichen revolutionären Transformation - also die "Diktatur des Proletariats" oder auch die "Außerstaatlichkeit revolutionärer Politik". Bis hin zu der Frage nach der Bedeutung der (pointiert anarchistischen) "Kritik der Politik" für eine derartig befreite Gesellschaft.

Auch im Kern des ökosozialistischen Antikapitalismus wartet eine unerledigte theoretische Arbeit: Zumeist ist die Pointe dieser spezifischen Kapitalismuskritik im Namen der neu zu bestimmenden "Ökologie der Menschheit" unzureichend artikuliert worden - als Kritik an der rein quantitativen Bestimmung des Wachstumsziels (Wachstumskritik), als Kritik an der Produktion um der Produktion willen ("Produktivismus") und als Kritik an der industriellen Gestalt des Produktionsprozesses ("Industrialismus").

Zentrale Problemfelder erneuern

Das muss so lange unzureichend bleiben, wie nicht der für die Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise charakteristische "Umschlag im Aneignungsgesetz" mit reflektiert wird, durch den dann "virtuell wirklich" das "Geld wiederum Geld heckt": Die Fragen der qualitativ und quantitativ erforderlichen Proportionalitäten im gesellschaftlichen Reproduktionsprozess sind nicht schon dadurch gelöst, dass gesellschaftlicher Reichtum anders gemessen wird als in Geldgrößen und darauf bezogenen Aggregatgrößen, dass Produktion und Konsumtion allgemein in ihrer Proportionalität begriffen und die Funktion der "großen Industrie" als Form der Produktion des relativen Mehrwerts durchschaut wird. In welcher Weise Wissenschaft und Technologie im großen Maßstab in einem gesellschaftlichen Produktionsprozess anzuwenden sind, der sich zugleich mit den Konsumtionsprozessen der gesellschaftlichen Individuen auf eine inhaltlich ereichernde Weise durchdringt, ist allein dadurch noch längst nicht beantwortet, dass die "Zweck-Mittel-Verkehrungen" abgestreift sind, wie sie für die Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise konstitutiv sind.

Klar ist gegenwärtig nur, dass es auf die Dauer unmöglich sein wird, sich in diesen Punkten um eine weitergehende theoretische Klärung herumzudrücken: Worüber wir heute nicht so weit wie möglich vertieft nachdenken, das wird der wirklichen Bewegung morgen erfahrungsgemäß und schwer verdaulich auf die Köpfe fallen! Die ökosozialistische Erneuerung wird jedenfalls diese ungelösten Fragen der alten sozialistischen Bewegung nicht überspringen können.

Jim O'Connor hat den Versuch unternommen, den Ökosozialismus auf einen zweiten elementaren Widerspruch der kapitalistischen Produktionsweise (nach dem ersten, den er in der Krisentendenz der Kapitalakkumulation sieht) zu gründen, den er darin sieht, dass der Kapitalismus tendenziell immer wieder die eigenen Produktionsbedingungen unterminiert, also die Reproduktion des menschlichen Arbeitsvermögens, die Voraussetzungen in der äußeren Natur und die gemeineigenen allgemeinen Infrastrukturen, wie etwa die städtische Bebauung oder die Verkehrswege.

Das beruht leider sowohl auf einer unhaltbaren Interpretation der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie als auch auf einer sträflichen Ignoranz gegenüber anderen widersprüchlichen Herrschaftsstrukturen, wie sie unsere modernen Gesellschaftsformationen prägen.

Gerade weil die von Marx systematisch entfaltete Kritik der politischen Ökonomie als ihren spezifischen Gegenstand die allgemeine Struktur (und darin allein begründete Reproduktionsfähigkeit) der kapitalistischen Produktionsweise ins Auge fasst, reproduziert sich in ihr auch die eigentümliche "Rücksichtslosigkeit" dieser Produktionsweise. Während derartige Grenzen, insoweit sie unmittelbar die Reproduktion des gesellschaftlichen Arbeitsvermögens betreffen - und damit den Wert der Ware Arbeitskraft und die für das Kapital konstitutiven Strategien der Mehrwertproduktion -, wiederum in die systematische Entwicklung der Metamorphosen einzugehen vermögen, denen sich das Kapital in seinem Reproduktionsprozess unterziehen muss, gilt dies für alle diejenigen Zusammenhänge und Verhältnisse, welche als seine "fortwährenden Grundlagen" vom kapitalistischen Akkumulationsprozess vorausgesetzt werden, keineswegs. Deren eigene Materialität und Widersprüchlichkeit, deren Strukturen, Formen und Dynamiken, erschließen sich weder im Ausgang von denen der kapitalistischen Akkumulation noch gehen sie ihrerseits in diese ein, indem sie weitere Formbestimmungen und Metamorphosen hervortreiben. Die "Erde", wie Marx das zusammenfasst, bedarf einer eigenständigen Untersuchung - als Biosphäre ebenso wie als historische "Kulturlandschaft".

Ökologisch, feministisch, antirassistisch

Aber auch in den konkreten Gesellschaftsformationen, in denen wir leben, kommen wir nicht analytisch mit der Marxschen Analyse der kapitalistischen Produktionsweise alleine aus. Auch ohne hier und heute bereits über eine vollständige Übersicht über derartige Herrschaftsstrukturen zu verfügen, die alle durch die Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise überdeterminiert sind, ohne deswegen bloße "Nebenwidersprüche" zu sein, lassen sich zwei derartige Strukturen hervorheben.

Zum einen können wir zunächst an Marx erinnern, der zwei "Springquellen des gesellschaftlichen Reichtums" nannte, welche die Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise tendenziell ruiniert - nämlich "die Erde" und "die Arbeit", die Tätigkeit der lebendigen Menschen, deren Produktion Marx und Engels in den Manuskripten zur Deutschen Ideologie als "Produktion von Leben" von der "Produktion von Lebensmitteln" unterschieden hatten. Nach etwa zwei Jahrhunderten feministischer Debatte lässt sich heute nicht mehr verdrängen, dass diese Dimension menschlicher Reproduktion von Geschlechterverhältnissen geprägt und in spezifischer Weise herrschaftlich verfasst ist.

Etwas komplizierter liegt der Fall der (neo-)kolonialen Herrschaftsverhältnisse und ihres strukturalisierten Niederschlags als "Rassismus" und "Neorassismus" im Alltagsleben gerade auch der "Metropolen". Die Rassismen setzen einen Begriff vom kapitalistischen Weltmarkt und der hierarchisch strukturierten "Staatengemeinschaft" voraus, die diese selbst in seinen "dereguliertesten" Formen immer noch politisch "verfasst".

Die konkreten Reproduktionsprozesse dieser Gesellschaften sind zutiefst auch von diesen Herrschaftsstrukturen geprägt. Ein Ökosozialismus, der nicht auch radikal feministisch und antirassistisch ist, wird daher an den Wünschen und Kämpfen unserer Zeit als eine bloße Abstraktion, als eine nicht realitätstüchtige Wunschvorstellung vorbei gehen.

Frieder Otto Wolf

Anmerkungen:

1) Der frühe Bahro tritt als ein selbstkritischer Marxist an, dessen spätere Wendung zu einem intuitiven, z.T. einsichtvollen, z.T. einfach unkontrollierbaren Spiritualismus noch nicht in seinen Arbeiten und Interventionen vorgezeichnet ist.

2) Eine schwerwiegende Beschränkung dieser Debatte ergab sich aus der frühen Orientierung ihrer ProtagonistInnen auf die sich neu entwickelnden grünen Parteien - was die Tendenzen verstärkte, dass in der ökosozialistischen Debatte die großen Themen und theoretischen Resultate der älteren sozialistischen und kommunistischen Diskussion in Vergessenheit gerieten.