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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 536 / 20.2.2009

Ende des Neoliberalismus? Krise des Kapitalismus

Über revolutionäre Realpolitik und Neuorientierung der Linken

Während der neoliberale Kapitalismus rapide an Vertrauen und Zustimmung verliert, nimmt die Offenheit zu, Alternativen zum Kapitalismus zu denken. Bislang kann die Linke jedoch die Situation nicht für sich nutzen: Viele linke Reaktionen beschränken sich auf konstruktive Vorschläge zu staatlichen Krisenprogrammen im Sinne eines "Das geht auch besser und sozialer". Linke Perspektiven müssen sich in dieser Situation aber daran messen lassen, ob sie dazu beitragen können, gesellschaftliche Gegenmacht zu organisieren, Abwehrkämpfe zu verbinden und in einer Legitimationskrise des Kapitalismus mit kapitalismuskritischen Perspektiven in die Offensive zu kommen. Ein Schritt in diese Richtung könnten die Bündnisse für die Demonstrationen "Wir zahlen nicht für eure Krise" am 28. März sein.

Die kapitalistische Akkumulation steckt in einer fundamentalen Krise und mit ihr die neoliberale Regulation. Die Krisenprozesse gehen aber weit über die beginnende Weltwirtschaftskrise und die Krise des Finanzsystems hinaus: Es handelt sich um eine Mehrfachkrise des Kapitalismus. Während die Herrschenden zu einer "Neugründung des Kapitalismus" (Merkel/Sarkozy) aufrufen, wird die Umverteilung zugunsten der dominanten Kapitalfraktionen verschärft, die Kosten der Krise auf die globalen Subalternen abgewälzt. Die Krisenprozesse stellen weder das Ende des Kapitalismus noch den Beginn einer Alternative dar. Die Herrschenden sind sich uneins und verunsichert, auch der neue Staatsinterventionismus ist keine Lösung der kapitalistischen Krise, sondern ein Krisenmanagement im Rahmen des neoliberalen Finanzkapitalismus.

Um Perspektiven zu eröffnen, sind breite und mobilisierungsfähige Bündnisse und die Zuspitzung auf mobilisierende Forderungen erforderlich. Die geplanten bundesweiten Demonstrationen am 28. März in Berlin und Frankfurt im Rahmen des weltweiten Aktionstages sollen dafür ein Anfang sein. Erforderlich ist jedoch eine umfassende Neuorientierung der Linken: Im Sinne einer "revolutionären Realpolitik" (Rosa Luxemburg) wollen wir konkrete, mobilisierungsfähige Forderungen mit grundsätzlicher Kapitalismuskritik und Schritten hin zu Alternativen jenseits des Kapitalismus gleichrangig verbinden.

Eine solche Neuorientierung muss die Mehrfachkrise des Kapitalismus zum Ausgangspunkt nehmen: Eine Krise der gesellschaftlichen Naturverhältnisse, die immer mehr "Kosten" verursacht und durch den neoliberalen Finanzkapitalismus zugespitzt wurde (Klima- und Wasserkrise, ökologische Zerstörung); zugleich erleben wir eine Krise der Energieversorgung (vor allem mit Öl und fossilen Energieträgern). In Gestalt des Neoliberalismus stieß der globalisierte Kapitalismus in den letzten Jahren weltweit auf Ablehnung und Widerstand, die durchaus zu schwindender Zustimmung und einer Repräsentationskrise der Herrschaft führen (vor allem in Folge der Zerstörung der Sozialstaaten und zunehmender Prekarisierung und Armut).

Mehrfachkrise des Kapitalismus

Die dramatischen Folgen der noch am Beginn stehenden Weltwirtschaftskrise dürfen nicht unterschätzt werden: rasant steigende Arbeitslosigkeit in fast allen Ländern (in den USA werden monatlich ca. 600.000 Jobs vernichtet), weltweit weiter zunehmende Prekarisierung, die Gefahr von Staatsbankrotten und Überschuldungskrisen mit weiterem Sozialabbau und Privatisierung als Folgen, zunehmende Armut und die Zuspitzung der Hungerkrisen. Entscheidend ist, ob und in welchem Ausmaß es den Herrschenden gelingt, diese Krisenfolgen abzuschwächen, aufzuteilen und auf gesellschaftlich schwache Gruppen abzuwälzen.

Es ist durchaus möglich, dass in dem Maße, wie die Krise zu einer Umwälzung der Lebensverhältnisse vieler Menschen führt, aus der Vertrauenskrise der Parteien und der bürgerlichen Demokratie eine Legitimationskrise des Kapitalismus entsteht, in der sich antikapitalistische Perspektiven als global verallgemeinerbar erweisen müssen. Doch in den ökonomischen, politischen und ideologischen Kräfteverhältnissen wird die Diskrepanz zwischen dem Ausmaß der Krise und der Schwäche der linken Gegenkräfte deutlich.

Medial beschworen wurde der Crash im Herbst 2008 schon als "Ende des Neoliberalismus". Wenn die "Rückkehr des Staates" bereits als Indiz dafür gelten soll, wird allerdings vergessen, dass der Staat im Neoliberalismus nie abwesend war. Auch in linken Diskussionen wurde Neoliberalismus oft pauschal mit einem "Weniger Staat, mehr Markt" gleichgesetzt. Damit wurde die Oberfläche der neoliberalen Ideologie fürs Ganze genommen.

Der Neoliberalismus ist eine Strategie zur Veränderung der Kräfteverhältnisse innerhalb des Staates - zugunsten des Finanzkapitals, der VermögensbesitzerInnen und der transnationalen Unternehmen. Diese politischen Kräfteverhältnisse, vor allem die im Staatsapparat, sind durch die Krise bislang nicht fundamental verändert. Im Staat dominieren weiterhin die Kapitalinteressen und speziell das transnationale und Finanzkapital.

Richtig ist, dass die fundamentale Krise der finanzdominierten Akkumulation auch zu einer Verschärfung der Krise des Neoliberalismus führt. Die neoliberale Ideologie der Effizienz der Märkte, der Deregulierung, Privatisierung, ihre an den Markt gekoppelten Freiheitsversprechen blamieren sich für alle sichtbar an der Wirklichkeit. Die massiven ökonomischen Krisenprozesse verlangen ein stabilisierendes Eingreifen des Staates und zwingen die Herrschenden auch zu zuvor völlig undenkbaren Maßnahmen wie Verstaatlichungen. Der Neoliberalismus verlor zuerst seine Hegemonie - jetzt büßt er seine Dominanz als organisierende Ideologie der herrschenden Klasse ein.

Die Krise hat die Herrschenden zu schnellem Handeln und einem flexiblen Krisenmanagement gezwungen, um einen schnellen Crash des gesamten Finanzsystems zu verhindern. Der "neue Staatsinterventionismus" (vgl. Candeias, ak 533) stellt ein kurzfristiges Krisenmanagement dar, in dem die Orientierung an den Interessen des Finanz- und Industriekapitals mit der Inszenierung einer starken, gemeinwohlorientierten Regierung, die auch mal die "Gier der Manager" kritisiert, widersprüchlich verbunden sind.

Kein Kurswechsel, sondern Sozialisierung der Verluste

Die Politik versucht, die Folgen der Wertvernichtung auf die unteren Klassen abzuwälzen. Die privaten Risiken der KapitaleignerInnen werden staatlich abgefedert und die Verluste der Unternehmen und VermögensbesitzerInnen begrenzt und auf den Staat übertragen. Zugleich wird durch diese Form der Krisenpolitik die schon vorhandene und sich in Krisen verstärkende Tendenz zur Konzentration im Banken- und Unternehmensbereich begünstigt.

Dass selbst vor (Teil-)Verstaatlichungen nicht zurückgeschreckt wird, bedeutet weniger eine - derzeitige - Veränderung der Kräfteverhältnisse als eine Sozialisierung der Verluste. Eine Änderung der Bankenpolitik durch demokratische Einflussnahmen oder eine Ausrichtung der Kreditvergabe nach sozial-ökologischen Kriterien statt nach Finanzmarktorientierung ist derzeit nicht damit verbunden.

Der Staat agiert in der Krise - anders als manche linke Analysen glauben - nicht als "ideeller Gesamtkapitalist", sondern vertritt die Interessen unterschiedlicher Kapitalfraktionen auf unterschiedliche Weise. Es bleibt bei der Dominanz des Finanzkapitals und der exportorientierten Industrieunternehmen. Im bürgerlichen Lager überwiegt die Haltung, dass der "Staat als Nothelfer" alternativlos ist, sich aber bald wieder zurückziehen soll und die Märkte durch einen starken Staat in der Krise stabilisiert werden sollen.

Zentral ist allerdings, dass die Krisendynamik durch das staatliche Krisenmanagement bisher weder gestoppt noch begrenzt werden konnte. Fest steht: Die derzeitigen Politiken des Staatsinterventionismus sind keine grundsätzlichen Kurswechsel, sondern zielen auf eine Garantie des Finanzkapitals und Abwälzung der Verluste. Was dadurch an gigantischen Schulden und Risiken angehäuft wird, soll dann in den nächsten Jahren durch Sozialkürzungen, Privatisierungen, Abbau der staatlichen Infrastruktur - mittels des Instruments der Schuldengrenze und einer Rückkehr zu restriktiver Haushaltspolitik - bei den subalternen Klassen abgeladen werden, womit die Umverteilung von unten nach oben fortgesetzt wird.

Es ist Zeit für eine revolutionäre Realpolitik

Die Krise ist noch längst nicht völlig im Alltagsbewusstsein angekommen. Zwischen dem Ausmaß der globalen Krisendynamik und dem Alltagsbewusstsein der Menschen besteht ein eklatanter Widerspruch, der standortnationalistische und autoritäre Formen der Krisenbearbeitung begünstigen kann. Der Passivität und Verunsicherung der subalternen Klassen entspricht das Fehlen eines ausstrahlungsfähigen linken Projektes gegen die Krise. Bei Zuspitzung der sozialen Widersprüche und zunehmender Konkurrenz kann dies zur Stärkung nationalistischer und rassistischer Kräfte und eines völkischen Antikapitalismus führen.

In Folge der Krise ist global mit einer Zuspitzung der sozialen Widersprüche zu rechnen. Die gesellschaftlichen Kämpfe der nächsten Jahre sind Abwehrkämpfe, die sich darum drehen werden, wie der kapitalistische Entwertungsprozess gestaltet wird und wer die Kosten für die Krise des Finanzkapitalismus tragen muss. Es sind aber auch Kämpfe um ein Neues: ein neuer (grüner?) Kapitalismus oder eine solidarische Gesellschaft jenseits des Kapitalismus?

Die Linke muss sich in den nächsten Monaten sowohl auf kurzfristig entstehende massive Kämpfe, auf schnelle Veränderungsdynamiken der Kräfteverhältnisse, der Lebensweisen und des Alltagsverstandes infolge der ökonomischen Umbrüche einstellen. Zugleich muss sie die langfristig wirkenden Verschiebungen analysieren und politische Strategien entwickeln. Ein bloßes "Weiter so" linker Politik kann es nicht geben. Um in der Krise mit antikapitalistischen Perspektiven wirksam eingreifen zu können, stellt sich die Aufgabe der Entwicklung einer revolutionären Realpolitik, die mobilisierende Forderungen für konkrete Veränderungen, Einstiege in eine andere Gesellschaft mit einer antikapitalistischen Zielrichtung vermittelt.

Dazu braucht es aber auch eine Abkehr von einer verbalradikalen Kapitalismuskritik. Unsere Vorschläge müssen sich offensiv als konkrete Einstiegsprojekte in eine nicht-kapitalistische Gesellschaft verstehen und damit die Frage nach der nicht-kapitalistischen Gestaltung der Wirtschafts- und Lebensweise stellen. Es geht um die Garantie der gesellschaftlichen Infrastruktur und soziale Sicherheit für alle - statt Garantien für Banken und Unternehmen. Und um Vergesellschaftung und Demokratisierung der Wirtschaft anstatt Verstaatlichung!

Die neoliberale Transformation des Staates hat auch zu einem autoritären Kapitalismus und einer schleichenden Aushöhlung der bürgerlichen Demokratie geführt. Der aktuelle Ruf nach einem starken Staat ohne eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums und eine Stärkung gesellschaftlicher Gegenmacht und Selbstorganisation kann diese Entwicklung verschärfen.

Dagegen setzen wir auf eine gesellschaftliche Gestaltung der gesellschaftlichen Produktion - es gilt, die Eigentumsfrage neu zu stellen. Verstaatlichung von Banken und Konzernen alleine bedeutet unter den gegenwärtigen Kräfteverhältnissen keine Alternative zur Profitmaximierung und Wachstumszwang. Themen wie Vergesellschaftung, transnationale Wirtschaftsdemokratie und Demokratisierung der Entscheidungen, die alle betreffen, müssen von den Linken auf die Tagesordnung gesetzt werden. Strategisch ist eine Zuspitzung auf die Forderung nach Vergesellschaftung des Bankensektors denkbar und ermöglicht es, die Eigentumsfrage gesellschaftlich vermittelbar auf die Tagesordnung der politischen Auseinandersetzungen zu setzen.

Um die Kritik am Kapitalismus gesellschaftlich wirkmächtig werden zu lassen, gilt es, die Gegenüberstellung von konkreten Reformen und antikapitalistischen Perspektiven zu überwinden und zugleich deutlich über eine ausschließliche Kritik am Neoliberalismus und Forderungen nach Stärkung des Staates hinauszugehen. Dazu ist der Aufbau gesellschaftlicher Gegenmacht notwendig. Ein Ansatzpunkt könnte die Verbindung von gewerkschaftlicher Mobilisierung, Bildungsprotesten, Erwerblosen und Prekären, MigrantInnen und Illegalisierten, Frieden- und klimapolitischen Gruppen gegen die Krise sein. Mittelfristig wäre eine Initiative für politischen Streik und sozialen Ungehorsam möglich, die darauf zielt, die unterschiedlichen Gruppen der Lohnabhängigen und sozialen Bewegungen zu verbinden und über Demonstrationen hinaus Gegenmacht aufzubauen.

Gruppe Soziale Kämpfe

Die Gruppe Soziale Kämpfe ist im Bündnis für die Demonstrationen "Wir zahlen nicht für eure Krise" am 28. März in Berlin und Frankfurt aktiv. Eine ausführliche Version dieses Artikels und ein Positionspapier, das sich mit der Initiative für Bündnisse zur Krise und antikapitalistischen Perspektiven beschäftigt, sind auf: www.gruppe-soziale-kaempfe.org