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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 536 / 20.2.2009

Postneoliberale Antworten auf die ökologische Krise

Eine Skizze

Angesichts des wachsenden Bewusstseins, dass die aktuelle Bearbeitung der ökologischen Krise nicht angemessen ist und die Neoliberalisierung der Natur neue Probleme schafft, beginnen sich alternative, postneoliberale Strategien und Politiken zu entwickeln. (1) Die im Folgenden skizzierten "Typen" oder Varianten existieren nicht in Reinform. Die Entwicklungen sind ungleichzeitig und widersprüchlich - mit jeweils unterschiedlichen Implikationen für Lebensbedingungen und Gerechtigkeitsfragen.

"Postneoliberale" Strategien bedeuten dabei nicht notwendigerweise einen Bruch mit neoliberalen Politiken. Im Gegenteil sollen mit dem Begriff die Kontinuitäten und Diskontinuitäten der gesellschaftlichen Formen der Naturaneignung begreifbar werden.

Eine erste Strategie, mit den Widersprüchen des Neoliberalismus umzugehen, reagiert auf Kritik und nimmt kleine Modifikationen vor, um die schlimmsten Folgen neoliberaler Politik abzumildern, ist jedoch ignorant gegenüber den Problemursachen. Sie vertieft die Inwertsetzung immer weiterer Bereiche von Natur und Gesellschaft. Diese Strategie kann als Rio-Typ von Politik bezeichnet werden. Auf sozial-ökologische Probleme wird mit neuen Institutionen, mehr Effizienz in Produktion und Konsumtion, der Entwicklung "grüner Märkte" und dem Vertrauen in westliche Expertise reagiert. Dahinter stehen Vorstellungen ökologischer Modernisierung und (öko-)sozialer Marktwirtschaft. Insgesamt stellt der Rio-Typ weder die neoliberale, marktförmige Regulierung von Natur noch das "westliche" Produktions- und Konsummodell infrage.

Eine zweite, offen gewaltförmige Strategie reagiert auf zunehmende Konflikte um Ressourcen und auf Proteste, die dominante Formen der Naturaneignung hinterfragen. Letztere werden dann weniger durch den Markt und seine politische Einbettung strukturiert, als durch das Militär, die Polizei oder private Armeen und Sicherheitsdienste, was gegebenenfalls zu offenen oder versteckten Kriegen führt. Diese Variante kann auch als imperiale Strategie auftreten, wenn ressourcenreiche Länder nicht bereit sind, sich in den Weltmarkt zu integrieren, oder wenn die politisch-ökonomische Orientierung eines Landes durch eine größere externe Macht infrage gestellt wird.

Verschiebungen auf dem postneoliberalen Terrain

Eine dritte, eine roll-back-Strategie, versucht in Ländern wie Venezuela, Bolivien und Ecuador kapitalistische Entwicklung mit kräftigen Staatsinterventionen zu redynamisieren und die regionale und soziale Integration zu stärken. Es handelt sich um eine Art "Rückkehr zum Entwicklungsstaat" (neo-desarrollismo), mittels derer Kapitalbewegungen reguliert, Infrastrukturentwicklung gefördert und Wachstum und Entwicklung verknüpft werden sollen. Dabei werden die Naturverhältnisse nicht notwendig verändert. Besonders in Venezuela wird die anti-imperiale Verteilungspolitik häufig als "Erdöl-Sozialismus" bezeichnet, denn sie basiert auf Ölrenten und stellt somit die Ausbeutung und Zerstörung von Natur ebenso wenig infrage wie eine angekündigte Nutzung von Atomkraft.

Schließlich befördern emanzipatorische "postneoliberale" Strategien - häufig mit der dritten vermischt - ein Denken und Handeln, das über die kapitalistische Vergesellschaftung, ihre dominanten Formen der Naturaneignung und ihre Vermittlung mit patriarchalen, imperialen und rassistischen Verhältnissen hinausweist. Dies setzt ein kritisches Verständnis der gesellschaftlichen Naturverhältnisse selbst voraus. Dabei müssen sowohl die materiellen Formen der Naturaneignung durch Arbeit und Technologien als auch die symbolischen Formen, z.B. wissenschaftliche Naturverständnisse, in den Blick genommen werden. Zudem gilt es, die Pluralität der Naturverhältnisse wahrzunehmen, selbst wenn die hegemonialen Institutionen, Diskurse und Alltagspraxen suggerieren, sie seien alternativlos. Gesellschaftliche Naturverhältnisse müssen bewusst und demokratisch gestaltet werden. Was sind vor diesem Hintergrund wichtige Aspekte, um emanzipatorische Perspektiven in der Krise des Neoliberalismus zu stärken?

Erfahrungen ernst nehmen. - Es gibt vielfältige nicht-kapitalistische Naturverhältnisse sowie mannigfaltige Widerstände gegen die herrschende Naturaneignung. In vielen Teilen der Welt waren die Naturverhältnisse nie vollständig modern und kapitalistisch. Gleichwohl zielten neoliberale Strategien darauf ab, diese Regionen mehr oder weniger gewaltförmig in den Weltmarkt zu integrieren und die Naturverhältnisse entsprechend zu transformieren.

Formen und Inhalte ökonomischen Wachstums in Frage stellen. - Der Wohlstand der Nationen wird unter kapitalistischen Bedingungen vom ökonomischen Wachstum mitbestimmt, das jedoch auf der Degradation der natürlichen Lebensgrundlagen und der Ausbeutung weniger konkurrenzfähiger Regionen und Bevölkerungsgruppen basiert. Die Alternative ist nicht einfach ökonomische Schrumpfung. Stattdessen muss die mit der kapitalistischen Lebensweise verbundene Rationalität, die in Wissenschaft und Technologie, in politische Institutionen und Subjektivitäten eingeschrieben ist, umfassend transformiert werden. Dasselbe gilt für die Ausblendung reproduktiver, nicht monetär entlohnter Tätigkeiten aus dem herrschenden Wirtschaftsverständnis, die damit verbundene Krise der Reproduktion und die Folgen für die Geschlechterverhältnisse.

Verknüpfungen schaffen. - Die Aufspaltung von Politik in verschiedene Felder ist eine wichtige Technik der Stabilisierung bürgerlich-kapitalistischer Herrschaft. Hier hat die 2007 ausgebrochene Finanzmarktkrise widersprüchliche Implikationen für die gesellschaftlichen Naturverhältnisse. Das Wegbrechen von Teilen der Exportmärkte für weltmarktorientierte Landwirtschaften im globalen Süden kann emanzipatorische Bewegungen stärken, da der Druck auf die Inwertsetzung von Land geringer wird. Umgekehrt rutscht Umweltpolitik auf der politischen Agenda nach unten. In der EU fordern einige Regierungen, Klimapolitik angesichts der Finanz- und Konjunkturkrise aufzuweichen. Dagegen gilt es, emanzipatorische Perspektiven der Naturaneignung und Geschlechtergerechtigkeit zu verknüpfen, bezogen auf Ungleichheiten in der Verursachung von Umweltproblemen, auf das Tragen der Folgen und auf die Möglichkeiten, auf die herrschenden Umweltpolitiken Einfluss zu nehmen.

Praktische Kritik der Naturbeherrschung

Staatliche Politik ist wichtig. - Emanzipatorische Politik muss als demokratischer Transformationsprozess begriffen werden, der auf eine gerechtere, auf Solidarität basierende Welt hinwirkt - jenseits des Dogmas von Wettbewerbsfähigkeit und Profitabilität. Diesbezüglich sind Staat und zwischenstaatliche Politik eher Teil des Problems als der Lösung. Die Erfahrungen in Lateinamerika zeigen jedoch, dass auch emanzipatorische Strategien darauf angewiesen sind, ihre Anliegen rechtlich zu kodifizieren und sie finanziell, diskursiv und physisch abzusichern. Es bedarf also weiterhin sowohl der Kritik staatlicher Politiken als auch eines linken Staatsprojekts.

Sozial-ökologische Konflikte als Ausgangspunkte. - Die ambivalente Politisierung der ökologischen Krise schafft Raum für veränderndes Denken und Handeln. Es geht um mehr als symbolisches, innerhalb des bestehenden gesellschaftlichen Rahmens verbleibendes globales Ressourcenmanagement: Es geht um Fragen der Demokratie und der gesellschaftspolitischen Entscheidungsfindung, um die Verfügungsmacht über gesellschaftliches Wissen und um die Mittel gesellschaftlicher Reproduktion, die Aufwertung reproduktiver Tätigkeiten und vieles mehr. Der Rio-Typ von Politik brachte kritische Akteure wie NGOs in die Rolle von Lobbyisten und aufgeklärten Warnern. Eine radikale Kritik an den Herrschaftsverhältnissen wurde denunziert oder verfolgt. Die Konfliktfähigkeit der Beherrschten zu erhöhen, und damit ihre gesellschaftliche Relevanz, spricht nicht gegen Lobbying und Kooperation. Doch emanzipatorische Politik darf sich nicht auf letztere konzentrieren.

Umweltgerechtigkeit. - Dieser Begriff wird zu einem wichtigen Orientierungspunkt sozial-ökologischer Konflikte. Er bezieht sich im Unterschied zum eher technokratischen Verständnis von nachhaltiger Entwicklung auf den umstrittenen Charakter gesellschaftlicher Naturverhältnisse. Viele Umweltprobleme sind nicht gesellschaftlich neutral, sondern betreffen verschiedene soziale Gruppen, Regionen und Gesellschaften unterschiedlich. Die in den USA entstandene Bewegung für Umweltgerechtigkeit (environmental justice) kritisiert etwa, dass industrielle Produktion und Giftmüll eher in den Stadtteilen zu finden sind, in denen arme und schwarze Menschen leben. Solche Verteilungsfragen stehen auch im Zentrum der internationalen Debatte um den "Environmentalism of the poor". Eine politische Konsequenz dieser Ansätze kann sein, nicht nur die negativen Umweltauswirkungen gerechter zu verteilen, sondern die transnational dominanten Formen der Produktion, Distribution und Konsumtion zu hinterfragen und die machtförmige Rahmung von Umweltproblemen aufzubrechen.

Radikale Realpolitik. - Forderungen und Vorschläge aus den Bewegungen können breite gesellschaftliche Debatten beeinflussen und Handlungsspielräume eröffnen. Ein zentrales Konfliktfeld stellen Privatisierungen staatlicher Unternehmen dar. Diese wären mit Umweltfragen und der demokratischen und nachhaltigen Aneignung von Natur zu verknüpfen. Wichtig sind auch radikale Antworten auf die Frage, wie die unmittelbaren Bedürfnisse der Lohnabhängigen nach günstigem Essen, billiger Energie und anderen Waren, die meist umweltzerstörend produziert werden, transformiert werden können. Dafür gilt es am gesellschaftlichen Alltagsverstand anzuknüpfen: Einen Einstiegspunkt bieten etwa hohe Energiepreise und damit einhergehende enorme Profite der Energieunternehmen oder die vielen Kämpfe gegen die Privatisierung kommunaler Stadtwerke.

Lernprozesse und Demokratie. - Die (schrumpfenden) Mittelklassen der westlichen Länder und die wachsende Zahl "neuer KonsumentInnen" des globalen Südens profitieren von der globalisierten Naturausbeutung. Man könnte von einer tief verankerten imperialen Subjektivität sprechen, die ausblendet, dass ihr Leben auf sozial-ökologischen Verwerfungen in anderen Teilen der Welt basiert. Es geht daher um die Transformation der hegemonialen Produktions- und Konsumnormen. Emanzipatorisches Handeln versucht, alternative Lebensweisen zu stärken bzw. zu entwickeln - durch Kooperation, Lernprozesse und, wo notwendig, Konflikte. Dann stellen sich Fragen der Demokratie: Wer entscheidet über Investition und Produktion, wer verfügt über die entsprechenden Mittel und das Wissen? Technologieentwicklung etwa, getrieben von kapitalistischer Konkurrenz und verbunden mit dem vorherrschenden instrumentellen wissenschaftlichen Wissen, muss zum Gegenstand demokratischer Entscheidungen werden.

Nötige Politisierung der ökologischen Krise

Das "postneoliberale" Terrain ist nicht vollständig offen, sondern durch historische Entwicklungen und Kräfteverhältnisse vorstrukturiert. Es ist jedoch kontingent, und in Krisen finden Verschiebungen statt. Wenn die ökologische Krise, ihre Erzeugung, Wahrnehmung und Bearbeitung nicht mit einer praktischen Kritik der Naturbeherrschung verknüpft wird, dann bleibt Umweltpolitik ein Programm für die aufgeklärten "Mittelschichten" und es könnte ein "grüner Kapitalismus" entstehen, der weiterhin alltägliche Zumutungen, Ausbeutung von Erde und Mensch sowie frustrierende Lebensperspektiven für die Mehrheit der Menschen mit sich bringt.

Im Unterschied zu den 1970er und 80er Jahren scheint es derzeit keine relevanten emanzipatorischen Kräfte zu geben, welche die ökologische Krise als gesellschaftliche Krise politisieren. Doch genau das könnte sich in der aktuellen Konstellation ändern, indem unterschiedliche Konfliktlinien und emanzipatorische Ansprüche aufeinander bezogen, Potenziale und Widersprüche ausgelotet sowie praktische Vorschläge mit über die Verhältnisse hinausweisenden politischen Zuspitzungen verknüpft werden. Daran intellektuell wie politisch-praktisch zu arbeiten, wird eine der Hauptaufgaben linker Politik in den kommenden Jahren sein.

Ulrich Brand

Anmerkung:

1) Ich danke Achim Brunnengräber, Dieter Klein, Bettina Köhler, Nicola Sekler und Markus Wissen für ihre hilfreichen Kommentare.

Der vorliegende Text ist von der Redaktion gekürzt und bearbeitet worden und erschien zuerst in der Zeitschrift Das Argument (Nr. 279). Dort finden sich auch die Literaturverweise des Textes.