Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 536 / 20.2.2009

Marktplatz Kyoto

Die Kritik am Emissionshandel & Co. muss empirisch fundiert werden

Der G8-Gipfel von Heiligendamm war ein Weckruf für viele Bewegungslinke. Bundeskanzlerin Merkel konnte sich nahezu mühelos als "Klima-Queen" inszenieren, dem Treffen der acht Regierungschefs zumindest einen Hauch von Legitimität in der Öffentlichkeit verschaffen. Die Linke stand dem seltsam sprachlos gegenüber. Dies sollte nicht noch einmal passieren. Ein Klimacamp wurde organisiert und linke Zeitschriften überschlugen sich im Jahr 2008 mit Schwerpunktausgaben zum "Klima". Zwei Hauptlinien durchzogen dabei nahezu jeden Debattenbeitrag: die Kritik des kapitalistischen Wachstumszwangs und die Delegitimierung internationaler Klimapolitik. Letztere gilt es zu untersetzen.

Viele Debattenbeiträge kratzen am Heiligenschein internationaler Klimapolitik. Manche pauschal vorgebrachten Argumente zu unterlegen, wird jedoch entscheidend für eine breite Mobilisierung zum Klimagipfel nach Kopenhagen sein. Im Fokus der Kritik steht in der Regel das Kyoto-Protokoll. Von den Umweltverbänden als erster Schritt im Kampf gegen den Klimawandel gefeiert, sinkt nun ein Schatten auf das Protokoll. Ist es nunmehr nur "ein relativ zahnloser Tiger" (Hendrik Sander, ak 533) oder gar die "Triebfeder eines neuen, schönen, ,grünen Kapitalismus`"(Tadzio Müller, ak 531)? War das Gefeilsche der Umweltverbände um jedes richtig gesetzte Komma in Abschlusserklärungen internationaler Klimakonferenzen ganz umsonst?

Damit die Kritik an Kyoto, insbesondere an seinen marktbasierten Instrumenten Emissionshandel & Co., tatsächlich zu einer im positiven Sinne "anschlussfähigen Forderung" wird, wie es Felix Pithan (ak 534) vorschwebt, muss sie deutlich substanzieller werden. Bislang bleiben viele Beiträge an der Oberfläche. In linksradikaler Genügsamkeit wird oftmals das Argument beschworen, Marktinstrumente könnten doch keine Lösungen sein für Probleme, die eben dieser Markt geschaffen habe. Den Markt abzulehnen, weil Markt per se böse ist, wird jedoch jene, die überzeugt sind, dass der Markt immer noch die beste aller möglichen Welten ist - wenn man ihn nur richtig ausgestaltet - wenig überzeugen. Wirft man einen genaueren Blick auf deren konkrete Ausgestaltung, eröffnet sich gleich ein Bündel von Ansatzpunkten für eine kritische Auseinandersetzung.

Linke Kritik muss substanzieller werden

Beispiel "Emissionshandel". Im Geiste Kyotos führte die EU im Jahr 2005 ein eigenes Emissionshandelssystem ein. Seitdem erhalten Unternehmen der Energiewirtschaft und der energieintensiven Industrie ein begrenztes Budget an Emissionsrechten, die sie handeln können. Am Ende eines jeden Jahres müssen sie CO2-Zertifikate in Höhe ihrer tatsächlichen CO2-Emissionen nachweisen. Das Anprangern der Tatsache, dass Unternehmen unter dem Deckmantel des Klimaschutzes nun ein Recht auf Verschmutzung zugesprochen wird, greift zu kurz. Denn bis 2005 war es jedem Unternehmen freigestellt, so viel Kohlendioxid in die Atmosphäre zu blasen, wie es wollte. Mit anderen Worten: Das Recht auf Verschmutzung war vor dem Emissionshandel auch schon da, nur unbegrenzt. Und: Es war noch keine Ware.

Durch die Handelbarkeit erhält jedes CO2-Zertifikat jetzt einen Wert - und hier beginnen die Probleme. Bis 2012 wird der überwiegende Teil der Emissionsrechte an die KraftwerksbetreiberInnen verschenkt. Diese legen die ihnen kostenlos zugeteilten Emissionszertifikate jedoch zu Marktpreisen auf die Strompreise um - nach folgender Logik: Die Unternehmen könnten diese geschenkten Zertifikate verkaufen. Sie tun es aber nicht. Aber sie rechnen sich aus: Hätte ich verkauft, hätte ich dafür XYZ Euro eingenommen. Da ich nicht verkauft habe, entsteht mir ein Verlust. Diesen wälze ich auf die Strompreise um. Das verteidigen sie vor dem Bundeskartellamt als einzig betriebswirtschaftlich rationales Verhalten ("Opportunitätskosten"). Dadurch erzielen die EnergieversorgerInnen leistungslos Milliardengewinne zu Lasten der VerbraucherInnen. Die bisherige Ausgestaltung macht den Emissionshandel so zu einer absurden Gelddruckmaschine für die Stromversorger. Schätzungen gehen von Netto-Zusatzprofiten der Energiewirtschaft von weit über fünf Milliarden Euro aus. Jährlich. Ohne Gegenleistung.

Nun hat die EU im Dezember 2008 beschlossen, dass ab 2013 alle Emissionsrechte nur noch kostenpflichtig vergeben werden sollen. Müssen die ersten neun Jahre EU-Emissionshandel daher nicht als eine Art Probelauf eines neuen Politikinstruments verbucht werden? Eine zumindest recht kostspielige Testphase. Die Energiewirtschaft konnte sich ihre "Kriegskassen" auffüllen, was die viel beschworene Energiewende allerdings alles andere als beförderte. Aber sind nun nicht alle Probleme ausgeräumt? Mitnichten. Zwar müssen die BetreiberInnen von Kohlekraftwerken ab 2013 nun tatsächlich auf die jährlichen Milliardengewinne verzichten - ihre KollegInnen vom Atomkraftwerk jedoch nicht. Denn die vermeintlich CO2-freien AKWs sind zwar nicht Teil des Emissionshandels. Sie profitieren jedoch von den durch den Emissionshandel gestiegenen Preisen an der Strombörse. Schon heute verbuchen sie die größten "Mitnahmegewinne" aller KraftwerksbetreiberInnen.

In Zeiten von Finanz- und Wirtschaftskrise werden weitere Nachteile des Emissionshandels augenfällig. Während die Preise für ein CO2-Zertifikat im Jahr 2008 lange bei etwa 20 Euro lagen, sehen wir seit Ende 2008 einen rasanten Kursverfall. Anfang Februar 2009 kostete die Berechtigung zur Freisetzung einer Tonne CO2 nur noch gut zehn Euro. Dies hängt einerseits mit der gesunkenen Stromnachfrage vieler Industrien in Krisenzeiten zusammen. Andererseits haben sich einige Unternehmen durch den Verkauf von CO2-Zertifikaten vorübergehend Liquidität verschafft, die mangels Aufträgen oder strengerer Kreditvergabe knapp wurde. Denn eine ausreichende Anzahl von Emissionsrechten muss erst am Ende eines jeden Jahres nachgewiesen werden. Sinkende Nachfrage und steigendes Angebot führen so zu niedrigeren Preisen.

Recht auf Verschmutzung: jetzt eine Ware

Ebenso wie die zurückgehende Spekulation, denn an der CO2-Börse kann auch jeder private Kapitalanleger sein Glück versuchen. Nun ist zwar die jährliche Gesamtmenge an ausgegebenen CO2-Zertifikaten begrenzt, doch sinkt der Anreiz für Unternehmen zu Investitionen in Klimaschutz, wenn die Preise niedrig sind. Mittelfristige Innovationen werden verschleppt, um im Jargon zu bleiben. Dies alles zeigt: durch den Emissionshandel wird Klimaschutz abhängig von Marktbewegungen, hinter denen gerade nicht primär das Interesse steht, das Klima zu schützen. Vielmehr ist es umgekehrt: Die Marktbewegungen sind Resultat von Interessen, die den Klimaschutz als Mittel nutzen, um daraus Geld zu machen. Entsprechend unberechenbar, was die Ergebnisse betrifft, ist das ganze Unternehmen.

Last but not least führt der Emissionshandel dazu, dass auch ein steigender Anteil erneuerbarer Energie nicht zu einem niedrigeren Ausstoß an CO2 führt. Denn die Gesamtmenge auszugebender CO2-Zertifikate wird im Vorhinein für einen Zeitraum von momentan fünf Jahren festgelegt. Wird nun mehr Windstrom produziert als absehbar und dafür weniger Kohlestrom, verkaufen RWE & Co. ihre CO2-Zertifikate einfach an das nächste Stahlunternehmen oder an einen belgischen Energieversorger. CO2 wird also auch bei unvorhergesehenem Wachstum erneuerbarer Energien in gleichem Maße ausgestoßen - nur woanders, dafür sorgt der Markt.

Das Lieblingsobjekt linker Kritik ist jedoch gar nicht so sehr der Emissionshandel, sondern sein kleiner Bruder, der sogenannte "Clean Development Mechanism" (CDM), festgelegt im Kyoto-Protokoll von 1997. Der CDM ermöglicht es InvestorInnen aus Industriestaaten, für Klimaschutzinvestitionen in Entwicklungsländern Emissionsgutschriften zu erhalten.

Beispiel: Firma A baut Windräder in Entwicklungsland XY, wofür es selbst kein Geld hätte aufbringen können. Firma A darf dafür im eigenen Land mehr CO2 in die Luft pusten. Solche CDM-Projekte werden dann durchgeführt, wenn es für Firma A billiger ist, eben dieses Windrad in Entwicklungsland XY zu bauen, als selber CO2-Emissionen einzusparen. Komparative Kostenvorteile nennt das der Ökonom. Damit wird Klimaschutz allerdings grade nicht dort betrieben, wo er notwendig wäre - in den fossilen Ökonomien des Nordens.

Um die Auswirkungen von CDM-Projekten für die Menschen vor Ort plastisch zu machen, müssen in linken Kritiken nun meist die "als ,CO2-Senken` angelegten Baumplantagen" (Felix Pithan, ak 534) herhalten. Bäume (wie Pflanzen überhaupt) dienen als sogenannte CO2-Senken, weil CO2 von ihnen "gebunden" wird. Sie sind damit natürliche Klimaschützer. Aufforstung geht häufig mit Landvertreibungen der ansässigen Menschen einher - Anlass berechtigter Kritik. Dass Kleinbäuerinnen und -bauern enteignet werden und die lokale Bevölkerung vertrieben wird - all dies stimmt. Nur geschieht dies meist auf Flächen, auf denen Zuckerrohr oder Ölpalmen für die Nutzung als Agro-Energien angepflanzt werden.

Einige dieser Projekte sind dabei auch unter dem CDM registriert. Von den bislang 1.390 unter den CDM bereits genehmigten Projekten befindet sich allerdings nur ein einziges Aufforstungsprojekt, von den insgesamt momentan erst in der Pipeline befindlichen 3.089 Projekten entfallen 36 auf diesen Projekttypus. Die Argumente gegen jedes einzelne dieser Projekte werden damit nicht weniger schlagkräftig. Doch gleich den ganzen CDM als reinen Aufforstungsmechanismus darzustellen, macht die Argumentation nicht "anschlussfähiger".

Aus Klimaschutzperspektive ist der CDM bestenfalls ein Nullsummenspiel - ein Emissionsrecht wandert vom Süden in den Norden. Zentrale Bedingung dafür ist, dass CDM-Vorhaben tatsächlich Klimaschutz zusätzlich zum Status quo bringen. Obwohl die Zusätzlichkeit zentrales Kriterium im CDM-Genehmigungsverfahren ist, können etwa 40 Prozent der zugelassenen CDM-Projekte bei genauerer Betrachtung diesen Nachweis nicht liefern. Auf diesem Weg wandern "faule Zertifikate" in die EU, führen dort zu einem Mehrausstoß an CO2, der nicht durch eine entsprechende Minderung durch das CDM-Projekt gedeckt ist.

Der Emissionshandel als Gelddruckmaschine

Global hat dies einen zusätzlichen Ausstoß von Klimagasen zur Folge. Um die Dimension deutlich zu machen: die emissionshandelspflichtigen Unternehmen in Deutschland pusten rund 480 Mio. Tonnen CO2 in die Luft. Sie haben zwischen 2008 und 2012 jährliche Einsparpflichten von rund 30 Mio. Tonnen CO2, dürfen also nur etwa 450 Mio. Tonnen CO2 emittieren. Aus CDM-Projekten können sie sich nun bis zu 90 Mio. Tonnen anrechnen lassen, über die 450 Mio. Tonnen CO2 hinaus. Wären also nur ein Drittel der CDM-Zertifikate "faul", so wäre der Beitrag des Emissionshandels in Deutschland zum globalen Klimaschutz bis zum Jahr 2012 gleich Null.

Aber auch im Süden kann der CDM ein Hindernis für Klimaschutz sein, z.B. den Erlass von Klimaschutzgesetzen behindern. Angenommen Entwicklungsland XY würde beschließen wollen, dass nur noch Windräder zur Stromerzeugung gebaut werden dürfen. Die Errichtung eines Windrads durch Firma A würde dann nicht mehr als CDM-Projekt anerkannt werden, weil es kein zusätzlicher Klimaschutz wäre. Die Geschäftsgrundlage lukrativer CDM-Projekte wäre dann gefährdet.

Dies sind nur einige Beispiele, wie sich die Kritik am Emissionshandel & Co. empirisch fundieren lässt. Erst auf dieser Basis gewinnen pauschale Behauptungen, dass die "Kyoto-Mechanismen (...) Werkzeuge des (Finanz-)Kapitalismus und Neokolonialismus, nicht des Klimaschutzes" (ARAB, ak 535) seien, an Überzeugungskraft. Nur dann wird eine Mobilisierung zum Klimagipfel nach Kopenhagen jenseits des linksradikalen Spektrums Resonanz finden und "die internationale Klimadiplomatie in ihrem simulativen Tun offensiv denunziert werden" können (Olaf Bernau, ak 532). Nur so werden Räume für Debatten um eine alternative, linke Klimapolitik geschaffen, die eine "Kritik der Notwendigkeit ökonomischen Wachstums" (Tadzio Müller, ak 531) in den Fokus rücken. Und Diskussionen über das gute Leben ermöglichen.

Bernd Brouns