Das Märchen
Überlegungen zum Green New Deal im Angesicht der (grünen) Krise
Im Gebälk des globalen Kapitalismus kriselt es. Es gibt so viele verschiedene Krisentendenzen, dass Verweise auf "die Krise" oft mit der Frage beantwortet werden: "Welche denn?" Meist meint jemand die Krise, die ihr Dasein zwar als "Finanzkrise" begann, schon bald aber, volljährig geworden, sich "Weltwirtschaftskrise" nennen durfte. Es könnte sich aber auch um die "Energiekrise" handeln, die für nicht wenige Menschen auf der Welt direkter spürbar ist als die Krise der Weltwirtschaft. Oder um die Klimakrise, welche selbst wieder nur ein Ausdruck der weiteren "Biokrise" ist, Folge einer selbstmörderischen Diskrepanz zwischen dem ökologischen Lebenserhaltungssystem, welches unser Überleben sichert, und dem Bedarf des Kapitals, ständig wachsen zu müssen.
Dazu kommt - zugegebenermaßen nicht von äquivalenten welthistorischen Dimensionen, aber in diesem Zusammenhang nicht irrelevant - eine Krisentendenz ganz anderer Art, nämlich die strukturelle Krise grüner Parteien: jetzt, wo alle Welt grün wird (Merkel ist schon lange Klimakanzlerin, Obama goes green und sogar die britischen Konservativen haben einen grünen Baum zu ihrem neuen Parteisymbol erklärt), schien es keine Existenzberechtigung für die Parteien zu geben. Auftrag erledigt, einpacken?
Jetzt aber haben grüne StrategInnen ein neues, potenziell hegemoniefähiges Projekt entdeckt: Ein Projekt, mit dem sie nicht - wie zu Anfang ihres politischen Weges - am progressiven Rande des politischen Systems stehen, sondern ganz in seinem neuerdings scheinbar vom neoliberalen Packeis befreiten Zentrum: den Green New Deal (GND), zuerst als solcher formuliert in einer Studie der britischen New Economics Foundation, an der Caroline Lucas, Vorsitzende der europäischen Grünen Partei, beteiligt war. Dieses öko-keynesianische Wunderkind verspricht, mit einem Policy-Mix aus Finanzmarktregulierung plus Investitionen in erneuerbare Energien die Weltwirtschafts-, die Energie- und die Klimakrise mit einem Streich zu bewältigen. Rasch avancierte das Konzept zur neuen Doktrin grüner Parteien, denn durch die Hintertür bot es ja auch noch die Lösung der vierten oben genannten Krise an.
Bei genauerem Hinschauen stellt sich aber heraus, dass der auf den ersten Blick so schöne Vorschlag auf zwei intellektuellen Taschenspielertricks beruht. Das Ziel ist es, die strukturellen Widersprüche des Kapitalismus auszublenden, um mal wieder das alte Märchen von einem Kapitalismus erzählen zu können, in dem alle - AusbeuterInnen und Ausgebeutete, "Mensch" und "Natur", Fuchs und Hase - friedlich miteinander koexistieren können.
Kapitalismus und Ökologie: der Widerspruch bleibt
Zum ersten Trick: nicht der industrielle Kapitalismus oder gar der Kapitalismus im Allgemeinen wird für die gegenwärtige Biokrise verantwortlich gemacht, sondern der neoliberale Finanzmarktkapitalismus. Für alle, die sich jemals mit der historischen Genese des Klimawandels beschäftigt haben, ist offensichtlich, dass die Geschichte des menschengemachten Klimawandels identisch ist mit derjenigen des industriellen Kapitalismus, also mit der eines Wirtschaftssystems, dessen einziges "Ziel" die ständige Akkumulation, das ständige Wachstum ist.
Schon lange vor dem Neoliberalismus schrieb Marx schließlich über die Logik des Kapitalismus: "Akkumuliert! Akkumuliert! Das ist Moses und die Propheten." Auch Karl Polanyi schrieb in den 1940ern darüber, dass Gesellschaften sich vor den ökologisch zerstörerischen Tendenzen des Kapitalismus schützen müssten. Trotzdem sind sich die neuen Propheten des GND intellektuell nicht zu schade, zu behaupten, dass sowohl die Energiekrise (Peak Oil) als auch die Klimakrise dem neoliberalen Globalisierungsmodell entspringen.
Das historische Gedächtnis ist offensichtlich kurz. Vergessen sind nicht nur die sozialen Verwerfungen des Fordismus - davon, dass es sich dabei nicht um ein allgemein goldenes Zeitalter handelte, zeugten nicht zuletzt die Vielzahl von sozialen Bewegungen, die zu seinem Zusammenbruch beitrugen.
Vergessen sind auch seine ökologisch desaströsen Konsequenzen: ignoriert wird die Tatsache, dass es die fordistisch-keynesianische Massenproduktion und -konsumption war, welche den kapitalistischen Industrialismus erst "radikalisierte". Ohrenbetäubend, wie sich Meadows, Herausgeberin der 1972er Studie "The limits to growth" des Club of Rome, dabei im Grabe herum dreht. Tatsächlich entstand die Ökologiebewegung, vermutlich politischer Sozialisierungsboden derjenigen, die jetzt den Gospel des GND verbreiten, nicht als Reaktion auf den Neoliberalismus, denn sie ist älter als jener, sondern gegen Ende des Fordismus.
Der Versuch, eine harmonische Beziehung zwischen Kapitalakkumulation und "der Natur" zu konstruieren, ist nichts Neues: zwar gab es durchaus breit wahrgenommene "grüne" politische Konzeptionen mit emanzipatorischem oder antikapitalistischem Gehalt, spätestens mit der Epochenwende von 1989 brachen die meisten Diskussionen aber abrupt ab, die auf eine tief greifende industrielle Konversion der Ökonomie jenseits des Marktes zielten (Öko-Sozialismus).
Die großen UN-Konferenzen der 1990er Jahre, insbesondere die Rio-Konferenz von 1992, fassten die Frage des Metabolismus von Mensch und Natur unter dem Stichwort "Nachhaltigkeit" zusammen. Die systemischen Eigenschaften der kapitalistischen Ökonomie - Profit, Privateigentum, Wachstum - erschienen damit nicht mehr als strukturelle Gefahr für das Überleben von Natur und Menschen.
Stattdessen ging es darum, quasi-korporatistische Kompromisse zwischen den Ansprüchen von Unternehmen und AkteurInnen, die sich für ökologische Belange engagierten, zu finden. Das Ergebnis sollten Leitplanken und Standards sein, die elegant den Weg nicht in eine andere, aber doch bessere Zukunft lenken sollten. Wir erinnern uns: das Ende der Geschichte war gekommen, einige Verbesserungen aber weiterhin gestattet. Ökologische Fragen waren zu "Umweltpolitik" geworden, die als Teilbereichspolitik zivilgesellschaftlicher AkteurInnen und in kleinen Ministerien ihren Platz hatte, ohne eine grundsätzlich andere Gesellschaft suggerieren zu wollen und zu können. Dementsprechend wurden die Regeln der jeweils aktuellen politischen Ökonomie zur Basis des Öko-Geschäfts: Liberalisierung, Privatisierung, Marktanreize.
"It's economic growth, stupid!"
Und heute? Angesichts der Tatsache, dass die Weltwirtschaftskrise viel mehr ist als nur eine Liquiditäts- oder Bankenkrise, sondern unter anderem darauf basiert, dass das akut überakkumulierte Kapital nicht profitabel in neue Wachstumsmärkte investiert werden kann, müssen neue Wachstumsmöglichkeiten gefunden werden. Und hier wird der "grüne Kapitalismus" interessant, weil er verspricht, eine neue Wachstumsdynamik auszulösen. Grüne Infrastruktur, grüne Autos, grüne Häuser, die Aufzählung müsste niemals aufhören. Hier liegen scheinbar riesige Produktivitäts- und Profitreserven, die nur darauf warten, von neuen grünen KapitalistInnen aufgetan zu werden.
Obwohl es berechtigte Bedenken darüber gibt, ob ein "grüner Kapitalismus" tatsächlich in der Lage wäre, ausreichend Kapital zu verwerten, um den Kapitalismus wieder zu stabilisieren, ist es also durchaus denkbar, dass der GND das Kapital retten kann. Kann er aber auch die Biokrise lösen? Letztlich bleiben im GND die strukturellen Widersprüche zwischen profitgetriebener potenziell grenzenloser Kapitalakkumulation und unserem kollektiven (aber natürlich immer ungleichen) Überleben in relativ stabilen Ökosystemen im GND außen vor.
Bill Clintons alter Slogan, "It's the economy, stupid!", sollte also erweitert werden: "It's economic growth, stupid!" Des kapitalistischen Pudels Kern ist das Wachstum und genau darum geht es im GND, um eine Neuauflage der Geschichte vom Kapitalismus, der ewig weiterwachsen kann, ohne unsere Lebensgrundlagen zu untergraben. Tatsächliche, wirklich klimaschutzrelevante CO2-Reduktionen hat es in den letzten 30 Jahren nur einmal gegeben: nicht ausgelöst dadurch, dass der Anteil erneuerbarer Energien im Energiemix erhöht wurde; nicht ausgelöst durch neue Emissionshandelssysteme; sondern ausgelöst durch den Zusammenbruch der wachstumsfixierten, staatskapitalistischen Wirtschaften des Ostblocks.
Das heißt natürlich nicht, dass wir ein unkontrolliertes Zusammenbrechen der Weltwirtschaft, mit all den sozialen Verwerfungen, die dies mit sich bringen würde, als Ziel ansehen - nur, dass jeder Versuch, die Biokrise zu lösen, nicht ohne einen Angriff auf den kapitalistischen Wachstumsimperativ funktionieren kann.
Der zweite Taschenspielertrick ist etwas schwieriger zu erkennen, aber ebenso wichtig für das Harmonie-Projekt des GND: der ursprüngliche New Deal, der viel dazu beitrug, die USA aus der Depression der 1930er Jahre des letzten Jahrhunderts herauszuführen, wird als ein von oben herab erdachtes, technokratisches Abkommen zwischen dem "Genie" John Maynard Keynes und dem Macher F.D. Roosevelt dargestellt. Tatsächlich wurden die sozial progressiven Elemente der US-Regierung durch starke Arbeitslosenbewegungen und z.T. blutig niedergeschlagene Massenstreiks durchgesetzt. Der New Deal war also zumindest teilweise progressiv und emanzipatorisch, weil er von starken sozialen Bewegungen erzwungen wurde.
Der GND aber ignoriert soziale Kräfteverhältnisse und die Tatsache, dass die internen Widersprüche des Kapitalismus irgendwie bearbeitet werden müssen. Wurden die Kosten im Fordismus - vereinfacht gesagt - insbesondere auf die Natur und den (kolonisierten) Süden abgewälzt, wohingegen die ArbeiterInnen im Norden einen besseren Lebensstandard gewannen, gerieten im Finanzmarktkapitalismus auch die Beschäftigten in den Metropolen unter Druck.
Unter einem grünen Deal soll es nun allen gut gehen. Verräterisch an den vorliegenden Konzepten ist jedoch genau dieser Punkt. Während Roosevelts New Deal in sozialdemokratischer Manier tatsächlich soziale Errungenschaften umfasste, ist die soziale Frage bei den bisher vorliegenden Vorschlägen des GND eine vielsagende Leerstelle. Es geht um mehr Jobs, aber 30-Stunden-Woche, höhere Löhne usw. fehlen. Es liegt also nahe, wer die Zeche zahlt, denn ein auf Massenproduktion beruhender, hoch profitabler Wirtschaftsboom bei gleichzeitiger ökologischer Neutralität ist nicht wirklich denkbar.
Green New Deal und die "soziale Frage"
Ein Green New Deal, der technokratisch und von sozialen Bewegungen abgekoppelt implementiert wird, wird eben das sein: technokratisch. Darüber hinaus unter Umständen autoritär, denn ohne eine starke ArbeiterInnenbewegung, die hohe Löhne erzwingen kann, werden diese niedrig bleiben, während Lebenshaltungskosten (vor allem Energie- und Nahrungsmittelpreise) steigen werden. Niedrige Löhne bei steigenden Kosten heißt mehr Armut und Unzufriedenheit, heißt mehr soziale Unruhe, heißt mehr staatliche Repression. Und eine derartige autoritäre Politik lässt sich viel leichter im Zeichen des Schutzes "der Natur" machen als im Namen des Kampfes gegen den Terrorismus.
Zuletzt ist es kein Zufall, dass der New Deal in den USA die Geburtsstunde der "imperialen Präsidentschaft" (imperial presidency) ist, deren Konsequenzen die ganze zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts und bis heute das politische System der USA dominieren. Der autoritäre Charakter des Projektes New Deal wird nicht problematisiert. Im Gegenteil: viele AnhängerInnen des GND garnieren ihre Ausführungen mit Anekdoten aus der kriegswirtschaftlichen Phase der Roosevelt-Präsidentschaft. Es lässt nichts Gutes ahnen, wenn der Versuch, Wachstum und Ökologie miteinander in Einklang zu bringen, solch autoritärer Metaphorik bedarf.
Tadzio Müller, Alexis Passadakis