Blutiger Sieg der Armee in Sri Lanka
Tamil Tigers vor dem Ende
Im Krieg zwischen der Regierung Sri Lankas und den tamilischen Rebellen der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) ist eine Entscheidung gefallen: Dem Militär gelang es im April, das letzte von den Rebellen gehaltene Gebiet zu erobern. Doch mit dem Triumph über die Tamil Tigers ist der Konflikt nicht beendet. Eine politische Lösung liegt in weiter Ferne. Unterdessen rollt eine Welle des Nationalismus durch Sri Lanka, und das Militär drängt auf ein größeres politisches Gewicht. RegierungskritikerInnen müssen um ihr Leben fürchten.
Es sind vor allem tamilische ZivilistInnen, die den Preis für den militärischen Sieg der Regierung zahlen. Allein im Februar und März wurden laut Angaben der Vereinten Nationen 3.000 ZivilistInnen getötet und 7.000 verletzt. Obwohl das Militär im Januar ein Areal im Kriegsgebiet zur "No Fire-Zone" erklärt hatte, häuften sich Berichte, dass gerade diese Zone - die einen Schutzraum bieten sollte - immer wieder bombardiert wurde. Die LTTE habe sie aus dieser "Safe Zone" beschossen, rechtfertigte sich das Militär. Auch in anderen Gebieten griff die Armee Krankenhäuser und Flüchtlingslager mit schwerer Artillerie an und bombardierte sie aus der Luft. Verteidigungsstaatssekretär Gothabaya Rajapakse rechtfertigte die Bombardierung von Krankenhäusern gegenüber Skynews damit, außerhalb der "sicheren Zone" dürfe nichts existieren.
In Folge der heftigen Kämpfe wurde die Schutzzone im Februar an den Küstenstreifen bei Mullaitivu verlegt. Noch während die Flüchtlinge dorthin umzogen, wurden sie angegriffen. Und auch dort ist das Leben inzwischen zur Hölle geworden. In dem dicht mit Zelten besiedelten Gebiet fehlt es an sauberem Trinkwasser, an Nahrungsmitteln und medizinischer Versorgung. Viele Verletzte sterben, weil sie nicht behandelt werden können. Die wenigen Ärzte sind vor allem mit Amputationen beschäftigt. Tote werden an Ort und Stelle verbrannt.
Nach der Eroberung der letzten LTTE-Gebiete durch das Militär Anfang April sollen sich die letzten Tamil Tigers - darunter die Führungsspitze um Vellupillai Prabhakaran - unter die ZivilistInnen in der Schutzzone gemischt haben. Beunruhigend ist, dass sich in diesem 20 Quadratkilometer großen Gebiet nach Schätzung von Hilfsorganisationen noch zwischen 40.000 und 100.000 ZivilistInnen befinden. Sollte das Militär nun versuchen, die Rebellen dort anzugreifen, müsste dies in einem Desaster enden, bei dem es bis zu 15.000 Tote gäbe, schätzt der unabhängige tamilisch-kanadische Journalist D.B.S. Jeyaraj.
Zwar muss in erster Linie das Militär für die fürchterlichen Massaker an der Zivilbevölkerung verantwortlich gemacht werden, aber auch die Rebellen begehen Kriegsverbrechen. So berichteten viele Tamilen, die aus dem LTTE-Gebiet geflohen waren, dass die Tamil Tigers das Feuer auf die Flüchtlinge eröffneten, um zu verhindern, dass sie die Grenzlinie überschreiten. Menschenrechtsorganisationen beschuldigen die LTTE deshalb, die tamilische Bevölkerung als menschliches Schutzschild zu missbrauchen. Hinzu kommt, dass offenbar zahlreiche ZivilistInnen - darunter viele Minderjährige - für den "Endkampf" zwangsrekrutiert wurden. Nach einem nur dreitägigen Waffentraining sollen sie an die Front geschickt worden sein.
Auch die Tigers schießen auf TamilInnen
Obwohl die LTTE behauptet, eine Befreiungsorganisation der Tamilen zu sein, scheint sie nur am Erhalt der eigenen Macht und kaum am Überleben der Tamilen interessiert zu sein. Die meisten Tamilen in der Diaspora, die einen großen Teil zur Finanzierung des Krieges in Sri Lanka beitragen, wollen dies nicht wahrhaben. Sie machen keinen Unterschied zwischen dem, was für die tamilische Bevölkerung gut wäre, und dem, was den Interessen der Tamil Tigers dient. Zweifel an der Politik der LTTE - so es sie denn gibt - werden aus Angst vor Repressalien nicht öffentlich geäußert.
In diesem Licht müssen auch die Protestdemonstrationen gesehen werden, die derzeit in vielen Ländern unter der Ägide der LTTE stattfinden. Diese Veranstaltungen haben nicht nur das Ziel, gegen den brutalen Vernichtungskrieg der sri-lankischen Regierung zu protestieren. Vor allem sollen sie den Alleinvertretungsanspruch der LTTE in der Diaspora unterstreichen und ausloten, wie viel Rückhalt die Organisation noch hat.
Bereits unmittelbar nach der Unabhängigkeit im Jahr 1948 hatte die frühere britische Kolonie Ceylon den Weg des singhalesisch-buddhistischen Nationalismus eingeschlagen. 1956 machte die Regierung Singhala zur einzigen offiziellen Landessprache, 1958 kam es zu einer Welle von Gewalttaten gegen Tamilen. 1961 schlug die Armee gewaltfreie Proteste nieder; 1972 gab es erneut anti-tamilische Pogrome, nachdem Tamilen gegen diskriminierende Maßnahmen an der Universität protestiert hatten. Erst zu diesem Zeitpunkt gründeten sich die ersten militanten tamilischen Gruppen. Die Tamil Tigers setzten sich im Laufe der 1980er Jahre an die Spitze der bewaffneten Unabhängigkeitsbewegung - nicht zuletzt indem sie Führungspersonen konkurrierender Organisationen ausschalteten. Mitte der 1990er Jahre kontrollierte die LTTE ein Drittel des Inselstaates Sri Lanka. Heute ist die Organisation zumindest militärisch fast völlig zerschmettert. Wie konnte es dazu kommen?
Terrorwelle gegen JournalistInnen
Erstens konnten die Tamil Tigers während der Friedensverhandlungen von 2002-2006 keine wirkliche politische Stärke entwickeln. Als primär militärische Organisation war ihnen die Logik politischer Verhandlungen fremd. Zweitens sorgte US-Präsident Bushs war on terror nach 2001 für günstige Bedingungen, um das internationale Finanznetzwerk der LTTE empfindlich zu treffen. Nicht zu unterschätzen ist drittens, dass sich mit Karuna im Jahr 2004 ein wichtiger Kommandant von der LTTE lossagte. Damit verloren die Rebellen nicht nur die Kontrolle über den gesamten Osten Karuna verriet auch wichtige Insiderinformationen über LTTE-Strukturen an das Militär. Viertens verhalf die LTTE im November 2005 dem amtierenden Präsidenten Mahinda Rajapakse an die Macht, indem sie alle Tamilen zu einem Wahlboykott aufrief. Nur so konnte Rajapakse, der für eine harte Haltung gegenüber den tamilischen Autonomiebestrebungen warb, seinen Kontrahenten Ranil Wickremesinghe überflügeln. Der hatte eine Fortsetzung des Friedensprozesses favorisiert. Mit den Stimmen der Tamilen hätte er die Wahl höchstwahrscheinlich gewonnen. Schließlich stellte sich fünftens das bereits 1991 verübte Attentat auf den früheren indischen Premierminister Rajiv Gandhi als fataler Fehler heraus - wie auch der verstorbenen LTTE-Chefideologe Balasingham später einräumte. In den 1980er Jahren hatte Indien die tamilische Sache verteidigt. Nach der Ermordung Gandhis wandelte sich die Haltung der indischen Regierung gegenüber dem Konflikt im Nachbarland. Inzwischen unterstützt Indien die sri-lankische Regierung im Kampf gegen die LTTE sogar mit militärischem Personal und Ausrüstung. Hier spielen allerdings auch veränderte geopolitische Kräfteverhältnisse eine Rolle: Indien hat großes Interesse an guten Beziehungen zu Colombo, um den wachsenden Einfluss von China und Pakistan in der Region einzudämmen.
Viele BeobachterInnen behaupten, mit der baldigen Vernichtung der LTTE werde der Bürgerkrieg enden. Diese Hoffnungen sind völlig unrealistisch. Blutig erobertes Territorium sollte nicht mit einer politischen Lösung verwechselt werden. Die LTTE kann vielleicht als konventionelle militärische Streitkraft zerschlagen werden. Es ist aber zu befürchten, dass dies nur zu einer Wiederaufnahme von Guerillataktiken führen wird.
Der Konflikt kann nicht durch die Brille eines war on terror, sondern nur im Hinblick auf die Geschichte des Landes verstanden werden. Er dreht sich im Kern um den rechtlichen Status der tamilischen Minderheit auf Sri Lanka. Der tamilische Kampf um gleiche Rechte hängt nicht von der Existenz der LTTE ab - und er wird sie überleben. Solange der sri-lankische Staat in seiner Verfassung weiterhin den Buddhismus als Staatsreligion festschreibt, solange Singhalesisch vorrangig praktizierte Amtssprache bleibt, Streitkräfte und Polizei fast nur mit SinghalesInnen besetzt werden, TamilInnen bei Ausbildung und Arbeitssuche diskriminiert werden - solange also die Minderheitenpolitik des singhalesisch dominierten Staates nicht verändert wird - solange wird es VertreterInnen der Minderheiten geben, die damit nicht zufrieden sind und eine Machtteilung, Teilautonomie oder eine föderale Lösung fordern. Dafür müsste aber die Verfassung geändert werden, wofür eine Zweidrittelmehrheit im Parlament notwendig ist.
Wichtig ist, dass es nicht mehr nur die Minderheiten sind, die unter der Militarisierung des Landes zu leiden haben. Auch für SinghalesInnen ist es gefährlich geworden, eine andere Meinung zu haben. So wurde die Eroberung der letzten Rebellengebiete von einer Terrorwelle gegen unabhängige JournalistInnen begleitet. Kurz nachdem Präsident Rajapakse am 1. Januar das Medienministerium übernommen hatte, stürmten zwanzig bewaffnete Männer die Sendezentrale des unabhängigen Maharajah Televisions Network nahe Colombo, zündeten Granaten im Senderaum und verschwanden. Kurz zuvor hatte die Regierung dem Sender vorgeworfen, nicht "patriotisch" genug zu sein, da er über ein Selbstmordattentat in Colombo berichtet hatte, anstatt die Einnahme der Rebellenhauptstadt Kilinochchi am selben Tag gebührend zu würdigen.
Wenig später wurde der Chefredakteur des regierungskritischen Sunday Leader, Lasantha Wickrematunge, mitten in der Hauptstadt Colombo auf dem Weg zur Arbeit erschossen. Bis heute gibt es keine Erkenntnisse über die Mörder. Wickrematunge schien zu ahnen, dass er der nächste auf der Liste der Killer sein würde. Bereits kurz zuvor war sein Haus von Unbekannten mit Maschinengewehrsalven beschossen worden. Da es nie Ermittlungen gab, gehe er davon aus, dass die Regierung die Angriffe unterstützt habe, schrieb Wickrematunge kurz vor seinem Tod. Nach den JournalistInnen sei die nächste bedrohte Gruppe jene der RichterInnen, prophezeite er.
Sri Lankas Süden im nationalistischen Fahnenmeer
Vorschläge für eine politische Lösung des Konflikts werden inzwischen als Verrat angesehen. Die militärischen Erfolge verleiten viele singhalesische PolitikerInnen und Militärs dazu, jede ausgleichende Rhetorik aufzugeben und recht deutlich auszusprechen, wie sie in Zukunft mit den Minderheiten umzugehen gedenken: Präsident Rajapakse hatte schon Anfang letzten Jahres auch nur den Gedanken an ein föderales System vehement zurückgewiesen. Die Ära der Machtteilung sei nun endgültig vorüber, bekräftigte auch Umweltminister Ranawaka im Oktober 2008: "Wir werden es nicht erlauben, dass dieses Land föderalisiert wird." Über eine politische Lösung dürfe nicht mehr gesprochen werden, nur noch über einen Einheitsstaat.
Von noch größerer Tragweite war aber eine Äußerung von Armeechef Sarath Fonseka im September 2008: In einem Interview für die kanadische National Post sagte er, Sri Lanka gehöre den SinghalesInnen. Minderheiten könnten zwar in Sri Lanka leben, sollten aber keine unangemessenen Forderungen stellen. Dies sorgte nicht nur bei TamilInnen für Empörung, sondern auch bei Moslems.
Um einen dauerhaften Frieden zu erreichen, müsste die Regierung sehr bald Vorschläge präsentieren, wie eine gleichberechtigte Partizipation der verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen am Staat in Zukunft gewährleistet werden soll.
Derzeit gibt es allerdings keinerlei Anzeichen für eine solche Entwicklung. Im Gegenteil: Der singhalesische Nationalismus ist auf dem Höhepunkt seiner Macht, die singhalesisch-buddhistische Hegemonie war lange nicht mehr so unangefochten. Das bekommen nicht nur TamilInnen und Moslems, sondern inzwischen auch singhalesische ChristInnen zu spüren. Jeder, der eine andere Meinung hat und nicht in das nationalistische Fahnenmeer passt, das derzeit den Süden des Landes überschwemmt, muss um sein Leben fürchten.
Es gibt erste Hinweise, dass die Mörder des oben erwähnten Sunday Leader-Herausgebers Wickrematunge aus dem Umfeld des Militärgeheimdienstes kommen. Die Asian Human Rights Commission (AHRC) warnte denn auch davor, die Entwicklung weise in Richtung einer mit Hilfe bestimmter Sektionen des Militärs errichteten Diktatur. In jedem Fall ist zu befürchten, dass der enorm aufgeblähte Militärapparat nun seinen politischen Tribut fordern wird. Schon kündigte der Präsident an, in jedem Wahlkreis Mitglieder der Streitkräfte auf die Wahllisten zu setzen.
Fabian Kröger