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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 538 / 17.4.2009

Regieren bis die Polizei kommt

Die neue israelische Regierungskoalition ist breit, aber instabil

Der Demagoge im Mantel des Staatsmannes, Likud-Frontmann Benjamin Netanjahu, hat es dank seines geschickten Koalitionspokers zum zweiten Mal auf den Sitz des israelischen Ministerpräsidenten geschafft, während die Wahlgewinnerin und Kadima-Vorsitzende Tzipi Livni auf den Oppositionsbänken Platz nimmt. Die neue Regierung ist dennoch nicht der von Netanjahu erhoffte große Wurf, sondern Abbild eines fragmentierten, korrupten und handlungsunfähigen politischen Systems. Laut einer Untersuchung der Uni Tel Aviv waren 54% der Befragten bereits am ersten Tag mit der Regierung unzufrieden und trauen ihr in Kerngebieten wie Sicherheit, Außenpolitik und Wirtschaft keine Lösungskompetenz zu. (Haaretz, 1.4.09) Es wäre ein Wunder, wenn die Koalition eine Legislaturperiode übersteht.

Neben dem Likud sitzen mit Avigdor Liebermanns neo-faschistischer Yisra'el Beytenu ("Unser Haus Israel") und der Partei der Siedlerlobby Ha-Beyt Ha-Le'umi ("Das nationale Heim") zwei rechtsradikale Parteien in der Regierung. Der frühere Türsteher Liebermann ist der erste israelische Außenminister, der sich bereits bei Amtsantritt mit polizeilichen Ermittlungen gegen ihn wegen Korruptionsverdacht auseinandersetzen muss und der in den Hauptstädten der Welt aufgrund seiner meist offen ausgesprochenen politischen Überzeugungen wohl für so manchen peinlichen Auftritt sorgen wird. Ha-Beyt Ha-Le'umi, die den Wissenschaftsminister stellt, besteht zu großen Teilen aus ehemaligen AnhängerInnen des 1990 in New York ermordeten Rabbi Me'ir Kahane, dessen Kach-Partei in den 1980er Jahren von der Knesset als rassistisch gebrandmarkt und verboten wurde. Zu diesem Schritt entschied sich das Parlament damals nicht zuletzt angesichts starken Drucks einer kritischen israelischen Öffentlichkeit.

Heute kann von einer Mobilisierung linker Öffentlichkeiten in Israel keine Rede mehr sein: Während die nicht-zionistische Linke und die mit ihr verbündeten arabisch-nationalistischen Parteien stabile aber weiterhin marginale Akteure sind, die von weiten Teilen der jüdisch-israelischen Mehrheitsbevölkerung als illegitim und als fünfte Kolonne der feindlichen Nachbarn Israels wahrgenommen werden, befindet sich die zionistische Linke heute in einem komatösen Zustand ohne Aussicht auf Erholung. Weder tragfähige Analysen der verfahrenen politischen Lage noch gar zukunftsweisende Handlungsstrategien hat sie anzubieten.

Mit dabei sind zwei rechtsradikale Parteien

Nach den desaströsen Wahlergebnissen ihrer beiden parlamentarischen Ableger Ma'arach (Arbeitspartei) und Meretz stehen viele Angehörige dieser einst hegemonialen und staatstragenden Schichten noch immer unter Schock. Seit der Ma'arach-Vorsitzende Ehud Barak seine Partei in eine Koalition mit Netanjahu, Liebermann & Co. gedrängt hat, zweifeln viele israelische SozialdemokratInnen vollends an ihrem Verstand. Tatsächlich hatte Barak direkt nach der Wahl empfohlen, die Partei solle sich in der Opposition inhaltlich erneuern. Doch schon kurze Zeit später ließ sich der von seiner Partei seit langem entfremdete Super-Soldat von seinem alten Kameraden aus der Elite-Einheit Sayaret Matkal, Benjamin ("Bibi") Netanjahu, dazu überreden, auch weiterhin als Verteidigungsminister im Amt zu bleiben.

Was Netanjahu davon hat, leuchtet ein: Barak dient als "liberales" Aushängeschild einer ansonsten weitgehend indiskutablen Koalition. Doch rätselhaft bleibt, welche Motive die Arbeitspartei dazu bewogen haben könnten, Barak in eine Koalition mit Rechtsradikalen und anderen "Post-Demokraten" sowie der religiösen Shas-Partei zu folgen, die außer rücksichtsloser Klientelpolitik nichts zu bieten hat. Wahrscheinlich ist der einzige Grund für diesen suizidalen Akt die schlichte Aussicht auf ein paar letzte Jahre an den Pfründen der Macht, weil die Partei keine Kraft mehr hat, sich ihrem bei den nächsten Wahlen absehbaren Absturz in die Bedeutungslosigkeit entgegenzustemmen und einen programmatischen Neuanfang zu wagen. Nicht unwahrscheinlich ist, dass die Partei sich im Laufe dieser Legislaturperiode spalten wird, da knapp die Hälfte der Parteimitglieder jede Beteiligung an einer Regierung Netanjahu vehement ablehnt.

Diese Koalition wird jedenfalls keine politischen Weichenstellungen vornehmen können, sondern sich wie schon ihre Vorgänger selbst blockieren. Unterm Strich bedeutet dies, dass alles so weitergeht wie bisher: keine ernsthaften politischen Verhandlungen mit den Palästinensern, keine innenpolitischen Reformen, dafür der weitere Ausbau von Siedlungen in den besetzten Gebieten und ein fortdauerndes Primat der militärischen Logik in allen außenpolitischen Belangen. Doch dieses besinnungslose Weiter-So bedroht nicht nur die israelische Demokratie, sondern hat angesichts der sich langsam abzeichnenden Agenda der Obama-Administration das Potenzial, Israel außenpolitisch ins Abseits zu manövrieren.

Eine neue US-Politik würde Israel ins Abseits drängen

Denn unter Obama deutet sich ein Strategiewechsel der US-Politik in der Region an, der zu einer Aufwertung der Beziehungen mit arabischen und muslimisch geprägten Staaten führen und die Bewegungsfreiheit israelischer Regierungen merklich einschränken könnte. So wird der saudische Friedensplan, wonach Israel sich im Tausch für volle diplomatische Anerkennung durch die Arabische Liga auf die Grenzen von 1967 zurückziehen, einen palästinensischen Staat akzeptieren, Jerusalem teilen und eine einverständliche Regelung der Flüchtlingsfrage finden müsse, von den USA neuerdings als Teil ihrer Nahoststrategie deklariert.

All dies sind Positionen, die von der Regierung Netanjahu abgelehnt werden. Mit Blick auf Iran spricht sich Obama zwar strikt gegen eine atomare Bewaffnung des Landes aus, doch scheint er anders als sein Vorgänger nicht geneigt, die Glaubwürdigkeit seiner Position durch blinde Unterstützung der israelischen Besatzungspolitik in Westbank und Gaza ruinieren zu wollen. Vor diesem Hintergrund darf man auf den für Juni anberaumten Antrittsbesuch Netanjahus in Washington gespannt sein. Nach Ansicht von Amir Oren (Haaretz, 8.4.09) wird die absehbare Auseinandersetzung zwischen beiden Seiten zu einem Wechsel entweder der israelischen Politik oder der israelischen Regierung führen.

Achim Rohde